S 18 AS 1812/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Neuruppin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 AS 1812/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es kann offen bleiben, ob es für die Frage, ob ein Widerspruch im Sinne des § 63 SGB 10 erfolgreich war, auf eine ursächliche Verknüpfung zwischen Einlegung des Widerspruchs und der stattgebenden Entscheidung des Leistungsträgers ankommt.

2. Jedenfalls kann eine solche ursächliche Verknüpfung nur in Ausnahmefällen verneint werden.

3. Das Nachreichen von Unterlagen, die der Leistungsberechtigte erst nach Einlegung des Widerspruchs erhalten hat, stellt keinen Ausnahmefall dar.
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2013 verurteilt, den Klägern die in dem Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 15.10.2012 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten.

2. Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Erstattung von Kosten eines isolierten Vorverfahrens.

Die Kläger, die ein Eigenheim in H bewohnen und im laufenden Leistungsbezug des Beklagten standen, beantragten am 06.09.2012 die Weitergewährung ihrer Leistungen. Der Beklagte bewilligte ihnen darauf hin für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 30.04.2013 Arbeitslosengeld II (Bescheid vom 15.10.2012). Hierbei berücksichtigte er für die Monate November 2012 und Dezember 2012 Bedarfe für die Kosten der Unterkunft in Höhe von jeweils 197,64 Euro. Für die Monate Januar 2013 bis April 2013 berücksichtigte er Bedarfe für die Kosten der Unterkunft in Höhe von jeweils 10,67 Euro. Eine Begründung für die Entscheidung, Unterkunftsbedarfe in unterschiedlicher Höhe anzuerkennen, gab der Beklagte nicht.

Mit Schreiben vom 24.10.2012 legten die Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Sie führten aus, dass die Bewilligung offensichtlich rechtswidrig sei. Denn während in den Monaten November 2012 und Dezember 2012 noch Hauslasten in Höhe von jeweils 197,64 Euro anerkannt würden, sei dies ab Januar 2013 nur noch in Höhe von jeweils 10,67 Euro der Fall. Diese Kürzung sei willkürlich, da die Hauslasten im Jahr 2013 nicht geringer ausfielen als im Jahr 2012. Soweit der Beklagte für die Leistungsberechnung aktuelle Abrechnungen benötige, würden diese nach Erhalt unaufgefordert zur Akte gereicht. Bis dahin sei weiterhin von den bisherigen Hauslasten auszugehen.

Mit Schreiben vom 22.11.2012 wies der Beklagte die Kläger auf den zukünftigen Umgang mit den Kosten für Unterkunft und Heizung bei selbst genutztem Wohneigentum hin (Fortschreibung seiner Richtlinie zu den Kosten der Unterkunft ab Oktober 2012). Er führte unter anderem aus, dass die Kosten für Wasser, Abwasser, Müll, etc. in dem Monat berücksichtigt würden, in welchem sie zur Zahlung anstünden.

Im Laufe des Widerspruchsverfahrens reichten die Kläger die aktuellen Rechnungen/Bescheide für Wasser, Abwasser, Abfall, Grundsteuer und Schornsteinfeger sowie eine Bestätigung der Gemeinde Heiligengrabe über die im Jahr 2012 gezahlten Schuldzinsen ein. Der Beklagte änderte darauf hin die Leistungsbewilligung der Kläger mehrfach ab und berücksichtigte weitere Bedarfe für die Kosten der Unterkunft (Bescheide vom 30.01.2013, 11.04.2013, 16.04.2013 und 15.05.2013).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zugleich verfügte er, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet würden. Er führte aus, dass die nachgewiesenen Aufwendungen mit den Änderungsbewilligungen berücksichtigt worden seien. Ein Anspruch auf Anerkennung weiterer Unterkunftskosten bestehe nicht.

Mit der am 12.08.2013 erhobenen Klage begehren die Kläger die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen. Zur Begründung führen sie aus, dass ihr Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Er sei auch nicht mutwillig gewesen. Sie hätten nicht gewusst, dass der Beklagte seine Praxis zu den Kosten der Unterkunft umgestellt habe. Ein konkreter Hinweis hierzu sei vor der Einlegung des Widerspruchs nicht erfolgt. Bis zum Jahresende 2012 seien die Kosten der Unterkunft mittels einer Durchschnittsberechnung ermittelt worden. Dabei habe es ausgereicht, Abrechnungen des letzten Jahres einzureichen. Sie hätten sich nicht erklären können, warum dies ab Januar 2013 anders sei.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2013 zu verurteilen, ihnen die im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 15.10.2012 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen.

2. die Berufung zuzulassen.

Er verweist auf seine Bescheide und hält die dort geäußerte Auffassung Aufrecht. Er führt weiter aus, dass eine Kostenerstattung nur stattfinde, soweit der Widerspruch erfolgreich sei. Zu fragen sei hierbei auch, ob nach dem konkreten Sachverhalt ein anderer Umstand als der Widerspruch dem Erfolg rechtlich zurechenbar sei. Dies sei z. B. dann der Fall, wenn der Widerspruchsführer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. So habe es sich hier verhalten. Ursächlich für die begünstigende Entscheidung sei nicht die Einlegung des Widerspruchs gewesen, sondern die nachgereichten Nachweise für die geleisteten Kosten der Unterkunft. Eine frühere Berücksichtigung der streitigen Unterkunftskosten sei nicht möglich gewesen, weil die Rechnungen erst im Laufe des Widerspruchsverfahrens eingereicht worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig und begründet.

Streitgegenstand der Klage ist unter Zugrundelegung des gestellten Klageantrags alleine der Widerspruchsbescheid vom 10.07.2013, mit dem der Beklagte die Erstattung der im Widerspruchverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen abgelehnt hat. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (§§ 54 Abs. 1, 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Klage ist insbesondere nicht deswegen unzulässig, weil das Begehren der Kläger auf die Abänderung einer Kostenentscheidung abzielt. Wird wie vorliegend in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten, sind diese nicht Teil der Verfahrenskosten im Sinne des § 193 SGG und daher selbständig anfechtbar (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil v. 19.06.2012 - B 4 AS 142/11 R). Die Klage bedurfte auch keines (eigenen) Vorverfahrens im Sinne der § 78 Abs. 1 und 3 SGG. Denn ein solches ist dann nicht erforderlich, wenn die Kostenentscheidung als Ausspruch im Widerspruchsbescheid und nicht in einem eigenen Bescheid enthalten ist (vgl. Roos, in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 63 Rz. 37).

Die Kläger haben einen Anspruch auf Erstattung der im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 15.10.2012 entstandenen notwendigen Aufwendungen. Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist insoweit rechtwidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Für die Frage, ob und inwieweit ein Widerspruch erfolgreich ist, ist zunächst entscheidend, ob der Leistungsträger dem Begehren des Widerspruchsführers ganz oder teilweise abgeholfen hat (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil v. 18.09.2013 - L 18 AS 565/12, m. w. N.). Hierzu ist das Begehren des Widerspruchsführers durch Auslegung zu ermitteln. Gegebenenfalls ist er zur Klarstellung seines Vorbringens aufzufordern. Hat der Widerspruchsführer den Widerspruch beschränkt, indem er den Verwaltungsakt nur hinsichtlich eines Teils der getroffenen Regelungen angegriffen hat, so ist nur der angegriffene Teil für den Erfolg maßgeblich. Gibt der Leistungsträger mithin dem beschränkten Begehren statt, so ist der Widerspruch vollständig erfolgreich, (vgl. hierzu Mutschler, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 86. Erg. Juni 2015, SGB X § 63 Rz. 5).

Gemessen hieran ist der Widerspruch der Kläger erfolgreich. Die Kläger haben die Gewährung weiterer Leistungen für ihre Kosten der Unterkunft ab Januar 2013 begehrt. Sie haben vorgebracht, dass sie mit der Anerkennung von "Hausbelastungen" in Höhe von nur noch 10,67 Euro monatlich nicht einverstanden seien. Es seien nur noch die Grundsteuerbeträge zur Anrechnung gekommen, nicht aber die sonstigen Aufwendungen für Schuldzinsen, Abfall, Schornsteinfeger, Wasser, Abwasser und Gebäudeversicherung. Diese Aufwendungen würden auch im Jahr 2013 weiter anfallen. Der Beklagte hat dem Widerspruch abgeholfen und zusätzliche Unterkunftsleistungen bewilligt. Er hat damit dem Vorbringen der Kläger Rechnung getragen. Entsprechend gehen beide Beteiligte ersichtlich davon aus, dass dem Begehren der Kläger hinsichtlich der Bedarfe für die Kosten der Unterkunft vollständig entsprochen wurde.

Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass der Widerspruch deshalb nicht vollständig erfolgreich gewesen sei, weil eine Abhilfe "nur" hinsichtlich der Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und nicht hinsichtlich der weiteren Bedarfe erfolgt sei, folgt die Kammer dem nicht. Denn es kommt - wie bereits dargelegt - hinsichtlich des Erfolgs des Widerspruchs alleine auf das Begehren der Widerspruchsführer an. Beschränken diese den Widerspruch auf eine Teilregelung des Verwaltungsaktes, so reicht ein Erfolg diesbezüglich aus. Ob der Verwaltungsakt im Übrigen (z. B. hinsichtlich der Regelbedarfe oder der Anrechnung von Einkommen) unverändert bleibt, ist ohne Belang. Vorliegend lag eine solche Beschränkung vor. Die Kläger haben sich ausschließlich gegen die (aus ihrer Sicht zu geringe) Anerkennung ihrer Unterkunftsbedarfe gewandt. Entsprechend sind die Beteiligten (bis zur mündlichen Verhandlung) übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Kläger mit ihrem Begehren vollständig erfolgreich waren. Streitig war alleine, ob der Widerspruch für die stattgebende Entscheidung "ursächlich" war (dazu sogleich).

Dass die Abhilfeentscheidung des Beklagten nicht im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid selbst ausgesprochen wurde, ist angesichts der zuvor ergangenen Änderungsbewilligungen ohne Belang. Denn es kommt nicht darauf an, ob die Abhilfeentscheidung förmlich in Form eines auch so benannten Abhilfebescheids (vgl. § 85 Abs. 1 SGG) oder durch eine "einfache" Änderungsbewilligung (im Sinne des § 86 SGG) erfolgt. Denn auch eine solche Änderungsbewilligung stellt eine Abhilfe dar (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86 Rz. 3). Soweit der Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen wurde, ist dies zu Unrecht erfolgt. Denn es ist - wie bereits dargelegt - nicht ersichtlich, dass die Kläger noch weitere Leistungen begehrt haben.

Dem Erfolg des Widerspruchs steht auch eine mangelnde "Ursächlichkeit" zwischen ihm und der begünstigenden Entscheidung des Beklagten nicht entgegen.

Ob eine ursächliche Verknüpfung zwischen dem Widerspruch und der begünstigenden Entscheidung des Leistungsträgers erforderlich und in welchen Fällen eine solche gegebenenfalls zu verneinen ist, kann dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht entnommen werden. Die Norm stellt alleine auf den Erfolg ab, ohne weitere Erfordernisse und/oder Einschränkungen zu nennen.

Dementsprechend ist es unstrittig, dass zwischen der Widerspruchbegründung und dem Erfolg des Widerspruchs keine ursächliche Verknüpfung zu bestehen braucht. Auch wenn einem Widerspruch aus Gründen abgeholfen wurde, auf die sich der Widerspruchsführer nicht gestützt hat, ist der Widerspruch erfolgreich im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 27.05.2009 - L 3 KA 85/06; Mutschler, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 86. Erg. Juni 2015, SGB X § 63 Rz. 6).

Hingegen muss nach der Rechtsprechung des BSG eine ursächliche Verknüpfung zwischen der Widerspruchseinlegung und dem Erfolg des Widerspruchs bestehen. Hieraus folgert das BSG, dass ein Widerspruch nicht immer schon dann erfolgreich ist, wenn zeitlich nach der Einlegung des Rechtsbehelfs eine dem Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht (vgl. beispielsweise BSG, Urteil v. 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R). Das BSG hat jedoch - soweit ersichtlich - bisher nicht näher dargelegt, wie es dieses Erfordernis herleitet und welche grundsätzlichen Anforderungen an die ursächliche Verknüpfung zu stellen sind.

Ausgangspunkt für die genannte Rechtsprechung ist eine Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 21.07.1992 (Az.: 4 RA 20/91). Dort wurde - soweit ersichtlich - erstmalig eine ursächliche Verknüpfung verlangt und diese für den Fall verneint, dass ein Widerspruchsführer erst im Widerspruchsverfahren Mitwirkungspflichten nachkommt und die Abhilfe damit Ergebnis der nachträglichen Erfüllung der Mitwirkungspflichten ist. Im Laufe der Zeit haben sich weitere Senate dieser Rechtsprechung angeschlossen und in vergleichbaren Fällen eine ursächliche Verknüpfung verneint. Auch hier beruhte die Verneinung im Wesentlichen darauf, dass der Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren eine Handlung nachgeholt hat, die er zuvor pflichtwidrig unterlassen hatte. Das Verhalten eines Widerspruchsführers, der erst im Widerspruchsverfahren die gebotene Handlung nachholt und dann die Erstattung von Vorverfahrenskosten verlangt, ist als widersprüchlich angesehen worden (vgl. BSG, Urteil v. 19.10.2011 - B 6 KA 35/10 R m. w. N.). In Einzelfällen ist eine ursächliche Verknüpfung auch dann verneint worden, wenn der Widerspruch unzulässig und damit formell erfolglos war (z. B. weil der angegriffene Bescheid nach § 96 SGG Gegenstand eines anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens geworden ist; vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R), der Leistungsträger dem eigentlichen Begehren des Widerspruchsführers aber dennoch stattgegeben hat.

Ob der Auffassung des BSG zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn selbst wenn man eine ursächliche Verknüpfung zwischen Widerspruch und der stattgebenden Entscheidung des Beklagten verlangen würde, fehlt es an einer solchen hier nicht. Denn ein Fall, der wertungsmäßig mit denjenigen der BSG-Urteile vergleichbar ist, liegt nicht vor.

Die Kläger haben insbesondere nicht erst im Widerspruchsverfahren eine Handlung nachgeholt, die sie zuvor pflichtwidrig unterlassen hatten. Es war ihnen schlicht nicht möglich, die streitigen Unterkunftsnachweise vor Einlegung des Widerspruchs einzureichen. Denn zu diesem Zeitpunkt lagen die Abrechnungen noch nicht vor. Soweit die Nachweise nach Einlegung des Widerspruchs ergangen sind, habe die Kläger diese zeitnah eingereicht.

Soweit der Beklagte sinngemäß vorträgt, dass die Einlegung des Widerspruchs für die Anerkennung der weiteren Unterkunftsaufwendungen deswegen nicht erforderlich und damit kausal gewesen sei, weil diese nach entsprechendem Nachweis von Amts wegen berücksichtigt worden wären, reicht dies aus Sicht der Kammer nicht aus, um eine ursächliche Verknüpfung zu verneinen.

Die Kammer ist der Auffassung, dass das Merkmal der "ursächlichen Verknüpfung" - so man es denn als erforderlich ansieht - eng auszulegen ist und im Regelfall vorliegt. Dies bedeutet umgekehrt, dass es besonderer Umstände bedarf, um von einer fehlenden Ursächlichkeit ausgehen zu können.

Dies ergibt sich zum einen - wie bereits dargelegt - aus dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der eine ursächliche Verknüpfung nicht ausdrücklich fordert und lediglich auf den Erfolg abstellt.

Der Gesetzgeber wollte augenscheinlich die Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren einfach halten und auf eine vertiefte Prüfung von Verursachungsgesichtspunkten verzichten. Dass es sich um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt hat und insoweit eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vorliegt, ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist im Wesentlichen § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - nachgebildet, der einen vergleichbaren Wortlaut hat (vgl. Mutschler, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 86. Erg. Juni 2015, SGB X § 63 Rz. 1). Die verwaltungsgerichtliche Praxis stellt bei der Anwendung des § 80 VwVfG alleine auf den Umstand des (äußeren) Erfolges ab, ohne dass es auf den Grund des Erfolges ankäme (vgl. beispielsweise Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 18.04.1996 - 4 C 6/95). Im Gesetzgebungsverfahren zu § 80 VwVfG ist zwar darüber erörtert worden, ob eine Kostenerstattungspflicht dann entfallen soll, wenn dem Widerspruch ausschließlich aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten stattgegeben worden ist. Wegen der in der Praxis häufigen Abgrenzungsschwierigkeiten wurde auf diese Differenzierung jedoch verzichtet. Demnach soll es gleichgültig sein, ob der Widerspruch aus Rechts- oder Zweckmäßigkeitsgründen erfolgreich gewesen ist. Im Schrifttum zu § 80 VwVfG wird hieraus gefolgert, dass ein Erfolg des Widerspruchs auch dann anzunehmen ist, wenn die Stattgabe auf einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung der Sach- oder Rechtslage oder auf neuen tatsächlichen Angaben des Widerspruchsführers beruht (vgl. Kallerhoff, in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 80 Rz. 32).

Zum anderen ist zu beachten, dass im Rahmen der Kostenentscheidung eines Widerspruchsverfahrens das sog. "Veranlassungsprinzip" (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 193 Rz 12b f.) nicht herangezogen werden kann. Denn anders als im Gerichtsverfahren ist eine Anwendung des "Veranlassungsprinzips" in § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vorgesehen (vgl. hierzu näher BSG, Urteil v. 20.10.2010, a. a. O.). Bei der "Auslegung" des Merkmals der ursächlichen Verknüpfung ist daher darauf zu achten, dass durch eine zu weite Ausdehnung nicht durch die Hintertür doch das "Veranlassungsprinzip" eingeführt wird. Dies bedeutet insbesondere, dass eine ursächliche Verknüpfung nicht bereits deshalb verneint werden kann, weil der Leistungsträger den Erfolg des Widerspruchs nicht zu "vertreten" hat.

Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch das BSG das Merkmal der ursächlichen Verknüpfung bisher nur sehr vorsichtig herangezogen hat. So hat das BSG eine ursächliche Verknüpfung zwischen Widerspruch und stattgebender Entscheidung z. B. für den Fall bejaht, dass eine während des Widerspruchsverfahrens eingetretene Rechtsänderung zu einem für den Widerspruchsführer günstigen Verfahrensausgang führt (BSG, Urteil v. 13.10.2010, a. a. O.). Ebenso hat das BSG eine ursächliche Verknüpfung in dem Fall bejaht, dass zum Zeitpunkt der Abhilfeentscheidung eine andere Sach- und Rechtslage vorliegt als zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids (BSG, Urteil v. 02.05.2012 - B 11 AL 23/10 R). In letzterer Entscheidung hatte der Widerspruchsführer einen vom Leistungsträger angeforderten arbeitsgerichtlichen Vergleich erst im Widerspruchsverfahren einreichen können, weil der Vergleich erst nach Erlass des Ausgangsbescheides zustande gekommen war. Das BSG hat ausgeführt, dass dieser Sachverhalt nicht mit dem Fall vergleichbar sei, bei dem ein Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens eine Handlung nachholt, die er bis zur Erteilung des angefochtenen Bescheids pflichtwidrig unterlassen hatte. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Widerspruchsführer zuvor unter Hinweis auf dessen Mitwirkungspflicht um Vorlage des arbeitsgerichtlichen Vergleichs gebeten worden war.

Nur ergänzend fügt die Kammer hinzu, dass - selbst wenn man das "Veranlassungsprinzip" heranziehen würde - von einer Kostentragung durch den Beklagten nicht abgesehen werden könnte. Denn der Beklagte hat den streitgegenständlichen Widerspruch "veranlasst".

Es ist nachvollziehbar, dass sich die Kläger gegen die Leistungsbewilligung aus dem Bescheid vom 15.10.2012 gewandt haben. Es ist aus dem Bescheid nicht zu ersehen, aus welchen Gründen der Beklagte bis Ende 2012 noch Bedarfe in Höhe von monatlich 197,64 Euro für die Kosten der Unterkunft berücksichtigt hat, ab Januar 2013 jedoch nur noch monatlich 10,67 Euro. Insbesondere fehlt es völlig an einer Begründung für die so unterschiedliche Anerkennung von Unterkunftskosten.

Der Beklagte hat die Kläger - vor Einlegung des Widerspruchs - auch ansonsten nicht über die Änderung seiner Bewilligungspraxis ab dem 01.01.2013 informiert. Derartiges ist weder aus der Verwaltungsakte noch ansonsten ersichtlich. Eine Belehrung erfolgte erstmals mit dem Informationsschreiben vom 22.11.2012, in dem auf die neue Richtlinie des Beklagten zu den Kosten der Unterkunft hingewiesen wurde. Dieses erging jedoch erst nach Beginn des Widerspruchsverfahrens.

Soweit der Beklagte vorträgt, dass der Widerspruchsbescheid vom 18.09.2012, der zu einem früheren Bewilligungszeitraum ergangen war, den Hinweis enthalte, dass es sich bei Unterkunftsaufwendungen um einen aktuellen Bedarf handeln müsse, und dass sich hieraus die neue Bewilligungspraxis ersehen lasse, kann die Kammer dies nicht nachvollziehen. Der Widerspruchsbescheid enthält eine ausführliche Berechnung zu den Kosten der Unterkunft, die sich an der bisherigen Praxis orientiert. Entsprechend erhielten die Kläger Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 197,64 Euro. Wenn überhaupt, dann sind die Kläger hierdurch bestärkt worden, dass dies weiterhin die gültige Bewilligungspraxis des Beklagten zu den Kosten der Unterkunft darstellt. Soweit der Beklagte zugleich in einem (allgemeinen) Textbaustein darauf hinweist, dass es sich bei den tatsächlichen Aufwendungen nach § 22 SGB II um einen aktuellen Bedarf handeln müsse und dass früher getätigte Aufwendungen, die außerhalb des Bewilligungszeitraum entstanden sind, nicht berücksichtigt werden könnten, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn dieser Textbaustein befindet sich seit langem in den Bescheiden/Widerspruchsbescheiden des Beklagten, ohne dass dies zu einer Änderung seiner Bewilligungspraxis geführt hat. Eine konkrete Belehrung der Kläger ersetzt dies daher nicht.

Es kann von den Klägern auch nicht erwartet werden, dass sie die Rechtsprechung des BSG zur Berücksichtigung von Unterkunftskosten kennen, zumal der Beklagte diese selbst erst nach mehreren Jahren umgesetzt hat. Ebenso wenig sind die Kläger - anders als Beklagte offenbar meint - dazu verpflichtet, in Internet und Presse zu verfolgen, ob sich die Richtlinie des Beklagten zu den Kosten der Unterkunft geändert hat.

Soweit der Beklagte offenbar der Auffassung ist, dass die Leistungsberechnung aus dem Bescheid vom 15.10.2012 ursprünglich "richtig" gewesen sei und dass es deshalb an einer ursächlichen Verknüpfung fehle, trifft auch dies nicht zu. Denn der Beklagte hat es unterlassen, die Unterkunftskosten der Kläger in tatsächlicher Höhe als Bedarf anzuerkennen. Insbesondere hat er nicht all diejenigen Aufwendungen berücksichtigt, deren zukünftiger Anfall bereits feststand und bei denen "nur" noch die jeweilige Höhe offen war. Den Klägern ist daher insoweit zuzustimmen, als zumindest die Schuldzinsen hätten berücksichtigt werden können. Diese fielen - wie dem Beklagten seit langem bekannt war - monatlich an und veränderten sich in ihrer Höhe nur unwesentlich (es handelte sich um ein Annuitätendarlehen&8206;). Soweit der Beklagte vorgetragen hat, dass ihm eine Berücksichtigung der Unterkunftskosten deshalb noch nicht möglich gewesen sei, weil die konkrete Höhe der einzelnen Zahlungen noch nicht festgestanden habe, verweist die Kammer auf die Möglichkeit (und möglicherweise sogar Notwendigkeit, siehe hierzu BSG, Urteil v. 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R, zum "Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses", bevor die Sach- und Rechtslage vollständig geklärt ist) einer vorläufigen Bewilligung gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III -.

Die Kostenentscheidung dieses Verfahrens beruht auf §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.

Hinsichtlich des Unterliegens des Beklagten ist gemäß § 144 SGG über die Zulassung der Berufung zu entscheiden, weil der Wert der Beschwer unter 750,00 Euro liegt und auch nicht um Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird. Die Kammer geht hierbei davon aus, dass die Klage von ihrer Zielrichtung her auf eine Geldleistung gerichtet ist. Denn die Kläger begehren die Erstattung von Aufwendungen, die ihnen im Rahmen des streitgegenständlichen Widerspruchverfahrens entstanden sind. Diese sind allenfalls in Höhe der "Schwellengebühr" zu erwarten, da die Angelegenheit vorliegend weder umfangreich noch schwierig gewesen sein dürfte. Dies ergibt daher Gebühren von maximal 309,40 Euro (240,00 Euro Geschäftsgebühr [Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses - VV - des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG - in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung], 20,00 Euro Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen [Nr. 7002 VV RVG] sowie 49,40 Euro Umsatzsteuer [Nr. 7008 VV RVG]).

Die Berufung ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 - 3 SGG vorliegend nicht gegeben sind. Insbesondere hat die Rechtssache - anders als der Beklagte offenbar meint - keine grundsätzliche Bedeutung. Denn es handelt sich vorliegend um eine Fallkonstellation, die so aktuell nicht mehr auftreten dürfte. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2015 mitgeteilt hat, führt er die hier beschriebene Berechnungsweise zu den Kosten der Unterkunft seit Oktober 2012 durch (in Einzelfällen Ende 2012 / Anfang 2013). Sie dürfte daher bei den Leistungsempfängern grundsätzlich bekannt sein. Missverständnisse und Unklarheiten wie im vorliegenden Fall dürften daher eigentlich (außer in Ausnahmefällen) nicht mehr auftreten. Entsprechend sind der Kammer keine Verfahren bekannt, in denen die hier aufgetretene Thematik Gegenstand ist. Auch der Beklagte konnte auf Anfrage keine Verfahren benennen.

Rechtsmittelbelehrung
[ ...]
Rechtskraft
Aus
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