S 3 AS 217/15 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 AS 217/15 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Sozialhilfeträger hat im Falle eines verfestigten Aufenthaltes eines EU-Bürgers, bei dem ein Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II greift, nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe ab dem siebten Monats des Aufenthaltes zu erbringen, soweit die Ausländerbehörde den tatsächlichen Aufenthalt hinnimmt, obwohl keine Freizügigkeitsberechtigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU und auch kein anderes Aufenthaltsrecht besteht.
Der Beigeladene wird verpflichtet vorläufig für die Zeit vom 01. Februar 2016 bis 31. Juli 2016 Leistungen der Sozialhilfe an die Antragsteller im Umfang der maßgebenden Regelleistung sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Beigeladene hat den Antragstellern die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes.

Die Antragsteller, die rumänische Staatsangehörige sind, reisten am 1. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 24. August 2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In einem Zusatzblatt zum Antrag gab der Antragsteller zu 1) an, er wolle in Deutschland von seiner Arbeit leben und sich als Marktbeschicker und Schrotthändler selbständig machen. Vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland habe er als Gelegenheitsarbeiter ein bisschen Geld verdient. Mit dem Antrag legte er ebenfalls eine Mietbescheinigung und einen Mietvertrag über eine möblierte Wohnung mit 114 qm Fläche und fünf Zimmern in der A-Straße in A Stadt vor. Der Mietzins beträgt 890,00 EUR warm. Vermieter ist Herr V. in V-Stadt. Die Antragsteller traten den Anspruch auf Kosten der Unterkunft an den Vermieter ab.

Durch Bescheid vom 2. September 2015 lehnte der Antragsgegner die Leistungen mit der Begründung ab, die Antragsteller hätten keinen Leistungsanspruch, da sich das Aufenthaltsrecht alleine aus Zwecken der Arbeitsuche ergebe.

Am 3. September 2015 legten die Antragsteller eine Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vor. Hiernach beabsichtige der Antragsteller zu 1) ab August 2015 die Aufnahme eines Reisegewerbes. Für die Monate August bis Dezember 2015 machte der Antragsteller zu 1) Angaben zu vermuteten Betriebseinnahmen.

Gegen den zurückweisenden Bescheid vom 2. September 2015 richtete sich der am 15. September 2015 erhobene Widerspruch zu dessen Begründung die Antragsteller vortrugen, der Antragsteller zu 1) befinde sich nicht alleine zum Zweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland. Er wolle sich selbständig betätigen und habe eine entsprechende Reisegewerbekarte beantragt.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 wurden die Antragsteller aufgefordert zu beschreiben, worin ihre Arbeit bestehe, für welche Märkte Standplätze für welche Zeiten verfügbar seien, welche Waren verkauft würden, von wem sie die Waren erhielten und ob schon Umsätze getätigt worden seien. Am 13.10.2015 ließen die Antragsteller durch den Zeugen P. antworten, der Antragsteller zu 1) habe eine Reisegewerbekarte beantragt. Inhalt der beantragten Erlaubnis sei der Vertrieb insbesondere von Haushaltswaren und Schmuck. Er wolle aber auch Reinigungstätigkeiten auf Dächern und Dachrinnen ausüben. Die zu vertreibenden Waren erhalte er von der C. Handelsgesellschaft. Da es Probleme mit der Erstellung der Reisegewerbekarte gebe, habe er reservierte Plätze in D-Stadt und E-Stadt nicht belegen und auch einen Platz in F-Stadt nicht buchen können. Bisher lebe er von geringen Einkünften aus Reinigungs- und Montagearbeiten. Im September habe er 500,00 EUR umgesetzt.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2015 erläuterte der Antragsgegner, warum er meine, dass der Antragsteller zu 1) nicht selbständig sei. Mit Schreiben vom 3. November 2015 legten die Antragsteller am 4. November 2015 eine Reisegewerbekarte für den Antragsteller zu 1) vom 29. Oktober 2015 vor, nach der es ihm gestattet ist, Dachrinnenreinigung und die Montage von Blitzableitern anzubieten und dem Aufsuchen von Bestellungen sowie das Feilbieten von Modeschmuck (Silberschmuck nur bis zu einem Verkaufspreis von 40,00 EUR) und Dekoartikeln.

Am 5. November 2015 beantragten die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, ihnen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren. Er habe dem Antragsgegner mitgeteilt, die Tätigkeit bereits auszuüben und auch erste Umsätze gemacht. Er habe im September 500,00 EUR, im Oktober 800,00 EUR und im November 2015 400,00 EUR umgesetzt. Dies werde in den Rechnungen 1 bis 4 – 2015 dokumentiert, die auf Aufforderung des Gerichts vom 10. November 2015 und Erinnerungen vom 17. November 2015 und 24. November 2015 am 30. November 2015 vorgelegt wurden.

Die Antragsgegner beantragen (sinngemäß),
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende in gesetzlichem Umfang zu gewähren, hilfsweise den Beigeladenen zu verpflichten, ihnen Leistungen der Sozialhilfe in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt (sinngemäß),
den Antrag zurückzuweisen.

Der Beigeladene beantragt (sinngemäß),
den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner trägt zur Begründung vor, er könne nicht erkennen, dass es bei der vom Antragsteller zu 1) ausgeübten Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit handele. Die Tätigkeit des Antragstellers zu 1) sei nicht durch das eigene Unternehmerrisiko charakterisiert. Auch seien Zweifel an dem Beweiswert der vorgelegten Rechnungen angebracht.

Der Beigeladene meint, wenn eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde, sei die Zuständigkeit des Antragsgegners gegeben. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII ergäbe sich nicht, da ein verfestigter Aufenthalt noch nicht vorliege.

Am 9. Dezember 2015 fragte das Gericht bei dem Antragsgegner an, ob weitere unionsrechtliche Gründe vorlägen, aus denen sich eine Freizügigkeitsberechtigung der Antragsteller ergäbe. Dies wurde durch Schriftsatz vom 10. Dezember 2015 verneint.

Das Gericht hat durch Beschluss vom 10. Dezember 2055 den Schwalm-Eder-Kreis notwendig nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen.

Durch weiteren Beschluss vom 29. Dezember 2015 hat das Gericht nach Anhörung am 22. Dezember 2015 Frau V., die Vertreterin des Vermieters, nach § 73 Abs. 2 SGG zurückgewiesen.

Weiterhin hat das Gericht den Beigeladenen am 21. Dezember 2015 aufgefordert, die Ausländerakte über die Antragsteller vorzulegen. Der Beigeladene teilte am 23. Dezember 2015 mit, eine Ausländerakte sei nicht angelegt.

Im Erörterungstermin vom 11. Januar 2016 hat das Gericht die Antragsteller zu 1) & 2) informatorisch zum Sachverhalt befragt. Wegen des Ergebnisses der Befragung wird auf die Aufzeichnung mittels Tonträger Bezug genommen. Weiterhin hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Herr P., Herr Q. und Herr R. Wegen des Ergebnisses wird ebenfalls auf die Aufzeichnung mittels Tonträger Bezug genommen.

Wegen des weiteren Akteninhaltes, insbesondere das weitere Vorbringen der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Leistungsakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller, SGG, Kommentar, 11. Aufl., 2014, § 86 b, Rn. 27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsanspruch grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht grundsätzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG v. 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei sind, soweit beim Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugung Gewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig/Keller,a.a.O., § 86 b Rn. 16 c, d, 40). Unschädlich ist, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Erteilung des ablehnenden Bescheides erhoben wurde. Zum einen wurde der Bescheid durch Widerspruch angefochten und zum anderen regelt § 86 b Abs. 3, dass die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig sind.

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze ist ein Anordnungsanspruch teilweise glaubhaft gemacht. Vorliegend sind gewichtige Gründe gegeben, die es überwiegend wahrscheinlich machen, dass ein Leistungsanspruch im tenorierten Sinne besteht.

Die Antragsteller haben nämlich nach summarischer Prüfung ab dem 1. Februar 2016 einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII). Nach § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Hierbei bleiben die Vorschriften des Vierten Buches nach Satz 2 der Vorschrift unberührt. Nach Satz 3 der Vorschrift kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Zwar sind die Antragsteller wegen fehlender Freizügigkeitsberechtigung aufgrund § 23 Abs. 3 2. Alt. SGB XII von einem Rechtsanspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII ausgeschlossen, da sie sich zur Überzeugung des Gerichts allein zum Zwecke der Arbeitssuche hier aufhalten und damit keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe haben (vgl. SG Berlin v. 04.01.2016, S 128 AS 25271/15 ER, Rn. 33); darüber hinaus sind sie auch von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen – dazu weiter unten.

Somit sind diesem Personenkreis im Ermessenswege Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu erbringen. Insoweit kommt das Gericht mit dem Bundessozialgericht (Urteil v. 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R; Urteil vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R) – vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - zu einem Anspruch auf Gewährleistung der Existenzsicherung aus Art 1 Abs. 1 iVm Art 20 Abs. 1 Grundgesetz - GG – (BVerfG v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/12, Rz. 63). Damit ist § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII verfassungskonform so auszulegen, dass den Antragstellern daraus ein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen zusteht. Aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Gesetzesinterpretation ausgeschlossen, die systemübergreifend keinerlei Existenzsicherung für einen sich dauerhaft in Deutschland aufhaltenden hilfebedürftigen Unionsbürger vorsähe. Der Sozialstaat darf nach seiner Aufgabe, den Menschen zu dienen und deren Leben zu ermöglichen, keinen seiner Einwohner ohne Obdach und ohne lebensnotwendige Leistungen lassen (Kirchhof, NZS 2015, 1, 4). Nach geltendem Freizügigkeitsrecht ist von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG-EU festzustellen. Nach der hier anzuwendenden Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Regelung räumt dem Sozialhilfeträger dem Grunde und der Höhe nach auf der Rechtsfolgenseite Ermessen ein. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts über sechs Monate – ist dieses Ermessen jedoch aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts unter verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dem Sinne auf null reduziert, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist (BSG a.a.O.).

Die Antragsteller haben ab dem 1. Februar 2016 einen in diesem Sinne verfestigten Aufenthalt, sodass in jedem Falle ab diesem Zeitpunkt Leistungen der Sozialhilfe in gesetzlichem Umfang, d.h. die Regelleistung, die Kosten der Unterkunft und Heizung sowie eventuell anfallende Mehrbedarfe von dem Beigeladenen zu gewähren sind. Der Beigeladene mag sodann aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreifen, wenn er der Meinung ist, dass die Antragsteller über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen würden.

Auch der Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein, d.h., es muss eine dringende Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Antragsteller dringend über die streitigen Leistungen verfügen müssen, um Ihren Lebensunterhalt existenzsichernd zu gewährleisten.

Dem Antrag war daher insoweit stattzugeben.

Der Antrag war indessen abzulehnen, soweit die Antragsteller Leistungen für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Oktober 2015 begehrten. Leistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung sind bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel ab Eingang des Antrags bei Gericht zuzusprechen (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 11. Aufl., 2014, § 86b Rn. 35a), hier also frühestens ab 5. November 2015.

Der Antrag war auch für die Zeit vom 5. November 2015 bis 31. Januar 2016 zurückzuweisen.

Zunächst einmal hatten die Antragsteller keinen Leistungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner.

Der Antragsgegner zu 1) war zu Überzeugung des Gerichts im streitigen Zeitraum weder abhängig beschäftigt, noch selbständig tätig.

Nur in diesem Falle würde der Leistungsausschluss von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht greifen, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgeschlossen sind. Dieser pauschale Leistungsausschluss ist europarechtskonform (Urteil des EuGH v. 15.09.2015 in der Rechtssache Alimanovic – C-67/14).

Allerdings konnte sich die Kammer keine Überzeugung dergestalt bilden, dass der Antragsteller zu 1) einer abhängigen Beschäftigung oder aber selbständigen Tätigkeit nachgeht.

Die Antragsteller selbst behaupten zunächst einmal, nicht abhängig beschäftigt zu sein. Der Zeuge P. gab im Termin zur Beweisaufnahme zwar an, die Antragsteller hätten in den Monaten November und Dezember 2015 geringfügig für Frau V. gearbeitet und hierfür Entgelt erhalten zu haben. Weitergehende Erkenntnisse hat das Gericht hierzu indessen nicht. Die Antragsteller haben selbst in der informatorischen Befragung angegeben, über die sich aus den vorgelegten Rechnungen ergebenden Arbeiten keinen Tätigkeiten nachgegangen zu sein. Dies wird gegebenenfalls Gegenstand weiterer Ermittlungen sein, die indessen nicht in einem einstweiligen Anordnungsverfahren anzustellen sind.

Die Kammer ist auch nicht davon überzeugt, dass der Antragsteller zu 1) einer selbständigen Tätigkeit in dem sich aus den ihm vorgelegten Rechnungen 1-4 genannten Umfang nachgegangen ist. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit setzt eine ernstzunehmende Gewinnerzielungsabsicht voraus, die sich nicht allein in verbalen Äußerungen erschöpfen darf, sondern auch in der tatsächlichen Umsetzung des verfolgten Ziels manifestierbar ist (LSG Berlin-Brandenburg v. 12.08.2013, L 29 AS 1552/13 B, Rn. 52). Hierzu wäre es erforderlich, dass Nachweise vorgelegt würden, aus denen sich ergibt, dass die Antragsteller sich als Selbstständige um Aufträge bemühen und diese Bemühungen durch Vorlage entsprechender Unterlagen, aus denen sich eine Auftragsakquise ergibt, nachweisen. Die Antragsteller, also im Wesentlichen der Antragsteller zu 1), haben sich aber in keiner Weise um Aufträge bemüht, aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten dürfte dies auch nicht ohne weiteres möglich sein, sondern im wesentlichen ungeplant Gelegenheiten einer Mithilfe gelegentlich genutzt. Eine ernstzunehmende Gewinnerzielungsabsicht lässt sich zur Überzeugung des Gerichts hieraus nicht ableiten. Die Kammer hat auch Zweifel daran, dass der Antragsteller zu 1) tatsächlich Arbeiten in dem sich aus den "Rechnungen" 1-4 ergebenden Umfang geleistet hat. Zwar haben die Zeugen den Umfang der Arbeiten "irgendwie" bestätigt, ohne jedoch ins Einzelne gehend darlegen zu können, was der Antragsteller zu 1) und wo gearbeitet hat. Der Zeuge P. gab sogar an, im Rahmen seiner Buchhaltung für den Zeugen R. Aufzeichnungen von diesem, nach Fertigung der Rechnung, vernichtet zu haben. Die Kammer ist nach der Beweisaufnahme nicht überzeugt davon, dass der Antragsteller zu 1) in dem in den Rechnungen bescheinigten Umfang gearbeitet hat. Die Zeugen P. und R. gaben an, dass dem Antragsteller zu 1) immer mal wieder Geldbeträge überreicht worden seien. Die Rechnungsbeträge entsprächen irgendwie den Einzelzahlungen. Eine detaillierte Aufschlüsselung gibt es indessen nicht, so das überhaupt nicht nachvollzogen werden kann, wann welche Einzelbeträge an den Antragsteller zu 1) geflossen sind. Ob diese bescheinigten Zahlbeträge überhaupt geflossen sind, lässt sich aus den "Rechnungen" auch nicht ableiten. Bei den "Rechnungen" handelt es sich ersichtlich um nicht unterschriebene Computerausdrucke, aus denen der Erhalt des Rechnungsbetrages durch einen Originalbeleg nicht dokumentiert wird und die im Übrigen alle vom Zeugen P. gefertigt wurden.

Somit geht das Gericht davon aus, dass die Antragsteller nicht abhängig beschäftigt oder Selbständig tätig gewesen, damit vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II umfasst sind und keinen Leistungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner haben.

Auch gegenüber dem Beigeladenen bestand im Zeitraum vom 5. November 2015 bis 31. Januar 2016 kein Leistungsanspruch.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG a.a.O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für die ersten sechs Monate, dass dem Sozialhilfeträger dem Grunde und der Höhe nach auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen eingeräumt ist. Ob und wie der Sozialhilfeträger dieses Ermessen innerhalb der ersten sechs Monate auszuüben hat, konnte indessen unentschieden bleiben. Es konnte auch unentschieden bleiben, ob in einem einstweiligen Anordnungsverfahren Leistungsträger verpflichtet werden können, Ansprüche an Antragsteller auszuzahlen, die nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen sind (vgl. hierzu im allgemeinen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rn. 30a).

Vorliegend geht das Gericht schon davon aus, dass ein Anordnungsgrund für diesen Zeitraum nicht gegeben ist. Die Antragsteller selbst gaben an, dass ihnen von dritter Seite immer wieder in erforderlichem Umfang Geldbeträge zugekommen sind, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Somit vermag die Kammer bezüglich der Regelleistung einen Anordnungsgrund nicht zu erkennen. Dies gilt ebenso für einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung. Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben seit August 2015 mit den Mietzahlungen im Rückstand. Mit anderen Worten haben sie bisher an den Vermieter keine Miete gezahlt. Sie wurden auch bislang vom Vermieter nicht aufgefordert, die Mietschulden zu begleichen. Ebenfalls hat der Vermieter ihnen gegenüber keine Räumungsklage angedroht. Aus diesem Grunde geht die Kammer davon aus, dass die Antragsteller aktuell nicht von Wohnungslosigkeit bedroht sind, sodass für die Zeit von 5. November 2015 bis 31 Januar 2016 ein Anordnungsgrund auch für die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht angenommen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Zulässigkeit der Beschwerde folgt aus § 172 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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