Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 81/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AS 19/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.09.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für den Monat Februar 2006 in Anspruch.
Der 1954 geborene Kläger zu 1) bewohnt gemeinsam mit seinem Sohn, dem am 00.00.1990 geborenen Kläger zu 2), der eine allgemeinbildende Schule besucht und kein Einkommen erzielt, eine Wohnung in B. Die Kosten der Unterkunft und Heizung belaufen sich auf monatlich 600,00 Euro (Grundmiete: 495,00 Euro, Betriebskostenvorauszahlung: 85,00 Euro, Heizkostenvorauszahlung: 20,00 Euro).
Arbeitslosengeld bezog der Kläger zu 1) zuletzt in der Zeit vom 28.05.2003 bis 11.12.2003. Ihm wurde im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit von der Bundesagentur für Arbeit für die Zeit vom 04.08.2005 bis 03.02.2006 Überbrückungsgeld nach § 57 des Dritten Buch des Sozialgesetzbuches bewilligt (Bescheid vom 08.11.2005). Der monatliche Zahlbetrag belief sich auf 1.959,42 Euro. Die Zahlung für die Zeit vom 04.01.2006 bis 03.02.2006 wurde dem Konto des Klägers zu 1) am 03.02.2006 gut geschrieben. Die selbständige Tätigkeit wurde vom Kläger zu 1) seit der Meldung bei der Beklagten als arbeitsuchend nicht mehr ausgeübt.
Ende Januar 2006 meldete sich der Kläger zu 1) bei der Beklagten arbeitsuchend und beantragte die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Beklagte bewilligte den Klägern daraufhin zunächst für die Zeit ab 01.03.2006 einen Betrag von 467,00 Euro monatlich (Bescheid vom 20.03.2006) und sodann ab 01.03.2006 einen Betrag in Höhe von 1.067,00 Euro (Änderungsbescheid vom 28.03.2006). Hierzu führte die Beklagte aus, dass die Bewilligung ab 01.03.2006 erfolge, da vor dem Hintergrund, dass dem Kläger zu 1) im Februar 2006 letztmalig Überbrückungsgeld in Höhe von 1.959,42 Euro zugeflossen sei, Hilfebedürftigkeit nicht gegeben sei.
Mit dem Widerspruch machten die Kläger geltend, dass bereits für die Zeit ab 04.02.2006 Bedürftigkeit bei ihnen eingetreten sei. Die Bundesagentur für Arbeit habe das Überbrückungsgeld nachschüssig gezahlt. Es sei bereits vollständig für Kosten aus dem Vormonat, unter anderem die Klassenfahrt des Klägers zu 2), ausstehende Beiträge zur Krankenversicherung, Kosten der Selbständigkeit (Mieten, Kfz-Kosten) verplant gewesen. Somit habe das Überbrückungsgeld nicht für den Bedarf des Folgemonats zur Verfügung gestanden.
Den Widerspruch wies die Beklagte zurück; dazu führte sie im Wesentlichen aus, dass die Auszahlung des Überbrückungsgeldes zu Beginn des Monats Februar 2006 erfolgt sei und eine Berücksichtigung dieses Einkommenszuflusses daher zulässigerweise ab diesem Zeitpunkt vorgenommen worden sei. Der maßgebliche Bedarf sei folglich für den Monat Februar 2006 als gedeckt anzusehen gewesen (Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006).
Die Kläger haben mit der am 05.05.2006 erhobenen Klage daran festgehalten, dass das am 04.02.2006 eingegangene Überbrückungsgeld für den Monat Januar 2006 bestimmt gewesen sei und vor diesem Hintergrund nicht bedarfsmindernd im Februar 2006 berücksichtigt werden könne. Mit dem Überbrückungsgeld seien den Kläger zu 1) betreffende Rechnungen aus der selbständigen Tätigkeit für den Monat Januar 2006 zu begleichen gewesen, so dass nicht nachzuvollziehen sei, inwiefern die Kläger noch die Aufwendungen für den Monat Februar 2006 hätten bestreiten können.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.03.2006, vom 28.03.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2006 zu verurteilen, Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen auch für den Monat Februar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat Bezug genommen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Mit Urteil vom 28.09.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass auf den Gesamtbedarf von 1.107,00 Euro die am 03.02.2006 gut geschriebene Überbrückungsgeldzahlung anzurechnen sei. Als eine laufende Einnahme sei es gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) in dem Monat zu berücksichtigen, in dem es zufließe. Auch im Nachhinein für den Vormonat gezahltes laufendes Einkommen sei demnach erst im Zahlungsmonat anzurechnen. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handele es sich um eine der Sozialhilfe vergleichbare Fürsorgeleistung, die nicht für einen bestimmten Zahlungsgszeitraum, sondern ausschließlich bei Bedürftigkeit ausgezahlt werde.
Gegen das dem Kläger zu 1) am 25.10.2006 zugestellte Urteil haben die Kläger am 24.11.2006 Berufung erhoben. Der Kläger zu 1) macht geltend, dass seine selbständige Tätigkeit im Januar 2006 geendet habe, da ihm die wirtschaftliche Kraft gefehlt habe, in kürzester Zeit neue Aufträge anzuarbeiten. Daher habe er sich Ende Januar 2006 arbeitsuchend gemeldet und für die Zeit ab 04.02.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragt. Das Überbrückungsgeld sei zu diesem Zeitpunkt längst für die Begleichung der Geschäftskonten, Krankenversicherung und Altersvorsorge (betreffend einem zurückliegenden Zeitraum) verplant gewesen und habe daher nicht für konsumtive Ausgaben im Folgemonat zur Verfügung gestanden. Wenn der Gesetzgeber dies vorsehe, stehe das im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Realität. Die Verweigerung der Leistungen für den Monat Februar 2006 bedeute, dass der Kläger zu 1) für die Zeit des Überbrückungsgeldbezuges keine Altersvorsorge darstellen könne; außerdem habe er das Schulklassen-Skiprojekt des Klägers zu 2) über einen Kredit finanzieren müssen.
Die Kläger beantragen ihrem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.09.2006 zu ändern und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 20.03.2006 und vom 28.03.2006 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006 in Höhe von insgesamt 923,25 Euro nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung, dass die Anrechnung zu Recht erfolgt sei, fest.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), nachdem sich die Beteiligten im Erörterungstermin vom 28.02.2007 übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006. Vor diesem Hintergrund werden sie durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht nur die Klage des Klägers zu 1), sondern auch die des Klägers zu 2). Beide Kläger machen nämlich ihre individuellen Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II geltend (vgl. hierzu ausführlich Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, juris). Der Senat hat daher von Amtes wegen den Kläger zu 2) in das Rubrum aufgenommen.
Ein Anspruch der Kläger auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den geltend gemachten Zeitraum besteht nicht, weil die Beklagte das dem Kläger zu 1) am 04.02.2006 zugeflossene Überbrückungsgeld in Höhe von 1.959,42 Euro zu Recht auf den Bedarf der Kläger, die eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 4 SGB II bilden, angerechnet hat. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 Alg II-V genannten Leistungen und Zuwendungen.
Einkommen im Sinne der genannten Vorschriften stellt auch das dem Kläger zu 1) gezahlte Überbrückungsgeld dar. Es wird gemäß § 57 Abs. 1 SGB III zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach einer Existenzgründung gezahlt. Es verfolgt damit den selben Zweck wie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. § 19 Satz 1 SGB II). Angesichts dessen scheidet eine Qualifikation des Überbrückungsgeldes als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II aus.
Der monatliche Bedarf der Kläger, die in der Sache jeweils eigene Ansprüche haben (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II), ist mit insgesamt 1.108,00 Euro zu beziffern. Er setzt sich wie folgt zusammen:
345,00 Euro Regelleistung für den Kläger zu 1) (§ 20 Abs. 2 SGB II), 41,00 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II (zur Abrundung auf einen Betrag von 41,00 Euro vgl. § 41 Abs. 2 SGB II) sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 300,00 Euro, abzüglich Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro monatlich. 276,00 Euro Regelleistung für den Kläger zu 2) (§ 20 Abs. 3 Satz 2 SGB II) sowie 300,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II. Unter Berücksichtigung der Beschränkung des Zahlungsantrages ergibt sich für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006 ein von den Klägern insgesamt geltend gemachter Hilfebedarf in Höhe von 923,25 Euro (25 Tage x 36,93 Euro - § 41 Abs. 1 SGB II). Eine Erhöhung des Bedarfs zugunsten des Klägers zu 1) gemäß § 24 SGB II kommt nicht in Betracht, weil dieser zuletzt am 11.12.2003 Arbeitslosengeld nach dem SGB III bezogen hat. Auf diesen Bedarf ist das Überbrückungsgeld des Klägers zu 1) von 1.959,42 Euro anzurechnen. Da der Kläger zu 2) Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, erstreckt sich die Anrechnung auch auf seinen individuellen Bedarf (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es im Hinblick auf die Anrechnung nicht darauf an, ob Einkommen der Bedarfsdeckung eines Hilfebedürftigen während eines bestimmten - ggf. abgelaufenen - Zeitraums dienen soll oder sollte (sog. "Zeitraumidentität"). Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen ist vielmehr deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit. Damit ist grundsätzlich bei der Prüfung der Bedürftigkeit einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenüberzustellen. Angesichts dessen ist maßgeblich, ob der Lebensunterhalt in dem Zeitraum gedeckt ist, für den Leistungen beansprucht werden (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - Az.: 5 C 35/97, NJW 1999, 416-417 zu § 76 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -; vgl. auch Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 09.08.2001 - Az.: B 11 AL 15/01 R, BSGE 88, 258-262 zu §§ 193, 194 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB III - und Urteil vom 18.02.1982 - Az.: 7 RAr 91/81, BSGE 53, 115-117 zu § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - sowie Berlit, juris-PR-SozR 3/2005, Anm. 2, m.w.N.). Diese zu §§ 76 BSHG, 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG und §§ 193, 194 SGB III entwickelten Grundsätze sind auch im Rahmen des § 11 SGB II bzw. § 2 Abs. 2 Alg II-V (und ebenso des § 82 SGB XII) anwendbar, da der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber mit den genannten Regelungen die Zuflusstheorie des BVerwG und des BSG festgeschrieben hat (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XI, 1. Auflage 2005, § 11 SGB II, Rn. 5 und § 13 SGB II, Rn.8).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist es für die Anrechnung nicht erheblich, ob der Kläger zu 1) das Überbrückungsgeld bereits für die Bedienung seiner Außenstände verplant hatte. Auch wenn man den von ihm im Monat Februar 2006 zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegepflichtversicherung zu zahlenden Beitrag von 248,72 Euro in Abzug bringt, ergibt sich noch ein Betrag in Höhe von 1.701,70 Euro. Bei weiterer Absetzung eines Betrages von 30,00 Euro zu Gunsten des Klägers zu 1) gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Alg II-V verbleibt ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 1.671,70 Euro. Würde außerdem (fiktiv) als freiwilliger Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §§ 161 Abs. 2, 167 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für den Monat Februar 2006 ein Betrag von 382,09 Euro in Ansatz gebracht (1.959,42 Euro x 19,5 %), ergäbe sich ein noch anrechenbarer Betrag von 1.289,61 Euro.
Freibeträge bei Erwerbstätigkeit (§ 30 SGB II) waren nicht in Ansatz zu bringen, weil die Kläger eine Erwerbstätigkeit nicht tatsächlich ausgeübt haben.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die weiteren vom Kläger zu 1) genannten Verbindlichkeiten (z.B. für die Bedienung der Geschäftskonten) nicht vom Einkommen abgezogen werden können. Maßgeblich hierfür ist der Gesichtspunkt, dass die Berücksichtigung von Schulden zugunsten eines Hilfebedürftigen im Ergebnis dazu führen würde, dass die öffentliche Hand im Wege der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Steuermitteln zur Tilgung individueller Verbindlichkeiten beitragen würde (BSG, Urteil vom 26.10.2004 - Az.: B 7 AL 2/04 R, SozR 4-4300 § 194 Nr. 5 zur Arbeitslosenhilfe, Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.04.2005 - Az.: L 3 B 30/05 AS ER, sozialgerichtsbarkeit.de). Ebenso wie in § 194 Abs. 2 SGB III a.F. ist § 11 Abs. 2 SGB II als abschließender Katalog der Absetzungsmöglichkeiten anzusehen (Hänlein in Gagel, SGB III, 27. Ergänzungslieferung, § 11 SGB II, Rn. 49).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Tatbestand:
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für den Monat Februar 2006 in Anspruch.
Der 1954 geborene Kläger zu 1) bewohnt gemeinsam mit seinem Sohn, dem am 00.00.1990 geborenen Kläger zu 2), der eine allgemeinbildende Schule besucht und kein Einkommen erzielt, eine Wohnung in B. Die Kosten der Unterkunft und Heizung belaufen sich auf monatlich 600,00 Euro (Grundmiete: 495,00 Euro, Betriebskostenvorauszahlung: 85,00 Euro, Heizkostenvorauszahlung: 20,00 Euro).
Arbeitslosengeld bezog der Kläger zu 1) zuletzt in der Zeit vom 28.05.2003 bis 11.12.2003. Ihm wurde im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit von der Bundesagentur für Arbeit für die Zeit vom 04.08.2005 bis 03.02.2006 Überbrückungsgeld nach § 57 des Dritten Buch des Sozialgesetzbuches bewilligt (Bescheid vom 08.11.2005). Der monatliche Zahlbetrag belief sich auf 1.959,42 Euro. Die Zahlung für die Zeit vom 04.01.2006 bis 03.02.2006 wurde dem Konto des Klägers zu 1) am 03.02.2006 gut geschrieben. Die selbständige Tätigkeit wurde vom Kläger zu 1) seit der Meldung bei der Beklagten als arbeitsuchend nicht mehr ausgeübt.
Ende Januar 2006 meldete sich der Kläger zu 1) bei der Beklagten arbeitsuchend und beantragte die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Beklagte bewilligte den Klägern daraufhin zunächst für die Zeit ab 01.03.2006 einen Betrag von 467,00 Euro monatlich (Bescheid vom 20.03.2006) und sodann ab 01.03.2006 einen Betrag in Höhe von 1.067,00 Euro (Änderungsbescheid vom 28.03.2006). Hierzu führte die Beklagte aus, dass die Bewilligung ab 01.03.2006 erfolge, da vor dem Hintergrund, dass dem Kläger zu 1) im Februar 2006 letztmalig Überbrückungsgeld in Höhe von 1.959,42 Euro zugeflossen sei, Hilfebedürftigkeit nicht gegeben sei.
Mit dem Widerspruch machten die Kläger geltend, dass bereits für die Zeit ab 04.02.2006 Bedürftigkeit bei ihnen eingetreten sei. Die Bundesagentur für Arbeit habe das Überbrückungsgeld nachschüssig gezahlt. Es sei bereits vollständig für Kosten aus dem Vormonat, unter anderem die Klassenfahrt des Klägers zu 2), ausstehende Beiträge zur Krankenversicherung, Kosten der Selbständigkeit (Mieten, Kfz-Kosten) verplant gewesen. Somit habe das Überbrückungsgeld nicht für den Bedarf des Folgemonats zur Verfügung gestanden.
Den Widerspruch wies die Beklagte zurück; dazu führte sie im Wesentlichen aus, dass die Auszahlung des Überbrückungsgeldes zu Beginn des Monats Februar 2006 erfolgt sei und eine Berücksichtigung dieses Einkommenszuflusses daher zulässigerweise ab diesem Zeitpunkt vorgenommen worden sei. Der maßgebliche Bedarf sei folglich für den Monat Februar 2006 als gedeckt anzusehen gewesen (Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006).
Die Kläger haben mit der am 05.05.2006 erhobenen Klage daran festgehalten, dass das am 04.02.2006 eingegangene Überbrückungsgeld für den Monat Januar 2006 bestimmt gewesen sei und vor diesem Hintergrund nicht bedarfsmindernd im Februar 2006 berücksichtigt werden könne. Mit dem Überbrückungsgeld seien den Kläger zu 1) betreffende Rechnungen aus der selbständigen Tätigkeit für den Monat Januar 2006 zu begleichen gewesen, so dass nicht nachzuvollziehen sei, inwiefern die Kläger noch die Aufwendungen für den Monat Februar 2006 hätten bestreiten können.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.03.2006, vom 28.03.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2006 zu verurteilen, Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen auch für den Monat Februar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat Bezug genommen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Mit Urteil vom 28.09.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass auf den Gesamtbedarf von 1.107,00 Euro die am 03.02.2006 gut geschriebene Überbrückungsgeldzahlung anzurechnen sei. Als eine laufende Einnahme sei es gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) in dem Monat zu berücksichtigen, in dem es zufließe. Auch im Nachhinein für den Vormonat gezahltes laufendes Einkommen sei demnach erst im Zahlungsmonat anzurechnen. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handele es sich um eine der Sozialhilfe vergleichbare Fürsorgeleistung, die nicht für einen bestimmten Zahlungsgszeitraum, sondern ausschließlich bei Bedürftigkeit ausgezahlt werde.
Gegen das dem Kläger zu 1) am 25.10.2006 zugestellte Urteil haben die Kläger am 24.11.2006 Berufung erhoben. Der Kläger zu 1) macht geltend, dass seine selbständige Tätigkeit im Januar 2006 geendet habe, da ihm die wirtschaftliche Kraft gefehlt habe, in kürzester Zeit neue Aufträge anzuarbeiten. Daher habe er sich Ende Januar 2006 arbeitsuchend gemeldet und für die Zeit ab 04.02.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragt. Das Überbrückungsgeld sei zu diesem Zeitpunkt längst für die Begleichung der Geschäftskonten, Krankenversicherung und Altersvorsorge (betreffend einem zurückliegenden Zeitraum) verplant gewesen und habe daher nicht für konsumtive Ausgaben im Folgemonat zur Verfügung gestanden. Wenn der Gesetzgeber dies vorsehe, stehe das im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Realität. Die Verweigerung der Leistungen für den Monat Februar 2006 bedeute, dass der Kläger zu 1) für die Zeit des Überbrückungsgeldbezuges keine Altersvorsorge darstellen könne; außerdem habe er das Schulklassen-Skiprojekt des Klägers zu 2) über einen Kredit finanzieren müssen.
Die Kläger beantragen ihrem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.09.2006 zu ändern und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 20.03.2006 und vom 28.03.2006 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006 in Höhe von insgesamt 923,25 Euro nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung, dass die Anrechnung zu Recht erfolgt sei, fest.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), nachdem sich die Beteiligten im Erörterungstermin vom 28.02.2007 übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006. Vor diesem Hintergrund werden sie durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht nur die Klage des Klägers zu 1), sondern auch die des Klägers zu 2). Beide Kläger machen nämlich ihre individuellen Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II geltend (vgl. hierzu ausführlich Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, juris). Der Senat hat daher von Amtes wegen den Kläger zu 2) in das Rubrum aufgenommen.
Ein Anspruch der Kläger auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den geltend gemachten Zeitraum besteht nicht, weil die Beklagte das dem Kläger zu 1) am 04.02.2006 zugeflossene Überbrückungsgeld in Höhe von 1.959,42 Euro zu Recht auf den Bedarf der Kläger, die eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 4 SGB II bilden, angerechnet hat. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 Alg II-V genannten Leistungen und Zuwendungen.
Einkommen im Sinne der genannten Vorschriften stellt auch das dem Kläger zu 1) gezahlte Überbrückungsgeld dar. Es wird gemäß § 57 Abs. 1 SGB III zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach einer Existenzgründung gezahlt. Es verfolgt damit den selben Zweck wie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. § 19 Satz 1 SGB II). Angesichts dessen scheidet eine Qualifikation des Überbrückungsgeldes als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II aus.
Der monatliche Bedarf der Kläger, die in der Sache jeweils eigene Ansprüche haben (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II), ist mit insgesamt 1.108,00 Euro zu beziffern. Er setzt sich wie folgt zusammen:
345,00 Euro Regelleistung für den Kläger zu 1) (§ 20 Abs. 2 SGB II), 41,00 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II (zur Abrundung auf einen Betrag von 41,00 Euro vgl. § 41 Abs. 2 SGB II) sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 300,00 Euro, abzüglich Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro monatlich. 276,00 Euro Regelleistung für den Kläger zu 2) (§ 20 Abs. 3 Satz 2 SGB II) sowie 300,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II. Unter Berücksichtigung der Beschränkung des Zahlungsantrages ergibt sich für die Zeit vom 04.02.2006 bis 28.02.2006 ein von den Klägern insgesamt geltend gemachter Hilfebedarf in Höhe von 923,25 Euro (25 Tage x 36,93 Euro - § 41 Abs. 1 SGB II). Eine Erhöhung des Bedarfs zugunsten des Klägers zu 1) gemäß § 24 SGB II kommt nicht in Betracht, weil dieser zuletzt am 11.12.2003 Arbeitslosengeld nach dem SGB III bezogen hat. Auf diesen Bedarf ist das Überbrückungsgeld des Klägers zu 1) von 1.959,42 Euro anzurechnen. Da der Kläger zu 2) Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, erstreckt sich die Anrechnung auch auf seinen individuellen Bedarf (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es im Hinblick auf die Anrechnung nicht darauf an, ob Einkommen der Bedarfsdeckung eines Hilfebedürftigen während eines bestimmten - ggf. abgelaufenen - Zeitraums dienen soll oder sollte (sog. "Zeitraumidentität"). Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen ist vielmehr deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit. Damit ist grundsätzlich bei der Prüfung der Bedürftigkeit einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenüberzustellen. Angesichts dessen ist maßgeblich, ob der Lebensunterhalt in dem Zeitraum gedeckt ist, für den Leistungen beansprucht werden (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - Az.: 5 C 35/97, NJW 1999, 416-417 zu § 76 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -; vgl. auch Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 09.08.2001 - Az.: B 11 AL 15/01 R, BSGE 88, 258-262 zu §§ 193, 194 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB III - und Urteil vom 18.02.1982 - Az.: 7 RAr 91/81, BSGE 53, 115-117 zu § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - sowie Berlit, juris-PR-SozR 3/2005, Anm. 2, m.w.N.). Diese zu §§ 76 BSHG, 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG und §§ 193, 194 SGB III entwickelten Grundsätze sind auch im Rahmen des § 11 SGB II bzw. § 2 Abs. 2 Alg II-V (und ebenso des § 82 SGB XII) anwendbar, da der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber mit den genannten Regelungen die Zuflusstheorie des BVerwG und des BSG festgeschrieben hat (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XI, 1. Auflage 2005, § 11 SGB II, Rn. 5 und § 13 SGB II, Rn.8).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist es für die Anrechnung nicht erheblich, ob der Kläger zu 1) das Überbrückungsgeld bereits für die Bedienung seiner Außenstände verplant hatte. Auch wenn man den von ihm im Monat Februar 2006 zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegepflichtversicherung zu zahlenden Beitrag von 248,72 Euro in Abzug bringt, ergibt sich noch ein Betrag in Höhe von 1.701,70 Euro. Bei weiterer Absetzung eines Betrages von 30,00 Euro zu Gunsten des Klägers zu 1) gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Alg II-V verbleibt ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 1.671,70 Euro. Würde außerdem (fiktiv) als freiwilliger Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §§ 161 Abs. 2, 167 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für den Monat Februar 2006 ein Betrag von 382,09 Euro in Ansatz gebracht (1.959,42 Euro x 19,5 %), ergäbe sich ein noch anrechenbarer Betrag von 1.289,61 Euro.
Freibeträge bei Erwerbstätigkeit (§ 30 SGB II) waren nicht in Ansatz zu bringen, weil die Kläger eine Erwerbstätigkeit nicht tatsächlich ausgeübt haben.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die weiteren vom Kläger zu 1) genannten Verbindlichkeiten (z.B. für die Bedienung der Geschäftskonten) nicht vom Einkommen abgezogen werden können. Maßgeblich hierfür ist der Gesichtspunkt, dass die Berücksichtigung von Schulden zugunsten eines Hilfebedürftigen im Ergebnis dazu führen würde, dass die öffentliche Hand im Wege der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Steuermitteln zur Tilgung individueller Verbindlichkeiten beitragen würde (BSG, Urteil vom 26.10.2004 - Az.: B 7 AL 2/04 R, SozR 4-4300 § 194 Nr. 5 zur Arbeitslosenhilfe, Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.04.2005 - Az.: L 3 B 30/05 AS ER, sozialgerichtsbarkeit.de). Ebenso wie in § 194 Abs. 2 SGB III a.F. ist § 11 Abs. 2 SGB II als abschließender Katalog der Absetzungsmöglichkeiten anzusehen (Hänlein in Gagel, SGB III, 27. Ergänzungslieferung, § 11 SGB II, Rn. 49).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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NRW
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