Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AS 60/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab dem 01.02.2007 Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) in Höhe von jeweils 417,75 Euro monatlich vorläufig bis zum bestandskräftigen Abschluss des gegen den Bescheid vom 29.01.2007 gerichteten Widerspruchsverfahrens zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt 9/10 der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Fortzahlung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ab dem 01.02.2007. Die minderjährigen Antragsteller (beide geboren am 09.03.1990) leben mit ihrer Mutter Frau A. N., die in zweiter Ehe mit Herrn B. F. N. verheiratet ist zusammen in der Wohnung F.-F.-Straße 69 in 45xxx M ... Der leibliche Vater der Antragsteller hält sich in der Türkei auf und leistet keine Unterhaltszahlungen an die Antragsteller. Die Antragsteller bezogen bis zum 31.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von jeweils 467,69 Euro monatlich. Die Mutter der Antragsteller beantragte am 24.01.2007 die Fortzahlung der Leistungen ab dem 01.02.2007.
Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29.01.2007 ab, da unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehemanns der Mutter der Antragsteller (Stiefvater) ein Leistungsanspruch nicht gegeben sei.
Der Stiefvater der Antragsteller ist als Lehrer an einem Gymnasium beschäftigt und erzielt ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von 2.927,43 Euro. Über das Vermögen des Stiefvaters der Antragsteller wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Duisburg - 62 IK 70/05 - vom 21.04.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Aufgrund dessen ist der pfändbare Betrag des Einkommens des Stiefvaters in Höhe von 629,00 Euro an die Gläubiger abgeführt. Bereits mit Schreiben vom 31.01.2006 wies die Antragsgegnerin die Mutter der Antragsteller darauf hin, dass die tatsächliche Miete unangemessen sei und das nach dem 31.07.2006 bei der Berechnung des Anspruchs nach dem SGB II lediglich noch der angemessene Anteil der Miete in Höhe von 567,00 Euro berücksichtigt würde.
Gegen den Bescheid vom 29.01.2007 legten die Antragsteller, vertreten durch ihre Mutter, fristgerecht Widerspruch ein.
Am 07.02.2007 hat die Mutter der Antragsteller für diese bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Die Antragsteller haben vorgetragen, dass ihr Stiefvater an seine beiden leiblichen Kinder jeweils 250,00 Euro monatlich Unterhaltzahlungen leistet. Desweiteren habe er Aufwendungen für eine private Krankenversicherung in Höhe von 282,00 Euro monatlich.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an die Antragsteller ab dem 01.02.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von jeweils 467,69 Euro monatlich zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass gem. § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung das Einkommen und Vermögen des Stiefvaters im Rahmen der Leistungsansprüche der Antragsteller bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei.
II.
Das Gericht hat von Amts wegen unter verständiger Würdigung des Antragsbegehrens das Rubrum dahingehend geändert, dass Antragsteller des vorliegenden Anordnungsverfahrens die beiden minderjährigen Kinder B. und M. S., gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, sind. Die zunächst vorgenommene Rubrizierung entspricht nicht dem tatsächlichen Willen der Antragsteller sondern beruht alleine darauf, dass im Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Vertetungsregelung des § 38 SGB II die Bescheiderteilung an die Mutter der Antragsteller erfolgte. Da im sozialgerichtlichen Verfahren § 38 SGB II keine Anwendung findet und eine gewillkürte Prozessstandsschaft der Mutter der Antragsteller für die allein aktivlegitimierten Antragsteller nicht zulässig ist, sich jedoch aus der Antragstellung für das Gericht eindeutig ergibt, dass die Ansprüche der alleine nach materiellem Recht Anspruchsberechtigten minderjährigen Kinder durch die Mutter lediglich als gesetzliche Vertreterin geltend gemacht sollten, konnte das Rubrum entsprechend berichtigt werden.
Materiell rechtliche Grundlage für die Auslegung des Prozessrechtes ist, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarsgemeinschaft als solcher, die keine juristische Person darstellt, kennt, sondern dass - außer bei ausdrücklichem gesetzlichen Auschluss - Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind, selbst wenn dies in den Bescheiden der Antragsgegnerin nicht zum Ausdruck kommt (ganz herrschende Meinung: Hauck/Noftz SGB II § 9 Rdnr. 99; Eicher/Spellbrink SGB II § 7 Rdnr. 21; Gagel § 7 SGB II Rdnr. 9; Löns/Herold-Tews SGB II § 7 Rdnr. 5 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Der zulässige Antrag ist teilweise in dem erkannten Umfange begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86 b II 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden. Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird- in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller weiterhin glaubhaft macht, dass ihm andernfalls schwerwiegende Nachteile im Sinne einer existentiellen Notlage drohen und zudem bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er in der Hauptsache obsiegt. Die Antragsteller haben gemäß §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1, 19 SGB II Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.
Hiernach ergibt sich ein Bedarf gemäß § 20 in Form der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 276,00 Euro sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 141,75 Euro also insgesamt 417,75 Euro.
Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung ist der Antragsgegnerin darin zu folgen, dass ab dem 01.02.2007 lediglich ein Anspruch in Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft, die die Antragsgegnerin zutreffend mit 567,00 Euro, also einem Mietanteil von 141,75 Euro für jeden der Antragsteller berechnet hat, besteht.
Da vorliegend weder die Antragsteller noch ihre Mutter über eigenes anrechenbares Einkommen verfügen, stellt sich vorliegend die entscheidungserhebliche Frage, ob das Einkommen des Stiefvaters gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Gesetz vom 20.07.2006, Bundesgesetzblatt I S. 1706) zu berücksichtigen ist. Hiernach sind bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Ausgehend von dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 hat die Antragsgegnerin das Einkommen des Stiefvaters der Antragsteller auf den Bedarf der beiden Antragsteller angerechnet. Das Gericht hat an dieser Verfahrenspraxis trotz des Wortlauts des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II verfassungsrechtliche Bedenken. Nach der bis zum 31.07.2006 geltenden Rechtslage war das Einkommen eines Stiefvaters oder eines in eheähnlicher Lebensgemeinschaft mit der Mutter lebenden Partners nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht auf den Bedarf der Kinder anzurechnen. Lediglich bei (verheirateten) Stiefeltern wurde nach § 9 Abs. 5 SGB II widerleglich vermutet, dass sofern die Kinder mit dem Partner in Haushaltsgemeinschaft leben, tatsächlich Unterhalt geleistet wird.
Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen. Denn ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den neuen Partner seines Elternteils steht dem Kind nicht zu. Anders als die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II, der den Willen der in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebenden Partner voraussetzt, füreinander einzustehen und dessen Regelung aus dem Verbot der Schlechterstellung von Ehen gerechtfertigt ist, beinhaltet § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II kein derartiges tatsächliches Korrektiv. Während die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft letztlich nur dann in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II gleichgestellt sind, wenn sich nach den tatsächlichen Lebensumständen eine Sicherstellung des gemeinsamen Lebensunterhalts erwarten lässt, erfolgt bei den Stiefkindern eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Hierdurch ist die verfassungsrechtlich gebotene Sicherstellung des Existenzminimums nicht mehr gewährleistet (im Ergebnis ebenso Sozialgericht Berlin Beschluss vom 08.01.2007 S 103 AS 10869/06 ER). In dieser Konstellation bliebe zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der eigenen Kinder der Mutter nur der Weg sich von dem Ehepartner wieder zu trennen. Dass dies der Wertentscheidung des Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz widerspricht, liegt auf der Hand. Die Möglichkeit der - oft - minderjährigen Kinder sich aus der Bedarfsgemeinschaft zu lösen ist sowohl praktisch als auch gemäß § 22 Abs. 2 a in der durch Gesetz vom 20.07.2006 geltenden Fassung des SGB II rechtlich kaum möglich. Schließlich ist auch unter diesem Gesichtspunkt Artikel 6 Grundgesetz verletzt, weil nach den einschlägigen Vorschriften des SGB II zur Einkommensanrechnung tatsächlich vom Stiefelternteil erbrachten Unterhaltsleistungen an eigene leibliche Kinder , die jedoch nicht aufgrund eines titulierten Unterhaltsanspruchs erfolgen, ohne Berücksichtigung bleiben. Hierdurch wäre dem Stiefelternteil faktisch unter Umständen die Möglichkeit genommen, seinen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den eigenen leiblichen Kindern nachzukommen. Schließlich besteht auch eine gegen Artikel 3 Grundgesetz verstoßende Ungleichbehandlung der SGB II - Leistungsberechtigten gegenüber den Leistungsberechtigten nach dem SGB XII. Denn nach §§ 20, 36 SGB XII gilt hier eine - widerlegbare - Unterstützungsvermutung bei Überschreitung eines Selbstbehalts von mindestens dem doppelten Regelsatz (ebenso SG Berlin Beschluss vom 20.12.2006 - S 37 AS 11401/06 ER -).
Im Hinblick auf die als verfassungswidrig erachtete Bestimmung des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II hat im vorliegenden einstweiligen Rechtsschtutzverfahren - anders als im Hauptsacheverfahren - eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht zu erfolgen. Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist allein die Prognose ausreichend, dass nach Auffassung des Gerichts die Antragsteller nach einer Vorlage im Hauptsacheverfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen werden. Darüber hinaus wird die Hauptsache durch die Verpflichtung zur nur vorläufigen und zeitlich begrenzten Gewährung von Leistungen nicht vorweg genommen. Eine Folgenabwägung muss vorliegend ebenfalls zu Gunsten der Antragsteller aufgrund des das Existenzminimum sichernden Charakters der Leistungen des SGB II zu Gunsten der Antragsteller ausgehen. Es steht somit fest, dass § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht dazu führen kann, dass das Einkommen des Stiefvaters der Antragsteller im Rahmen der Leistungsansprüche bedarfsmindernd berücksichtigt werden kann. Es könnte sich aber eine Berücksichtigung des Einkommens des Stiefvaters aufgrund von § 9 Abs. 5 SGB II ergeben. Hiernach wird beim Zusammenleben von Hilfebedürftigen in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten vermutetet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Die Antragsteller sind mit dem Stiefvater verschwägert. Eine Unterstützung der Antragsteller durch den Stiefvater kann jedoch nach dessen Einkommen und Vermögen nicht erwartet werden. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung. Ausgehend von einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 2.927,43 Euro abzüglich des Freibetrags nach § 30 SGB II in Höhe von 310,00 Euro, dem glaubhaft gemachten Unterhaltsleistungen an die leiblichen Kinder in Höhe von 500,00 Euro, den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 282,00 Euro, des Freibetrags nach § 1 Abs. 2 der Arbeitslosengeld II - Verordnung in Höhe von 690,00 Euro sowie den nicht gedeckten Kosten der Unterkunft in Höhe von 1.642,00 Euro - 425,25 Euro = 1.216,25 Euro ergibt sich eine Unterdeckung von - 70,82 Euro, so dass eine Unterstützungsleistung des Stiefvaters nach § 9 Abs. 5 SGB II nicht erwartet werden kann.
Ebenso wenig kann das an die Mutter der Antragsteller gezahlte Kindergeld bedarfsmindernd berücksichtigt werden, da dieses der Mutter der Antragsteller zusteht und von dieser zur Deckung ihres eigenen Regelbedarfs sowie ihres Anteils an den angemessenen Unterkunftskosten benötigt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller ganz überwiegend mit ihrem Antragsbegehren obsiegt haben.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt 9/10 der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Fortzahlung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ab dem 01.02.2007. Die minderjährigen Antragsteller (beide geboren am 09.03.1990) leben mit ihrer Mutter Frau A. N., die in zweiter Ehe mit Herrn B. F. N. verheiratet ist zusammen in der Wohnung F.-F.-Straße 69 in 45xxx M ... Der leibliche Vater der Antragsteller hält sich in der Türkei auf und leistet keine Unterhaltszahlungen an die Antragsteller. Die Antragsteller bezogen bis zum 31.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von jeweils 467,69 Euro monatlich. Die Mutter der Antragsteller beantragte am 24.01.2007 die Fortzahlung der Leistungen ab dem 01.02.2007.
Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29.01.2007 ab, da unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehemanns der Mutter der Antragsteller (Stiefvater) ein Leistungsanspruch nicht gegeben sei.
Der Stiefvater der Antragsteller ist als Lehrer an einem Gymnasium beschäftigt und erzielt ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von 2.927,43 Euro. Über das Vermögen des Stiefvaters der Antragsteller wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Duisburg - 62 IK 70/05 - vom 21.04.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Aufgrund dessen ist der pfändbare Betrag des Einkommens des Stiefvaters in Höhe von 629,00 Euro an die Gläubiger abgeführt. Bereits mit Schreiben vom 31.01.2006 wies die Antragsgegnerin die Mutter der Antragsteller darauf hin, dass die tatsächliche Miete unangemessen sei und das nach dem 31.07.2006 bei der Berechnung des Anspruchs nach dem SGB II lediglich noch der angemessene Anteil der Miete in Höhe von 567,00 Euro berücksichtigt würde.
Gegen den Bescheid vom 29.01.2007 legten die Antragsteller, vertreten durch ihre Mutter, fristgerecht Widerspruch ein.
Am 07.02.2007 hat die Mutter der Antragsteller für diese bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Die Antragsteller haben vorgetragen, dass ihr Stiefvater an seine beiden leiblichen Kinder jeweils 250,00 Euro monatlich Unterhaltzahlungen leistet. Desweiteren habe er Aufwendungen für eine private Krankenversicherung in Höhe von 282,00 Euro monatlich.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an die Antragsteller ab dem 01.02.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von jeweils 467,69 Euro monatlich zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass gem. § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung das Einkommen und Vermögen des Stiefvaters im Rahmen der Leistungsansprüche der Antragsteller bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei.
II.
Das Gericht hat von Amts wegen unter verständiger Würdigung des Antragsbegehrens das Rubrum dahingehend geändert, dass Antragsteller des vorliegenden Anordnungsverfahrens die beiden minderjährigen Kinder B. und M. S., gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, sind. Die zunächst vorgenommene Rubrizierung entspricht nicht dem tatsächlichen Willen der Antragsteller sondern beruht alleine darauf, dass im Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Vertetungsregelung des § 38 SGB II die Bescheiderteilung an die Mutter der Antragsteller erfolgte. Da im sozialgerichtlichen Verfahren § 38 SGB II keine Anwendung findet und eine gewillkürte Prozessstandsschaft der Mutter der Antragsteller für die allein aktivlegitimierten Antragsteller nicht zulässig ist, sich jedoch aus der Antragstellung für das Gericht eindeutig ergibt, dass die Ansprüche der alleine nach materiellem Recht Anspruchsberechtigten minderjährigen Kinder durch die Mutter lediglich als gesetzliche Vertreterin geltend gemacht sollten, konnte das Rubrum entsprechend berichtigt werden.
Materiell rechtliche Grundlage für die Auslegung des Prozessrechtes ist, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarsgemeinschaft als solcher, die keine juristische Person darstellt, kennt, sondern dass - außer bei ausdrücklichem gesetzlichen Auschluss - Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind, selbst wenn dies in den Bescheiden der Antragsgegnerin nicht zum Ausdruck kommt (ganz herrschende Meinung: Hauck/Noftz SGB II § 9 Rdnr. 99; Eicher/Spellbrink SGB II § 7 Rdnr. 21; Gagel § 7 SGB II Rdnr. 9; Löns/Herold-Tews SGB II § 7 Rdnr. 5 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Der zulässige Antrag ist teilweise in dem erkannten Umfange begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86 b II 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden. Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird- in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller weiterhin glaubhaft macht, dass ihm andernfalls schwerwiegende Nachteile im Sinne einer existentiellen Notlage drohen und zudem bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er in der Hauptsache obsiegt. Die Antragsteller haben gemäß §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1, 19 SGB II Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.
Hiernach ergibt sich ein Bedarf gemäß § 20 in Form der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 276,00 Euro sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 141,75 Euro also insgesamt 417,75 Euro.
Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung ist der Antragsgegnerin darin zu folgen, dass ab dem 01.02.2007 lediglich ein Anspruch in Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft, die die Antragsgegnerin zutreffend mit 567,00 Euro, also einem Mietanteil von 141,75 Euro für jeden der Antragsteller berechnet hat, besteht.
Da vorliegend weder die Antragsteller noch ihre Mutter über eigenes anrechenbares Einkommen verfügen, stellt sich vorliegend die entscheidungserhebliche Frage, ob das Einkommen des Stiefvaters gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Gesetz vom 20.07.2006, Bundesgesetzblatt I S. 1706) zu berücksichtigen ist. Hiernach sind bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Ausgehend von dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 hat die Antragsgegnerin das Einkommen des Stiefvaters der Antragsteller auf den Bedarf der beiden Antragsteller angerechnet. Das Gericht hat an dieser Verfahrenspraxis trotz des Wortlauts des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II verfassungsrechtliche Bedenken. Nach der bis zum 31.07.2006 geltenden Rechtslage war das Einkommen eines Stiefvaters oder eines in eheähnlicher Lebensgemeinschaft mit der Mutter lebenden Partners nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht auf den Bedarf der Kinder anzurechnen. Lediglich bei (verheirateten) Stiefeltern wurde nach § 9 Abs. 5 SGB II widerleglich vermutet, dass sofern die Kinder mit dem Partner in Haushaltsgemeinschaft leben, tatsächlich Unterhalt geleistet wird.
Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen. Denn ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den neuen Partner seines Elternteils steht dem Kind nicht zu. Anders als die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II, der den Willen der in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebenden Partner voraussetzt, füreinander einzustehen und dessen Regelung aus dem Verbot der Schlechterstellung von Ehen gerechtfertigt ist, beinhaltet § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II kein derartiges tatsächliches Korrektiv. Während die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft letztlich nur dann in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II gleichgestellt sind, wenn sich nach den tatsächlichen Lebensumständen eine Sicherstellung des gemeinsamen Lebensunterhalts erwarten lässt, erfolgt bei den Stiefkindern eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Hierdurch ist die verfassungsrechtlich gebotene Sicherstellung des Existenzminimums nicht mehr gewährleistet (im Ergebnis ebenso Sozialgericht Berlin Beschluss vom 08.01.2007 S 103 AS 10869/06 ER). In dieser Konstellation bliebe zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der eigenen Kinder der Mutter nur der Weg sich von dem Ehepartner wieder zu trennen. Dass dies der Wertentscheidung des Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz widerspricht, liegt auf der Hand. Die Möglichkeit der - oft - minderjährigen Kinder sich aus der Bedarfsgemeinschaft zu lösen ist sowohl praktisch als auch gemäß § 22 Abs. 2 a in der durch Gesetz vom 20.07.2006 geltenden Fassung des SGB II rechtlich kaum möglich. Schließlich ist auch unter diesem Gesichtspunkt Artikel 6 Grundgesetz verletzt, weil nach den einschlägigen Vorschriften des SGB II zur Einkommensanrechnung tatsächlich vom Stiefelternteil erbrachten Unterhaltsleistungen an eigene leibliche Kinder , die jedoch nicht aufgrund eines titulierten Unterhaltsanspruchs erfolgen, ohne Berücksichtigung bleiben. Hierdurch wäre dem Stiefelternteil faktisch unter Umständen die Möglichkeit genommen, seinen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den eigenen leiblichen Kindern nachzukommen. Schließlich besteht auch eine gegen Artikel 3 Grundgesetz verstoßende Ungleichbehandlung der SGB II - Leistungsberechtigten gegenüber den Leistungsberechtigten nach dem SGB XII. Denn nach §§ 20, 36 SGB XII gilt hier eine - widerlegbare - Unterstützungsvermutung bei Überschreitung eines Selbstbehalts von mindestens dem doppelten Regelsatz (ebenso SG Berlin Beschluss vom 20.12.2006 - S 37 AS 11401/06 ER -).
Im Hinblick auf die als verfassungswidrig erachtete Bestimmung des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II hat im vorliegenden einstweiligen Rechtsschtutzverfahren - anders als im Hauptsacheverfahren - eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht zu erfolgen. Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist allein die Prognose ausreichend, dass nach Auffassung des Gerichts die Antragsteller nach einer Vorlage im Hauptsacheverfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen werden. Darüber hinaus wird die Hauptsache durch die Verpflichtung zur nur vorläufigen und zeitlich begrenzten Gewährung von Leistungen nicht vorweg genommen. Eine Folgenabwägung muss vorliegend ebenfalls zu Gunsten der Antragsteller aufgrund des das Existenzminimum sichernden Charakters der Leistungen des SGB II zu Gunsten der Antragsteller ausgehen. Es steht somit fest, dass § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht dazu führen kann, dass das Einkommen des Stiefvaters der Antragsteller im Rahmen der Leistungsansprüche bedarfsmindernd berücksichtigt werden kann. Es könnte sich aber eine Berücksichtigung des Einkommens des Stiefvaters aufgrund von § 9 Abs. 5 SGB II ergeben. Hiernach wird beim Zusammenleben von Hilfebedürftigen in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten vermutetet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Die Antragsteller sind mit dem Stiefvater verschwägert. Eine Unterstützung der Antragsteller durch den Stiefvater kann jedoch nach dessen Einkommen und Vermögen nicht erwartet werden. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung. Ausgehend von einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 2.927,43 Euro abzüglich des Freibetrags nach § 30 SGB II in Höhe von 310,00 Euro, dem glaubhaft gemachten Unterhaltsleistungen an die leiblichen Kinder in Höhe von 500,00 Euro, den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 282,00 Euro, des Freibetrags nach § 1 Abs. 2 der Arbeitslosengeld II - Verordnung in Höhe von 690,00 Euro sowie den nicht gedeckten Kosten der Unterkunft in Höhe von 1.642,00 Euro - 425,25 Euro = 1.216,25 Euro ergibt sich eine Unterdeckung von - 70,82 Euro, so dass eine Unterstützungsleistung des Stiefvaters nach § 9 Abs. 5 SGB II nicht erwartet werden kann.
Ebenso wenig kann das an die Mutter der Antragsteller gezahlte Kindergeld bedarfsmindernd berücksichtigt werden, da dieses der Mutter der Antragsteller zusteht und von dieser zur Deckung ihres eigenen Regelbedarfs sowie ihres Anteils an den angemessenen Unterkunftskosten benötigt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller ganz überwiegend mit ihrem Antragsbegehren obsiegt haben.
Rechtskraft
Aus
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