Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 308/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 27.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2012 wird abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin ab dem 01.06.2011 bis zum 30.09.2011 Leistungen der Grundsicherung ausgehend von der Regelbedarfsstufe 1 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 statt 3 im Rahmen des 4. Kapitels des SGB XII für einen älteren Menschen mit Schwerbehinderung.
Die am 00.00.1954 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.08.2008 Leistungen nach dem SGB XII. Sie lebte zunächst bei ihrem Sohn C C1 und dessen Ehefrau. Sie ist voll erwerbsgemindert. Vom Amtsgericht wurde ihr Sohn als Betreuer bestellt. Seit dem 01.12.2012 lebt die Klägerin wieder in einer eigenen Wohnung.
Mit Bescheid vom 27.06.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 3. Für die Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 27.06.2011 Bezug genommen. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie sei nicht damit einverstanden, dass sie nur den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen erhalte. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2012 wies der Kreis Herford den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, da sie keinen eigenen Haushalt führe.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter und wiederholt ihre Argumentation.
Sie beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 27.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für den Bewilligungszeitraum Juni 2011 bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch sie wiederholt ihre Ausführungen und verweist zudem auf eine Weisung und Stellungnahme des BMAS zur Umsetzung der betreffenden Urteile des Bundessozialgerichts.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens. Die Beteiligten haben einer gerichtlichen Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs.2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 27.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2012 insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, als der Klägerin in diesem Bescheid Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 3 statt der Regelbedarfsstufe 1 gewährt wurden. Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1.
Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Die Leistungen umfassen gemäß § 42 Nr. 1 die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27 a Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden. Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII beträgt der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 seit dem 01.01.2011 monatlich 364 EUR, seit dem 01.01.2012 monatlich 374 EUR, seit dem 01.01.2013 monatlich 382 EUR, seit dem 01.01.2014 391 EUR und seit dem 01.01.2015 399 EUR für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 328 EUR seit dem 01.01.2011 und von monatlich 337 EUR seit dem 01.01.2012 und 345 EUR ab dem 01.01.2013 und 353 EUR ab dem 01.01.2014 und 360 EUR ab dem 01.01.2015 werden für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte gewährt, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 EUR ab dem 01.01.2011 und in Höhe von 299 EUR ab dem 01.01.2012 und in Höhe von 306 EUR ab dem 01.01.2013 und in Höhe von 313 EUR ab dem 01.01.2014 und in Höhe von 320 EUR ab dem 01.01.2015 sind zu gewähren für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt.
Das BSG hat in seinen drei Entscheidungen vom 23.07.2014 zu den Verfahren mit den Aktenzeichen B 8 SO 14/13 R und B 8 SO 31/12 R und B 8 SO 12/13 R entschieden, dass die Vorschriften orientiert am Gesetzeszweck verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 richtet, auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 besteht (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 14/13 R). Die Regelbedarfsstufe 3 kommt im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (BSG, a.a.O.). Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff der eigenen Haushaltsführung sich an den individuellen Fähigkeiten der Haushaltsführung orientiert, da dies regelmäßig eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG von behinderten Menschen zur Folge hat (vgl. BSG, a.a.O.). Es ist nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten (BSG, a.a.O.). Ein Sachverhalt, bei dem von einem fremden Haushalt auszugehen ist, wird dabei nur ausnahmsweise vorliegen (BSG, a.a.O.). Denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und / oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen (BSG, a.a.O.). Ob ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird nur dann zu prüfen sein, wenn diesbezüglich qualifizierter Vortrag des Beklagten erfolgt (BSG, a.a.O.). Die Beweislast liegt insofern beim Beklagten (BSG, a.a.O.). Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren erwachsenen nicht erwerbsfähigen Kindern (BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 31/12 R). Es muss typisierend bei familienhaftem Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, gerade auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren behinderten erwachsenen Kindern, davon ausgegangen werden, dass die hilfebedürftige Person der Regelbedarfsstufe 1 unterfällt, ergänzt durch die gesetzliche Vermutungsregelung des § 39 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII.
Dieser überzeugenden Rechtsprechung des BSG schließt sich die Kammer an und zwar auch für die hier vorliegende spiegelbildliche Variante, dass ein älterer behinderter Mensch nun bei einem seiner Kinder und dessen Familie lebt.
Die Frage, ob der erwachsene schwerbehinderte Mensch einen eigenen Haushalt führt, ist im Lichte des Rechts des erwachsenen Schwerbehinderten zu sehen, einen eigenen Haushalt führen zu dürfen. Wie ein gesunder Erwachsener hat auch ein schwerbehinderter erwachsener Mensch das Recht auf einen eigenen Haushalt im Sinne eines eigenen privaten, häuslichen Umfeldes, das ausschließlich für ihn bereit gehalten wird und eben hierfür auch Kosten verursacht. Dabei kann für die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe nicht entscheidend sein, in welchem Umfang die praktischen Tätigkeiten der Haushaltsführung selbst von dem behinderten Menschen verrichtet werden oder inwiefern diese durch andere, sei es durch einen bezahlten Integrationshelfer oder Pflegedienst oder eben durch die Eltern eines jungen erwachsenen Menschen mit Behinderung oder wie hier im vorliegenden Fall eines älteren erwachsenen Menschen mit Schwerbehinderung nun durch die erwachsenen Kinder verrichtet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass für den Leistungsberechtigten eine organisatorische, im Sinne der Inklusion gewollte Haushaltsführung stattfindet. Die Kammer vermag auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend zu erkennen, dass durch eine Haushaltsführung in diesem Sinne ein geringerer Bedarf bestünde als für einen erwachsenen nichtbehinderten Leistungsberechtigten. So wird auch einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, aber weiterhin mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II aber nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, der Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen gewährt, ohne dass hinterfragt würde, ob er sich tatsächlich im Haushalt betätigt oder auch nur einen finanziellen Beitrag hierzu leistet. Würde man tatsächlich davon ausgehen, dass durch das Zusammenleben mit (erwerbsfähigen) erwachsenen Angehörigen eine Einsparung erfolgen würde, würde es zu einer echten Diskriminierung behinderter Menschen führen, wenn diese Einsparungen dort angerechnet würden, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dagegen belassen würden. Die Kammer kann sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Inklusion behinderter Menschen aber nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber behinderte Menschen schlechter stellen wollte als Nichtbehinderte. Dies gilt zur Überzeugung der Kammer auch für die Gruppe der älteren Menschen mit Schwerbehinderung. Sicherlich werden behinderte Menschen regelmäßig die Regelsatzleistungen anders verwenden als nichtbehinderte Leistungsberechtigte; hier trägt der pauschale Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 aber bereits der Vielzahl der Lebenswirklichkeiten der Menschen Rechnung, die diesen aus vielen Durchschnittswerten ermittelten Betrag entsprechend ihrer ganz persönlichen Bedürfnisse und Wünsche einsetzen können, ebenfalls ohne dass geprüft würde, ob der im RBEG für eine Abteilung ermittelte Wert überschritten wurde und möglicherweise an anderer Stelle etwas eingespart wurde. Für die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der zur Berechnung des Regelsatzes ausweislich des RBEG gebildeten Abteilungen nicht erkennbar, woraus sich der geringere Bedarf ausgerechnet der schwerbehinderten Leistungsberechtigten ergeben soll. Hiervon ausgehend sind dem nicht erwerbsfähigen Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem IV. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger keinen eigenen Haushalt im Sinne der oben erörterten Kriterien führt. Der Kläger lebt in einem eigenen privaten, nur für ihn bereitstehenden häuslichen Umfeld. Qualifizierter Vortrag des Beklagten, dass hier kein eigener Haushalt bestehen könnte, ist nicht erfolgt.
Soweit die Klägerin formal über keinen Schwerbehindertenausweis verfügt, ist sie zur Überzeugung der Kammer aufgrund der dauerhaften Erwerbsminderung in gleicher Weise schutzbedürftig. Die medizinischen Einschränkungen, die zu einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer führen, also im Sinne des § 43 Abs.2 S.2 SGB VI auf nicht absehbare Zeit außerstande zu sein, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, bedingen ganz regelmäßig zugleich den Schwerbehindertenstatus, also einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50, wenn er denn beantragt wird, während nicht jeder Schwerbehinderte, der einen GdB von 50 hat, umgekehrt schon erwerbsgemindert wäre. Dies ergibt sich schon spiegelbildlich aus einem wesentlichen Zweck des Schwerbehindertenstatus, nämlich dem Schutz in der Arbeitswelt. Die Klägerin ist hier gesundheitsbedingt sogar bereits dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 statt 3 im Rahmen des 4. Kapitels des SGB XII für einen älteren Menschen mit Schwerbehinderung.
Die am 00.00.1954 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.08.2008 Leistungen nach dem SGB XII. Sie lebte zunächst bei ihrem Sohn C C1 und dessen Ehefrau. Sie ist voll erwerbsgemindert. Vom Amtsgericht wurde ihr Sohn als Betreuer bestellt. Seit dem 01.12.2012 lebt die Klägerin wieder in einer eigenen Wohnung.
Mit Bescheid vom 27.06.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 3. Für die Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 27.06.2011 Bezug genommen. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie sei nicht damit einverstanden, dass sie nur den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen erhalte. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2012 wies der Kreis Herford den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, da sie keinen eigenen Haushalt führe.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter und wiederholt ihre Argumentation.
Sie beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 27.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für den Bewilligungszeitraum Juni 2011 bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch sie wiederholt ihre Ausführungen und verweist zudem auf eine Weisung und Stellungnahme des BMAS zur Umsetzung der betreffenden Urteile des Bundessozialgerichts.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens. Die Beteiligten haben einer gerichtlichen Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs.2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 27.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2012 insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, als der Klägerin in diesem Bescheid Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 3 statt der Regelbedarfsstufe 1 gewährt wurden. Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1.
Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Die Leistungen umfassen gemäß § 42 Nr. 1 die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27 a Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden. Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII beträgt der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 seit dem 01.01.2011 monatlich 364 EUR, seit dem 01.01.2012 monatlich 374 EUR, seit dem 01.01.2013 monatlich 382 EUR, seit dem 01.01.2014 391 EUR und seit dem 01.01.2015 399 EUR für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 328 EUR seit dem 01.01.2011 und von monatlich 337 EUR seit dem 01.01.2012 und 345 EUR ab dem 01.01.2013 und 353 EUR ab dem 01.01.2014 und 360 EUR ab dem 01.01.2015 werden für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte gewährt, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 EUR ab dem 01.01.2011 und in Höhe von 299 EUR ab dem 01.01.2012 und in Höhe von 306 EUR ab dem 01.01.2013 und in Höhe von 313 EUR ab dem 01.01.2014 und in Höhe von 320 EUR ab dem 01.01.2015 sind zu gewähren für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt.
Das BSG hat in seinen drei Entscheidungen vom 23.07.2014 zu den Verfahren mit den Aktenzeichen B 8 SO 14/13 R und B 8 SO 31/12 R und B 8 SO 12/13 R entschieden, dass die Vorschriften orientiert am Gesetzeszweck verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 richtet, auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 besteht (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 14/13 R). Die Regelbedarfsstufe 3 kommt im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (BSG, a.a.O.). Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff der eigenen Haushaltsführung sich an den individuellen Fähigkeiten der Haushaltsführung orientiert, da dies regelmäßig eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG von behinderten Menschen zur Folge hat (vgl. BSG, a.a.O.). Es ist nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten (BSG, a.a.O.). Ein Sachverhalt, bei dem von einem fremden Haushalt auszugehen ist, wird dabei nur ausnahmsweise vorliegen (BSG, a.a.O.). Denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und / oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen (BSG, a.a.O.). Ob ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird nur dann zu prüfen sein, wenn diesbezüglich qualifizierter Vortrag des Beklagten erfolgt (BSG, a.a.O.). Die Beweislast liegt insofern beim Beklagten (BSG, a.a.O.). Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren erwachsenen nicht erwerbsfähigen Kindern (BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 31/12 R). Es muss typisierend bei familienhaftem Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, gerade auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren behinderten erwachsenen Kindern, davon ausgegangen werden, dass die hilfebedürftige Person der Regelbedarfsstufe 1 unterfällt, ergänzt durch die gesetzliche Vermutungsregelung des § 39 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII.
Dieser überzeugenden Rechtsprechung des BSG schließt sich die Kammer an und zwar auch für die hier vorliegende spiegelbildliche Variante, dass ein älterer behinderter Mensch nun bei einem seiner Kinder und dessen Familie lebt.
Die Frage, ob der erwachsene schwerbehinderte Mensch einen eigenen Haushalt führt, ist im Lichte des Rechts des erwachsenen Schwerbehinderten zu sehen, einen eigenen Haushalt führen zu dürfen. Wie ein gesunder Erwachsener hat auch ein schwerbehinderter erwachsener Mensch das Recht auf einen eigenen Haushalt im Sinne eines eigenen privaten, häuslichen Umfeldes, das ausschließlich für ihn bereit gehalten wird und eben hierfür auch Kosten verursacht. Dabei kann für die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe nicht entscheidend sein, in welchem Umfang die praktischen Tätigkeiten der Haushaltsführung selbst von dem behinderten Menschen verrichtet werden oder inwiefern diese durch andere, sei es durch einen bezahlten Integrationshelfer oder Pflegedienst oder eben durch die Eltern eines jungen erwachsenen Menschen mit Behinderung oder wie hier im vorliegenden Fall eines älteren erwachsenen Menschen mit Schwerbehinderung nun durch die erwachsenen Kinder verrichtet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass für den Leistungsberechtigten eine organisatorische, im Sinne der Inklusion gewollte Haushaltsführung stattfindet. Die Kammer vermag auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend zu erkennen, dass durch eine Haushaltsführung in diesem Sinne ein geringerer Bedarf bestünde als für einen erwachsenen nichtbehinderten Leistungsberechtigten. So wird auch einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, aber weiterhin mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II aber nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, der Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen gewährt, ohne dass hinterfragt würde, ob er sich tatsächlich im Haushalt betätigt oder auch nur einen finanziellen Beitrag hierzu leistet. Würde man tatsächlich davon ausgehen, dass durch das Zusammenleben mit (erwerbsfähigen) erwachsenen Angehörigen eine Einsparung erfolgen würde, würde es zu einer echten Diskriminierung behinderter Menschen führen, wenn diese Einsparungen dort angerechnet würden, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dagegen belassen würden. Die Kammer kann sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Inklusion behinderter Menschen aber nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber behinderte Menschen schlechter stellen wollte als Nichtbehinderte. Dies gilt zur Überzeugung der Kammer auch für die Gruppe der älteren Menschen mit Schwerbehinderung. Sicherlich werden behinderte Menschen regelmäßig die Regelsatzleistungen anders verwenden als nichtbehinderte Leistungsberechtigte; hier trägt der pauschale Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 aber bereits der Vielzahl der Lebenswirklichkeiten der Menschen Rechnung, die diesen aus vielen Durchschnittswerten ermittelten Betrag entsprechend ihrer ganz persönlichen Bedürfnisse und Wünsche einsetzen können, ebenfalls ohne dass geprüft würde, ob der im RBEG für eine Abteilung ermittelte Wert überschritten wurde und möglicherweise an anderer Stelle etwas eingespart wurde. Für die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der zur Berechnung des Regelsatzes ausweislich des RBEG gebildeten Abteilungen nicht erkennbar, woraus sich der geringere Bedarf ausgerechnet der schwerbehinderten Leistungsberechtigten ergeben soll. Hiervon ausgehend sind dem nicht erwerbsfähigen Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem IV. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger keinen eigenen Haushalt im Sinne der oben erörterten Kriterien führt. Der Kläger lebt in einem eigenen privaten, nur für ihn bereitstehenden häuslichen Umfeld. Qualifizierter Vortrag des Beklagten, dass hier kein eigener Haushalt bestehen könnte, ist nicht erfolgt.
Soweit die Klägerin formal über keinen Schwerbehindertenausweis verfügt, ist sie zur Überzeugung der Kammer aufgrund der dauerhaften Erwerbsminderung in gleicher Weise schutzbedürftig. Die medizinischen Einschränkungen, die zu einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer führen, also im Sinne des § 43 Abs.2 S.2 SGB VI auf nicht absehbare Zeit außerstande zu sein, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, bedingen ganz regelmäßig zugleich den Schwerbehindertenstatus, also einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50, wenn er denn beantragt wird, während nicht jeder Schwerbehinderte, der einen GdB von 50 hat, umgekehrt schon erwerbsgemindert wäre. Dies ergibt sich schon spiegelbildlich aus einem wesentlichen Zweck des Schwerbehindertenstatus, nämlich dem Schutz in der Arbeitswelt. Die Klägerin ist hier gesundheitsbedingt sogar bereits dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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