L 32 AS 1579/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 24 AS 12150/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1579/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung des Antragsgegners, Mietrückstände zu übernehmen, hilfsweise ein Darlehen zu gewähren.

Die 1972 geborene Antragstellerin bezieht Leistungen vom Antragsgegner. Sie lebt mit ihrem im Juni 2003 geborenen Sohn und ihrem Lebensgefährten gemeinsam in der im Rubrum genannten Wohnung. Die Vermieterin der Wohnung hat Klage beim Amtsgericht B erhoben mit den Anträgen, die genutzte Wohnung von zirka 78,13 m2 mit 3 Zimmern, Küche, Bad/WC, Flur, Balkon und Kellerraum geräumt herauszugeben und 2 011,96 Euro nebst Zinsen an die Vermieterin zu zahlen. (9 C 138/15). Das Mietverhältnis wurde fristlos gekündigt, da sich die Antragstellerin mit der Zahlung von Mieten in einer Höhe von mehr als zwei Monatsmieten in Verzug befinde. Hilfsweise wurde ordentlich gekündigt unter Bezugnahme auf die schwerwiegende Pflichtverletzung, die in der wiederholten Nichtzahlung der Miete zu sehen ist. Einer stillschweigenden Fortsetzung des Mietverhältnisses wurde vorsorglich widersprochen. Die Klageschrift ging beim Amtsgericht N am 13. April 2015 ein. Auf den 29. Juli 2015 ist beim Amtsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt.

Die Eigentümer der Wohnung sind nicht bereit, das Mietverhältnis fortzusetzen, wenn die Mietschulden ausgeglichen werden.

Den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einer Hilfe zur Übernahme von Mietrückständen hat der Antragsgegner bisher nicht beschieden.

Mit dem am 15. Juni 2015 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht die Antragstellerin geltend, Eile sei geboten, da ohne die Leistungen des Antragsgegners der Lebensunterhalt nicht bestritten werden könne. Eine neue Wohnung sei noch nicht gefunden worden. Die Antragstellerin trägt vor, die Mietschulden seien der Höhe nach für sie nicht nachvollziehbar, da sie auch selber Einzahlungen gemacht hatte. Die Mietrückstände seien durch das Ausziehen ihres volljährigen Sohnes und ihres Ehemannes entstanden. Damals hätte das Amt den Eigenanteil von Sohn und Ehemann gekürzt und nicht die volle Miete überwiesen.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend die Mietrückstände in Höhe von 2 011,96 Euro zzgl. darauf entfallende Zinsen zu übernehmen, hilfsweise als Darlehen zu gewähren.

Der Antragsgegner hat erstinstanzlich beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verweist darauf, dass eine längerfristige Sicherung der Unterkunft eher unwahrscheinlich sei. Die Übernahme der Schulden sei nicht gerechtfertigt noch diene sie der Sicherung der Wohnung.

Mit Beschluss vom 29. Juni 2015 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag zurückgewiesen. Es bestünden bereits Zweifel, in welchem Umfang tatsächlich Mietschulden vorlägen. Das Gericht sehe aufgrund des Ablaufs der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 2. Juli 2015 keine Möglichkeit zu weiteren Ermittlungen, ohne der Antragstellerin die Möglichkeit zu nehmen, noch ein Beschwerdeverfahren durchzuführen. Die Übernahme von Mietschulden, deren laufende Kosten nicht angemessen seien, sei jedoch nicht gerechtfertigt. Der Bruttokaltmietbetrag von insgesamt 701,51 Euro sei offenkundig unangemessen hoch. Ein Projekt von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 1/2010, Seite 28 bis 42, bestätigt durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), und aufgrund der Fortschreibung der Berechnungsmethode ergebe den Betrag von 552,80 Euro, der von der tatsächlichen Bruttokaltmiete um fast 150,00 Euro überschritten werde. Angesichts der Mietdifferenz sei ein Umzug auch erkennbar nicht unwirtschaftlich. Auch sei nicht ausnahmsweise die Übernahme der Mietschulden gerechtfertigt, weil ein minderjähriges Kind betroffen sei. In einem dazu entschiedenen Verfahren habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Aufgrund der fehlenden Rechtfertigung der Übernahme der Mietschulden könne offen bleiben, ob die Wirkung der neben der fristlosen Kündigung ausgesprochenen ordentlichen Kündigung durch einen Ausgleich der Mietschulden überhaupt noch beseitigt werden könnte.

Gegen den Beschluss richtet sich die am 29. Juni 2015 von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde mit der Bitte um Wohnungserhalt für ihre Familie, sie sei schwer diabeteskrank.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kann nicht beansprucht werden. Die rechtlichen Anforderungen, die an den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen sind, hat das Sozialgericht zutreffend dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gerechtfertigt, es fehlt bereits an einem Anordnungsanspruch, wie das Sozialgericht zutreffend dargestellt hat.

Nach § 22 Abs. 8 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht glaubhaft gemacht. Die Übernahme der Schulden durch den Antragsgegner oder die Gewährung eines Darlehens kann die erfolgte Kündigung nicht abwenden. Zwar kann gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB die fristlose Kündigung mit Begleichung der Schulden abgewandt werden, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Allerdings kann damit die ordentliche Kündigung nicht abgewandt werden, denn die Vorschrift ist nicht anwendbar bei einer Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Danach kann der Vermieter kündigen, wenn er eine Berechtigung des Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, wobei ein berechtigtes Interesse insbesondere vorliegt, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Die Voraussetzungen auch dieser erfolgten Kündigung liegen hier vor. Soweit der Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 Abs. 1 Nr. 3 BGB erfüllt wird, ist die Kündigung auf jeden Fall gerechtfertigt (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06 in NJW 2007, 428 bis 431). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier zunächst einmal glaubhaft gemacht, da die Kündigung darauf gestützt ist, dass die Antragstellerin für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete in Verzug ist. Daher kann die Befriedigung der Vermieterin hinsichtlich der fälligen Miete nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung des Mietverhältnisses führen, denn § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB findet nach ständiger Rechtsprechung des BGH keine Anwendung bei der Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06 mit Hinweis auf weitere Rechtsprechung des BGH).

Solange diese höchstrichterliche Rechtsprechung besteht, kann die Befriedigung des Vermieters innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht zur nachhaltigen Sicherung der Unterkunft führen, selbst wenn dies von einigen Amtsgerichten anders beurteilt wird. Deren Entscheidungen sind nicht unanfechtbar.

Die Eigentümer der Wohnung haben erklärt, dass sie nicht bereit sind, das Mietverhältnis fortzusetzen, wenn die Mietschulden ausgeglichen werden.

Damit ist die Übernahme der Schulden zur Befriedigung des Vermieters nicht zur nachhaltigen Sicherung der Unterkunft oder zur Abwendung einer Wohnungslosigkeit notwendig ist im Sinne von § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II.

Dessen ungeachtet hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass die Übernahme der Schulden auch deshalb nicht gerechtfertigt ist, weil es sich um eine nicht kostenangemessene Unterkunft handelt. Der mit der Übernahme der Schulden bezweckte langfristige Erhalt einer Wohnung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die (künftigen) laufenden Kosten dem entsprechen, was innerhalb des nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Bezug zu nehmenden Vergleichsraumes von dem Träger der Grundsicherung zu übernehmen ist (Urteil des BSG, vom 17. Juni 2010 - B 14 AS 58/09 R, Rn. 26). Angemessen ist hier für den 3 Personen Haushalt eine Bruttokaltmiete von 552,80 Euro, der sich nach der vom Sozialgericht zugrunde gelegten und vom BSG gebilligten Methode ergibt, die von den Richtern des Sozialgerichts Berlin entwickelt wurde. Dieser Betrag ist hier mit 701,51 Euro weit überschritten.

Nach allem muss die Beschwerde erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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