L 7 AS 1880/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 2373/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1880/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 643/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 14.05.2012 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat 1/5 der Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung vorläufig bewilligter Leistungen aufgrund der Anrechnung eines Gründungszuschusses für März 2010 bis Juli 2010 iHv ursprünglich 675 EUR (mittlerweile reduziert auf 540 EUR).

Die Klägerin bezog in Bedarfsgemeinschaft mit Herrn L seit September 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Herr L war mit einem Hausmeisterservice, die Klägerin mit einem Hundesalon selbständig. Mit Bescheid vom 20.10.2009 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit Herrn L einen Gründungszuschuss gem. § 57 SGB III für die Zeit vom 15.10.2009 bis zum 14.07.2010 iHv 1086,90 EUR monatlich. Dies teilte Herr L dem Beklagten im Oktober 2009 mit.

Mit Bescheid vom 26.02.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig (§§ 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II, 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III) für März 2010 bis August 2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von jeweils 239,55 EUR monatlich. Der Beklagte teilte mit: "Eine abschließende Entscheidung ist erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststehen".

Mit Schreiben vom 09.05.2011 forderte der Beklagte die Klägerin im Anschluss an den Bescheid vom 26.02.2010 auf, abschließende Angaben zu ihrem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu machen. Herr L teilte dem Beklagten mit, er habe keine Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit gehabt. Ein Eingang einer Antwort der Klägerin ist nicht aktenkundig.

Mit Bescheid vom 18.05.2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin (endgültig) für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.07.2010 Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 104,55 EUR monatlich (sowie ebenfalls diesen Betrag an Herrn L, Gesamtanspruch: 209,10 EUR). Mit Bescheid vom 23.05.2012 wurde der Leistungsanspruch für den oa Zeitraum auf jeweils 131,55 EUR monatlich festgesetzt, da zusätzlich Warmwasserkosten berücksichtigt wurden.

Der Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 23.05.2011 zu einer Erstattung überzahlter Leistungen an. Der ebenfalls angehörte L teilte mit, der Existenzgründungszuschuss könne nicht angerechnet werden, da er für das Gewerbe verbraucht worden sei. Aus den selbständigen Tätigkeiten sei kein Gewinn erzielt worden.

Mit Bescheid vom 04.08.2011 forderte der Beklagte von der Klägerin 675 EUR überzahlter Leistungen für März 2010 bis Juli 2010 zurück. Der Beklagte nahm Bezug auf den Bescheid vom 18.05.2011. Herr L erhielt einen entsprechenden Bescheid.

Am 08.08.2011 legte die Klägerin Widerspruch ein. Die "Jahresfrist" für den Aufhebungsbescheid sei abgelaufen.

Mit Bescheid vom 30.09.2011 wies der Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf §§ 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II, 328 SGB III zurück.

Am 31.10.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat die Erstattungsforderung für rechtsmissbräuchlich, weil der Beklagte von Beginn an über den Gründungszuschuss an Herrn L informiert gewesen sei. Zudem habe der Beklagte die "Jahresfrist" versäumt. Diese sei auch auf Erstattungsforderungen nach § 328 SGB III anzuwenden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 04.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2011 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich auf §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 3 Satz 1 SGB III und die Bestandskraft des endgültigen Bewilligungsbescheides vom 18.05.2011 berufen.

Mit Urteil vom 14.05.2012 hat das Sozialgericht mit entsprechender Begründung die Klage abgewiesen, ohne die Berufung zuzulassen.

Gegen diese am 11.06.2012 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 10.07.2012 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Klägerin hat eine grundsätzliche Bedeutung in der Rechtsfrage gesehen, ob eine Erstattung nach § 328 SGB III auch dann gefordert werden kann, wenn der Grund für die Vorläufigkeit (hier: unbekannte Höhe der Betriebseinnahmen) und der Grund für die Rückforderung (hier: Anrechnung des Gründungszuschusses) nicht identisch sind. Im Übrigen habe das Sozialgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da es nicht zur Kenntnis genommen habe, dass die Klägerin eine Aufrechnung gegenüber einer Rückforderung für vorrangig halte. Der Senat hat der Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben (Beschluss vom 24.09.2012).

Die Klägerin hat inzwischen eine Überprüfung des Bescheides vom 18.05.2011 im Wege des § 44 SGB X beantragt. Gegen die ablehnende Entscheidung (Bescheid vom 23.05.2012, Widerspruchsbescheid vom 26.11.2013) ist ein Verfahren vor dem SG Detmold anhängig (S 16 AS 2288/13), das ruht (Beschluss des SG vom 06.03.2014).

Mit Bescheid vom 15.07.2015 hat der Beklagte im Hinblick auf den Bescheid vom 23.05.2012 die Erstattungssumme auf 540 EUR reduziert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 14.05.2012 zu ändern und den Bescheid vom 04.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2011 sowie den Bescheid vom 15.07.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der die Erstattungssumme auf 540 EUR festsetzende Bescheid vom 15.07.2015, der den Bescheid vom 04.08.2012 insoweit ersetzt und gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, ist nicht rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II). Die Vorschrift lautet: "Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten". Die Regelung ist nicht dahin auszulegen, dass inzidenter die "abschließende Entscheidung" auf ihre Richtigkeit überprüft wird. Ist der Betroffene mit der abschließenden Entscheidung nicht einverstanden, muss er gegen diese vorgehen. Hat er in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X Erfolg, kann auch der Erstattungsbescheid nach § 44 SGB X korrigiert werden. Die Anrechnung des Gründungszuschusses ist im Übrigen materiell rechtmäßig (BSG, Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 67/09 R; Urteil vom 06.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R). Der Gründungszuschuss nach § 57 SGB III in der 2009 geltenden Fassung (jetzt § 93 SGB III) diente und dient ausdrücklich "zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung". Es handelt sich nicht um eine Leistung zur Deckung der betrieblichen Aufwendungen.

Eine Pflicht zur Aufrechnung nach § 43 SGB II steht der Geltendmachung der Erstattungsforderung in einer Summe nicht entgegen. Die Aufrechnung setzt gem. § 43 Abs. 1 SGB II gerade voraus, dass eine Gegenforderung, mit der die Behörde gegen die Hauptforderung aufrechnen will, fällig ist, was wiederum die Bestandskraft oder die vorläufige Vollstreckbarkeit der Gegenforderung voraussetzt (vergl. nur Greiser, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 43 Rn. 17 mwN). Dies folgt auch aus § 387 BGB, dem § 43 SGB II nachgebildet ist. Nach dieser Vorschrift setzt eine Aufrechnung voraus, dass der Aufrechnende die ihm gebührende Leistung fordern kann.

Es ist bei einer vorläufigen Bewilligung der Behörde nicht verwehrt, die endgültige Leistung aus einem Grund niedriger festzusetzen, der mit der Vorläufigkeit nichts zu tun hat. Die vorläufige Leistungsbewilligung nach §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III soll nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift ausschließlich im Interesse des Betroffenen eine schnelle Sicherung der Lebensgrundlage ermöglichen und entfaltet damit keinerlei Bindungswirkung über die vorläufige Bewilligung hinaus. Vorläufige Bewilligungen zielen (in erster Linie im Interesse des Betroffenen) ausschließlich auf eine Zwischenlösung und sind demgemäß auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung nach Wegfall der Vorläufigkeitsvoraussetzungen angelegt. Vorläufig bewilligte Leistungen sind als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen (BSG, Urteile vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R mwN und vom 15.08.2002 - B 7 AL 24/01 R; LSG Sachsen, Urteil vom 18.02.2010 - L 3 AL 28/09; ausführlich zu der Diskussion mit Hinweis auf einige abweichende Literaturstellen, im Ergebnis aber wie hier, Düe, in: Brand, SGB III, § 328 Rn. 8 f). Die Regelung des § 328 Abs. 1 Satz 2 SGB III, wonach Umfang und Grund der Vorläufigkeit anzugeben sind, ändert hieran nichts (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.03.2014 - L 13 AS 325/11). Nur, wenn der vorläufige Bewilligungsbescheid weitere Verfügungssätze enthält, kann uU eine über die vorläufige Leistungsbewilligung hinausgehende Bindungswirkung eintreten (Düe, in: Brand, SGB III, § 328 Rn. 9; Aubel, in: JurisPK, SGB II, § 40 Rn. 73). Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt die Korrektur des Erstattungsbetrags im gerichtlichen Verfahren.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese folgt nicht aus der Diskussion einer partiellen Bindungswirkung vorläufiger Bewilligungen in der Literatur. Das BSG hat die Gegenstimmen zur Verneinung einer partiellen Bindungswirkung (u.a. Greiser, in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 328 Rn. 5 f) zur Kenntnis genommen und ausdrücklich verworfen (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R, Rn. 23).
Rechtskraft
Aus
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