S 11 SO 98/12 ES

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 SO 98/12 ES
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die von ihm verauslagten Kosten für den Beigeladenen A. ab dem 01. Januar 2008 bis 28. April 2014 zu erstatten mit Ausnahme der Kosten für die Sicherung des Lebensunterhalts sowie der Kosten einmaliger Beihilfen und Zuschüsse in der Zeit bis 04. August 2009.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Kosten, die der Kläger als Träger der Jugendhilfe in Form von Pflegegeldzahlungen (Erziehungsbeitrag und Unterhaltsbedarf), Zahlungen für die Krankenversicherung/Krankenhilfe und sonstigen einmaligen Beihilfen für den in einer Pflegefamilie untergebrachten Leistungsberechtigten und zum Verfahren beigeladenen A. im Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis zu dessen Volljährigkeit erbracht hat. Der Anspruch richtet sich gegen den beklagten überörtlichen Träger der Sozialhilfe.

Der am ... 1996 geborene und körperlich sowie geistig behinderte Beigeladene ist schwerbehindert. Mit Bescheid des Versorgungsamtes C-Stadt vom 04. Juli 1997 wurde ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt und die Merkzeichen "B", "G" und "H" an-erkannt. Seit dem Tod seiner Mutter im Jahre 2007 ist er bei Pflegeeltern untergebracht; 2010 wechselte er in die Pflegefamilie N ... Die Vormundschaft des Jugendamtes des Klägers endete mit der Volljährigkeit des Beigeladenen, für die Folgezeit bestellte das Amtsgericht E ... einen Betreuer. Mit Bescheid vom 05. Juni 2007 gewährte der Kläger Hilfe zur Erziehung durch Übernahme des Pflegegeldes für Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII. Seit dem Schuljahr 2010/11 war der Beigeladene in der Tagestätte für Behinderte im HPZ E ... untergebracht, nachdem er zuvor bereits die dortige St. R ... Schule besuchte; ab dem 01. Januar 2011 trug der Beklagte die Kosten dieser Unterbringung nach § 53 f. SGB XII (Bescheid vom 02. Dezember 2010). Seit 28. November 2014 lebte der Beigeladene in einer vollbetreuten Gruppe der Wohngemeinschaft St. Franziskus in E ..., nachdem sein Verbleiben in der Pflegefamilie - auch wegen Verweigerung körperlicher Hygiene - untragbar geworden war; zwischenzeitlich ist der Beigeladene in der Dr. Loew´schen Einrichtung in A-Stadt vollstationär untergebracht.

Mit Schreiben vom 26. November 2009 beantragte der Kläger auf Grund des neu eingefügten § 54 Abs. 3 SGB XII beim Beklagten die Fallübernahme für den auf Grund der körperlichen und geistigen Behinderung dem Personenkreis des § 53 SGB XII zugehörigen Beigeladenen zum nächstmöglichen Zeitpunkt und eine Kostenerstattung für die Zeit ab dem 05. August 2009. Mit Schreiben vom 05. Dezember 2012 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab; die Behinderungen des Beigeladenen seien nicht so schwerwiegend, dass sie eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe erfordern würden. Die Notwendigkeit der Aufnahme in eine Pflegefamilie sei durch das Ableben der Eltern erforderlich geworden; damit lasse sich keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 54 Abs. 3 SGB XII begründen. Kinder mit vergleichbaren Behinderungen lebten bei ihren Eltern.

Der Kläger hat am 19. Dezember 2012 Klage erhoben auf Erstattung der Kosten für die Vollzeitpflege des Beigeladenen ab dem 01. Januar 2008. Der Beigeladene sei körperlich und bei mittelgradiger Intelligenzminderung geistig behindert. Er brauche erhebliche und durchgehende Unterstützung in allen lebenspraktischen Bereichen. Eingliederungshilfe i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX - hier in Form der Unterbringung in einer Pflegefamilie - sei geboten. Dem Bedarfsdeckungsgrundsatz entsprechend komme es auf die Gründe der Notlage - sei es der Tod der Eltern oder die eigene geistige Behinderung - nicht an. Der konkrete Hilfebedarf dürfe auch nicht in einzelne Komponenten aufgespaltet werden. Die hier streitige Unterbringung in einer Pflegefamilie sei sowohl Leistungsgegenstand der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII als auch Inhalt der Jugendhilfeleistung nach § 33 SGB VIII. Gemäß der Vorrangregelung des § 10 Abs. 4 SGB VIII bestehe die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers nach dem SGB XII; dabei sei allein auf das formale Kriterium der Gleichrangigkeit der Leistungspflichten abzustellen. Der Schwerpunkt des Bedarfs bzw. die Schwere der Behinderung stelle kein zusätzliches Abgrenzungskriterium dar und sei dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Für den gesamten Hilfsbedarf sei der Beklagte vorrangig zuständig. Bis Februar 2013 seien vom Kläger Pflegegeldzahlungen in Höhe von 50.264,- EUR, davon ein Erziehungsbeitrag von 14.283,06 EUR sowie ein Unterhaltsbedarf von 35.980,94 EUR, sowie Zahlungen für die Krankenversicherung/Krankenhilfe bzw. einmalige Beihilfen in Höhe von 823,14 EUR bzw. 1.013,40 EUR erbracht worden. Abzüglich der vereinnahmten Waisenrente in Höhe von 34.394,46 EUR verbleibe ein ungedeckter und zu erstattender Betrag von 17.706,08 EUR.

Der Kläger beantragt in der mündlichen Verhandlung,

den Beklagten zur Erstattung der von ihm verauslagten Kosten für den Beigeladenen ab Januar 2008 bis einschließlich 28. April 2014 zu verurteilen mit Ausnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie der gewährten Beihilfen und Zuschüsse in der Zeit bis 04. August 2009.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Weder die Pflegefamilie N ... noch die vorangegangene Pflegefamilie S ... hätten über besondere Qualifikationen verfügt, um sie einer sonderpädagogischen Pflegestelle gleichsetzen zu können. Diese Pflegeeltern hätten keine über die Erziehung hinausgehenden therapeutischen Maßnahmen in Form der Eingliederungshilfe leisten können. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Eingliederungshilfe lägen daher nicht vor. Der behinderungsbedingte Eingliederungsbedarf sei in der vom Beigeladenen besuchten Tagesstätte gedeckt worden, deren Kosten der Beklagte getragen habe.

Verwiesen wird auf das medizinische Gutachten Dr. C. vom 15. April 2015. Nach dessen Inhalt ist der Beigeladene mittelgradig geistig und körperlich behindert, ebenso liegen seelische Störungen vor, die eine umfangreiche Hilfe und Betreuung erforderlich machen. Durch die Betreuung in der Pflegefamilie konnte der Aufenthalt des Beigeladenen in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe durchgehend vermieden werden. Des Weiteren hat der Beigeladene dort über die reine Erziehung hinausgehende therapeutische Förderung erhalten.

Bezug genommen wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 54 Abs. 5 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige (Leistungs-)Klage (für Erstattungsstreitigkeiten vgl. nur BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 1/07 KR R, Rz. 9 m.w.N.) ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag begründet.

1. Der Kläger stützt sein Erstattungsbegehren zu Recht auf § 104 SGB X. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Bestimmung ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte; nach Satz 2 ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.

Diese Bestimmungen setzen das Bestehen miteinander konkurrierender, auf dieselbe Leistung gerichteter Leistungsverpflichtungen unterschiedlicher Sozialleistungsträger voraus. Ein Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII besteht dabei nur, soweit sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe (als Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß § 27 SGB VIII i.V.m. §§ 33, 39 SGB VII) als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe gemäß §§ 53 f. SGB XII besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 - 5 C 15.05, Rz. 8 m.w.N.). D.h. besteht lediglich ein erzieherischer Bedarf bzw. ist von einer ausschließlich seelischen Behinderung auszugehen, stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe i.S.v. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nicht; für die Unterbringung in einer Pflegefamilie erfolgt die Leistungsgewährung in diesem Fall ausschließlich auf der Rechtsgrundlage des § 33 i.V.m. § 39 SGB VIII. Liegt dagegen eine Mehrfachbehinderung in dem Sinne vor, dass der Leistungsberechtigte körperlich oder geistig behindert ist und zusätzlicher Erziehungsbedarf besteht, so ist zu fragen, ob im Außenverhältnis (zum Hilfeempfänger) ein Anspruch auf beide Leistungen besteht und sich diese ganz oder teilweise decken oder überschneiden (sog. Leistungsidentität). Liegt dies vor - wovon vorliegend nach den Feststellungen des überzeugenden Gutachtens von Frau Dr. C. ohne weiteres auszugehen ist - (vgl. ausführlich SG Aachen, Urteil vom 24. Juni 2014 - S 20 SO 8/14, Rz. 20 ff.), sind beide Hilfeträger leistungsverpflichtet mit der Folge, dass Leistungen nach dem SGB XII solchen nach dem SGB VIII vorgehen, § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (BVerwG, Urteil vom 9. September 2012 - 5 C 3/11, Rz. 31; BSG, Urteil vom 25. September 2014 - B 8 SO 7/13 R, Rz. 26). Entgegen dem Beklagten kommt es nicht darauf an, dass - nach seinem Dafürhalten - im Zeitraum von 2008 bis 2014 der Schwerpunkt der Hilfeleistung im Besuch der Einrichtungen im HZP E ... gelegen hat und der Beklagte hierfür bereits die Kosten der Eingliederungshilfe in den Jahren nach 2008 getragen hat, während in den Pflegefamilien mangels Qualifikation die erforderlichen therapeutischen Leistungen nicht erbracht werden konnten, so dass eine Leistungsgewährung auf der Grundlage des § 54 Abs. 3 SGB XII ausscheidet. Dies ist eine Frage der Begründetheitsprüfung des Anspruchs auf Eingliederungshilfe. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII setzt dagegen lediglich das Bestehen konkurrierender Leistungsansprüche voraus. Diese Bestimmung ist auch nicht dahin einschränkend zu verstehen, dass bei einer sog. Mehrfachbehinderung eine Maßnahme der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, nur anzunehmen ist, wenn der Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks oder -ziels in der körperlichen und/oder geistigen Behinderung des Berechtigten liegen. Vorliegend mag nicht auszuschließen sein, dass im streitigen Zeitraum bis April 2014 überwiegend erzieherischer Bedarf bestand, was den Anwendungsbereich des § 33 SGB VIII eröffnet. Doch muss mit dem Gutachten Dr. C. auch von einer geistigen und körperlichen Behinderung auszugehen sein, womit auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB XII vorliegen, zumal nach dem unmissverständlichen Gesetzestext allein das formale Kriterium der Gleichartigkeit der Leistungspflichten für die Vorrangregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII maßgeblich ist (BVerwG, a.a.O., Rz. 30 f.). 2. Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII setzt nicht voraus, dass neben der Unterbringung eines Hilfsbedürftigen während des Tages in einer Behinderten-Tagesstätte zusätzlich auch in der Pflegefamilie sonderpädagogische Leistungen der Wiedereingliederung erbracht werden. Derartige spezielle Anforderungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB XII setzt einen deutlich darunterliegenden Maßstab für das Tätigwerden einer Pflegeperson in einer Pflegefamilie. Um sonderpädagogische Ziele der Eingliederungshilfe zu erreichen, erfolgt die zeitlich begrenzte Schulung in integrativen Einrichtungen; derartige Fähigkeiten auch Personen in einer Pflegefamilie abverlangen zu wollen, verkennt das Zusammenwirken von Pflegefamilie und integrativer Einrichtung, das der Tatbestand des § 54 Abs. 3 Satz 1 SGB XII keineswegs ausschließt. Soweit das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 25. September 2014 (a.a.O., Rz. 31) die Frage eines zusätzlichen Bedarf für Eingliederungsmaßnahmen für einen Hilfsbedürftigen neben der Betreuung in der integrativen Kindertagesstätte als Voraussetzung einer Eingliederungshilfe nach §§ 53 f. SGB XII aufwirft, bezieht sich dies auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 54 Abs. 3 SGB XII zum 05. August 2009 durch das Assistenzpflegegesetz vom 30. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2495). Auch die weiteren Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nach § 53 Abs. 3 SGB XII liegen vor. Durch die Betreuung des Beigeladenen in den beiden Pflegefamilien wurde im Zeitraum bis 2014 der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden. Eine Rückkehr zu den Eltern war nicht möglich, nachdem zuletzt die Mutter im Jahr 2007 verstorben war. Vom Beklagten wird lediglich behauptet, dass Kinder mit einem Behinderungsgrad - wie dem des Beigeladenen - üblicherweise in der jeweiligen Familie aufgefangenen werden. Dies geht fehl. Zum einen kann der Beigeladene auf familiäre Bande, in die er hineingeboren wurde, nicht mehr zurückgreifen. Zum anderen steht nach den überzeugenden und schlüssigen Darlegungen des Gutachtens Dr. C., die nach Auffassung des Gerichts ohne weiteres auf den gesamten Zeitraum von 2008 bis 2014 bezogen werden können, fest, dass der Beigeladene in einer vollstationären Einrichtung hätte untergebracht werden müssen, wenn er nicht in die Pflegefamilien aufgenommen worden wäre. Über diese Tatbestandsanforderung hinaus ist unter Ergänzung des Katalogs des § 54 Abs. 1 SGB XII gemäß § 54 Abs. 3 SGB XII jede Unterbringung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie zugleich Eingliederungshilfe. Diese Zuordnung sollte typisierend erfolgen, ohne dass auf das unmittelbare Ausmaß der in der Pflegefamilie geleisteten Eingliederungshilfe abgestellt werden müsste.

3. Entgegen dem Beklagten sind die Kosten des Unterhaltsbedarfs des Beigeladenen (a) aber auch die Kosten einmaliger Beihilfen und Zuschüsse (b) für die Zeit ab Inkrafttreten des § 54 Abs. 3 SGB XII zum 05. August 2009 erstattungsfähig.

a) Die Sicherstellung des Lebensunterhalts eines Kindes oder eines Jugendlichen kann - wie hier im Rahmen der Unterbringung in einer Pflegefamilie und bei entsprechendem erzieherischen Bedarf - wiederum auch eine Leistung nach dem SGB VIII sein; denn nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist, wenn Hilfe nach § 33 SGB VIII gewährt wird (vgl. hierzu Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand: Mai 2015, § 39 Rz. 9 ff.), auch der notwendige Unterhalt des Leistungsberechtigten außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (OVG Saarland, Beschluss vom 26. November 2009 -3 B 433/09, Rz. 24 ff.). Dies gehört jedoch bei der Unterbringung eines Kindes oder eines Jugendlichen in einer Pflegefamilie zugleich auch zu den Aufgaben der Eingliederung nach dem SGB XII (vgl. SG Aachen, a.a.O. Rz. 19 ff.), was auch die Auslegung des § 54 Abs. 3 SGB XII ergibt. Wiederum eröffnet sich damit der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII.

aa) Nach dem Wortlaut des § 54 Abs. 3 SGB XII zählt zur Leistung einer Eingliederungshilfe auch die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit Kinder oder Jugendliche über Tag und Nacht im Haushalt versorgt werden. Dies bedeutet nicht nur eine seelische oder geistige, sondern in erster Linie auch eine körperliche Versorgung des Kindes oder Jugendlichen. Sichergestellt sein muss durch die Eingliederungshilfe folglich der Sachaufwand für Unterkunft, Ernährung, Bekleidung und Dinge des persönlichen Bedarfs (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/9299, S. 16), d.h. in Anlehnung an § 27 a SGB XII/§ 20 SGB II muss der notwendige Lebensunterhalt gesichert werden. Entgegen dem Beklagten scheidet es mit diesem Verständnis aus, im Rahmen der zu gewährenden Eingliederungshilfe die Kostenerstattung unter Aussparen der Lebenshaltungskosten auf die Betreuungsleistungen bzw. den Erziehungsbeitrag zu beschränken. Mit dem Wortlaut des nachträglich neu eingefügten § 54 Abs. 3 SGB XII erweiterte der Gesetzgeber vielmehr den Leistungskatalog der Eingliederungshilfe in Absatz 1 um Unterhaltsleistungen für Hilfsbedürftige in einer Pflegefamilie (vgl. auch Wehrhahn, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 19.05.2015, § 54 Rz. 73.3).

bb) In die gleiche Richtung weisen systematische Erwägungen. Mit der Neufassung des § 54 Abs. 3 SGB XII durch das Assistenzpflegegesetz verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, dass Leistungen der Eingliederungshilfe auch für die Betreuung körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher in einer Pflegefamilie gewährt werden und damit eine Gleichbehandlung mit seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen erreicht wird (BT-Drucks. 16/13417 S. 6). Erfasst der Leistungstatbestand "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" gemäß § 33 SGB VIII als Annex-Leistung auch die finanzielle Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts des Kindes oder Jugendlichen nach § 39 SGB VIII (BVerwG, Urteil vom 24. September 2007 - 5 B 154.07, Rz. 6 m.w.N.), so kann für den nach dem Willen des Gesetzgebers identischen ausgestatteten Leistungstatbestand des § 54 Abs. 3 SGB XII nichts anderes gelten.

cc) Nach Sinn und Zweck der neu gefassten Regelung sollen zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten, die zu Lasten des behinderten Kindes gehen (BT-Drucks., a.a.O.), Leistungen im Rahmen des § 54 Abs. 3 SGB XII ebenso wie im Jugendhilferecht nur "aus einer Hand" erfolgen. Werden die Leistungen nach Absatz 3 in Form der Betreuung in einer Pflegefamilie zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach den Absätzen 1 und 2 durch den Träger der Sozialhilfe erbracht, so ist schlechterdings nicht einzusehen, weshalb der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger der Sozialhilfe nicht auch konsequenterweise die Leistung zur Sicherung des Unterhalts erbringen soll (SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 29. August 2013 - S 30 SO 179/12, Rz. 19).

dd) Dieser Auslegung i.S. einer umfassenden Erstattungspflicht des Beklagten steht auch Art. 82 AGSG (in der Fassung vom 20. Dezember 2007) nicht entgegen. Geht man zutreffend davon aus, dass § 54 Abs. 3 SGB XII auch einen Anspruch des Leistungsberechtigten auf Unterhaltsleistung im Rahmen der zu gewährenden Eingliederungshilfe mitumfasst, so folgt die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als überörtlichen Träger der Sozialhilfe hierfür bereits aus Art. 82 Abs. 1 Nr. 1 AGSG. Nichts anderes ergibt sich, wollte man ausschließlich auf Art. 82 Abs. 2 AGSG abstellen. Die Neufassung dieses Absatzes 2 ist zum 01. Januar 2008 in Kraft getreten und konnte daher die erst seit dem 04. August 2009 geltende Ausweitung der Eingliederungshilfe auf die Unterbringung in Pflegefamilien durch § 54 Abs. 3 SGB XII noch nicht zum Gegenstand haben. Unmissverständlich ist den Gesetzesmaterialien aber zu entnehmen, dass Schwerpunkt des Gesetzesentwurfs der Staatsregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze die Zusammenführung aller Zuständigkeiten für Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB XII auf der Ebene der Bezirke zum 01. Januar 2008 war. Auf Vorschlag des Verbands der bayerischen Bezirke wurde Art. 82 Abs. 2 AGSG so gefasst, dass sich die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bei Leistungen der Eingliederungshilfe in einer therapeutischen Wohngemeinschaft oder im vergleichbar intensiv betreuten Einzelwohnen auf alle gleichzeitig erforderlichen Hilfen einschließlich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erstreckt, womit auch in diesem Bereich die Leistungserbringung aus einer Hand gewährleistet ist (Rundschreiben Nr. 197/2007 des Verbandes der Bayer. Bezirke vom November 2007). War es somit erklärtes Ziel der Neufassung des Art. 82 AGSG, die Zuständigkeit für alle Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung auf der Ebene der Bezirke zusammenzuführen (LT-Drucks.15/8865 S. 2 und S. 10 f.), so kann eine ggf. gebotene Auslegung dieser Vorschrift nicht hinter diese Zielsetzung zurückfallen und die sachliche Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen in einer Pflegefamilie gemäß § 54 Abs. 3 SGB XII auf verschiedene Träger der Sozial- und Jugendhilfe aufspalten.

b) Der Erstattungsanspruch über die im Rahmen der Unterbringung in einer Pflegefamilie anfallenden Unterhaltskosten umfasst auch einmalig gewährte Leistungen (SG Aachen, a.a.O., Rz. 33; SG Düsseldorf, a.a.O., Rz. 21). Dieser Bedarf unterfällt dem erweiterten Lebensunterhalt. § 39 Abs. 3 SGB VIII ermöglicht die Gewährung einmaliger Beihilfen oder Zuschüsse (wie z.B. Weihnachts- und Ferienbeihilfen), die in der vom Gesetzgeber beabsichtigten Anpassung beider Rechtslagen gleichermaßen für die Hilfegewährung nach § 54 Abs. 3 SGB XII gelten muss.

4. Aus der Einfügung des § 54 Abs. 3 SGB XII in das Gesetz mit Wirkung ab 05. August 2009 lässt sich für die Zeit vor dessen Inkrafttreten nicht entnehmen, dass die Betreuung in einer Pflegefamilie bei dem grundsätzlich offenen Leistungskatalog des Abs. 1 als Eingliederungshilfe ausgeschlossen gewesen war. Leistungen der Eingliederungshilfe wegen Betreuung in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs. 1 SGB XII setzten aber voraus, dass beim Beigeladenen neben der Betreuung in der Tagestätte für Behinderte im HPZ ... ein zusätzlicher Bedarf für Eingliederungsmaßnahmen nach §§ 53 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII iVm § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX bestand und eine über die reine Erziehung hinausgehende Förderung in der Pflegefamilie erfolgt ist. Diesbezügliche Abgrenzungsschwierigkeiten sind erst mit der Einfügung des § 54 Abs. 3 SGB XII in das Gesetz behoben worden. Dabei beschränkt sich in der Zeit vom 01. Januar 2008 bis 04. August 2009 ein Erstattungsanspruch auf die Kosten der Erziehung; denn bis zu diesem Zeitpunkt war der Kläger als Träger der Jugendhilfe im Fall der Betreuung in einer Pflegefamilie selbst bei bestehender Sozialhilfebedürftigkeit des Kindes nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII für den Lebensunterhalt vorrangig zuständig (§ 39 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 32 bis 35 SGB VIII ). Doch gehörte die Sicherstellung des Lebensunterhalts bei der Betreuung eines Kindes in einer Pflegefamilie nicht zugleich zu den integralen Aufgaben der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Kommt insoweit die Vorrangregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nicht zur Anwendung, müssen von einer Erstattung die in den Leistungen nach § 39 SGB VIII enthaltenen Bestandteile für den Lebensunterhalt ausgenommen werden (BSG, a.a.O., Rz. 31 m.w.N.), was damit auch - § 39 Abs. 3 SGB VIII - für einmalige Beihilfen und Zuschüsse gilt.

Das Gutachten von Frau Dr. C. bestätigt, dass der Beigeladene in den Pflegefamilien über die reine Erziehung hinausgehende therapeutische Förderung erhalten hat und dieser Aufenthalt für die Entwicklung des Beigeladenen von wesentlicher Bedeutung war. Dieser therapeutische (Erziehungs-)beitrag eröffnet den Anwendungsbereich des § 54 Abs. 1 SGB XII bereits für die Zeit vor dem 05. August 2009, was wiederum die Vorrangregelung und damit einen hierauf gründeten, beschränkten Erstattungsanspruch des Klägers Platz greifen lässt.

5. Zu Recht hat der Kläger sein Erstattungsbegehren für die Zeit bis zum 28. April 2014 begrenzt; denn ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII besteht nur, soweit Kinder und Jugendliche (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII) versorgt werden.

6. Im Übrigen kann auch von einer Verjährung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs nicht ausgegangen werden. Erst mit der zum 01. Januar 2008 erfolgten Neuregelung der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten für die Tragung der Kosten von Maßnahmen der Eingliederungshilfe (Art. 82 AGSG i.d.F. vom 20. Dezember 2007) konnte der geltend gemachte Erstattungsanspruch entstehen mit der Folge, dass dieser erst in 4 Jahren nach Ablauf dieses Kalenderjahrs der Verjährung unterliegt, § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Mit der im Dezember 2012 erhobenen Klage ist dieser Fristablauf gehemmt worden, § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Einrede der Verjährung, die von Amts wegen nicht beachtet werden muss (Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 113 Rz. 37 f.), ist vom Beklagten zudem nicht erhoben worden, § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 214 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

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Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder ab 1. Juni 2014 beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, C-Stadt, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Sozialgerichtsbarkeit - ERVV SG" in das elektronische Gerichtspostfach des Bayer. Landessozialgerichts zu übermitteln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (www.egvp.de) lizenzfrei heruntergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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