S 12 AS 4451/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 4451/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Vereinnahmte Umsatzsteuer ist als betriebliche Einnahme nach der AlgII-V zu berücksichtigen.
2. In der Zukunft an das Finanzamt abzugebende Umsatzsteuern können als betriebliche Ausgaben nicht berücksichtigt werden. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn die Abgabe während des Bewilligungszeitraumes tatsächlich erfolgt ist.
3. Bei Einkommenssteuernachzahlungen handelt es sich nicht um betriebsbezogene, sondern um personenbezogene Ausgaben.
4. Einkommenssteuernachzahlungen sind nicht vom Einkommen Hilfebedürftiger abzusetzen.
Tenor: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 in Höhe von 2.735,10 EUR.

Der am 17.05.1958 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Neben dem Leistungsbezug ist er selbständig im Bereich Montage tätig.

Am 21.03.2014 beantragte er die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 01.04.2014. Hierzu legte er die Anlage EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) vor, aus der sich entnehmen lässt, dass mit keinerlei Betriebseinnahmen für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 gerechnet werde.

Das Jobcenter Landkreis Karlsruhe - Ettlingen (JC) bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 17.04.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014. Der Leistungsbetrag belief sich auf 834,80 EUR monatlich. Die Leistungsbewilligung erfolgte vorläufig gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) im Hinblick auf das noch nicht voll-ständig ermittelte Einkommen des Klägers aus seiner selbstständigen Tätigkeit.

Am 25.10.2014 wurde vom Kläger die Erklärung über die abschließenden Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 vorgelegt. Aus diesen lassen sich Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 6.344,74 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 2.326,48 EUR entnehmen. Des Weiteren gab der Kläger unter der Spalte "personenbezogene Ausgaben des Selbständigen (Absetzungen vom Einkommen)" an, eine ein-malige Einkommenssteuernachzahlung in Höhe von 2.646,51 EUR im streitigen Zeit-raum bezahlt zu haben. Das JC setzte das auf den Bedarf des Klägers monatlich anzurechnende Einkommen aus selbständiger Tätigkeit auf 455,85 EUR fest, und bewilligte mit endgültigem Bewilligungsbescheid vom 29.10.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 in Höhe von monatlich 378,95 EUR.

Mit weiterem Bescheid vom 29.10.2014 wurde sodann die Gesamtüberzahlung für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 3 SGB III teilweise in Höhe von 2.735,10 EUR aufgehoben und der Betrag zur Erstattung festgesetzt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 05.11.2014 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte er aus, seine in der abschließenden Erklärung über das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit gemachten Angaben zu den betrieblichen Einnahmen und Ausgaben würden erheblich von den Berechnungen des JC abweichen. Die Forderung des Finanzamtes in Höhe von 2.646,51 EUR sei nicht vom Einkommen abgesetzt worden. Diese Steuernachzahlung sei von ihm an das Finanzamt Ettlingen gezahlt worden. Um diesen Betrag sei sein Einkommen vermindert und seine Hilfebedürftigkeit erhöht worden. Auch sei ihm zu Unrecht die eingenommene Umsatzsteuer als Einkommen angerechnet worden, obwohl diese nur ein Durchlaufposten sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Deswegen hat der Kläger am 29.12.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung wiederholt er im wesentlichen seinen Vortrag aus der Widerspruchsbegründung.

Der Kläger beantragt,

der Bescheid vom 29.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.11.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage wird abgewiesen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend und verweist insoweit auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte, sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die in zulässiger Weise beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karls-ruhe erhobene Klage ist unbegründet.

Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.11.2014 entschieden hat, dass der Kläger für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 2.735,10 EUR zu erstatten hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die Beklagte war zur endgültigen Festsetzung aufgrund der in dem vorangegangenen Bewilligungsbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsklausel gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III ohne Beachtung der Vertrauensschutzregelungen der §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) befugt. Der voraus-gegangene Bescheid, der durch die endgültige Leistungsfestsetzung aufgehoben beziehungsweise gegenstandslos wurde, enthielt eine hinreichend bestimmte Vorläufigkeitsklausel, wonach die Leistungsfestsetzung hinsichtlich des noch zu ermitteln-den Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit vorläufig sei. Die Erstattungsforderung ergibt sich aus § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III. Eine vorherige Anhörung war gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entbehrlich.

2. Der Kläger hatte im streitigen Bewilligungszeitraum einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur in derjenigen Höhe, wie von dem beklagten JC im endgültigen Bewilligungsbescheid vom 29.10.2014 festgesetzt. Der Kläger konnte mit seinem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit seinen Bedarf zumindest teilweise decken.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Personen, die (1) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, (2) erwerbsfähig sind, (3) hilfebedürftig sind und (4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbs-fähige Leistungsberechtigte). Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Ein-kommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Der Bedarf des Klägers betrug in der Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 inklusive der Kosten der Unterkunft unstreitig 834,80 EUR. Diesen Bedarf konnte der Kläger zumindest teilweise durch das Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit decken.

Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs. 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert.

Gemäß § 3 Abs. 1 AlgII-V ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Wird eine Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs. 2 Alg II-V). Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen. Nachgewiesene Einnahmen können bei der Berechnung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspricht. Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (§ 3 Abs. 3 Alg II-V). Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Im Fall des Absatzes 1 Satz 3 gilt als monatliches Einkommen derjenige Teil des Einkommens, der der Anzahl der in den in Absatz 1 Satz 3 genannten Zeitraum fallenden Monate entspricht. Von dem Einkommen sind die Beträge nach § 11b SGB II abzusetzen (§ 3 Abs. 4 Alg II-V).

Laut der vom Kläger am 25.10.2014 erstellten abschließenden Erklärung zum Ein-kommen aus selbständiger Tätigkeit betrugen die Betriebseinnahmen in der Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 6.344,74 EUR. Die Betriebsausgaben betrugen demgegenüber 2.326,48 EUR. Mithin verblieb ein Gewinn in Höhe von 4.018,26 EUR, der verteilt auf sechs Monate in jedem Monat mit einem Betrag in Höhe von 669,71 EUR zu berücksichtigen ist. Dieses so ermittelte Einkommen ist um die Freibeträge nach § 11b SGB II und um die Versicherungspauschale gemäß § 6 Abs. 1 Alg II-V zu mindern, sodass ein monatlich anrechenbares Einkommen von 455,85 EUR verbleibt.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist als betriebliche Einnahme auch die vereinnahmte Umsatzsteuer zu berücksichtigen, auch wenn diese rein steuerrechtlich betrachtet ein durchlaufender Posten ist. Auch wenn diese an das Finanzamt abgegeben werden muss, kann sie auch nicht als betriebliche Ausgabe von den Einnahmen abgesetzt werden. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 22.08.2013 - B 14 AS 1/13 R hierzu ausgeführt, nur im Bewilligungszeitraum tatsächlich erfolgte Umsatzsteuerzahlungen können vom Einkommen Selbständiger abgesetzt werden. [ ] Auch wenn im Zeitpunkt des Zuflusses der zu versteuernden Einnahme die Steuerpflicht bereits absehbar ist, entsteht die Pflicht zur Zahlung und also die maßgebliche Belastung erst mit der vollständigen Verwirklichung des Steuertatbestandes. Für die Bewertung, ob Beträge, die von Unternehmern als Umsatzsteuer ausgewiesen und vereinnahmt worden sind, als Einkommen Selbständiger zu berücksichtigen sind, kommt es deshalb entscheidend darauf an, wann die Steuer tatsächlich entsteht. Der Steueranspruch der Finanzverwaltung, auf den Zahlungen zu leisten sind, entsteht aber nicht mit der Vereinnahmung des Zuflusses, sondern nach § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst a und b Umsatzsteuergesetz (UStG) erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung erbracht bzw. das Entgelt vereinnahmt wird (vgl BFH Urteil vom 29.1.2009 - V R 64/07 - BFHE 224, 24, RdNr 16). Damit ist der entsprechende Zufluss (also die Vereinnahmung des Entgelts iS des UStG) auch nicht von vornherein nach dem SGB II privilegiert, sondern gehört (als Bruttoeinnahme vor Steuer) zum Einkommen.

Der Kläger hat in seiner abschließenden Erklärung über sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit angegeben, im August 2014 Umsatzsteuer in Höhe von 688,48 EUR und im September 2014 in Höhe von 324,55 EUR eingenommen zu haben. Demgegenüber erfolgte im gleichen Zeitraum keine Zahlung an das Finanzamt. Deswegen sind die eingenommenen Umsatzsteuern als Einnahmen zu qualifizieren, ohne dass eine Berücksichtigung als betriebliche Ausgabe in Betracht kommt.

Als betriebliche Ausgabe kann auch nicht die Einkommenssteuernachzahlung aus dem Jahre 2012 in Höhe von 2.646,51 EUR berücksichtigt werden. Es handelt sich hier-bei nicht um eine betriebsbezogene, sondern um eine personenbezogene Ausgabe. Eine Einkommenssteuerpflicht besteht gemäß § 1 Abs. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) für alle natürlichen Personen, unabhängig davon, ob das Einkommen aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus nichtselbständiger Arbeit herrührt (§ 2 Abs. 1 EStG).

Im Übrigen sind offene Schulden nicht vom Einkommen abzusetzen, denn das Ein-kommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen (vgl. BSG vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R). Aus der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge folgt, dass diese erst dann eingreifen soll, wenn der Hilfebedürftige ihm zur Verfügung stehende Mittel verbraucht hat (vgl. BSG vom 15.04.2008 - B 14 AS 27/07 R).

Nach alldem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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