L 4 AS 249/15 B ER und L 4 AS 248/15 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 668/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 249/15 B ER und L 4 AS 248/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung des Antrags- und Beschwerdegegners (Im Folgenden: Antragsgegner), vorzeitig einen Altersrentenantrag zu stellen, und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren.

Die am ... 1951 geborene Antragstellerin steht beim Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bewilligungsbescheid vom 6. November 2014 vorläufige Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2014 bis Mai 2015 iHv 917,74 EUR monatlich (Regelbedarf: 391,00 EUR; Kosten der Unterkunft: 526,74 EUR).

Bereits mit Schreiben vom 28. April 2014 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin aufgefordert, einen Rentenantrag bis zum 20. Juli 2014 zu stellen, hob diese Aufforderung auf den Widerspruch der Antragstellerin wieder auf. Nach einer erneuten Aufforderung des Antragsgegners legte die Antragstellerin eine Rentenauskunft der D. R. M. (im Folgenden: Rentenversicherungsträger) vom 6. August 2014 vor. Hiernach betrage die Regelaltersrente bei Erreichen der Regelaltersgrenze am 12. Dezember 2016 717,42 EUR. Bei Fortzahlung der bisherigen Beiträge an den Rentenversicherungsträger erhöhe sich die Regelaltersrente auf 725,62 EUR ohne Berücksichtigung von eventuellen Rentenanpassungen. Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitgesetz lägen vor, so dass kein Rentenabschlag bei einem Rentenbeginn ab dem 1. August 2016 eintreten würde.

Mit Bescheid vom 6. November 2014 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, bis zum 23. November 2014 einen Rentenantrag zu stellen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung habe er berücksichtigt, dass die Eingliederung der Antragstellerin in den Arbeitsmarkt gescheitert sei. Eine unbillige Härte liege nicht vor. Am 13. November 2014 verwies die Antragstellerin auf das zurücklegende Verwaltungsverfahren zur Beantragung einer Rente, was mit einem Aufhebungsbescheid zur ihren Gunsten endete. Am 4. Dezember 2014 erhob sie Widerspruch und verwies darauf, dass ihr laut Rentenauskunft vom 6. August 2014 ein Rentenanspruch ohne Abzüge ab dem 1. August 2016 zustehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2014 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Mit Vollendung des 63. Lebensjahrs sei die Klägerin bei Vorliegen der Voraussetzungen verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, auch wenn dies mit Abschlägen verbunden sei. Der Ausnahmefall des § 65 Abs. 4 SGB II sei bei der Klägerin nicht gegeben. Sie habe das 58. Lebensjahr erst am 13. Juli 2009 vollendet. Auch die Tatbestände der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 seien nicht erfüllt. Die künftige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei nicht ersichtlich. Nach der vorliegenden Rentenauskunft könne die Antragstellerin eine abschlagsfreie Altersrente frühestens am 1. August 2016 in Anspruch nehmen, d.h. in mehr als 1 ½ Jahren. Im Zuge der ordnungsgemäßen Ermessensausübung habe der Antragsgegner berücksichtigt, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gescheitert sei. Seit April 1991 sei die Antragstellerin fast durchgehend arbeitslos gewesen. Während dieser Zeit habe sie kurze Weiterbildungsmaßnahmen sowie eine sechsmonatige Beschäftigung (Oktober 2007 bis April 2008) gehabt. Nach einem Beratungsgespräch vom 13. März 2014 habe sie ihre Integration in den Arbeitsmarkt selbst für unwahrscheinlich erklärt. Bewerbungsaktivitäten habe sie seit dem Jahr 2010 nicht mehr unternommen. Diese Umstände sprächen für eine Pflicht zur Rentenantragstellung. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente führe jedoch zu einem dauerhaften Verlust von Rentenanwartschaften. Eine Beantragung der geminderten Altersrente im November 2014 würde zu einem Verlust von 6,3 Prozentpunkten (0,3 % je Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme) führen. Bei einer abschlagsfreien Rente von 717,42 EUR brutto (603,88 EUR netto) ergäbe sich eine geminderte Altersrente von 672,22 EUR brutto (603,32 EUR netto). Die Antragstellerin hätte daher mit einem finanziellen Verlust von monatlich 45,20 EUR brutto (40,56 EUR netto) zu rechnen. Dieser Differenzbetrag sei im Vergleich zur abschlagsfreien Altersrente eher gering. Der derzeitige SGB II-Bedarf der Antragstellerin habe bis Mai 2015 zuletzt 917,74 EUR betragen. Wegen unangemessener Unterkunfts- und Heizkosten reduziere sich der SGB II-Bedarf auf 760,00 EUR (Regelbedarf: 399,00 EUR; Kosten der Unterkunft: 361,00 EUR). Auch bei geringerem Gesamtbedarf ab Juni 2015 würde eine ungeminderte Altersrente die Hilfebedürftigkeit nicht entfallen lassen. Aller Voraussicht könne die Antragstellerin nicht von ihrer ungeminderten Altersrente leben, sondern wäre weiterhin auf Sozialleistungen (Wohngeld, Sozialhilfe) angewiesen. Das Interesse der Antragstellerin an einer ungeminderten Altersrente trete dahinter zurück. Eine besondere Härte durch die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente liege auch nicht vor.

Die Antragstellerin hat dagegen am 23. Dezember 2014 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben (S 7 AS 3320/14). Am 19. März 2015 hat sie beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und vorgetragen: Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners sei ermessensfehlerhaft. Nach der zu § 12a SGB II ergangenen Rechtsprechung sei nicht ersichtlich, ob der Antragsgegner das Rentenniveau überhaupt ermittelt habe. Eine Rentenzahlung würde hinter dem bislang gewährten SGB-II-Bezug von 917,74 EUR finanziell zurückbleiben. Der Antragsgegner habe zwischenzeitlich beim Rentenversicherungsträger einen Rentenantrag gestellt. Dies mache eine Eilentscheidung des SG notwendig. Überdies sei der Antragstellerin Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat geltend gemacht: Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Unstreitig sei die Eingliederung der Antragstellerin gescheitert. Ein Ausnahmefall nach §§ 2 bis 5 der Unbilligkeitsverordnung liege auch nicht vor. Gegenteiliges habe die Antragstellerin auch nicht vorgetragen.

Mit Beschluss vom 2. April 2015 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Nach summarischer Prüfung bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufforderung des Antragsgegners zur Rentenantragsstellung. Die Antragstellerin habe das 63. Lebensjahr vollendet und gehöre nicht zum privilegierten Personenkreis des § 65 Abs. 4 SGB II. Die Verpflichtung zur Antragstellung entfalle auch nicht nach der sog. Unbilligkeitsverordnung. Insbesondere könne die Antragstellerin nicht in nächster Zeit mit einer abschlagsfreien Altersrente rechnen. Nach der Auskunft des Rentenversicherungsträgers sei der früheste abschlagsfreie Rentenbeginn erst am 12. Dezember 2016 anzunehmen. Der Antragsgegner habe erkannt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen sei und habe das Ermessen auch ausgeübt. Er habe alle relevanten Gesichtspunkte in die Ermessensabwägung aufgenommen. Die Unbilligkeitsverordnung sei berücksichtigt worden, ohne diese fehlerhaft als abschließend zu bewerten. Auch habe der Antragsgegner zutreffend erkannt, dass eine Eingliederung der Antragstellerin in den Arbeitsmarkt nicht absehbar sei. Zudem habe er berücksichtigt, dass weder die geminderte noch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des Grundsicherungsbedarfs der Antragstellerin ausreiche. Der Unterschied zwischen geminderter Altersrente und Regelaltersrente sei zudem nur gering. Mit Beschluss vom 1. April 2015 hat das SG auch den Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt und zur Begründung auf den Beschluss vom 2. April 2015 verwiesen.

Gegen die ihr am 8. April 2015 zugestellten Beschlüsse hat die Antragstellerin jeweils am 13. April 2015 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Die Ausführungen des Antragsgegners, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gescheitert sei, genüge als pauschale Behauptung nicht, um eine Rentenantragstellung zu rechtfertigen. Ein Renteneinschnitt von monatlich 45,20 EUR sei nicht unerheblich und im Übrigen so auch nicht zutreffend, da ein Vergleich zu den bisherigen SGB-II Leistungen angestellt werden müsse. Der tatsächliche Verlust belaufe sich auf 7,2 %. Zwischen der bisherigen Regelleistung (917,74 EUR) und der Rentenzahlung von 687,99 EUR bestehe eine erhebliche Differenz von 229,75 EUR. Ob dies durch ergänzende Leistungen vollständig ausgeglichen werde, habe der Antragsgegner weder geprüft noch dargestellt, was notwendig sei (so LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Dezember 2014, L 2 AS 520/14 B ER, juris). Nach dem Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 13. Oktober 2014, L 4 AS 448/14 B ER, juris, spreche die festgestellte Differenz für eine besondere Härte bzw. grobe Unbilligkeit. Der Antragsgegner hätte auch abwägen müssen, ob die durch eine vorzeitige Rentenantragstellung eingesparten SGB II-Leistungen geringer seien als die prognostisch zu zahlenden ergänzenden Leistungen nach dem SGB XII. Hierzu fehlten Ausführungen des Antragsgegners. Es sei nicht ersichtlich, aber bedeutsam, ob der Einkommensverlust durch andere Sozialleistungen für die Antragstellerin voll ausgeglichen werden könne. Da die Sache erhebliche Schwierigkeiten in rechtlicher und tatsächlicher Art aufweise, habe sie auch Anspruch auf Bewilligung von PKH.

Die Antragstellerin beantragt schriftlich sinngemäß,

die Beschlüsse des Sozialgerichts Dessau vom 1. und 2. April 2015 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage S 7 AS 3320/14 gegen den Bescheid des Antragsgegner vom 6. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 anzuordnen, und dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, für sie beim zuständigen Rentenversicherungsträger die vorzeitige Altersrente zu beantragen sowie ihr für die erste Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden und die zutreffenden Gründe der angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Senats.

II.

Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des SG sind zulässig iSv § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 iVm § 144 Abs. 1 SGG greift nicht, weil der angegriffene Bescheid des Antragsgegners keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Zudem handelt es sich nicht um einen Erstattungsstreit iSv § 144 Abs. 1 Satz § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Die Ablehnung von PKH erfolgte wegen fehlender Erfolgsaussicht und ist daher als beschwerdefähig anzusehen.

Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Die Antragstellerin hat weder Anspruch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Hauptsacheverfahren (im Folgenden: 1.) noch auf Bewilligung von PKH im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (im Folgenden: 2.)

1. Das SG hat zu Recht den Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Sie hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat die Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 iVm § 39 Abs. 1 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Voraussetzungen für deren Anordnung liegen nicht vor, denn es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide.

Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug grundsätzlich dem Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung eingeräumt hat. Bei der Abwägung sind neben den Folgen der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids vom 6. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014, sodass das private Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht überwiegt.

Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss vom 2. April 2015, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG), und sieht insoweit von einer Begründung ab. Auch die im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin weiter vorgebrachten Gründe rechtfertigen keine andere Entscheidung: Ein denkbarer Anhörungsmangel vor Erlass des Bescheides vom 6. November 2014 ist nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt. Die Antragstellerin hatte im Widerspruchsverfahren hinreichend Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu äußern. Insoweit wäre ein möglicher Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs.1 Nr. 3 SGB X).

Der Bescheid vom 6. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 mit der neuerlichen Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Gemäß § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, vor Vollendung des 63. Lebensjahrs eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger, wenn die Leistungsberechtigten trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Damit beinhaltet § 12a Satz 1 SGB II eine Konkretisierung von § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach werden SGB II-Leistungen nur erbracht, soweit die Bedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II ausschöpfen. Nach § 2 Abs. 2 SGB II haben sie in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Dazu gehört auch die Inanspruchnahme von im Laufe des Erwerbslebens erarbeiteten Rentenversicherungsanwartschaften. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss die Rente ausnahmsweise nur dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine "Unbilligkeit" im Sinne der Unbilligkeitsverordnung darstellt. Hiernach ist die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahrs der Grundsatz und die Freistellung von dieser Pflicht wegen Unbilligkeit die Ausnahme. Die Antragstellerin hat bereits am 13. Juli 2014 ihr 63. Lebensjahr vollendet und ist grundsätzlich zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verpflichtet.

Der Antragsgegner hat im angegriffenen Aufforderungsbescheid das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und zutreffend ausgeübt, insbesondere hat er umfangreiche und zutreffende Erwägungen angestellt. Er hat insbesondere den Bedarf der Antragstellerin sowie die voraussichtliche Höhe der Altersrente bei regulärer und bei vorzeitiger Inanspruchnahme ermittelt und ausgehend von diesen Werten – unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls – entschieden, dass die Aufforderung im Fall der Antragstellerin nicht unbillig ist.

Die Ausnahmetatbestände der Unbilligkeitsverordnung (§§ 1 bis 5) greifen nicht ein. Insbesondere ist die Prognoseentscheidung des Antragsgegners hinsichtlich der Vermittlungsmöglichkeiten der Antragstellerin in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht zu beanstanden. Eine über die in der Unbilligkeitsverordnung genannten Sachverhalte hinausgehende Unbilligkeit hat der Antragsgegner zu Recht verneint. Eine solche ist nicht gegeben, weil auch bei regulärer Altersrentenantragstellung zum 12. Dezember 2016 voraussichtlich eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII nicht vermieden werden kann, weitere Gesichtspunkte, die für eine Unbilligkeit im Einzelfall sprechen könnten, nicht vorliegen und aus Sicht des Senats auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Auch bei einem regulären Eintritt in die Altersrente im 12. Dezember 2016 ist voraussichtlich ein ergänzender Hilfebedarf, der durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB XII zu decken sein wird, nicht zu vermeiden. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass der durchschnittliche monatliche Leistungsbetrag der letzten Jahre deutlich über der zu erwartenden Nettorentenzahlung liegt. Weder der geminderte noch der reguläre Altersrentenbetrag wird demzufolge ausreichen, um den Bedarf der Antragstellerin zu decken. Sie wird auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein. Gleiches gilt auch für den Fall von herabgesenkten Leistungen entsprechend des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014, wie der Antragsgegner überzeugend ausgeführt hat. Auch wenn die Antragstellerin aus einer Vertrauensschutzregelung bei einem vorzeitigem Rentenbeginn schon am 1. August 2016 die Altersrente ohne Abschläge erhalten könnte, ergibt sich keine andere Bewertung, da der abschlagsfreie Rentenbezug nicht in nächster Zeit zu erwarten wäre.

Die Notwendigkeit von ergänzenden Sozialhilfeleistungen mit ggf. nachteiligen Vermögensfreigrenzen nach dem SGB XII begründet ebenfalls keine Unbilligkeit bzw. einen Ermessensfehler wegen unzureichender Prüfung von Ansprüchen anderer Leistungsträger. Der Beschluss des 2. Senats des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. Dezember 2014, L 2 AS 520/14 B ER, zitiert nach juris, ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da im dortigen Sachverhalt das Jobcenter gerade versäumt hatte, vor Aufforderung zur Antragstellung eine Auskunft des Rentenversicherungsträgers anzufordern. Der Senat teilt nicht die im Beschluss angedeutete Auffassung, der SGB II-Träger habe die wirtschaftlichen Folgen der vorzeitigen Renteninanspruchnahme umfassend zu prüfen und dabei auch den Träger des SGB XII mit einzubeziehen. Die Forderung einer Inzidentprüfung von künftigen Sozialhilfeleistungen verkennt, dass u.a. in § 12a SGB II der Nachrang der SGB II-Leistungen bei Rentenansprüchen bereits gesetzlich vorgegeben ist. Wegen dieses Vorrangs anderer Sozialleistungen besteht eine generelle Pflicht des Leistungsberechtigten sich zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit vorrangiger Leistungen anderer Sozialleistungsträger zu bedienen (Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, zu § 12a Rdn.1 und 2).

Aus § 12a SGB II ist daher eine Pflicht des Grundsicherungsträgers, eine qualifizierte Inzidentprüfung von SGB XII-Ansprüchen vorzunehmen, nicht abzuleiten. Sie würde eine Ermessensprüfung des SGB II-Trägers mit SGB XII-Ansprüchen überfrachten, obwohl der Gesetzgeber aus gesetzessystematischen Erwägungen den Leistungsberechtigten gerade in ein anderes Leistungssystem verweisen wollte. Während die Prüfung möglicher Rentenansprüche notwendig ist, um mögliche Härten von Rentenanwartschaften nach der Unbilligkeitsverordnung zu erkennen, kann dies für parallel denkbare Leistungsansprüche auf Wohngeld und/oder Leistungen nach dem SGB XII nicht gelten, da es sich ebenfalls um Grundsicherungsleistungen handelt. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsgegner regelmäßig davon ausgehen, dass denkbare Anspruchslücken aus dem SGB XII und des Wohngeldgesetzes nicht erheblich sein können, da beide Grundsicherungssysteme denselben verfassungsrechtlichen Grenzen unterliegen.

Schließlich ist mit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung auch keine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechte verbunden. Nach der dem zugrunde liegenden gesetzlichen Systematik ist die Einschränkung des Dispositionsrechts der Antragstellerin, den Zeitpunkt ihrer Rentenantragstellung frei zu wählen, verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt und stellt mithin keinen unzulässigen Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar. Insoweit ist der gesetzlich normierte Grundsatz der Nachrangigkeit von Sozialleistungen und die Obliegenheit zur Selbsthilfe nach den §§ 3 Abs. 1, 5, 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II die konkrete Rechtfertigung des Eingriffs.

Auch wenn das Anwartschaftsrecht auf eine Altersrente eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte vermögenswerte Rechtsposition ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, 1 BvL 5/80, juris), hat die Antragstellerin als Bezieherin von Sozialleistungen die Verpflichtung, vorrangig ihr Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen. Insoweit sind ihre Rentenanwartschaften Vermögenswerte, die sie durch den (vorzeitigen) Rentenantrag aktivieren kann. Das Eigentumsrecht ist jedoch nicht verletzt, wenn grundsicherungsrechtlich eine Verwertung von Vermögensgegenständen gefordert wird (vgl. zur Verwertung eines Lebensversicherungsguthabens: BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013, Az.: B 4 AS 29/12 R, juris). Insoweit gebietet es das der Grundsicherung immanente Prinzip der Subsidiarität, zunächst Eigenmittel in Anspruch zu nehmen. Diese Verpflichtung gehört zu den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Grundsätzen bei der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Transferleistungen, die vom BVerfG im Hinblick auf den weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen gebilligt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2011, 1 BvR 2007/11, juris)

Dem entsprechend stellt auch die bei einem vorzeitigen Altersrentenbeginn wegfallende Möglichkeit, Altersrentenanwartschaften noch zu erhöhen, keinen Verstoß gegen Art. 14 GG dar. Es handelt sich um eine zulässige Schrankenbestimmung, die dem Gemeinwohl dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009, B 14 AS 64/08 R, juris).

Schließlich führt auch der Umstand, dass das vom Antragsgegner im Bescheid genannte Datum für die Stellung des Rentenantrags genannte Datum bereits abgelaufen ist, weder zur Unwirksamkeit noch zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids. Eine Erledigung und damit Unwirksamkeit des Bescheids iSv § 39 Abs. 2 SGB X ist nicht eingetreten, weil das genannte Datum bei Erlass des Bescheids lediglich ein Beispiel zur Erläuterung des Begriffs der "umgehenden Rentenantragstellung" sein sollte. Ersichtlich war das genannte Datum nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Aufforderungsbescheid gemeint. Das mit dem Bescheid der Antragstellerin abverlangte Verhalten der vorzeitigen Rentenantragstellung ist auch nach der Beschwerdeentscheidung des Senats noch möglich.

Da nach den vorstehenden Ausführungen der angegriffene Aufforderungsbescheid aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, besteht auch kein Grund, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, anstelle der Antragstellerin den geforderten Antrag zu Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen, soweit diese auch nach der Zugang des Beschlusses des Senats der Aufforderung nicht nachkommt.

2. Die Ablehnung des PKH-Antrages durch das SG ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Für das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz besteht nicht die notwendige hinreichende Erfolgsaussicht gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Auf die Beschlussgründe des SG sowie die oben genannten Gründe des Senats wird insoweit Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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