Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 3333/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1713/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.09.2015 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, N, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie bildet mit dem am 00.00.1992 geborenen bulgarischen Staatsangehörigen Herrn H (H.) eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Sie hat mit Herrn H. zwei gemeinsame am 00.00.2011 geborene Kinder. Herr H. übt seit dem 16.03.2015 eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung aus, deren ursprünglich bis zum 30.09.2015 vorgesehene Befristung zwischenzeitlich bis zum 31.03.2016 verlängert worden ist. Nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lohnabrechnungen wurde im Juli 2015 für Juni 2015 ein Bruttolohn von 1.535,25 EUR (1.115,20 EUR netto), im August 2015 für Juli 2015 ein Bruttolohn von 1.516,68 EUR (1.106,65 EUR netto), im September 2015 für August 2015 ein Bruttolohn von 1.265,60 EUR (974,73 EUR netto), und im Oktober 2015 für September 2015 ein Bruttolohn von 1.351,88 EUR (1.015,08 EUR netto) abgerechnet. Für die beiden Kinder wird Kindergeld i.H.v. 386,00 EUR monatlich bezogen.
Auf den Antrag vom 06.07.2015 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 05.08.2015 Herrn H. und den beiden Kindern ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 in vorläufiger Höhe von 140,00 EUR und sah die Antragstellerin als vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen an, weil sie sich alleine zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalte. Bei der Bedarfsermittlung legte der Antragsgegner einen Gesamtbedarf des Herrn H. und der Kinder von insgesamt 1.278,00 EUR, einschließlich 3/4 der Bruttowarmmiete von 450,00 EUR zugrunde. Auf diesen Bedarf rechnete er Erwerbseinkommen des Herrn H. von 770,00 EUR und das Kindergeld von 368,00 EUR an. Gegen diesen Bescheid legten die Antragstellerin und Herr H. Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2015 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhoben die Antragstellerin und Herr H. Klage (S 12 AS 3596/15).
Am 01.09.2015 hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.07.2015 in gesetzlicher Höhe begehrt. Sie sei gewillt, zumindest eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. Eine Vollzeittätigkeit sei wegen der Versorgung ihrer beiden minderjährigen Kinder nicht zumutbar. Es sei zu berücksichtigen, dass ihr Lebenspartner einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe.
Mit Beschluss vom 11.09.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin, ihren Kindern und Herrn H. als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2015 - vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung - bis zu einer Entscheidung in einem evtl. Hauptsacheverfahren zu bewilligen. Ein Anordnungsgrund bestehe schon deswegen, weil die Antragstellerin und Herr H. derzeit nicht über ausreichende Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügten. Die Antragstellerin habe auch einen Anordnungsanspruch. In analoger Anwendung von § 3 FreizügG/EU sei die Antragstellerin als Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft wie der Ehegatte oder Lebenspartner zu behandeln.
Gegen den am 18.09.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 05.10.2015.
Er trägt vor, nach dem Freizügigkeitsrecht der Europäischen Union und auch der hierzu vorhandenen Rechtsprechung seien alleine Ehepartner von Arbeitnehmern insofern begünstigt, als ihnen nach § 3 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht zustehe. Bei der Antragstellerin liege der alleinige Aufenthaltszweck der Arbeitsuche, jedoch kein Aufenthaltsrecht vor, da sie bisher keinerlei Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt habe. Auch decke das vorhandene Einkommen der Bedarfsgemeinschaft den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren alleine zuzusprechenden Regelbedarf.
Die Antragstellerin schließt sich der Begründung des angefochtenen Beschlusses an und beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Der Senat hat im Beschleunigungsinteresse von einer Zurückverweisung abgesehen (vgl. zur Möglichkeit der Zurückverweisung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Beschluss des Senats vom 11.08.2014 - L 19 AS 1341/14 B ER), obwohl der erstinstanzliche Beschluss an erheblichen Verfahrensfehlern leidet. Das Sozialgericht hat über einen Teil des Antrags - Verpflichtung zur Leistungsgewährung für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.08.2015 - keine Entscheidung getroffen und das Gebot des ne ultra petita nicht beachtet. Auch ist mehr als fraglich, ob die kursorischen Ausführungen des Sozialgerichts den Anforderungen an eine Begründung i.S.v. § 136 Abs.1 Nr. 6 SGG genügen.
Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Erlass einer Regelungsanordnung zu (1). Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an den Partner der Antragstellerin und die beiden gemeinsamen Kinder ist wegen des Verstoßes gegen das Gebot "ne ultra petita" aufzuheben (2).
1. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ein Anordnungsgrund betreffend die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 01.09.2015 ist nicht glaubhaft gemacht. In der Regel ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben, soweit ein Antragsteller Leistungen für einen zum Zeitpunkt der Antragstellung beim erstinstanzlichen Gericht bereits zurückliegenden Zeitraum begehrt (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Senats vom 20.01.2014 - L 19 AS 2306/13 B ER, vom 29.09.2013 - L 19 AS 1285/13 B ER, vom 15.11.2012 - L 19 AS 1917/12 BER und vom 14.07.2010 - L 19 AS 912/10 B ER). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtigen Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolge dessen eine aktuelle Notlage festzustellen ist, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die eine Abweichung vom genannten Grundsatz gebieten könnten, sind nicht ersichtlich und werden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.
Gleichfalls ist ein Anordnungsgrund betreffend die Verpflichtung zur Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 150,00 EUR entsprechend dem kopfteiligen Anteil der Klägerin an der Bruttowarmmiete für die Zeit ab dem 01.09.2015 nicht glaubhaft gemacht. Nach ständiger Rechtsprechung des vorliegend befassten Senats ist von einer Gefährdung der Unterkunft frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage auszugehen und zugleich darauf hinzuweisen, dass selbst nach Erhebung und Zustellung der Räumungsklage noch zwei Monate Zeit bleiben, den Verlust der Wohnung abzuwenden. Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 - 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 u. 2, Abs. 6 der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des SGB II - seither § 22 Abs. 9 SGB II - ; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Vorliegend fehlt es schon an zur vermieterseitigen Kündigung berechtigenden Mietrückständen. Der vom Sozialgericht pauschal angegebene Grund - fehlende ausreichende Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ohne konkrete Prüfung des Bedarfs und der Höhe des bedarfsdeckenden Einkommens ist allein nicht ausreichend für die Annahme der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Hinsichtlich des Anspruchs auf eine Verpflichtung des Antragsgegners zur einstweiligen Gewährung der Regelleistung an die Antragstellerin besteht im Zeitraum ab dem 01.09.2015 bis zur Entscheidung des Senats kein Anordnungsanspruch.
Allerdings spricht viel dafür, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht zu Ungunsten der Antragstellerin eingreift. Zwar kann die Antragstellerin als Partnerin eines Arbeitnehmers kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige aus einer analogen Anwendung des § 3 FreizügG/EU ableiten, da der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU abschließend geregelt ist (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60 m.w.N.; auch EUGH, Urteil vom 17.04.1986 - C-59/85 - wonach ein lediger Partner eines Arbeitnehmers kein Familienangehöriger ist). Der Antragstellerin kann aber ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV zustehen. Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre. Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. In der Literatur wird vertreten, dass § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung findet (vgl. Dienelt, a.a.O., § 11 FreizügG/EU Rn 38f; a. A. Kösel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107). Die Antragstellerin übt das Sorgerecht für zwei minderjährige Unionsbürger aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Kinder ein materielles Aufenthaltsrecht haben (vgl. auch Urteil des Senats vom 01.06.2015 - L 19 AS 1923/14). Dies ist vorliegend der Fall. Ein Aufenthaltsrecht ihrer Kinder als Familienangehörige i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU besteht, da ihr Vater eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt und damit Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 30.09.2015 - L 19 AS 1491/15 B ER).
Jedoch ist Antragstellerin nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte betreffend ihren Anspruch auf die Regelleistung nach § 20 SGB II nicht hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 2 SGB II. Die Antragstellerin bildet zusammen mit Herrn H. und ihren beiden Kindern eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c, 4 SGB II. Nach § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft, die ihren gesamten Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln decken kann, im Verhältnis ihres eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. Deshalb ist nach der sog. horizontalen Berechnungsmethode zunächst der Bedarf jeder Person einzeln und hieraus der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln. In einem weiteren Schritt wird dieser Gesamtbedarf dem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüber gestellt. Der danach nicht durch Einkommen gedeckte Gesamtbedarf wird alsdann im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfs zum Gesamtbedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt. Dieses gilt selbst in den Fällen, in denen das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt (BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 m.w.N.). Nach der horizontalen Berechnungsmethode ist der Regeldarf der Antragstellerin durch das Erwerbseinkommen ihres Partners gedeckt. Die Summe der Regelbedarfsansprüche beider Erwachsenen von je 360,00 EUR sowie ihrer Kinder von je 234,00 EUR beträgt 1.188,00 EUR. Dieser Bedarf wird durch die Summe des Kindergeldes von 386,00 EUR monatlich und den nachgewiesenen Nettoeinkünften des Partners der Antragstellerin auch unter Zugrundelegung des niedrigsten zugeflossenen Nettoverdienstes von 974,72 EUR im September 2015 (1.360,72 EUR) gedeckt. Im Hauptsacheverfahren geschützte Freibeträge nach § 11b SGB II finden im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Berücksichtigung, sie müssen vielmehr zur Deckung des aktuellen Bedarfes regelmäßig ausgeschöpft werden (Beschlüsse des Senats vom 26.10.2015 - L 19 AS 1623/15 B ER und L19 AS 1624/15 B, vom 16.10.2014 - L 19 AS 1207/14 B ER und vom 07.12.2012 - L 19 AS 2223/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.04.2015 - L 4 AS 137/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2015 - L 13 AS 205/15 B ER ). Es handelt sich bei den Freibeträgen nach § 11b Abs. 1 Nr. 1 - 6 SGB II, Abs. 2 und 3 SGB II um bereite Mittel, die tatsächlich zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen und die über das Existenzminimum hinausgehen, das im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzes gesichert werden soll. Derartige Einkommensfreibeträge sind für die Sicherstellung des Existenzminimums regelmäßig einzusetzen. Dieser Einsatz ist gegenüber einer Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes vorrangig. Darüber hinaus wären hier auch bei Berücksichtigung des Grundfreibetrages von 100,00 EUR nach § 11b Abs. 2 SGB II die Regelbedarfe durch bereite Mittel gedeckt.
2. Soweit das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, Herrn H. und den beiden Kindern Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2015 zu gewähren, ist der Beschluss wegen des Verstoßes gegen das Gebot ne ultra petita aufzuheben.
Der Ausspruch des Sozialgerichts verstößt gegen § 123 SGG. Danach entscheidet das Gericht über die von einem Antragsteller erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 5 RE 23/14 R). Bei einem von einem Rechtsanwalt oder einem anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten gestellten Antrag ist in der Regel anzunehmen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 05.06.2014 - B 10 ÜG 29/13 B). Die Kinder der Antragsgegnerin und Herr H. sind nicht Beteiligte des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung betreffend die Leistungen nach dem SGB II ist ausschließlich von der anwaltlich vertretenen Antragstellerin gestellt worden. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Antragschrift und dem Charakter der Leistungsansprüche nach dem SGB II als Individualanspruch eines jeden einzelnen Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R, BSGE 113, 270) ist die vom Rechtsanwalt verfasste Antragschrift auch nicht im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes dahingehend auslegbar, dass neben der Antragstellerin auch ihre Kinder und ihr Lebensgefährte Herr H. einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt haben. Insoweit ist die Vorgehensweise des Sozialgerichts, die es auch nicht begründet hat, nicht nachvollziehbar. Falls das Sozialgericht angenommen haben sollte, dass die Antragstellerin neben ihren eigenen Leistungsansprüchen als Prozessstandschafterin die Ansprüche der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend machen wollte, wäre eine solche Vorgehensweise nicht zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231).
Daher ist nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Frage, ob der Antragsgegner bei Ermittlung der Bedarfe des Herrn H. und beider Kinder im Bewilligungsbescheid vom 03.08.2015 die in § 9 Abs. 2 SGB II angeordnete horizontale Berechnungsmethode bei der Verteilung des Erwerbseinkommens auf die Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft korrekt angewandt hat. Ausgehend von der Auffassung des Antragsgegners, dass die Antragstellerin vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr.2 SGG ausgeschlossen ist, ist sie trotzdem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Damit sind ihre Bedarfe bei der Verteilung des Einkommens anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach den Grundsätzen der horizontalen Berechnungsmethode mit zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe war der nach ihren Verhältnissen bedürftigen Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren ohne Prüfung der Erfolgsaussichten sowie des Vorliegens von Mutwilligkeit zu bewilligen, weil der Antragsgegner Beschwerde eingelegt hat (§§ 73a SGG, 114 f., 119 Abs. 1 S. 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie bildet mit dem am 00.00.1992 geborenen bulgarischen Staatsangehörigen Herrn H (H.) eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Sie hat mit Herrn H. zwei gemeinsame am 00.00.2011 geborene Kinder. Herr H. übt seit dem 16.03.2015 eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung aus, deren ursprünglich bis zum 30.09.2015 vorgesehene Befristung zwischenzeitlich bis zum 31.03.2016 verlängert worden ist. Nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lohnabrechnungen wurde im Juli 2015 für Juni 2015 ein Bruttolohn von 1.535,25 EUR (1.115,20 EUR netto), im August 2015 für Juli 2015 ein Bruttolohn von 1.516,68 EUR (1.106,65 EUR netto), im September 2015 für August 2015 ein Bruttolohn von 1.265,60 EUR (974,73 EUR netto), und im Oktober 2015 für September 2015 ein Bruttolohn von 1.351,88 EUR (1.015,08 EUR netto) abgerechnet. Für die beiden Kinder wird Kindergeld i.H.v. 386,00 EUR monatlich bezogen.
Auf den Antrag vom 06.07.2015 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 05.08.2015 Herrn H. und den beiden Kindern ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 in vorläufiger Höhe von 140,00 EUR und sah die Antragstellerin als vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen an, weil sie sich alleine zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalte. Bei der Bedarfsermittlung legte der Antragsgegner einen Gesamtbedarf des Herrn H. und der Kinder von insgesamt 1.278,00 EUR, einschließlich 3/4 der Bruttowarmmiete von 450,00 EUR zugrunde. Auf diesen Bedarf rechnete er Erwerbseinkommen des Herrn H. von 770,00 EUR und das Kindergeld von 368,00 EUR an. Gegen diesen Bescheid legten die Antragstellerin und Herr H. Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2015 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhoben die Antragstellerin und Herr H. Klage (S 12 AS 3596/15).
Am 01.09.2015 hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.07.2015 in gesetzlicher Höhe begehrt. Sie sei gewillt, zumindest eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. Eine Vollzeittätigkeit sei wegen der Versorgung ihrer beiden minderjährigen Kinder nicht zumutbar. Es sei zu berücksichtigen, dass ihr Lebenspartner einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe.
Mit Beschluss vom 11.09.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin, ihren Kindern und Herrn H. als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2015 - vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung - bis zu einer Entscheidung in einem evtl. Hauptsacheverfahren zu bewilligen. Ein Anordnungsgrund bestehe schon deswegen, weil die Antragstellerin und Herr H. derzeit nicht über ausreichende Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügten. Die Antragstellerin habe auch einen Anordnungsanspruch. In analoger Anwendung von § 3 FreizügG/EU sei die Antragstellerin als Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft wie der Ehegatte oder Lebenspartner zu behandeln.
Gegen den am 18.09.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 05.10.2015.
Er trägt vor, nach dem Freizügigkeitsrecht der Europäischen Union und auch der hierzu vorhandenen Rechtsprechung seien alleine Ehepartner von Arbeitnehmern insofern begünstigt, als ihnen nach § 3 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht zustehe. Bei der Antragstellerin liege der alleinige Aufenthaltszweck der Arbeitsuche, jedoch kein Aufenthaltsrecht vor, da sie bisher keinerlei Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt habe. Auch decke das vorhandene Einkommen der Bedarfsgemeinschaft den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren alleine zuzusprechenden Regelbedarf.
Die Antragstellerin schließt sich der Begründung des angefochtenen Beschlusses an und beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Der Senat hat im Beschleunigungsinteresse von einer Zurückverweisung abgesehen (vgl. zur Möglichkeit der Zurückverweisung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Beschluss des Senats vom 11.08.2014 - L 19 AS 1341/14 B ER), obwohl der erstinstanzliche Beschluss an erheblichen Verfahrensfehlern leidet. Das Sozialgericht hat über einen Teil des Antrags - Verpflichtung zur Leistungsgewährung für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.08.2015 - keine Entscheidung getroffen und das Gebot des ne ultra petita nicht beachtet. Auch ist mehr als fraglich, ob die kursorischen Ausführungen des Sozialgerichts den Anforderungen an eine Begründung i.S.v. § 136 Abs.1 Nr. 6 SGG genügen.
Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Erlass einer Regelungsanordnung zu (1). Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an den Partner der Antragstellerin und die beiden gemeinsamen Kinder ist wegen des Verstoßes gegen das Gebot "ne ultra petita" aufzuheben (2).
1. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ein Anordnungsgrund betreffend die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 01.09.2015 ist nicht glaubhaft gemacht. In der Regel ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben, soweit ein Antragsteller Leistungen für einen zum Zeitpunkt der Antragstellung beim erstinstanzlichen Gericht bereits zurückliegenden Zeitraum begehrt (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Senats vom 20.01.2014 - L 19 AS 2306/13 B ER, vom 29.09.2013 - L 19 AS 1285/13 B ER, vom 15.11.2012 - L 19 AS 1917/12 BER und vom 14.07.2010 - L 19 AS 912/10 B ER). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtigen Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolge dessen eine aktuelle Notlage festzustellen ist, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die eine Abweichung vom genannten Grundsatz gebieten könnten, sind nicht ersichtlich und werden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.
Gleichfalls ist ein Anordnungsgrund betreffend die Verpflichtung zur Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 150,00 EUR entsprechend dem kopfteiligen Anteil der Klägerin an der Bruttowarmmiete für die Zeit ab dem 01.09.2015 nicht glaubhaft gemacht. Nach ständiger Rechtsprechung des vorliegend befassten Senats ist von einer Gefährdung der Unterkunft frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage auszugehen und zugleich darauf hinzuweisen, dass selbst nach Erhebung und Zustellung der Räumungsklage noch zwei Monate Zeit bleiben, den Verlust der Wohnung abzuwenden. Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 - 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 u. 2, Abs. 6 der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des SGB II - seither § 22 Abs. 9 SGB II - ; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Vorliegend fehlt es schon an zur vermieterseitigen Kündigung berechtigenden Mietrückständen. Der vom Sozialgericht pauschal angegebene Grund - fehlende ausreichende Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ohne konkrete Prüfung des Bedarfs und der Höhe des bedarfsdeckenden Einkommens ist allein nicht ausreichend für die Annahme der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Hinsichtlich des Anspruchs auf eine Verpflichtung des Antragsgegners zur einstweiligen Gewährung der Regelleistung an die Antragstellerin besteht im Zeitraum ab dem 01.09.2015 bis zur Entscheidung des Senats kein Anordnungsanspruch.
Allerdings spricht viel dafür, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht zu Ungunsten der Antragstellerin eingreift. Zwar kann die Antragstellerin als Partnerin eines Arbeitnehmers kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige aus einer analogen Anwendung des § 3 FreizügG/EU ableiten, da der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU abschließend geregelt ist (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60 m.w.N.; auch EUGH, Urteil vom 17.04.1986 - C-59/85 - wonach ein lediger Partner eines Arbeitnehmers kein Familienangehöriger ist). Der Antragstellerin kann aber ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV zustehen. Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre. Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. In der Literatur wird vertreten, dass § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung findet (vgl. Dienelt, a.a.O., § 11 FreizügG/EU Rn 38f; a. A. Kösel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107). Die Antragstellerin übt das Sorgerecht für zwei minderjährige Unionsbürger aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Kinder ein materielles Aufenthaltsrecht haben (vgl. auch Urteil des Senats vom 01.06.2015 - L 19 AS 1923/14). Dies ist vorliegend der Fall. Ein Aufenthaltsrecht ihrer Kinder als Familienangehörige i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU besteht, da ihr Vater eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt und damit Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 30.09.2015 - L 19 AS 1491/15 B ER).
Jedoch ist Antragstellerin nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte betreffend ihren Anspruch auf die Regelleistung nach § 20 SGB II nicht hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 2 SGB II. Die Antragstellerin bildet zusammen mit Herrn H. und ihren beiden Kindern eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c, 4 SGB II. Nach § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft, die ihren gesamten Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln decken kann, im Verhältnis ihres eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. Deshalb ist nach der sog. horizontalen Berechnungsmethode zunächst der Bedarf jeder Person einzeln und hieraus der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln. In einem weiteren Schritt wird dieser Gesamtbedarf dem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüber gestellt. Der danach nicht durch Einkommen gedeckte Gesamtbedarf wird alsdann im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfs zum Gesamtbedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt. Dieses gilt selbst in den Fällen, in denen das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt (BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 m.w.N.). Nach der horizontalen Berechnungsmethode ist der Regeldarf der Antragstellerin durch das Erwerbseinkommen ihres Partners gedeckt. Die Summe der Regelbedarfsansprüche beider Erwachsenen von je 360,00 EUR sowie ihrer Kinder von je 234,00 EUR beträgt 1.188,00 EUR. Dieser Bedarf wird durch die Summe des Kindergeldes von 386,00 EUR monatlich und den nachgewiesenen Nettoeinkünften des Partners der Antragstellerin auch unter Zugrundelegung des niedrigsten zugeflossenen Nettoverdienstes von 974,72 EUR im September 2015 (1.360,72 EUR) gedeckt. Im Hauptsacheverfahren geschützte Freibeträge nach § 11b SGB II finden im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Berücksichtigung, sie müssen vielmehr zur Deckung des aktuellen Bedarfes regelmäßig ausgeschöpft werden (Beschlüsse des Senats vom 26.10.2015 - L 19 AS 1623/15 B ER und L19 AS 1624/15 B, vom 16.10.2014 - L 19 AS 1207/14 B ER und vom 07.12.2012 - L 19 AS 2223/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.04.2015 - L 4 AS 137/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2015 - L 13 AS 205/15 B ER ). Es handelt sich bei den Freibeträgen nach § 11b Abs. 1 Nr. 1 - 6 SGB II, Abs. 2 und 3 SGB II um bereite Mittel, die tatsächlich zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen und die über das Existenzminimum hinausgehen, das im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzes gesichert werden soll. Derartige Einkommensfreibeträge sind für die Sicherstellung des Existenzminimums regelmäßig einzusetzen. Dieser Einsatz ist gegenüber einer Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes vorrangig. Darüber hinaus wären hier auch bei Berücksichtigung des Grundfreibetrages von 100,00 EUR nach § 11b Abs. 2 SGB II die Regelbedarfe durch bereite Mittel gedeckt.
2. Soweit das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, Herrn H. und den beiden Kindern Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2015 zu gewähren, ist der Beschluss wegen des Verstoßes gegen das Gebot ne ultra petita aufzuheben.
Der Ausspruch des Sozialgerichts verstößt gegen § 123 SGG. Danach entscheidet das Gericht über die von einem Antragsteller erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 5 RE 23/14 R). Bei einem von einem Rechtsanwalt oder einem anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten gestellten Antrag ist in der Regel anzunehmen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 05.06.2014 - B 10 ÜG 29/13 B). Die Kinder der Antragsgegnerin und Herr H. sind nicht Beteiligte des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung betreffend die Leistungen nach dem SGB II ist ausschließlich von der anwaltlich vertretenen Antragstellerin gestellt worden. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Antragschrift und dem Charakter der Leistungsansprüche nach dem SGB II als Individualanspruch eines jeden einzelnen Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R, BSGE 113, 270) ist die vom Rechtsanwalt verfasste Antragschrift auch nicht im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes dahingehend auslegbar, dass neben der Antragstellerin auch ihre Kinder und ihr Lebensgefährte Herr H. einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt haben. Insoweit ist die Vorgehensweise des Sozialgerichts, die es auch nicht begründet hat, nicht nachvollziehbar. Falls das Sozialgericht angenommen haben sollte, dass die Antragstellerin neben ihren eigenen Leistungsansprüchen als Prozessstandschafterin die Ansprüche der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend machen wollte, wäre eine solche Vorgehensweise nicht zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231).
Daher ist nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Frage, ob der Antragsgegner bei Ermittlung der Bedarfe des Herrn H. und beider Kinder im Bewilligungsbescheid vom 03.08.2015 die in § 9 Abs. 2 SGB II angeordnete horizontale Berechnungsmethode bei der Verteilung des Erwerbseinkommens auf die Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft korrekt angewandt hat. Ausgehend von der Auffassung des Antragsgegners, dass die Antragstellerin vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr.2 SGG ausgeschlossen ist, ist sie trotzdem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Damit sind ihre Bedarfe bei der Verteilung des Einkommens anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach den Grundsätzen der horizontalen Berechnungsmethode mit zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe war der nach ihren Verhältnissen bedürftigen Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren ohne Prüfung der Erfolgsaussichten sowie des Vorliegens von Mutwilligkeit zu bewilligen, weil der Antragsgegner Beschwerde eingelegt hat (§§ 73a SGG, 114 f., 119 Abs. 1 S. 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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NRW
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