S 5 AL 2222/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 2222/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Liegt ein sog. Nahtlosigkeitsfall nach § 145 SGB III vor, ist bei der Festsetzung eines fiktiven Arbeitsentgelts nach § 152 Abs. 2 SGB III auch dann auf die bisherige qualifizierte Beschäftigung des Versicherten abzustellen, wenn er sie wegen seiner Erkrankung nicht mehr ausüben kann.

Eine Beschäftigung als Industriefachwirt gehört zur Qualifikationsgruppe 2 im Sinne des § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III.
1. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheids vom 8.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.3.2015 verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Arbeitsentgelts in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße zu bewilligen. 2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, in welcher Höhe dem Kläger Arbeitslosengeld zusteht.

Der Kläger hat von August 1974 bis Juni 1976 eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert. Im Anschluss daran war er durchgehend beim selben Arbeitgeber beschäftigt, nämlich der Fa. S. (bzw. deren Vorgängerunternehmen); das Arbeitsverhältnis besteht weiterhin. Der Kläger arbeitete zunächst als Stromabrechner für allgemeine Tarifkunden. Berufsbegleitend absolvierte er in Abendkursen eine Weiterbildung zum Industriefachwirt; die Prüfung bestand er im November 1980. Auch danach betreute er als Stromabrechner allgemeine Tarifkunden, ab 1984 zusätzlich Sondertarifkunden. Von 1992 bis 1997 war der Kläger als Gruppenführer in der Personalverwaltung tätig, von 1998 bis 2005 als Gruppenführer in der Buchhaltung. Ab 2006 tätigte er als Sachbearbeiter Abrechnungen nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz.

Seit dem 24.10.2012 ist der Kläger arbeitsunfähig. Im Anschluss an die Entgeltfortzahlung der Arbeitgeberin bewilligte ihm die Krankenkasse ab dem 5.12.2012 Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 22.9.2014. Vom 23.9. – 22.10.2014 hatte der Kläger nach Angaben der Fa. S. "bezahlten Urlaub"; in dieser Zeit befand er sich zur stationären psychiatrischen Behandlung im Klinikum B.

Am 23.10.2014 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos.

Die Beklagte veranlasste daraufhin ein Gutachten ihres ärztlichen Dienstes. Am 12.11.2014 gelangte dieser zu dem Ergebnis, die Belastbarkeit des Klägers sei aus gesundheitlichen Gründen vermindert: Er könne voraussichtlich länger als sechs Monate – aber nicht auf Dauer – nur noch weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten.

In der Annahme eines sog. Nahtlosigkeitsfalls nach § 145 SGB III bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 8.12.2014 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23.10.2014 – 21.10.2016 in Höhe von täglich 29,48 EUR. Bei der Festsetzung des Arbeitslosengeldes legte die Beklagte u.a. ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 73,73 EUR zugrunde. Hierzu führte die Beklagte in einem ergänzenden Schreiben vom gleichen Tag aus, der Kläger habe in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Angesichts dessen sei gemäß § 152 Abs. 1 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Das fiktive Arbeitsentgelt richte sich nach der Beschäftigung, für die der Kläger in erster Linie geeignet ist. Dies sei eine Tätigkeit als Industriekaufmann. Hierbei handele es sich um einen Ausbildungsberuf. Gemäß § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III erfolge daher eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 3.

Hiergegen legte der Kläger – vertreten durch seine Rechtsanwältin – am 5.1.2015 Widerspruch ein. Sie machte geltend, der Kläger sei seit vielen Jahren bei derselben Arbeitgeberin beschäftigt. Angesichts dessen dürfe die Beklagte das Arbeitslosengeld nicht nach einem fiktiven Arbeitsentgelt bemessen. Zugrunde zu legen sei vielmehr sein tatsächliches Arbeitsentgelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 152 Abs. 1 S. 1 SGB III sei als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, wenn innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden kann. Der Bemessungsrahmen ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Im vorliegenden Fall erstrecke sich der erweiterte Bemessungsrahmen daher vom 23.9.2012 – 22.9.2014. Innerhalb dieses Rahmens lägen keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vor. Geboten sei daher eine fiktive Bemessung. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts sei gemäß § 152 Abs. 2 S. 1 SGB III der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dies sei hier eine Beschäftigung als Industriekaufmann. Denn der Kläger habe diesen Beruf erlernt und habe bis zu seiner Erkrankung als Industriekaufmann gearbeitet. Die Beschäftigung erfordere eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf, gehöre also zur Qualifikationsgruppe 3. Für Arbeitslose der Qualifikationsgruppe 3 sei gemäß § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III ein tägliches Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße zugrunde zu legen, mithin in Höhe von 73,73 EUR.

Seit dem 13.3.2015 ist für den Kläger eine Betreuerin bestellt. Ihr Aufgabenkreis umfasst die Gesundheitsfürsorge, die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten.

Am 15.7.2015 hat die Rechtsanwältin des Klägers gegen den Widerspruchsbescheid vom 4.3.2015 Klage erhoben. Der Widerspruchsbescheid sei ihr erst am 14.7.2015 zugegangen, so die Rechtsanwältin. In der Sache trägt sie nun vor, es sei im Ansatz nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine fiktive Bemessung gemäß § 152 SGB III vorgenommen hat. Allerdings sei nicht das Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 3 maßgebend, sondern nach der Qualifikationsgruppe 2: Der Kläger habe "in der Zeit ab 20.11.1980 bis 1982" eine Fachwirtausbildung absolviert. Diese Weiterbildung entspreche "mindestens der Meisterausbildung in den handwerklichen Berufen". Der Kläger wolle grundsätzlich weiter in seinem bisherigen Tätigkeitsfeld arbeiten. Allerdings sei er dazu zur Zeit wegen seiner Arbeitsunfähigkeit möglicherweise nicht in der Lage.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 8.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.3.2015 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 2 zu bewilligen.

Die Beklagte hat weder einen Antrag gestellt noch ergänzend zur Sache vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld. Bei dessen Berechnung ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (dazu a), und zwar in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße (dazu b).

a) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs. 1 S. 1 SGB III). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungs-pflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III). Kann auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 152 Abs. 1 S. 1 SGB III).

Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu berücksichtigen:

Bis zum 22.10.2014 war der Kläger bei der Fa. S. gegen Arbeitsentgelt beschäftigt; bis zu diesem Zeitpunkt bestand somit Versicherungspflicht nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III. Angesichts dessen erstreckt sich der einjährige Bemessungsrahmen vom 23.10.2013 – 22.10.2014, der zweijährige Rahmen vom 23.10.2012 – 22.10.2014.

Selbst im erweiterten Bemessungsrahmen liegt kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vor: Im zweijährigen Rahmen hat der Kläger Arbeitsentgelt für die Zeit vom 23.10. – 4.12.2012 und vom 23.9. – 22.10.2014 erhalten; dazwischen bezog er Krankengeld. Von den Zeiten mit Arbeitsentgelt bleiben indes die neun Tage vom 23. – 31.10.2012 außer Betracht; denn Entgeltabrechnungszeiträume, die in den Bemessungsrahmen nur hineinragen und von ihm nicht voll umfasst sind (hier: Oktober 2012), finden keine Berücksichtigung als Bemessungszeitraum (BSG, Urteil vom 1.6.2006, B 7a AL 86/05 R, Rdnr. 21 – nach Juris). Selbst wenn man unterstellt, die Zeit vom 23.9. – 22.10.2014 sei beim Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis bereits abgerechnet gewesen, enthält der Bemessungszeitraum maximal 64 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt (1.11. – 4.12.2012 = 34 Tage; 23.9. – 22.10.2014 = 30 Tage). Die erforderliche Zahl von 150 Tagen wird keinesfalls erreicht. Vor diesem Hintergrund ist ein fiktives Arbeitsentgelt zu bestimmen.

b) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die (1.) eine Hochschul- oder Fachschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/300 der Bezugsgröße, (2.) einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/360 der Bezugsgröße, (3.) eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße, (4.) keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/600 der Bezugsgröße (§ 152 Abs. 2 SGB III).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung als Industriefachwirt zu erstrecken (dazu aa); diese Beschäftigung ist der Qualifikationsgruppe 2 zuzuordnen (dazu bb). Ausgehend hiervon ist bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von 1/360 der Bezugsgröße zugrunde zu legen.

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht auf eine Tätigkeit als Industriekaufmann abzustellen, sondern auf eine Tätigkeit als Industriefachwirt.

In welche Beschäftigung ein Arbeitsloser in erster Linie zu vermitteln ist, hängt von seiner beruflichen Qualifikation ab. Maßgeblich hierfür sind die Berufsausbildung (einschließlich erfolgreich absolvierter Weiterbildungsmaßnahmen) sowie die bisher ausgeübten Tätigkeiten. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Kriterien des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB III, also Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen. Die Agentur für Arbeit muss sich um eine bestmögliche berufliche Eingliederung bemühen (Coseriu/Jakob in: NK-SGB III, 5. Aufl., § 152 Rdnr. 18 f.; Lüdtke in: LPK-SGB III, 2. Aufl., § 152 Rdnr. 6).

(1) Der Kläger hat nicht nur eine berufliche Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, sondern darüber hinaus berufsbegleitend auch eine Weiterbildung zum Industriefachwirt. In der Folgezeit verrichtete er durchgehend berufliche Tätigkeiten, die seiner Aus- und Weiterbildung entsprachen. Angesichts dessen ergibt sich die berufliche Qualifikation des Klägers aus dem höchsten formal erreichten Ausbildungsstand, also der Weiterbildung zum Industriefachwirt.

(2) Auf eine Beschäftigung als Industriefachwirt ist abzustellen, obwohl der Kläger die Tätigkeit zur Zeit der Arbeitslosmeldung aus gesundheitlichen Gründen wohl nicht mehr ausüben konnte.

Zwar hat die Agentur für Arbeit gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 SGB III bei der Arbeitsvermittlung u.a. die Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen zu berücksichtigen, also auch etwaige gesundheitliche Einschränkungen (Lüdtke, a.a.O.). Es wäre sinnlos, erstreckte sie ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung, die den Arbeitslosen mittlerweile gesundheitlich überfordert. Angesichts dessen können gesundheitliche Einschränkungen grundsätzlich auch für die Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe nach § 152 Abs. 2 SGB III von Bedeutung sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.2014, L 3 AL 705/13, Rdnr. 26 – nach Juris).

Anders verhält es sich indes, wenn – wie hier – Arbeitslosengeld auf der Grundlage des § 145 SGB III geleistet wird. Die Agentur für Arbeit geht dann davon aus, dass der Arbeitslose wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit außerstande ist, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Dennoch erhält der Arbeitslose gemäß § 145 SGB III Arbeitslosengeld (solange der zuständige Rentenversicherungsträger noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt hat). Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes wird fingiert, das Leistungsvermögen des Arbeitslosen sei zeitlich nicht vermindert; seine tatsächlichen gesundheitlichen Einschränkungen bleiben insoweit unberücksichtigt (vgl. § 151 Abs. 5 S. 2 und 3 SGB III). Gleiches muss für die hier streitige Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe gelten. Denn der von § 151 Abs. 5 S. 2 und 3 SGB III bezweckte Schutz des gesundheitlich eingeschränkten Arbeitslosen bliebe lückenhaft, richtete sich die Einstufung nicht nach der bisherigen (hohen) beruflichen Qualifikation, sondern nach einer (anspruchsloseren) Beschäftigung, die ihm bei seiner Erkrankungen noch möglich ist.

bb) Für eine Beschäftigung als Industriefachwirt ist eine berufliche Qualifikation erforderlich, die sich mit einem Fachschulabschluss vergleichen lässt.

Kennzeichnend für eine berufliche Qualifikation nach der Qualifikationsgruppe 2 ist eine abgeschlossene Berufsausbildung, auf die eine zusätzliche Aus- oder Weiterbildung aufbaut (Coseriu/Jakob, a.a.O., Rdnr. 24). Ob eine berufliche Weiterbildung einem Fachschulabschluss vergleichbar ist, richtet sich insbesondere nach ihrem zeitlichen Umfang. Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung wird der Besuch einer Fachschule als Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI anerkannt, wenn er mindestens 600 Unterrichtsstunden umfasst (Gürtner in: KassKomm, SGB VI, § 58 Rdnr. 42; Fichte in: Hauck/Noftz, SGB VI, § 58 Rdnr. 104 und 106). Auf diesen Maßstab lässt sich zurückgreifen, wenn zu entscheiden ist, ob die berufliche Qualifikation, die durch eine Weiterbildung vermittelt wird, für eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 ausreicht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2011, L 13 AL 661/10, Rdnr. 21 – nach Juris).

Um als Industriefachwirt arbeiten zu können, benötigt man in der Regel eine abgeschlossene berufliche Weiterbildung zum Industriefachwirt. Die Zulassung zur Weiterbildungsprüfung wiederum setzt einen Abschluss in einem anerkannten dreijährigen kaufmännischen oder verwaltenden Ausbildungsberuf sowie mindestens ein Jahr Berufspraxis voraus. Je nach Anbieter unterscheidet sich die Länge der Weiterbildung: In Vollzeit dauert sie 3 – 6 Monate, in Teilzeit 1 – 2 Jahre und im Fernunterricht 1,5 – 2,5 Jahre. Insgesamt umfasst sie 650 Stunden (vgl. zu all dem: BerufeNet der Agentur für Arbeit, Stichwort: "Fachwirt/-in Industrie"). Vor diesem Hintergrund ist eine berufliche Weiterbildung zum Industriefachwirt einem Fachschulabschluss nach der Qualifikationsgruppe 2 vergleichbar.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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