S 11 AS 58/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 58/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 15/09 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 48/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob eine Einkommenssteuererstattung für das Jahr 2004 als Einkommen oder als Vermögen zu berücksichtigen ist.

Der am 00.00.1967 geborene Kläger steht im laufenden Leistungsbezug. Mit Bescheid vom 03.02.2006 (i.F.: Ausgangsbescheid) bewilligte die Beklagte ihm Arbeitslosengeld II (Alg II) i.H.v. monatlich 532,37 Euro. Mit Bescheid vom 01.02.2006 erkannte das Finanzamt B-J dem Kläger für das Jahr 2004 eine Einkommenssteuererstattung i.H.v. 2.158.- Euro zu, woraufhin die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 14.02.2006 den Ausgangsbescheid für die Zeit ab dem 01.03.2006 wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit aufhob. Seinen am 09.03.2006 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter Verweis auf die Rechtsauffassung des SG Leipzig (Beschluss vom 16.08.2005, S 9 405/05 ER) damit, bei der Steuererstattung handele es sich um Vermögen, das bei ihm angesichts der Freibetragsregelung nicht anzurechnen sei. Mit den Abhilfebescheiden vom 16.03.2006 und 10.05.2006 bewilligte die Beklagte sodann für Februar 2006 erneut 532,37 Euro und setzte zugleich die monatliche Leistung für die Monate März bis einschließlich Juli 2006 auf jeweils 160,17 Euro herab. Sie führte aus, die Nachzahlung sei auf fünf Monate zu verteilen, was zu einer Anrechnung von monatlich 372,20 Euro (431,60 Euro minus 30.- Euro Pauschale minus 29,40 Euro KfZ-Haftpflichtversicherung) führe. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Bescheid vom 11.05.2006 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 31.05.2006 erhobene Klage.

Der Kläger führt aus, die Einkommenssteuererstattung sei deswegen als Vermögen anzusehen, weil er den entsprechenden Anspruch gegenüber dem Fiskus bereits vor Beginn des Leistungsbezuges innegehabt habe. Im konkreten Zufluss des Erstattungsbetrages habe sich lediglich eine bereits vorhandene Rechtsposition realisiert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 14.02.2006 in der Fassung der Bescheide vom 16.03.2006 und 10.05.2006 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur parallelen Problematik in dem bis zum 31.12.2004 geltenden Sozialhilferecht (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35.97) und sieht sich auch im Schrifttum zur neuen Rechtslage bestätigt: Einkommen sei alles, was der Hilfebedürftige in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhalte. Die gleichmäßige Anrechnung der Nachzahlung in mehreren Monaten beruhe auf der ab dem 01.10.2005 geltenden Rechtslage.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Ausgangsbescheid teilweise aufheben, da der Kläger über anrechenbares Einkommen verfügt hat.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eintritt, die bei seinem Erlass vorgelegen haben. Eine wesentliche Änderung ist im vorliegenden Fall dadurch eingetreten, dass dem Kläger die Einkommenssteuererstattung i.H.v. 2.158.- Euro zugeflossen ist. Hierbei handelte es sich um teilweise bedürftigkeitsausschließendes Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Eine Einkommenssteuererstattung ist kein Vermögen (§ 12 SGB II), sondern Einkommen i.S.d. § 11 SGB II (SG Detmold, Beschluss vom 10.05.2006, S 10 AS 79/06 ER; Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11, Rn. 26). Wie das BVerwG (Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35.97) dargelegt hat, steht nicht entgegen, dass sich in der konkret bezifferten und zur Auszahlung gebrachten Steuererstattung eine bereits vorher bestehende Rechtsposition (hier: der gesetzliche Steuererstattungsanspruch) realisiert. Aus § 76 des aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) als der Vorgängerregelung zu § 11 SGB II ergibt sich, dass das "Schicksal der Forderung" nur im Falle bewußter Ansparungen von Bedeutung ist (BVerwG, a.a.O.). Diese Grundsätze gelten nach neuer Rechtslage fort (vgl. insbes. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.04.2006, L 20 B 35/06 AS), denn insbesondere § 11 SGB II hat ersichtlich keine Abkehr vom Regelungsinhalt des § 76 BSHG vollzogen. Nicht zu folgen vermag die Kammer dem Einwand des SG Leipzig (Beschluss vom 16.08.2005, S 9 405/05 ER), wonach es für diese Unterscheidung keinen sachlichen Grund gebe und auch eine Steuererstattung auf einer bewußten Ansparung beruhen könne. Die vom BVerwG aufgezeigten Unterscheidungskriterien stellen sicher, dass der Rückgriff auf Erspartes (gleichsam seine "Zahlbarmachung") nicht als Einkommenserzielung gewertet wird. Erst hiermit ist der gesetzlich vorgesehene Schutz bestimmten Vermögens (§ 12 Abs. 2 und 3 SGB II) überhaupt erst sicher gestellt.

Das Gericht verkennt nicht, dass eine Steuererstattung das Ergebnis von Überlegungen des Steuerpflichtigen sein, steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu unterlassen, wenn der voraussichtliche wirtschaftliche Vorteil zu einem späteren Zeitpunkt auch im Wege der Steuererstattung realisiert werden kann. In diesem Fall erscheint es möglich, eine bewusste Ansparung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung dann anzuerkennen, wenn sich diese Motivation in objektiven Umständen (etwa einem Hinweis des Steuerberaters) manifestiert. Anhaltspunkte hierfür liefert der vorliegende Fall indes nicht.

Nicht zu beanstanden ist auch die von der Beklagten vorgenommene Aufteilung auf die restlichen fünf Monate des aktuellen Bewilligungszeitraums nach § 2 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (AlgII-VO) in der seit dem 01.10.2005 geltenden Fassung. Die Nichtberücksichtigung im Februar 2006 beruht auf § 2 Abs. 3 Satz 2 AlgII-VO.

Die weiteren Aufhebungsvoraussetzungen sind (insbesondere § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - SGB III) erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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