L 6 AS 336/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 AS 119/05
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 336/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Sind § 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), in der Fassung von Artikel 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954, 2955) vereinbar mit dem Grundgesetz (GG) – insbesondere mit Artikel 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (Rechts- und Sozialstaatsprinzip)?
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Artikel 100 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), in der Fassung von Artikel 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I. S. 2954, 2955), vereinbar sind mit dem Grundgesetz (GG) - insbesondere mit Artikel 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (Rechts- und Sozialstaatsprinzip).

Gründe:

A.

Streitig ist die Höhe der den Klägern bewilligten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2005.

Bis zum 31. Dezember 2004 hatte der im Jahr 1962 geborene Kläger zu 1. Arbeitslosenhilfe nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 555,- Euro in Höhe von 233,59 Euro/Woche im Anschluss an den bereits 1999 erschöpften Bezug von Arbeitslosengeld erhalten. Auf den Antrag der Kläger vom 27. Oktober 2004 hatte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 jeweils monatlich 825,- Euro bewilligt; der Bescheid weist dabei für den Kläger zu 1. und die im Jahr 1963 geborene Klägerin zu 2. jeweils die gesetzlichen Regelleistungen in Höhe von monatlich 311,- Euro und für die am 15. März 1994 geborene Klägerin zu 3. das Sozialgeld in Höhe von 207,- Euro/Monat aus. Weitere 150,- Euro entfielen auf die - unstreitigen - Kosten der Unterkunft. Kindergeld wurde in Höhe von 154,- Euro als Einkommen angerechnet.

Den am 3. Januar 2005 mit der Begründung eingelegten Widerspruch, die Regelleistungen reichten zur Sicherung ihres Existenzminimums nicht aus, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2005 unter Hinweis auf die Gesetzeslage zurück. Die daraufhin am 2. Mai 2005 beim Sozialgericht Kassel (SG) erhobene und auf einschlägige Beiträge in der Fachliteratur gestützte Klage wies das SG mit Urteil vom 7. August 2007 mit der Begründung ab, die den Klägern zuerkannten Regelleistungen seien nach dem Gesetz richtig berechnet. Es bestünden auch keine Bedenken bezüglich der Leistungshöhe für die Klägerin zu 3., für die das Sozialgeld nur 60 Prozent der maßgebenden Regelleistung betrage. Es werde zwar nicht verkannt, dass sich für Kinder zwischen dem 7. und 17. Lebensjahr gegenüber dem früheren Sozialhilferecht Verschlechterungen ergeben hätten, diese Entscheidung des Gesetzgebers sei aber noch vertretbar. Im Übrigen hat sich das SG die Begründung

des Urteils des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 23. November 2006 (B 11b AS 1/06 R) zu Eigen gemacht. Auf die Entscheidung im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Zustellung des Urteils erfolgte am 7. September 2007.

Die Kläger haben am 5. Oktober 2007 unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags Berufung eingelegt und vorgetragen, dass der gewährte Zahlbetrag ihren existenzminimalen Bedarf nicht decke. Insbesondere hätten die sehr hohen Bedarfe der seinerzeit 11-jährigen Klägerin, die sehr rasch gewachsen sei, nur auf Kosten vielfältiger, teils sie stigmatisierender Einschränkungen der Eltern und auch nur ansatzweise gedeckt werden können. Der Zugang zu sportlichen, kulturellen und anderen Freizeitaktivitäten sei der Tochter, welche die -Hauptschule in besuche, wegen fehlender Geldmittel verschlossen gewesen. Dasselbe habe sogar auch für manche schulische Veranstaltungen sowie das Schulessen gegolten. Die Klägerin zu 3. habe zudem ihren besonderen Interessen für Fotografie und bildnerisches Gestalten nicht nachgehen können. Auch seien mit Kosten verbundene Familienausflüge nicht möglich gewesen. Die Regelungen der §§ 20, 28 SGB II seien verfassungswidrig, weil mit ihnen ein angemessenes familiäres - auch die besonderen Bildungs-, Freizeit- und Kulturbedürfnisse der Tochter einbeziehendes - Existenzminimum nicht gewährleistet werde.

Vom Senat wurden die Kreisstadt Eschwege, der Werra-Meißner-Kreis, das Land Hessen sowie die Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Weiter hat der Senat Sachverständigengutachten zur Frage der Ermittlung und Höhe der Regelleistungen sowie zu ihrer Bedarfsgerechtigkeit von Dr. Rudolf Martens, Berlin (Gutachten vom 20. September 2008) und von Dr. Irene Becker, Riedstadt (Gutachten vom 15. September 2008) eingeholt. Wegen der Beweisfragen im Einzelnen wird auf den Beschluss des Senats vom 8. August 2008 Bezug genommen. Ferner hat der Senat ergänzende Gutachten von Dipl.Soz. Reiner Höft-Dzemski, Berlin (Gutachten vom 13. Oktober 2008) sowie von Dipl.Pol. Gerda Holz, Frankfurt am Main (Gutachten vom 13. Oktober 2008) eingeholt; auf die Beweisanordnung vom 25. September 2008 und die schriftliche Fassung sämtlicher Gutachten wird Bezug genommen.

Die Beigeladenen haben sich zu den Fragen des Senats gemäß dem Beiladungsbeschluss vom 8. August 2008 sowie zu den Gutachten der Sachverständigen und ihren Stellungnahmen geäußert. Die zu 1. beigeladene Kreisstadt Eschwege und der zu 3. beigeladene Werra-Meißner-Kreis haben teils umfassende Stellungnahmen zu möglichen ergänzenden Leistungen zu Gunsten von Kindern in ihrem Zuständigkeitsbereich vorgelegt und das zu 2. beigeladene Land Hessen hat mit Stellungnahme vom 16. Oktober 2008 unter anderem das Ergebnis von exemplarischen Befragungen der kommunalen Spitzenverbände - Hessischer Städtetag und Hessischer Landkreistag - zu kommunalen Leistungen zugunsten von Kindern mitgeteilt; auf die Schriftsätze vom 1., 8., 13. und 16. Oktober 2008 nebst Anlagen wird insoweit Bezug genommen. Die Beigeladene zu 4. hat sich in Stellungnahmen vom 15., 27. und 28. Oktober 2008 zu den Gutachten und erwidernden Stellungnahmen der Sachverständigen sowie weiteren Fragen des Senats vom 27. Oktober 2008 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlungen umfangreich eingelassen. Im Ergebnis vertreten die Beklagte wie auch die Beigeladene zu 4. die Auffassung, dass die Regelungen des SGB II das Existenzminimum ausreichend sicherten und deshalb auch mit dem Grundgesetz vereinbar seien.

Allen Sachverständigen und Beteiligten ist darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 29. Oktober 2008 Gelegenheit zur Erläuterung der Gutachten und zu deren Erörterung gegeben worden.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. August 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 17. Dezember 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2005 zu verurteilen, an den Kläger zu 1. und an die Klägerin zu 2. jeweils weitere monatliche Sozialleistungen in Höhe von jeweils 124,50 Euro und an die Klägerin zu 3. weitere monatliche Sozialleistungen in Höhe von 106,00 Euro zu zahlen, mithin unter Einschluss von Unterkunftskosten in Höhe von 150,00 Euro insgesamt 1.334,00 Euro monatlich,
hilfsweise,
das Verfahren gemäß Art. 100 Grundgesetz (GG) auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen: "Sind die Vorschriften der §§ 20, 28 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch: Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG) sowie dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG vereinbar?"

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Hilfsweise stellt sie den Antrag aus dem Verfahrensschriftsatz der Beigeladenen zu 4. vom 28. Oktober 2008,

Beweis zu erheben über die Tatsache der statistischen Ungenauigkeiten bei fragebogenbasierten Erhebungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, verknüpft mit der Beweisfrage, in welchem Umfang bei der EVS 2003 illegale Einkommen angegeben wurden, wie diese die Abgrenzung der Referenzgruppe beeinflussen können und welche weiteren Fehlerquellen bestehen könnten.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und sei im Übrigen an das geltende Recht gebunden.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

B.

I. Prüfung am Maßstab des einfachen Rechts

1. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden sowie an sich statthaft und somit insgesamt zulässig (§§ 151, 143 f. SGG). Die Kläger begehren höhere Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistungen und des Sozialgeldes im Gesamtbetrag und je einzeln von mehr als 500,- Euro, dem hier noch maßgeblichen Mindestbetrag für die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG aF. Die Tochter ist ordnungsgemäß gesetzlich durch die Eltern vertreten. Vollmacht für den Prozessbevollmächtigten liegt vor.

Streitgegenstand ist allein der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2005, mit welchem die Beklagte der aus den Klägern bestehenden Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 in Höhe von monatlich 825,- Euro bewilligt hat, und gegen die fristgemäß Klage erhoben wurde. Da die von der Bedarfsgemeinschaft tatsächlich insgesamt aufzuwendenden Kosten der Unterkunft (KdU) in Form von Miete und Heizkosten in Höhe von 150,- Euro für diesen Zeitraum voll übernommen worden sind, steht nur die Höhe der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 und 3 SGB II und des Sozialgeldes gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II im Streit. Die Anspruchsvoraussetzungen nach den Vorschriften des SGB II sind erfüllt; die angefochtenen Bescheide entsprechen diesen Regelungen. Die Widerspruchs-, Klage- und Berufungsfristen wurden jeweils eingehalten.

Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. gehören zum berechtigten Personenkreis gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II, weil sie das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet und ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten. Sie waren auch beide erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II, weil sie nicht gehindert waren, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung erneut bestätigt. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. waren auch hilfebedürftig, weil sie nach den aktenkundigen Feststellungen weder über anderweitiges Einkommen noch über Vermögen verfügten, § 9 Abs. 1 und 2 SGB II.

Die Beklagte hat die dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. zu bewilligende Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 und 3 SGB II auf 90 vom Hundert (von 345,- Euro auf 311,- Euro) gekürzt, weil beide Partner einer Bedarfsgemeinschaft sind (§ 7 Abs. 2 und 3 SGB II, hier in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 - BGBl. I, S. 2014). Nach Maßgabe der Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II hat die Beklagte auch zutreffend das Sozialgeld für die Klägerin zu 3. mit 60 Prozent der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II (also in Höhe von 207,- Euro) bemessen und das Kindergeld in Höhe von 154,- Euro/Monat angerechnet (§ 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Der Gesamtbetrag in Höhe von 825,-Euro/Monat, welcher der Bedarfsgemeinschaft von der Beklagten zuerkannt wurde, ist demnach zutreffend berechnet.

Weitere Ansprüche, die zu einer höheren Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts führen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II den gesamten notwendigen Lebensunterhalt als soziokulturelles Existenzminimum des Hilfebedürftigen sichern. Es handelt sich um eine gesetzlich festgelegte pauschalisierte Leistung (so die Gesetzesbegründung, Bundestagsdrucksache - BT-Drucks. - 15/1516, S. 56 f.), die nur nach Maßgabe der §§ 21, 23 Abs. 3 SGB II für besonders aufgeführte Mehrbedarfe und des § 23 Abs. 1 SGB II für eine vorübergehende darlehensweise Deckung Ausnahmen zulässt. Die letztgenannte Ausnahme steht im Zusammenhang mit dem gesetzgeberischen Willen, es der eigenverantwortlichen Haushaltsregie des Hilfebedürftigen zu überlassen, auch einmalige Bedarfe durch Ansparungen aus der gegenüber dem höchsten Regelsatz auf Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) um 48,- Euro erhöhten Regelleistung zu decken (BT-Drucks. 15/1516, S. 46). Diese Ausnahmen stützen somit das Begehren der Kläger nicht. Es besteht auch kein Anspruch auf einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II, weil der Kläger zu 1. letztmals im Jahr 1999 Arbeitslosengeld bezogen hatte.

2. Die Entscheidungserheblichkeit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 20, 28 SGB II entfällt auch nicht deshalb, weil dem Begehren der Kläger durch eine erweiternde Auslegung von Regelungen des SGB II oder des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) Genüge getan werden könnte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) setzt die Annahme der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer gesetzlichen Bestimmung nämlich immer voraus, dass die zu prüfende Norm nicht im Wege einer verfassungskonformen Interpretation der beanstandeten Vorschrift, die den anerkannten Methoden der Auslegung folgt und mit anderen Regelungen des Grundgesetzes vereinbar ist, derart ausgelegt werden kann, dass der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit vermieden sowie eine Lösung des zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreits sichergestellt werden kann (vgl. BVerfG v. 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 - juris-Rdnr. 57; BVerfGE 93, 37 ff., 81). Eine solche verfassungskonforme Interpretation allerdings darf wiederum nicht zu einer völligen Außerachtlassung von Wortlaut der Norm und erklärtem Willen des parlamentarischen Gesetzgebers führen, weil sonst der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG), dessen eine Ausprägung sich in Art. 100 Abs. 1 GG findet, wiederum unterlaufen würde. Die verfassungskonforme Auslegung findet deshalb ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut des Gesetzes oder dem eindeutig erkennbaren Willen des parlamentarischen Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 93, 37 ff., 81). Die Anerkennung der besonderen demokratischen Legitimation des parlamentarischen Gesetzgebers verbietet es, einem nach Wortlaut und Sinnzusammenhang eindeutigen Gesetz im Wege der Auslegung einen gerade entgegengesetzten Sinn zu geben oder den normativen Gehalt einer gesetzlichen Bestimmung vollständig neu zu bestimmen (BVerfGE 90, 263, 275). Insoweit dient die Notwendigkeit der Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG gerade auch der Wahrung der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers.

a) Unter Beachtung dieser Grundsätze scheidet zur Überzeugung des Senats zunächst eine ausdehnende Auslegung von Regelungen des SGB II aus. Das nach §§ 19 ff. SGB II an erwerbsfähige Hilfebedürftige (§§ 7 bis 9 SGB II) zu zahlende Arbeitslosengeld II soll - grundsätzlich - der vollständigen Sicherung des Lebensunterhalts dienen (einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, die vorliegend nicht streitig sind). Die der Höhe nach in § 20 Abs. 2 SGB II festgesetzte Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst dabei insbesondere die in § 20 Abs. 1 SGB II aufgeführten Bedarfe wie Ernährung, Kleidung, Körperpflege etc. sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Der parlamentarische Gesetzgeber hat insoweit sowohl in der Formulierung des Gesetzes wie in dessen Begründung klar zum Ausdruck gebracht, dass mit der Regelleistung in Höhe von 345,- Euro/Monat in der ersten Jahreshälfte 2005 das "soziokulturelle" Existenzminimum gesichert werden konnte und auch - abschließend - gesichert sein sollte: "Die Regelungen zum Arbeitslosengeld II stellen sicher, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige neben dem Arbeitslosengeld II grundsätzlich keine ergänzenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen mehr nach dem Sozialhilferecht benötigt. Nur in den eng begrenzten, in § 5 Abs. 1 genannten Ausnahmefällen, sind die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen insoweit auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach der Sozialhilfe zu verweisen" (BT-Drucks. 15/1516, S. 56). Konsequent werden in § 21 SGB II - abschließend aufgezählt - Leistungen für Mehrbedarfe geregelt und anerkannt, "die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind."

Die Aufzählung ist enumerativ und abschließend. Soweit demnach nicht einer der Sachverhalte vorliegt, der eine Mehrleistung rechtfertigen könnte und als Mehrbedarf geltend gemacht wird, ist es der Beklagten schon gemäß § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) verwehrt, eine solche Mehrleistung zu erbringen. Vorliegend ist unstreitig keiner dieser in §§ 21 Abs. 2 bis 5 SGB II aufgezählten Sachverhalte (Schwangerschaft, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern oder behinderungs- sowie medizinisch-ernährungsbedingtem Mehraufwand) gegeben. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 4 SGB II geregelten Mehrbedarfe. Von den in § 23 Abs. 3 SGB II vorgesehen Leistungen, die nicht von der Regelleistung umfasst sind (insbesondere Erstausstattung für Wohnung, Haushaltgeräte, Bekleidung sowie bei Schwangerschaft und Geburt), sieht nur § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II für besondere Mehrbedarfe von schulpflichtigen Kindern eine Ausnahme bzgl. der mehrtägigen Klassenreisen vor, deren Kosten - jedenfalls soweit es sich um ein schulisches "Pflichtprogramm" handelt - in vollem Umfang zu übernehmen sind (vgl. hierzu das beim BSG anhängige Verfahren B 14 AS 36/07 R). Um solche Ausnahmen aber streiten die Kläger im vorliegenden Verfahren gerade nicht, weil es ihnen um höhere Regelleistungen für die regelmäßig anfallenden Bedarfe geht.

Für eine erweiternde Interpretation der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB II ist somit kein Raum. Sie würde auf eine richterliche Verletzung des parlamentarischen Willens hinauslaufen. Dies soll Art. 100 Abs. 1 GG aber gerade verhindern.

b) Nichts anderes gilt für eine extensive Auslegung von § 23 Abs. 1 SGB II, wonach dann, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II (Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,- Euro) noch auf andere Weise gedeckt werden kann, entweder Sachleistungen oder aber ein Darlehen gewährt werden können. Diese Vorschrift ist als Ausnahmeregelung schon nach herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen. Ohnehin könnte lediglich ein rückzahlbares Darlehen beansprucht werden, das bis zur Höhe von 10 Prozent durch Aufrechnung gegen die laufende Regelleistung getilgt werden muss (§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Deshalb kommt ein solches Darlehen vorliegend nicht in Betracht.

Soweit gelegentlich erwogen worden ist, die Leistungserbringer in den Fällen, in denen die Regelleistung zur Befriedigung unabweisbarer Bedarfe nicht ausreicht, generell und vorab zu verpflichten, das ihnen eingeräumte Ermessen zur Darlehensgewährung und zur - weiträumigen - Stundung oder gar zur Niederschlagung der Rückzahlung des gewährten Darlehens zu verpflichten (vgl. Urteil des SG Aurich vom 14. März 2008 - S 25 AS 822/07 - Sprungrevision anhängig beim BSG - B 14 AS 44/08 R), hält der erkennende Senat eine solche Interpretation nicht mehr für vertretbar. Sie würde die Leistungserbringer vorab in einer mit haushaltsrechtlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Weise festlegen.

c) Als Anspruchsgrundlage zur Deckung weiterer Bedarfe - wie sie insbesondere bei der Klägerin zu 3. bzgl. der Bekleidung, schulischer Bildung (einschließlich schulnaher Angebote) und außerschulischer Betätigungsmöglichkeiten erkennbar vorhanden sind - kommt auch nicht § 28 Abs. 1 Satz 2 (2. Alternative) SGB XII in Betracht - und zwar weder unmittelbar noch im Wege verfassungskonformer Auslegung.

Nach dieser dem sozialhilferechtlichen Individualisierungsgrundsatz verpflichteten Regelung können Bedarfe abweichend festgelegt werden, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Der Anwendung dieser Regelung steht die Sperrwirkung des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II entgegen, wonach der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließt. § 28 Abs. 1 SGB XII steht im Dritten Kapitel des SGB XII; damit scheidet er als Anspruchsgrundlage für erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II aus und eröffnet nicht etwa - nachrangige - Leistungsansprüche für Bezieher von Arbeitslosengeld II (Alg II) und Sozialgeld-Bezieher.

Auch eine analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 Satz 2 (2. Alternative) SGB XII scheidet aus. Sie würde - nach herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen - die Feststellung einer ungewollten, planwidrigen Gesetzeslücke voraussetzen (vgl. dazu z.B. BVerfGE 82, 1, 11 f.; 286, 304). Diese liegt erkennbar nicht vor. Dass eine dem § 28 SGB XII entsprechende Öffnungsklausel im SGB II nicht enthalten ist, entspricht gerade dem vom Gesetzgeber unmissverständlich gewollten Regelungskonzept der Pauschalierung. Von einer - gar planwidrigen - Gesetzeslücke kann deshalb nicht die Rede sein. Trotz mehrfacher zwischenzeitlich erfolgter Änderungen des SGB II hat der parlamentarische Gesetzgeber den Leistungsträgern nach dem SGB II keine Möglichkeit eingeräumt, abweichende Festlegungen der Regelleistungen zu treffen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass eine ursprüngliche - bei In-Kraft-Treten des SGB II zum 1. Januar 2005 vorhandene - Regelungslücke hätte geschlossen werden sollen. Eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 2 (2. Alternative) SGB XII im Regelungs- und Anwendungsbereich des SGB II scheidet von daher ebenso aus wie eine verfassungskonforme erweiternde Auslegung der Vorschrift mit dem Ziel, ihre Anwendbarkeit im Regelungsbereich des SGB II zu ermöglichen. Eine gegen den Wortlaut und die erwähnte Regelungssystematik im Verhältnis des SGB II zum SGB XII verstoßende Anwendung überschreitet die zulässigen Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung.

d) Schließlich kann eine Berücksichtigung weiterer, von den Regelleistungen nach den §§ 20, 28 SGB II nicht ausreichend gedeckter Bedarfe auch nicht durch eine Anwendung von § 73 SGB XII vorgenommen werden (zur eng begrenzten Ausnahme siehe BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R). Anders als bei § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII steht einer Anwendbarkeit von § 73 SGB XII im Regelungsbereich des SGB II und für Leistungsempfänger von Alg II zwar nicht die Sperrwirkung des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II entgegen, weil der dort normierte Leistungsausschluss nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift nicht für das Neunte Kapitel des SGB XII gilt, in welchem die "Hilfen in anderen Lebenslagen" geregelt sind, zu denen auch die in § 73 SGB XII enthaltenen "Hilfen in sonstigen Lebenslagen" zählen. Die Übernahme von Lasten in "sonstigen Lebenslagen" ist aber nicht geeignet, eine evtl. bestehende Unterdeckung durch die Regelleistung nach dem SGB II auszugleichen - sonst würde eine systemwidrige Zuordnung von Lasten und Leistungen erfolgen. Mit § 73 SGB XII ist die bis zum 31. Dezember 2004 geltende Regelung des § 27 Abs. 2 BSHG inhaltsgleich in das SGB XII übernommen worden (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/1514, S. 64). Diese Regelung betreffend die "Hilfe ... in anderen besonderen Lebenslagen" gehörte zum Abschnitt 3 des BSHG (Hilfe in besonderen Lebenslagen), von dem die in Abschnitt 2 enthaltene "Hilfe zum Lebensunterhalt" zu unterscheiden war, welche durch laufende und einmalige Leistungen zugebilligt werden konnte (§ 21 Abs. 1 BSHG). Auch unter Berücksichtigung des geringfügig abweichenden Wortlautes ("Hilfe in anderen besonderen Lebenslagen" ist ersetzt worden durch "Hilfe in sonstigen Lebenslagen") hat sich an der materiell-rechtlichen Zuordnung der jeweiligen Hilfearten nichts geändert.

Die inhaltlich unveränderte Übernahme der Regelung des § 27 Abs. 2 BSHG in das SGB XII lässt auch weiterhin die Ausdehnung der "Hilfe in sonstigen Lebenslagen" zu, allerdings nur auf andere, in den Kapiteln 3 bis 9 nicht geregelte Tatbestände (vgl. dazu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. April 2005 - L 8 AS 57/05 ER - bzgl. der Ausübung des Umgangsrechts; ferner BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R). § 73 SGB XII soll den Leistungsträgern der Sozialhilfe die Möglichkeit eröffnen, ihre Leistungen an eventuell auftretende neue Bedarfslagen anzupassen, ohne dass dadurch eine generelle Möglichkeit der Aufstockung eröffnet werden oder eine Ausweitung der ausdrücklich in den Kapiteln 3 bis 9 geregelten Leistungen zugelassen werden soll (vgl. z.B. Schellhorn, in: SGB XII, Kommentar, 17. Aufl. § 73 Rdnr. 3). Bedarfe und Leistungen, die regelhaft anfallen, lassen sich nicht unter die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" subsumieren. Insbesondere ist nicht erkennbar, worauf sich die Auffassung gründet (welche sich offenbar auch die Beigeladene zu 4. zu Eigen gemacht hat), § 73 SGB XII müsse für Leistungsbezieher nach dem SGB II herangezogen werden, um vom Gesetzgeber nicht gesehene oder noch nicht erkannte, wohl aber regelungsbedürftige Hilfstatbestände im Wege der Ausübung von Ermessen aufzufangen. Insoweit ist dem BSG zuzustimmen (Urteil v. 7. November 2006, aaO), dass ein generelles Verständnis von § 73 SGB XII als Auffangregelung für Leistungsempfänger nach dem SGB II systemwidrig wäre und insoweit nicht in Betracht kommt. Die Regelung würde - wenn sie generalisierend und damit auch für ungedeckte, regelhaft auftretende Bedarfe herangezogen werden würde - eine vom Gesetzgeber gerade nicht gewollte zentrale Bedeutung als Auffangnorm erhalten. Mit einer solchen Interpretation wären zur Überzeugung des Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung indes überschritten.

Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil eine Zuordnung regelhaft auftretender Bedarfe - deren mangelhafte Deckung durch die Regelleistungen die Kläger des vorliegenden Streitverfahrens geltend machen - zum Leistungsbereich des § 73 SGB XII zugleich auch die verfassungsrechtlich ohnedies problematische Zuordnung der Leistungsbereiche zu Leistungsträgern (vgl. das Urteil des BVerfG zu § 44b SGB II vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04) gleichsam "überspringen" müsste. Nach dem Regelungskonzept des SGB II sind die Regelleistungen aus Bundesmitteln zu erbringen, während die Kosten der Unterkunft (überwiegend) aus Mitteln der kommunalen Gebietskörperschaften aufzubringen sind (§§ 6, 46 SGB II). Diese Teilung der Finanzverantwortung würde bei einer solchen erweiternden Auslegung des § 73 SGB XII gesprengt (vgl. hierzu Henneke, DÖV 2005, S. 177 ff.).

Nach allem sieht der Senat somit keine Möglichkeit, dem Leistungsbegehren der Kläger im Wege der verfassungskonformen erweiternden Auslegung von Vorschriften Rechnung zu tragen.

II. Notwendigkeit der Vorlage

Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sind deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) geboten, weil der Senat die Vorschriften des § 20 Abs. 1 bis 3 und des § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II, in der Fassung von Artikel 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I. S. 2954, 2955), nach Maßgabe der nachfolgenden Gründe für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält. Das BVerfG hat sich zur Frage der Verfassungskonformität der entscheidungserheblichen Normen bisher nicht geäußert (vgl. den Nichtannahmebeschluss vom 7. November 2007 - 1 BvR 1840/07 - juris-Rdnr. 24; siehe ferner BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06 - juris-Rdnr. 106).

Das Ergebnis seiner Prüfung der im Tenor genannten Normen am Maßstab des Grundgesetzes fasst der Senat wie folgt zusammen:

1. Hinsichtlich der Klägerin zu 3. hat der Gesetzgeber seinen aus dem staatlichen Wächteramt - Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG - und Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Auftrag verletzt, ihren existenzminimalen Bedarf zu ermitteln und dessen Deckung zu gewährleisten. Die vom Gesetzgeber - durch Bezugnahme auf das SGB XII und die Regelsatzverordnung (RSV) - übernommene Begründung für das in § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II bei Kindern im Alter von 0 bis 14 Jahren auf 60 Prozent der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II auf 207,- Euro festgesetzte Sozialgeld ist nicht tragfähig. Die Unterschreitung des Existenzminimums folgt weiter aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung des Sozialgeldes für Kinder deren Betreuungs- und Erziehungsbedarf unberücksichtigt ließ, welcher nach dem Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 (2 BvL 1057/ 91 = BVerfGE 99, 216, 231 ff.) jedoch zum Existenzminimum gehört.

2. Darüber hinaus sieht der Senat hinsichtlich der Kinder im Alter der Klägerin zu 3. Verstöße gegen den Gleichheitssatz - Art. 3 Abs. 1 GG - in zwei Richtungen: Zum einen weil der Betrag des ihnen gewährten Sozialgeldes mit dem von Neugeborenen und Kleinkindern trotz evidenter Unterschiede im Bedarf identisch ist, zum anderen weil gleichaltrige Kinder, deren Eltern im Sozialhilfebezug nach dem SGB XII stehen, trotz vergleichbarer Bedarfslage teilweise besser gestellt sind, ohne dass hierfür eine stichhaltige Begründung ersichtlich ist.

3. Ferner sieht der Senat das besondere Diskriminierungsverbot gegenüber Ehe und Familie - Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG - dadurch verletzt, dass bei der Bemessung der Regelleistung nicht das unterste Fünftel der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte, sondern die Gruppe der Ein-Personen-Haushalte als Referenzgruppe herangezogen wurde, deren Einkommens- und Verbrauchsdaten erheblich unter dem Niveau der Familienhaushalte im untersten Quintil aller Haushalte liegen. Da dieser Effekt durch Vorteile gemeinsamen Wirtschaftens nicht ausgeglichen wird, folgt hieraus eine systematische Schlechterstellung der Familienhaushalte bei der Regelleistungsbemessung.

4. Aus dieser Unterschreitung des existenzminimalen Bedarfs der Klägerin zu 3. sowie der Verletzung des Diskriminierungsverbots folgt unmittelbar zugleich eine Verletzung des "Existenzminimums der Familie" - Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG - und somit auch des soziokulturellen Existenzminimums der Kläger zu 1. und 2. durch § 20 Abs. 2 und 3 SGB II.

5. Schließlich sieht der Senat durch die gesetzlichen Regelungen auch die Verfassungsmaßstäbe der Systemgerechtigkeit, Normenklarheit, Folgerichtigkeit sowie des Willkürverbots - Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG - verletzt.

III. Verfahrensvorfragen

Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Insbesondere bedurfte es der weiteren Sachaufklärung gemäß dem erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag der Beklagten nicht, weil die darin aufgeworfene Frage nach Überzeugung des Senats von der Sachverständigen Dr. Becker in ihrer Stellungnahme vom 23. Oktober 2008 bereits beantwortet worden war. Die Sachverständige hat dazu nämlich folgendes ausgeführt: "Den gutachterlichen Einwendungen gegen die derzeitige Abgrenzung des unteren Einkommensquintils, bei der verdeckt arme Personen - also Personen, die einen bestehenden Leistungsanspruch nicht wahrnehmen - in der Referenzgruppe verbleiben, wird seitens des BMAS entgegnet, dass Schwächen des Datenmaterials mit gegenläufigen Effekten zu berücksichtigen seien (S. 12). Der systematischen Unterschätzung des regelsatzrelevanten Konsumniveaus stehe entgegen, dass "in Befragungen Einkommen im Durchschnitt nicht in voller Höhe erfasst werden" (S. 12). Hierzu ist anzumerken, dass in Befragungen Einkommen teilweise zu niedrig, teilweise aber auch zu hoch angegeben werden. Für das Ausmaß derartiger Ungenauigkeiten ist das jeweilige Erhebungskonzept wesentlich. In der Argumentation des BMAS wird übersehen, dass gerade mit dem Erhebungskonzept der EVS ( Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) eine systematische Untererfassung von Einkommen bei den Befragten nicht anzunehmen ist. Denn infolge der Budgetierung - es werden Einnahmen und Ausgaben einschließlich vermögenswirksamer Transaktionen erfasst, die sich insgesamt ausgleichen müssen - werden derartige Fehler erkannt und durch Nachfragen bei den Stichprobenteilnehmern weitgehend korrigiert. Im Rahmen der zahlreichen EVS-Auswertungen der Gutachterin hat sich beispielsweise gezeigt, dass auf den ersten Blick unplausible Fälle mit Ausgaben, welche die Einkommen übersteigen, sich bei Einbeziehung der Auflösung kleiner Sparguthaben und von Kreditaufnahmen aufklären. Unter Berücksichtigung des Budgetierungsansatzes der EVS wird der Auffassung, Ungenauigkeiten bei der Einkommenserhebung würden den Effekt der Einbeziehung von Haushalten mit Einkommen unter dem Sozialhilfeniveau kompensieren, nicht zugestimmt." Den Senat hat dies überzeugt, weshalb von weiteren Ermittlungen abzusehen war.

IV. Die Normen und ihre Entstehungsgeschichte

1. Die zu prüfenden Normen im Wortlaut:

§ 20 SGB II hat in der hier maßgeblichen Fassung folgenden Wortlaut: "(1) Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Nicht umfasst sind die in § 5 Abs. 2 Satz 2 dieses Buches genannten Leistungen nach dem Zwölften Buch. (2) Die monatliche Regelleistung beträgt für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, in den alten Bundesländern einschließlich Berlin (Ost) 345 Euro, in den neuen Bundesländern 331 Euro. (3) Haben zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt die Regelleistung jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2. Die Regelleistung für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft beträgt 80 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2."

§ 28 Abs. 1 SGB II hat in der hier maßgeblichen, vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung (auszugsweise) folgenden Wortlaut: "(1) Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Das Sozialgeld umfasst die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 ergebenden Leistungen. Hierbei gelten ergänzend folgende Maßgaben: 1. Die Regelleistung beträgt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vom Hundert und im 15. Lebensjahr 80 vom Hundert der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistung ..."

2. Die Rechtsentwicklung der maßgeblichen Vorschriften

Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 2954) sind die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende an die Stelle der Arbeitslosenhilfe und in weiten Teilen auch an die Stelle der Sozialhilfe des vorher geltenden Rechts unter gleichzeitiger Schaffung neuer organisationsrechtlicher Strukturen (dazu vgl. Urteil des BVerfG vom 20. Dezember 2007, aaO) getreten. In Abkehr von der Betonung einer makroökonomischen Betrachtung und der staatlichen Verantwortung für den Arbeitsmarkt in Anlehnung an § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vom 8. Juni 1967, welche in § 1 des Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. Juni 1969 und § 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB III): Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl. I, S. 594) zum Ausdruck kam, individualisiert nunmehr § 1 des SGB II die Verantwortung für ihre Situation bei den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, deren "Eigenverantwortung" gestärkt und denen Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden soll, damit sie ihren Unterhalt aus einer eigenen Erwerbstätigkeit bestreiten können (vgl. Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 15/1516, S. 50). Dabei verdient der Umstand Erwähnung, dass dieser paradigmatische Wechsel einherging mit einer Entwicklung, in welcher der Staat wesentliche makroökonomische Instrumente zur Steuerung des Arbeitsmarkts - namentlich die Zins- und Währungspolitik - im Rahmen der sog. "Maastricht-Verträge" aus der Hand gegeben hat (vgl. den Beschluss des BVerfG vom 31. März 1998 - 2 BvR 1877/97 et al. - dort unter juris-Rdnr. 63 ff.; Hankel, Sozialstaat und Nationalismus, in: Wiegand (Hrsg.), Sozialstaat am Ende? - Symposion anlässlich des 40jährigen Bestehens der Hessischen Sozialgerichtsbarkeit, Wiesbaden 1994, S. 57 ff.).

a) Die Regelleistungsbestimmung im SGB II Anders als das bis zum 31. Dezember 2004 geltende BSHG, bei welchem die Festsetzung der Regelsätze durch den Verordnungsgeber erfolgte, hat der Gesetzgeber im SGB II in § 20 Abs. 2 selbst die Regelleistung mit 345 Euro und dazu in §§ 20 Abs. 3 und 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II Quoten hiervon für die sonstigen Haushaltsangehörigen festgelegt, welche zum 1. Januar 2005 die Leistungen der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfesuchende ablösten. Der Betrag von 345 Euro ab 1. Januar 2005 entspricht dabei in etwa dem durchschnittlichen Eckregelsatz der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG im Jahr 1998 zuzüglich der mit 16 Prozent des Eckregelsatzes bemessenen einmaligen Leistungen (48,- Euro). Nach der Gesetzesbegründung zum SGB II entsprechen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld werden unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes so weit wie möglich pauschaliert und die einzelnen Leistungsbestandteile so ausgestaltet, dass die Betroffenen ihre Bedarfe selbst und möglichst einfach ermitteln können. Bundesweit wird es zwei unterschiedliche Pauschalen für Regelleistungen, eine in den alten und eine in den neuen Ländern, geben. Darüber hinaus erhalten jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige und die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft monatliche Pauschalen für einmalige Leistungen. Diese Pauschalen können bei offensichtlich unwirtschaftlichem Verhalten des Hilfebedürftigen auch als Sachleistung erbracht werden" (BT-Drucks. 15/1516, S. 46). Die Regelleistung des § 20 Abs. 1 SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst nach der Gesetzesbegründung "wie der Regelsatz im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch - neben dem Bedarf an Ernährung, Körperpflege, Hausrat und den Bedarfen des täglichen Lebens in vertretbarem Umfang auch die Beziehungen zur Umwelt sowie eine Teilnahme am kulturellen Leben. Die Regelleistung bildet also im Rahmen des Arbeitslosengeldes II das "soziokulturelle" Existenzminimum der insoweit als Referenzsystem für alle bedarfsorientierten und bedürftigkeitsabhängigen staatlichen Fürsorgeleistungen fungierenden Sozialhilfe ab. Die Regelleistung umfasst die im Rahmen der genannten Bedarfe pauschalierbaren Leistungen. Die Vorschriften zur Regelleistung enthalten keine Regelungen zu ihrer Bemessung, da hierfür die Regelungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch einschließlich der Regelsatzverordnung einschlägig sind, die das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit erlassen wird " (aaO, S. 56). Zu § 20 Abs. 2 SGB II heißt es: "Die monatliche Regelleistung für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind, ergibt sich aus der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt erhobenen Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998, die auf den Stand 1. Juli 2003 hochgerechnet wurde." In § 20 Absatz 3 wird klargestellt, "dass immer dann, wenn zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, ihre Regelleistung jeweils 90 vom Hundert, also den rechnerischen Durchschnitt zwischen der Regelleistung für den Alleinstehenden und für seinen Partner beträgt. Diese Regelung ist auch deshalb sinnvoll, weil Frauen in Paarbeziehungen in der Regel nicht als Haushaltsvorstand gelten und daher ohne Durchschnittsmittelung nur die geringere Regelleistung von 80 vom Hundert erhalten würden. Die Regelung ist mit der Regelsatzverordnung zum Zwölften Buch vereinbar. Im Übrigen beträgt die Regelleistung für erwerbsfähige Angehörige, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, entsprechend der neu zu erlassenden Regelsatzverordnung zum Zwölften Buch 80 vom Hundert der nach Absatz 2 maßgebenden Regelleistung" (aaO, S. 56). Hinsichtlich der für die Klägerin zu 3. maßgebenden Vorschrift des § 28 SGB II verweist die Begründung ebenfalls auf die Festlegungen der Regelsatzverordnung zum SGB XII (aaO, S. 59). Danach beträgt die Regelleistung für nicht erwerbsfähige Angehörige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vom Hundert der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistung.

Das SGB II enthält somit selbst keine Vorschriften zur Ermittlung des "soziokulturellen" Existenzminimums, sondern verweist lediglich in der Gesetzesbegründung auf die Regelungen im SGB XII einschließlich der RSV. Eine Öffnungsklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII im Dritten Kapitel des SGB XII in Fortführung von § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG für eine abweichende Festlegung der Bedarfe aufweist, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, enthält das SGB II nicht. In § 3 Abs. 3 SGB II hat der Gesetzgeber vielmehr bestimmt, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur erbracht werden dürfen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann, und in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II heißt es, dass der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches ausschließt.

b) Die Regelbedarfe und der Inhalt der Regelsätze nach dem SGB XII Für die §§ 20, 28 des bereits am 24. Dezember 2003 verabschiedeten SGB II übernahm der Gesetzgeber also die Regelsatzbemessung aus der Verordnung zur Durchführung des § 28 des am 27. Dezember 2003 verabschiedeten SGB XII (BGBl. I, S. 3022), die gemäß § 40 SGB XII vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit jedoch erst am 12. März 2004 dem Bundesrat zugeleitet (BR-Drucks. 206/04) und mit Ausfertigung vom 3. Juni 2004 erlassen wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft trat (RSV, BGBl. I, S. 1067), nachdem der Bundesrat der Empfehlung des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik (AS) und des Ausschusses für Frauen und Jugend (FJ) vom 4. Mai 2004, der Verordnung gemäß Artikel 80 Abs. 2 GG nicht zuzustimmen, nicht gefolgt war (BR- Drucks 206 /1/ 04). Die Ausschüsse waren - mehr als vier Monate nach der Verabschiedung des SGB II und der darin bereits erfolgten Bezifferung der Regelleistung im Vorgriff auf die erst noch zu erlassende RSV - unter anderem nicht nur der Ansicht, die Verordnung überschreite mit der erstmaligen Festsetzung der Regelsätze zum 1. Januar die Verordnungsermächtigung, sondern hielten sie darüber hinaus für methodisch fehlerhaft und willkürlich (dazu siehe nachfolgend unter f) (4)).

§ 28 Abs. 3 SGB XII schreibt eine Bemessung der Regelsätze dergestalt vor, dass der Bedarf nach § 28 Abs. 1 SGB XII (in Verbindung mit § 27 SGB XII – "Notwendiger Lebensunterhalt") dadurch gedeckt werden kann (Satz 1) und dass die Regelsatzbemessung Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten berücksichtigt (Satz 2). Auch das SGB XII bezieht somit in den Regelsatz den gesamten Bedarf für den notwendigen Lebensunterhalt pauschal ein. § 28 Abs. 2 SGB XII eröffnet die Möglichkeit zur Festsetzung auf Länderebene.

Grundlage der Regelsatzbemessung sollen gemäß § 28 Abs. 3 Satz 3 SGB XII "die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen" sein. Datengrundlage hierfür ist gemäß § 28 Abs. 3 Satz 4 SGB II die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Die EVS ist seit 1964 fester Bestandteil der amtlichen Statistik und wird gemeinsam durch das Statistische Bundesamt und die Statistischen Landesämter im Abstand von fünf Jahren durchgeführt. Es handelt sich dabei um eine Quotenstichprobe. Die Haushalte werden nach einem Quotenplan ausgewählt. Die Grundgesamtheit der Haushalte wird dabei für jedes der 16 Bundesländer nach vorgegebenen Quotierungsmerkmalen (Haushaltstyp, soziale Stellung des Haupteinkommensbeziehers und Haushaltsnettoeinkommen) gegliedert. Im fünfjährigen Turnus - zuletzt 1998 und 2003 - sollen so rund 0,2 Prozent aller privaten Haushalte in Deutschland zu Einnahmen und Ausgaben, Wohnsituation, Ausstattung mit technischen Gebrauchsgütern sowie Vermögen und Schulden befragt werden. Die EVS liefert damit aktuelle Ergebnisse über die Entwicklung der Lebensverhältnisse privater Haushalte. Bei der EVS 2003 lag die Zahl der Erhebungseinheiten mit verwertbaren Angaben allerdings nur bei 53.432 Haushalten und somit unterhalb der 0,2-Prozent-Quote (siehe hierzu Gutachten Dr. Martens v. 20. September 2008 in Fn. 1). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme an der EVS besteht nicht, d. h. alle Haushalte nehmen auf freiwilliger Basis teil. Hieraus resultiert u.a. eine Begrenzung der Teilnehmer mit Höchsteinkommen (vgl. hierzu Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, Baden-Baden 2000, S. 94 f.), was zu einer sogenannten "Abschneidegrenze" führt. Diese lag für die EVS 1998 bei 17.895,- Euro und für die EVS 2003 bei 18.000,- Euro.

§ 28 Abs. 4 SGB XII enthält ein sogenanntes Lohnabstandsgebot. Danach soll die Regelsatzbemessung gewährleisten, dass bei Haushaltsgemeinschaften von Ehepaaren mit drei Kindern die Regelsätze zusammen mit Durchschnittsbeträgen der Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 29 SGB XII) sowie für einmalige Bedarfe (§ 31 SGB XII) und unter Berücksichtigung eines durchschnittlich abzusetzenden Betrages von 30 Prozent des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten (§ 82 Abs. 3 SGB XII) unter den erzielten monatlichen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelten unterer Lohn- und Gehaltsgruppen einschließlich anteiliger einmaliger Zahlungen zuzüglich Kindergeld und Wohngeld in einer entsprechenden Haushaltsgemeinschaft mit einer alleinverdienenden vollzeitbeschäftigten Person bleiben.

c) Weitere streitrelevante Unterschiede zwischen SGB II und SBG XII Nicht aufgenommen wurde im SGB II eine dem § 27 Abs. 2 SGB XII entsprechende Vorschrift, dass der notwendige Lebensbedarf bei Kindern und Jugendlichen auch den besonderen, insbesondere den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf umfasst. Ebenso fehlt im SGB II auch eine dem § 16 SGB XII entsprechende Vorschrift, dass die Leistungen die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenschluss der Familie festigen sollen. Insoweit enthält das SGB II aber in § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 die Zielbestimmung, die Leistungen der Grundsicherung seien "insbesondere darauf auszurichten, dass die familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Kinder erziehen, berücksichtigt werden".

d) Die Regelsatzbestimmung in der RSV Grundlage der Bemessung der Regelsätze ist gemäß § 2 RSV der aus der EVS abzuleitende Eckregelsatz (Abs. 1). Dieser wiederum setzt sich aus der Summe der Verbrauchsausgaben zusammen, die sich aus den Vomhundertanteilen der in Abs. 2 im Einzelnen genannten Abteilungen aus dem vom Statistischen Bundesamt erstellten Verzeichnis ergeben. Die sodann folgende Aufzählung enthält eine Zuordnung von Prozentsätzen zwischen 8 Prozent und 96 Prozent zu den genannten Abteilungen des sogenannten Code-Verzeichnisses der EVS mit der Folge, dass das Ausgabeverhalten der Angehörigen der definierten unteren Einkommensgruppe in diesen Abteilungen Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt bereits bei der Errechnung des Eckregelsatzes nur zu jeweils unterschiedlichen Prozentanteilen zugestanden wird. Das seinerzeit federführend verantwortliche Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gab hierfür in der Begründung der RSV den Hinweis, "nicht alle Einzelpositionen der betreffenden Abteilungen und diese wiederum auch nicht immer in vollem Umfang [seien] dem notwendigen Bedarf zuzurechnen", so dass - da "ein objektives, allgemein anerkanntes Raster (der Bedarfspositionen des notwendigen Lebensunterhaltes i.S.d. §§ 27, 28 SGB XII) nicht zur Verfügung steht - Einschätzungen und Bewertungen erforderlich sind" (BR-Drucks. 206/04, S. 6). Gemäß § 2 Abs. 3 RSV sind die Verbrauchsausgaben der untersten 20 Prozent der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichproben nach Herausnahme der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe zugrunde zu legen. In der Begründung heißt es hierzu, dass die Regelung zur Folge habe, "dass jeder Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt im Hinblick auf die durch den Regelsatz erfolgende Bedarfsdeckung so gestellt ist, wie etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland, so dass er, orientiert an den herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen ein Leben führen kann, ohne als Sozialhilfeempfänger aufzufallen" (BR-Drucks. 206/04, S. 10). Anknüpfend an die EVS 1998 geht die RSV in der weiteren Begründung bei der Fortschreibung auf den 1. Januar 2005 von einem Eckregelsatz von 345,-Euro aus (vgl. BR-Drucks 206/04 S. 12 f.).

Den Aufbau der Regelsätze regelt § 3 RSV. Nach dessen Abs. 1 beträgt der Regelsatz für den Haushaltsvorstand 100 vom Hundert des Eckregelsatzes; dieser gilt auch für Alleinstehende. Die Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige betragen gemäß § 3 Abs. 2 RSV
1. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vom Hundert,
2. ab Vollendung des 14. Lebensjahres 80 vom Hundert.

Hierzu nimmt die Begründung der RSV Bezug auf eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts (Münnich/Krebs, Ausgaben für Kinder in Deutschland, Wirtschaft und Statistik 2002, S. 1080 ff.) sowie "auf international anerkannte wissenschaftliche Verfahren, z.B. die modifizierte OECD-Skala" (BR-Drucks. 206/04, S. 10 f.).

e) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz Vor Inkrafttreten des nunmehr dem Pauschalierungsgrundsatz folgenden SGB II, welches im Unterschied zum SGB XII keine Öffnungsklausel enthält, sah das BSHG in §§ 21, 22 ein differenziertes und gemäß § 3 BSHG dem Individualisierungsprinzip verpflichtetes System laufender und einmaliger Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt vor, das jedoch ebenfalls im Verordnungsweg festgesetzte Regelsätze kannte. Seit dem 1. Juli 1990 erfolgte für dieses System die Bedarfsbemessung nicht mehr - wie zuvor - auf der Grundlage eines Warenkorbs, sondern nach dem sogenannten Statistikmodell, welches auf die tatsächlichen, statistisch ermittelten Ausgaben und das Verbrauchsverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen abstellt (§ 22 Abs. 3 Satz 3 BSHG). Dieses Bedarfsbemessungssystem beschlossen die Länder auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 25. bis 27. Oktober 1989 in Düsseldorf auf der Grundlage des von ihnen in Auftrag gegebenen Gutachtens des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV) "Neues Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze in der Sozialhilfe: Ableitung der Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige" (Frankfurt am Main, 1989). Dieser Methode soll jetzt auch die Regelsatzbemessung nach dem SGB XII in Verbindung mit der RSV und - hiervon abgeleitet - deshalb auch die Bemessung der Regelleistungen gemäß §§ 20, 28 SGB II folgen. Bereits die Regelsatzbemessung unter der Geltung des BSHG, von der je nach der Besonderheit des Einzelfalles gemäß §§ 3, 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG jedoch erforderlichenfalls abweichend zu verfahren war, hatte Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen (§ 22 Abs. 3 Satz 2 BSHG). Gemäß § 2 der nach § 22 Abs. 2 BSHG erlassenen Regelsatzverordnung waren die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Haushaltsangehörige gesondert festzusetzen. Gemäß § 2 Abs. 3 der Regelsatzverordnung betrugen sie

1. bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres 50 v.H., beim Zusammenleben mit einer Person, die allein für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, 55 v.H.,
2. vom Beginn des 8. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 65 v.H., 3. vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 90 v.H. und
4. vom Beginn des 19. Lebensjahres an 80 v.H. des Regelsatzes für einen Haushaltsvorstand.

f) Kritik an der Regelsatzbemessung Vor der Umstellung des sog. Warenkorbmodells auf das Statistikmodell war die Reform der Regelsatzstruktur vor allem wegen der "teilweise erheblichen Unterausstattung von Kindern und Jugendlichen bestimmter Altersgruppen" als überfällig gefordert worden (vgl. Schellhorn, Walter, Neues Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze der Sozialhilfe: Ableitung der Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige, NDV 1989, 160 - unter Bezugnahme auf das vorgenannte Gutachten des DV), ohne dass sich jedoch nach der Reform entsprechende Korrekturen im Sinne einer gezielten Bedarfsermittlung bei Kindern feststellen lassen; die Regelsätze blieben vielmehr weiterhin nach dem sogenannten Eckregelsatz des Haushaltsvorstands bemessen. Die seitens des DV zur Kontrolle der Bedarfsdeckung geforderte Erstellung eines parallelen Warenkorbes, welcher zur Voraussetzung der Zustimmung der Wohlfahrtsverbände gemacht worden war, unterblieb (vgl. Sartorius, Höhere Regelsätze durch Gerichtsurteil?, info also 2/2004, S. 55).

(1) Schon unter dem Regime des Warenkorbmodells war im Zeitraum von 1963 bis 1990 ein relatives Zurückbleiben des Sozialhilfeniveaus hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung festzustellen gewesen, denn bei der Gegenüberstellung der Entwicklung des Regelsatzes einerseits und des Nettoeinkommens aus Erwerbstätigkeit und Renten andererseits verschlechterten sich die Sozialhilfeempfänger in einer Größenordnung von ca. 10 Prozent des Regelsatzes. Bei der ersten Regelsatzfestsetzung aufgrund des Statistikmodells wurden die aus der EVS 1983 stammenden Werte zudem aus Kostengesichtspunkten nicht hochgerechnet, was eine Anpassung um 13,9 Prozent erfordert hätte (derselbe, aaO (2000), S. 94). Seit dem 1. Juli 1993 wurde sodann die bedarfsbezogene Anhebung der Regelsätze mehrfach ausgesetzt, so dass sich die Absenkung des Regelsatzniveaus fortsetzte; für das Jahr 2001 wurde unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes eine reale Verringerung der Regelsätze festgestellt, die in den alten Bundesländern mit 3,8 Prozent unter dem Wert des Jahres 1991 gelegen hätten (derselbe, aaO (2004), S. 56 - mwN). Der Sachverständige Dr. Martens hat dazu weiter ausgeführt, dass seit der EVS 2003 bis zum Inkrafttreten des SGB II ein weiterer Kaufkraftverlust von 1,6 Prozent (= 5,- Euro) zu verzeichnen ist (S. 10 des Gutachtens vom 20. September 2008).

(2) In der Literatur wurde diese Entwicklung zunehmend von Zweifeln begleitet, ob die Aufgabe der Sozialhilfe noch erfüllt werde, es "einem Hilfebedürftigen zu ermöglichen, in der Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben" (vgl. BVerwGE 36, 256, 258), und ob die von der Rechtsprechung bemühte "Vertretbarkeitsformel" zur Rechtfertigung der gesetzgeberischen Maßnahmen noch greifen könne, wenn bei Gesamtbetrachtung der Entwicklung der letzten Jahre keinerlei Verlässlichkeit mehr zu erkennen sei. Die rechtsstaatliche Gewährleistung, zu der z.B. im Steuerrecht selbstverständlich die Verlässlichkeit der Regelungen gehöre, verflüchtige sich zunehmend im Bereich der Regelsatzbestimmung und es erscheine mittlerweile angemessen, eine Verfassungsverletzung zu konstatieren, zumal immerhin das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bei seinen letzten Entscheidungen vorsichtig warnend zu erkennen gegeben habe, dass es so wie bisher nicht beliebig weitergehen könne, wenn dieses Gericht seine sogenannte Vertretbarkeitsformel mit der Klausel "jedenfalls für eine Übergangszeit" relativiert habe (so, im Januar 2003, Roscher, in: Lehr- und Praxiskommentar - LPK- zum BSHG, 6. Aufl., § 22 Rdnr. 54 mwN).

(3) Entsprechend kritisch sind auch die Stimmen zur Eignung der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II bzw. § 28 SGB XII in Verbindung mit der RSV zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums, die ebenfalls aus Gründen des Leistungsniveaus wie wegen der ihr zugrunde liegenden Methodik vielfach bezweifelt wird (hierzu vgl. insbesondere Rothkegel/Hannes in Gagel (Hrsg.), SGB II, Kommentar, Ergänzungslieferung Juni 2008, § 20 Rdnr. 37 ff. mwN). Der Gesetzgeber habe sich nicht an den Referenz-Einkommen der unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher orientiert, deren Monatseinkommen bis zu 2.499,- DM erreichten, sondern an der Gruppe der Alleinstehenden-Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1.800 DM, die zudem nur 9,39 Prozent der Haushalte ausmachten; die Höhe der Regelleistung bemesse sich damit an einer bereits ausgegrenzten Bezugsgruppe, was eine realistische Bedarfsermittlung ausschließe (Frommann, Warum nicht 627 Euro?, NDV 2004, S. 250 ff.; Könemann, Der verfassungsunmittelbare Anspruch auf das Existenzminimum 2005, S. 152 f.; Ockenga, Regelleistung des SGB II und Verfassungswidrigkeit, in: ZFSH/SGB 2006, S. 143, 145). Seine detaillierte Untersuchung der Regelsatzbestimmung beendet Frommann mit folgendem Fazit: "Die Errechnung des Eckregelsatzes für 2005 durch den Verordnungsgeber genügt den Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BVerwG an die Realitätsbezogenheit, Transparenz und Nachprüfbarkeit der Regelsatzbemessung zu stellen sind. Wären sie berücksichtigt worden, so hätte der Verordnungsgeber als Referenzgruppe für die Errechnung des Eckregelsatzes die Haushalte heranziehen müssen, die 1998 über ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1.800,- und 2.499,- DM verfügten, und das empirisch ermittelte Verbrauchsverhalten dieser Referenzgruppe uneingeschränkt auch Beziehern regelsatzmäßiger Hilfe zum Lebensunterhalt zugestehen müssen. Dann hätte er einen Eckregelsatz nicht in Höhe von 345,- EUR, sondern in Höhe von 627, EUR errechnet, dessen Anpassung nach den Vorgaben des Lohnabstandsgebotes sodann unter Berücksichtigung von Kriterien hätte erfolgen können, die zunächst ohne Bedeutung hätten bleiben müssen. So, wie der Verordnungsgeber tatsächlich verfahren ist, setzt er sich dem Verdacht aus, "unter dem Deckmantel" einer an "Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen" i.S.d. § 28 Abs. 3 SGB XII orientierten Errechnung des Eckregelsatzes in einer Art "verkapptem Lohnabstandsverfahren" eine Anpassung des Eckregelsatzes vorweggenommen zu haben, zu deren in § 28 Abs. 4 SGB XII geregelten Maßgaben er kein einziges Wort verliert. Das ist weder methodisch korrekt noch rational nachvollziehbar" (aaO, S. 253; vgl. die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Martens vom 24. Oktober 2008).

(4) Bereits zuvor hatten der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) dem Bundesrat am 4. Mai 2004 empfohlen, der Verordnung gemäß Artikel 80 Abs. 2 GG nicht zuzustimmen und dabei unter Ziffer 4 und 5 ausgeführt: "Zur Konkretisierung der "Haushalte in unteren Einkommensgruppen" i. S. d. § 28 Abs. 3 Satz 3 SGB XII sind nach § 2 Abs. 3 der Verordnung bei der Regelsatzbemessung die Verbrauchsausgaben der untersten 20 vom Hundert der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nach Herausnahme der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe zu Grunde zu legen. Zur sachlich zwingenden Vermeidung eines Zirkelschlusses bei der Ermittlung des eckregelsatzrelevanten Verbrauchs ist es jedoch notwendig, auch die Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem GSiG bzw. dem SGB II aus der Referenzgruppe herauszunehmen. Die Ableitung des Eckregelsatzes ist nicht hinreichend transparent, insbesondere die Festlegungen der Vomhundertanteile an den einzelnen Verbrauchsausgabenanteilen in § 2 Abs. 2 der Verordnung sind aufgrund der amtlichen Begründung allein nicht nachvollziehbar; teils handelt es sich offensichtlich um willkürliche Setzungen ..." (BR-Drucks 206/1/04).

(5) Sehr kritisch wird auch die Pauschalierung der einmaligen Beihilfen beurteilt. Nach dieser neuen Struktur werde für alle einmaligen Beihilfen zusammen ein Gesamtbetrag zur Verfügung gestellt, der in etwa dem entspreche, der 1998 nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins noch alleine für die Anschaffung von Bekleidung von nicht geringem Anschaffungswert habe zur Verfügung stehen sollen; statt der politisch betonten Besserstellung beinhalte die Neuregelung eine gravierende Verschlechterung gegenüber dem alten Recht (Spindler, Die neue Regelsatzverordnung - Das Existenzminimum stirbt in Prozentschritten, info also 4/2004, S. 147, 151; Hauch-Fleck, Wie aus mehr weniger wird, Die Zeit, 52/2004 v. 16. Dezember 2004, S. 26). Insofern ist anzumerken, dass die 16-Prozent-Quote nicht dem entspricht, was die Bundesregierung selbst zuvor schon für die einmaligen Leistungen zum Lebensunterhalt veranschlagt hat; so findet sich im Beschluss des BVerfG vom 25. September 1992 nämlich eine Quote von 20 Prozent (ab 1985, - BVerfG 87, 153, 174). Ebenfalls kritisch beurteilt wird die Ansparpflicht für die in größeren Abständen erforderlichen Käufe und Aufwendungen, weil hier die Gefahr drohe, dass Eltern sie verletzten. Zwar könne in diesen Fällen gemäß § 23 Abs. 1 SGB II ein Darlehen gewährt werden, das allerdings durch monatliche Aufrechnung bis zu 10 Prozent der Regelleistung getilgt werden muss. Da laut Gesetzesbegründung dabei auch die Regelleistungen einzubeziehen sind, die an die mit dem Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlen sind (BT-Drucks. 15/1516, S. 57), drohe die Gefahr, dass Kinder für ihre Eltern haften müssten (so Lenze, Kinderrechte und Sozialrecht - Die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung für Kinder, Vortrag gehalten auf der Bundestagung des Deutschen Sozialrechtsverbandes in Münster, 9. Oktober 2008, S. 17 - Anmerkung: Das Vortragsmanuskript wurde zum Verfahren beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnis gebracht).

V. Die Diskussion der Verfassungsfragen in Literatur und Rechtsprechung

1. Die Diskussion der Verfassungsfragen in der Literatur

Zahlreiche Beiträge untersuchen die Methodik und Bemessung der Regelleistungen mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Fragen (dazu vgl. insbesondere Rothkegel/Hannes, aaO; ferner die Übersicht in BSG, Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R, dort unter juris-Rdnr. 34 ff). Die Debatte konzentriert sich im Wesentlichen auf die Prüfung der vorliegend streitigen Normen anhand des Maßstabes des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (zu Zweifeln an der Verfassungsgemäßheit exemplarisch Rothkegel/Hannes aaO, Rdnr. 52 ff.; zur gegenteiligen Ansicht Spellbrink, Wolfgang, Ist Hartz IV befarfsdeckend? Verfassungsrechtliche Probleme der Regelleistung gemäß § 20 SGB II, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2008, S. 4 ff.). Die Bandbreite der Meinungen reicht dabei von der Forderung nach einem Schutz vor Existenznot im Sinne einer Sicherung nur der physiologischen Existenz des Bürgers (vgl. Martinez Soria, Das Recht auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2005, S. 644, 648 mwN) über die Forderung zur Sicherung eines qualifizierten Verfahrens zur Festlegung der Untergrenze (z.B. Rothkegel/Hannes aaO, § 20 Rdnr. 37 ff; Berlit, info also 2005, S. 181: "rationalitäts-verbürgendes Verfahren") bis hin zum Schutz eines materiellen Existenzminimums in Abhängigkeit vom Lebensstandard der Gesamtgesellschaft (so wohl Däubler, NZS 2005, S. 226: Existenzminimum hat "dynamischen Charakter"; für das alte Recht Podlech, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl. 2001, Art. 1 Abs. 1 Rdnrn. 25, 27).

Soweit ersichtlich setzt sich allein Lenze umfassend mit den verfassungsrechtlichen Fragen auseinander, welche die Kinderregelsätze aufwerfen. Sie sieht bereits in der der RSV nicht entsprechenden Auswahl der Alleinstehenden-Haushalte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs.1 GG, ferner Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit Blick auf die Gleichbehandlung der Kinder in unterschiedlichen Altersgruppen einerseits und divergierende Regelungen gleicher Sachverhalte im SGB II und SGB XII andererseits. Auch das Lohnabstandsgebot verstößt nach ihrer Ansicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG, denn in der letzten Konsequenz führe dies dazu, dass die Existenz von Kindern zu einer Absenkung der Regelsätze führe, was wiederum die Kinderarmut erhöhe und auch den Steuern zahlenden Familien noch mehr von ihrem Einkommen nimmt, so dass Teilhabechancen und Zukunftsaussichten von allen Kindern in Deutschland sinken würden (aaO, S. 19). Hinsichtlich der Regelleistung für Kinder und Jugendliche scheint im Übrigen auch Spellbrink seine Auffassung, dem Gesetzgeber stehe ein nahezu unbeschränkter Ermessens- und Gestaltungsspielraum zu, zu bezweifeln; jedenfalls zieht er zur Abhilfe in Erwägung, unter dem vom BVerwG hervorgehobenen Gesichtspunkt eines Stigmatisierungsverbots böte es sich an, die Höhe der Regelleistung in § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II für Kinder und Jugendliche etwa mit dem Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle zu vergleichen, welche in der niedrigsten Kategorie (Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen bis 1.300,- Euro) den Kindesunterhalt für 6- bis 11-jährige mit 245,- Euro/Monat und für 12- bis 17-jährige mit 288,- Euro/Monat beziffere; die Regelleistung des SGB II liege damit jedenfalls unter den niedrigsten Werten der Düsseldorfer Tabelle (aaO, S. 18).

2. Die Rechtsprechung des BSG

Die Frage der Vereinbarkeit der Vorschriften der §§ 20, 28 SGB II mit dem GG hat das BSG seit der Leitentscheidung des 11b-Senats vom 23. November 2006 (B 11b AS 1/06 R) soweit ersichtlich lediglich für § 20 SGB II in ständiger Rechtsprechung dahingehend entschieden, dass ein Verfassungsverstoß nicht vorliege; soweit höchstrichterliche Rechtsprechung zu Regelleistungen für Kinder existiert, blieben die verfassungsrechtlichen Fragen bisher unerörtert (siehe z.B. das Urteil des 7b-Senats des BSG vom 7. November 2007, - B 7b AS 18/06 R - juris-Rdnr. 25 ff.).

In der Leitentscheidung vom 23. November 2006 betont der 11b-Senat im Rahmen der Prüfung anhand des Maßstabs von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG, dass diese Normen für den Gesetzgeber einen Gestaltungsauftrag begründeten, der jedoch nicht geeignet sei, eine Verpflichtung des Staates zur Gewährung sozialer Leistungen in einem bestimmten Umfang zu begründen, vielmehr seien dem Gesetzgeber im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden kann, weite Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt (juris-Rdnr. 45). Eine genaue Bestimmung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins begegne angesichts sich ständig ändernder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse und Entwicklungen erheblichen Schwierigkeiten, weshalb der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen, die sich mit der Bestimmung des Existenzminimums befassten, keineswegs eine einheitliche Definition gewählt habe. Soweit dem Begriff der Sicherung der "Mindestvoraussetzungen" die Forderung nach einem Schutz vor Existenznot i. S. einer Sicherung der physiologischen Existenz des Bürgers zu entnehmen sei, bestünden keine Bedenken, dass der Gesetzgeber beim SGB II diese Forderung erfüllt habe. Die vom Gesetzgeber gewählte Art der Bedarfsermittlung und ihre Ergebnisse seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn es sei grundsätzlich zulässig, Bedarfe gruppenbezogen zu erfassen und eine Typisierung bei Massenverfahren vorzunehmen. Der Senat habe dabei auch berücksichtigt, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT Drucks. 15/1516, S. 56) für die Leistungshöhe eine vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem statistischen Bundesamt erhobene Auswertung der EVS 1998 mit Hochrechnung auf den Stand 1. Juli 2003 maßgebend sei und dass sich die Regelleistung hinsichtlich Höhe und Neubemessung auch an der RSV orientieren sollte. Der Senat habe dabei sowohl berücksichtigt, dass die RSV bis zur Verabschiedung des SGB II durch den Bundestag im Dezember 2003 noch nicht erlassen gewesen sei und dass erst mit Schreiben der Bundesregierung vom 10. März 2004 der RSV-Entwurf und dessen Begründung dem Bundesrat übermittelt worden sei (BR-Drucks. 206/04), wie auch die Tatsache, dass vor dem Gesetzesbeschluss zum SGB II der Vorentwurf einer RSV vorgelegen habe, der im Detail von der späteren RSV vom 3. Juni 2004 abweiche. Aus diesem zeitlichen Ablauf ließen sich jedoch keine grundsätzlichen Einwände gegen die Festsetzung der Regelleistungen ableiten, da der Gesetzgeber bei der Ermittlung der - typisierten - Bedarfe wie schon bei der Sozialhilfe auf das Statistikmodell zurückgegriffen habe und erkennbare Bezugspunkte für die Bemessung der Regelleistung mit 345,- Euro die Höhe der bis dahin geltenden Regelsätze (297,- Euro) zuzüglich eines an der damaligen Bewilligungspraxis bezüglich einmaliger Leistungen gemessenen Anteils in Höhe von ca. 16 Prozent gewesen sei (BSG vom 23. November 2006 aaO, juris-Rdnr. 50). Auch hinsichtlich der Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II bestünden keine Bedenken. Der parlamentarische Gesetzgeber habe im Unterschied zur Regelung der Leistungshöhe im Bundessozialhilfegesetz im SGB II die Höhe der Regelleistung unmittelbar bestimmt. Allerdings lässt das BSG insoweit offen, ob die ursprünglich zur Kontrolle der Regelsatzverordnung entwickelten Prüfmaßstäbe weiter gelten, weil selbst auf der Grundlage der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte keine Bedenken bestünden, da der Bestimmung der Regelleistung ausreichende Erfahrungswerte zugrunde lägen und der dem Gesetzgeber zuzubilligende Einschätzungsspielraum nicht in unvertretbarer Weise überschritten sei. Durchgreifende Bedenken ergäben sich insbesondere nicht daraus, dass im Schrifttum mangelnde Transparenz gerügt oder auf die angebliche Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen hingewiesen werde. Bei der Vertretbarkeitsprüfung sei auch zu bedenken, dass die gegenwärtige Situation durch die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten und durch Einkommenseinbußen in breiten Bevölkerungskreisen geprägt sei, weshalb dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebotes maßgebliche Bedeutung zukommen müsse. Diesem Gebot entspreche, dass in der Konsequenz der Festlegung der Regelleistung in § 20 Abs. 2 SGB II der Hilfeempfänger weniger konsumieren könne als die untersten 20 Prozent der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der EVS ohne Einbeziehung der Hilfeempfänger. Zu beachten sei auch, dass der Gesetzgeber des SGB II den Hilfebedürftigen nicht nur die Regelleistung, sondern in §§ 16, 21, 22, 23 SGB II in nicht unwesentlichem Umfang weitere Leistungen zur Verfügung stelle. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Parallelsenats vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - stellt der 11b-Senat weiter fest, es sei in Ausnahmefällen auch möglich, Leistungen nach Maßgabe des SGB XII zu beanspruchen. Schließlich begegne auch die Bemessung der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 3 SGB II keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da bei zwei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft ein Wirtschaften "aus einem Topf" zu Kostenersparnissen führe (zu Vorstehendem im Einzelnen BSG vom 23. November 2006, B 11b AS 1/06 R).

Dieser Auffassung haben sich auch der 14. und der 1. Senat des BSG angeschlossen (vgl. Entscheidungen vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 62/06 R, vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 32/06; B 14/11b AS 15/07 R; B 14/7b AS 64/06; B 14/11b AS 15/07 R, vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 41/07 B - Verfassungsbeschwerde anhängig beim BVerfG - 1 BvR 1523/08; vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R; vom 30. Juli 2008 B 14 AS 50/08 B). Der 14.Senat sieht seine Auffassung inhaltlich durch den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 7. November 2007 (1 BvR 1840/07) bestätigt. Der für Angelegenheiten des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zuständige 1. Senat des BSG, der sich mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) und der Wirkung der Zuzahlungsregelungen auf die Regelleistung zu befassen hatte, betont in seinem Urteil vom 22. April 2008 ebenfalls den großen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der auch bei wirtschaftlichem Wohlstand, bei einer von Überfluss an materiellen Gütern geprägten Gesellschaft, verfassungsrechtlich verpflichtet sei, in Würdigung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Schutzgebotes aus Art. 2 Abs. 2 GG im Inland lebenden Bedürftigen jedenfalls "das zur "physischen Existenz" unerlässliche - neben immaterieller Achtung - zu gewähren." Zu diesem das "nackte Überleben" sichernden "physischen Existenzminimum" gehörten jedenfalls ausreichende Nahrung, Kleidung und Obdach sowie auch ausreichende medizinische Versorgung. Mit den im gegebenen Streitverfahren zu beurteilenden Zuzahlungsregelungen gemäß §§ 61, 62 SGB V habe der Gesetzgeber sich innerhalb des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums gehalten. Das Statistikmodell, welches § 20 SGB II für die Bedarfsbemessung mittelbar zugrunde lege, habe bereits das BVerwG als mit Bundesrecht vereinbar angesehen und unter Achtung der Einschätzungsprärogative des Normgebers die gerichtliche Überprüfung auf die Kontrolle beschränkt, ob der gesetzliche Rahmen eingehalten worden sei. Die Ergebnisse dieser Rechtsprechung habe das BVerfG indirekt - mit der Höhe der Regelsätze - gebilligt. § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II knüpfe für die Höhe der Regelleistung insgesamt an das systematisch fortentwickelte Regelungskonzept des BSHG an, auf welches auch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung im Zusammenhang zur Steuerfreiheit des Existenzminimums abgestellt habe. Die Tatsachenfeststellungen des Gesetzgebers zur Höhe der Regelleistung nach § 20 SGB II genügten den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die in der Literatur hieran geübte Sachkritik beruhe auf Zweifeln an der Validität der tatsächlich ermittelten Grundlagen, auf die der Gesetzgeber sich gestützt habe. Das reiche aber nicht aus, um annehmen zu können, dass der Gesetzgeber offensichtlich unzureichende Tatsachen zugrunde gelegt habe, denn dieser habe an fundierte, methodisch durch die Rechtsprechung abgesicherte Werte angeknüpft, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen mit Sicherheit zu genügen.

Soweit anhängige Revisionen beim BSG das Sozialgeld für Kinder gemäß § 28 SGB II betreffen, haben die Vorinstanzen - teils ausdrücklich der Leitentscheidung des 11b Senats vom 23. November 2006 folgend - ebenfalls wegen der Einschätzungsprärogative und großen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, der auch das sog. Lohnabstandsgebot zu beachten habe, keine verfassungsrechtlichen Probleme gesehen (vgl. z.B. LSG für das Land NRW, Urteil vom 1. Februar 2007 - L 9 AS 57/06 R - Revision anhängig zum Az.: B 14/11b AS 9/07 R, und Urteil vom 8. November 2007 - L 9 AS 62/06 R - Revision anhängig zum Az.: B 4 AS 7/08 R; Bayer. LSG, Urteil vom 14. September 2006 - L 7 AS 97/06 - Revision anhängig zum Az.: B 4 AS 27/08 R - und Urteil vom 13. April 2007 - L 7 AS 200/06 - Revision anhängig zum Az.: B 14 AS 5/08 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 4. September 2008 - L 13 AS 104/08 - Revision anhängig zum Az:. B 4 AS 69/08 R). Lediglich im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das LSG Berlin-Brandenburg Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit an der Höhe des Sozialgeldes artikuliert (Beschluss vom 1. Oktober 2007 - L 10 B 1545/07 AS ER PKH).

VI. Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG

1. Nach Auffassung des erkennenden Senats lässt sich der vom BSG in den Entscheidungen vom 27. Februar 2008 und 15. April 2008 gezogene Schluss nicht halten, dass das BVerfG mit dem Nichtannahmebeschluss vom 7. November 2007 (1 BvR 1840/07) die einschlägige Rechtsprechung bestätigt und damit die vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II gefundene Lösung als verfassungskonform angesehen habe. Denn in diesem Beschluss des BVerfG wird unter Ziff. 5 vielmehr ausdrücklich betont, dass es wegen der offensichtlichen Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im vorliegenden Fall nicht mehr möglich gewesen sei, zur materiellen Frage Stellung zu nehmen, "ob die Höhe der Regelleistung nach § 20 SGB II vom Gesetzgeber hinreichend ermittelt und festgesetzt worden ist."

2. Soweit der 11b-Senat in seiner Leitentscheidung vom 23. November 2006 ausführt, er habe mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren auch berücksichtigt, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 15/1516, S. 56) für die Leistungshöhe eine vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt erhobene Auswertung der EVS 1998 mit Hochrechnung auf den Stand 1. Juli 2003 maßgebend sei und dass sich die Regelleistung hinsichtlich Höhe und Neubemessung auch an der RSV orientieren sollte (§ 20 Abs. 4 S. 2 SGB II in Verbindung mit § 28 Abs. 3 Satz 5 SGB XII), diese bis zur Verabschiedung des SGB II durch den Bundestag im Dezember 2003 auch noch nicht erlassen gewesen sei, sodann jedoch meint, aus diesem zeitlichen Ablauf keine grundsätzlichen Einwände gegen die Festsetzung der Regelleistungen ableiten zu können, da der Gesetzgeber bei der Ermittlung der - typisierten - Bedarfe wie schon bei der Sozialhilfe auf das Statistikmodell zurückgegriffen habe (so BSG vom 23. November 2006 aaO, juris-Rdnr. 50), überzeugt dies den Senat ebenfalls nicht. Es bleibt nämlich hierbei der Umstand unberücksichtigt, dass das Zustandekommen der normativen Vorgaben in § 2 Abs. 2 RSV im Zwielicht steht. Angesichts der Tatsache, dass die vom zuständigen Bundesministerium hinzugezogenen Sachverständigen ausweislich des Schriftsatzes der Beigeladenen zu 4. vom 28. Oktober 2008 bereits im März 2003 beteiligt wurden (dort S. 2) und deren Ergebnisse nicht vollständig übernommen, sondern im Bundesministerium ergänzende Einschätzungen und Bewertungen vorgenommen ... und rechnerisch zusammengeführt wurden (BR-Drucks. 206/04, S. 7), gewinnt die Annahme des Sachverständigen Dr. Martens in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an Gewicht, dass die Ergebnisse offenbar "passend gerechnet" worden seien. Auch die Ablehnungsempfehlung der Fachausschüsse für Arbeit und Sozialpolitik sowie für Frauen und Jugend vom 4. Mai 2004 an den Bundesrat, die ausdrücklich auf die inhaltlichen Mängel und die offenbar willkürlichen Festsetzungen im Verordnungsentwurf vom 12. März 2004 hinwiesen, stützt diese Annahme.

Vor diesem Hintergrund versteht der Senat deshalb die Kritik des BSG an der statistisch/mathematischen Betrachtung der Ermittlung der einzelnen Werte in der EVS 1998 durch die Vorinstanz im Urteil vom 27. Februar 2008 (B 14/11b AS 15/07 R) nicht, die verkannt habe, "dass die Festlegung des Regelsatzes bzw. der Regelleistung letztlich ein normativ/wertender Prozess ist, der in seinen einzelnen Schritten keinen naturwissenschaftlich-mathematisch ableitbaren Richtigkeitsansprüchen unterliegt" (aaO juris-Rdnr. 22). Denn worum es geht, ist weder nur eine "naturwissenschaftlich-mathematische" noch allein die normative Frage, sondern die Frage des Verhältnisses von Normativität und Empirie sowie die Frage, ob womöglich sachfremde Erwägungen in die Ausgestaltung der RSV eingeflossen sind (vgl. BVerfG 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 - Altenpflegegesetz - juris-Rdnr. 346 ff.). Bedient sich der Gesetzgeber, der zur Gewährung eines realitätsgerechten Existenzminimums verpflichtet ist, eines empirisch-statistischen Verfahrens, dann sind die mathematischen Denkgesetze nicht unbeachtlich. Legt sich der Verordnungsgeber auf die Lebensverhältnisse des untersten Quintils als Maßstab der Bemessung von Bedarf und Leistungen fest, für welche er die empirische Statistik zu Hilfe nimmt, beinhaltet ein Abweichen von deren Ergebnissen grundsätzlich im Übrigen auch ein Abweichen von der eigenen normativen Grundentscheidung und verlässt den Weg eines "rationalitätsverbürgenden Verfahrens" (Berlit). Wenn das LSG Chemnitz als Vorinstanz insoweit den mathematisch/statistischen Nachweis der Fehlerhaftigkeit einzelner der in den Prozess der Bemessung der Regelleistung eingeflossenen normativen Positionen sowie ihrer Summe geführt (und deshalb eine verfassungskonforme Auslegung unternommen hat), ist dies nach Auffassung des Senats deshalb nicht die Folge eines Unverständnisses der normativen Wertungen, sondern vielmehr der Ausdruck der gebotenen Willkürkontrolle. Immerhin hat das Sächsische LSG in seinem Urteil vom 29. März 2007 (L 3 AS 101/06 - juris-Rdnr. 71 ff.) den - nach Ansicht des erkennenden Senats überzeugenden - Nachweis erbracht, dass der Warmwasserkostenbedarf im Haushaltsenergieanteil der Regelleistung nicht enthalten sein könne, es sei denn, man versage den Hilfeempfängern das soziokulturelle Existenzminimum in Gestalt von warmem Wasser zum Duschen, Baden und für sonstige hygienische Zwecke, was nach den in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Verhältnissen einem menschenwürdigen Dasein und dem Schutz vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung nicht entspräche (aaO, Rdnr. 72, 77). Dass sich das BSG mit dieser Konsequenz seiner Rechtsprechung im konkreten Fall auseinandergesetzt hat, sieht der Senat aber nicht.

3. Ebenso wenig kann der erkennende Senat die Ansicht des BSG teilen, dass auch die noch zu Sachverhalten des BSHG ergangene Verfassungsjudikatur die Verfassungskonformität der vom Gesetzgeber mit § 20 Abs. 2 und 3 SGB II in systematischer Fortentwicklung des Regelungskonzepts des BSHG gefundene Lösung bestätige (BSG, Urteil vom 22. April 2008, B 1 KR 10/07 R = juris-Fassung Rdnr. 50). Denn diese Betrachtung klammert nicht nur die Tatsache einer erheblichen Absenkung des Leistungsniveaus (dazu siehe oben unter B.IV.2.f), sondern vor allem den Umstand des Systemwechsels aus, der mit dem SGB II eingetreten ist. Die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen haben sich für ein eigenes Buch im Sozialgesetzbuch entschieden, weil mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht nur eine neue Transferleistung entstanden ist, sondern ein völlig neues Leistungssystem mit Eingliederungs- und Transferleistungen geschaffen wurde. Die Regelungen zum Arbeitslosengeld II sollen insbesondere sicherstellen, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige neben dem Arbeitslosengeld II grundsätzlich keine ergänzenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen mehr nach dem Sozialhilferecht benötigt (BT-Drucks. 15/1516, S. 56). Dieses System pauschalisierter Regelleistungen nach dem SGB II beinhaltet ausweislich der Gesetzesbegründung somit eine grundlegend neue Konzeption gegenüber dem BSHG, welches gemäß §§ 3, 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG dem Individualisierungsgrundsatz als tragendem Grundsatz verpflichtet war und stets die individuelle Bedarfsprüfung mit der Konsequenz der detaillierten justitiellen Überprüfung mit entsprechenden materiellen Entscheidungsspielräumen im Instanzenweg ermöglichte (vgl. z. B. BVerwGE 107, 234, 236 - Waschmaschine; 106, 99, 104 f. - Fernseher; 92, 6, 7 - Schultüte; 92, 109, 111 -Tauffeier). Das ist unter der Geltung des SGB II bis auf eng begrenzte Ausnahmefälle nun nicht mehr möglich (dazu vgl. BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R). Die Frage, ob im Einzelfall das Exstenzminimum gewährleistet ist, verlangt nun unmittelbar die Prüfung des Gesetzes selbst. Dabei gilt: Je mehr Raum für eine Individualisierung eröffnet ist, desto größere Freiheit hat der Gesetzgeber im Hinblick auf eine Pauschalierung; je umfassender aber die Pauschalierung ist, desto höher sind die Anforderungen an diese (so zu Recht Wallerath, JZ 2008, S. 167). Nach Ansicht des Senats reicht deshalb die Bezugnahme auf den früheren Rechtszustand für eine dogmatisch und systematisch schlüssige Begründung der Behauptung einer nur eingeschränkten Überprüfbarkeit der Regelleistungsfestsetzung nicht aus, zumal das BVerfG in anderen Rechtsgebieten mehrfach der Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte durch die Verwaltungsgerichte - gestützt auf die Annahme eines Beurteilungsspielraums - widersprochen hat (vgl. Sartorius, aaO (2004), S. 56 zu Fn. 12; ders, aaO (2000), S. 110 ff., hält die auf die Einschätzungsprärogative und den weiten Beurteilungsspielraum gestützte beschränkte Kontrolldichte der Rechtsprechung des BVerwG für verfassungswidrig). Tatsächlich hat das BVerfG - entgegen der Auffassung des BSG - zudem die Bestimmung des existenzminimalen Bedarfs von Kindern im BSHG auch bereits als defizitär bezeichnet (Beschluss vom 10. November 1998 - 1 BvR 1057 et al. - BVerfGE 99, 216, juris-Rdnr. 88 ff.).

4. Der Senat vermag dem BSG ferner nicht zu folgen, als dieses aus der Tatsache uneinheitlicher Definitionen des Existenzminimums in verschiedenen Rechtsbereichen feststellt, dies sei eine Konsequenz der sich ständig ändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen (B 11 b AS 1/06 R - Juris-Rdnr. 47); denn für alle synchronen Sachverhalte, die in den jeweiligen Rechtsbereichen gleichwohl jeweils verschiedene Regelungen erfahren, trifft dies gerade nicht zu. Umgekehrt erlaubt die Tatsache, dass der Gesetzgeber Regelungen, die der Sache nach die Definition eines soziokulturellen Existenzminimums beinhalten oder hierauf abstellen - z.B. bei den Einkommensgrenzen der Prozesskostenhilfe, der Gesetzlichen Krankenversicherung, des Wohngeldes, des BaföG oder den Pfändungsfreigrenzen -, für denselben Regelungszeitraum bei identischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in höchst unterschiedlicher, dabei teils sogar auf Bruttoeinkommen bezogene Weise trifft (dazu vgl. Hessische Staatskanzlei (Hrsg.), Die Familienpolitik muss neue Wege gehen!, Wiesbaden 2003, S. 98 f.), für den erkennenden Senat die Schlussfolgerung, dass ein konsistentes und überzeugendes Konzept eines soziokulturellen Existenzminimums schlicht fehlt und dies eine Fülle von Ungereimtheiten und Abstimmungsproblemen zur Folge hat (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 26. April 1988 - 1 BvL 84/86 - Gefährdung des Existenzminimums durch Kostenbeteiligung bei der Prozesskostenhilfe). Für den erkennenden Senat begründen die in den verschiedenen Rechtsbereichen zu beobachtenden, teils erheblich voneinander abweichenden Niveaus solcher Bedürftigkeitsgrenzen jedenfalls Zweifel an der Rationalität von deren Ermittlung und Definition. Gleiches gilt für den Senat im Hinblick auf die Bezifferung der Existenzminima in den alle zwei Jahre zu erstellenden Existenzminimum-Berichten, deren Ergebnisse und Begründungen für den Senat insbesondere hinsichtlich der "Punktlandungen" der Kinderexistenzminima in den Zeiträumen 1997 bis 2001 (= 3534 Euro) und 2003 bis 2008 (= 3648 Euro) nicht plausibel sind (vgl. die nachfolgende Tabelle).

Datum Berichtsjahr Erwachsene Kinder Existenzminimum Grund-freibetrag Existenzminimum Kinderfreibetrag
02.02.1995 1996 6.071 6.184 3.215 3.203
17.12.1997 1999 6.455 6.681 3.424 3.534
04.01.2000 2001 6.547 7.206 3.460 3.534
04.12.2001 2003 6.948 7.235 3.636 3.534
05.02.2004 2005 7.356 7.664 3.648 3.648
02.11.2006 2008 7.140 7.664 3.648 3.648

Quelle: Existenzminimum-Berichte BT-Drucks. 13/381; 13/9561; 14/1926; 14/2770; 14/7765 (neu); 15/2462; 16/3265; vgl. dazu auch BT-Drucks. 16/9999 v. 16.7.2008

5. Auch soweit das BSG in der Leitentscheidung vom 23. November 2006 im weiteren Zusammenhang seiner Vertretbarkeitsprüfung betont, die gegenwärtige Situation sei durch "die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten sowie Einkommenseinbußen in breiten Bevölkerungskreisen geprägt", weshalb "dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebots maßgebliche Bedeutung zukommen" müsse (Rdnr. 53), vermag der erkennende Senat sich dem nicht anzuschließen.

a) Diese Argumentation klammert nämlich zum einen die Tatsache aus, dass die EVS (2003) aus statistisch-technischen Gründen nur Nettoeinkommen bis zu einer Abschneidegrenze von 18.000,- Euro erfasst. So bleibt der Umstand im Dunkeln, dass gleichzeitig zu den Einkommenseinbußen breiter Schichten sehr hohe Einkommenszuwächse bei den oberen Einkommensschichten zu beobachten sind - und das bei einem gleichzeitig von 53 auf 45 Prozent gesunkenen Spitzensteuersatz: Während die preisbereinigten Einkommen von 1992 bis 2001 im Durchschnitt konstant blieben, gab es für die oberen 10 Prozent der Einkommenspyramide nennenswerte Zuwächse. Diese Gruppe konnte ihr reales Markteinkommen um gut 7 Prozent steigern. Die "ökonomische Elite", die oberen 0,001 Prozent der Einkommensbezieher, erzielten gegenüber 1992 sogar einen realen Einkommensanstieg um 35 Prozent (Bach/Steiner, Zunehmende Ungleichheit der Markteinkommen: Reale Zuwächse nur für Reiche, DIW-Wochenbericht 13/2007, S. 193 ff. = http://www.diw.de/documents/publikationen/73/ 55868/07-13-1.pdf). Das Auseinanderdriften der Einkommensschichten und die mit zunehmender "Abwärtsmobilität" einhergehende Erosion der Mittelschicht (dazu vgl. z.B. Grabka/Frick, Schrumpfende Mittelschicht-Anzeichen einer dauerhaften Polarisierung der verfügbaren Einkommen?, DIW-Wochenbericht Nr. 10/2008, S. 101 ff. (mwN); siehe auch die Kritik gegenüber dem Dritten Armuts- und Reichtumsbericht in BT-Drucks. 16/10654 vom 15.Oktober 2008), darf der Sozialstaat aber nicht ignorieren, der die annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten grundsätzlich zu erstreben und bei allen Maßnahmen dafür zu sorgen hat, dass nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit differenziert wird (vgl. BVerfGE 5, 85, 198; 23, 135, 145; siehe Broß, "Wer stark ist, muss nicht ständig seine Ellenbogen einsetzen", Interview Stuttgarter Zeitung v. 6. Oktober 2003, S. 12). Diese Entwicklung zwingt deshalb nach Auffassung des Senats gerade zu einer kritischen Betrachtung des Lohnabstandsgebots im Hinblick auf die Frage, ob die festgestellten Einbußen an verfügbaren Einkommen nicht (auch) zu einer grundgesetzlich zu hinterfragenden gesellschaftlichen Lastenverteilung führen, welche über das Steuer- und Sozialversicherungssystem und den daraus bei Arbeitnehmereinkommen resultierenden Abgabenkeil zwischen Brutto- und Nettoeinkommen die Entwicklung der Einkommensverfügbarkeit unmittelbar und entscheidend beeinflusst (zur Asymmetrie der Lastenverteilung im Einzelnen und den gesellschaftlichen Konsequenzen siehe Bach/Steiner/Teichmann, DIW Berlin, Berechnungen zum Reformvorschlag"Arbeit für viele", Gutachten 2002, unter http://www.diw.de/documents/ dokumentenarchiv/17/40205/diw spiegel berech arbeit200207.pdf.). Denn "gerade bei wachsendem staatlichem Finanzbedarf und seiner ihm entsprechenden steigenden Steuerbelastung ist der Gesetzgeber gehalten, eine gerechte Verteilung der Lasten zu gewährleisten" (BVerfGE 87, 153, 172 f.). Für Sozialversicherungsbeiträge kann nichts anderes gelten. Diese sozialstaatlich elementare Verteilungsfrage klammert das BSG in seiner Konzentration auf die unteren Lohngruppen aber aus.

b) Zum anderen begegnet die Anwendung des Lohnabstandsgebots nach Überzeugung des Senats darüber hinaus sowohl durchgreifenden einfachrechtlichen als auch verfassungsrechtlichen Bedenken, welche das BSG unerörtert lässt. Denn im SGB II selbst ist ein Lohnabstandsgebot nicht enthalten, sondern lediglich in § 28 Abs. 4 SGB XII, der allerdings nur für Hilfeempfänger gilt, welche nicht erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II sind. Ob der Gesetzgeber das Lohnabstandsgebot tatsächlich auch im SGB II zur Anwendung bringen wollte, erscheint aber schon angesichts der zugleich mit dem SGB II geschaffenen Regelung des § 6a BKGG zweifelhaft. Denn diese Norm erhellt, dass der Gesetzgeber des SGB II inzwischen selbst davon ausgeht, dass der Bedarf schon einer nur dreiköpfigen Familie durch Erwerbstätigkeit nicht mehr ohne weiteres gedeckt werden kann (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 1 f., 48; kritisch auch Seiler, Gutachterliche Äußerung für den Ausschuss für Familie und Senioren, Ausschussdrucksache 16(13)342 g), woraus folgt, dass der Gesetzgeber sich offenbar widersprüchlich verhielte, wenn er gleichwohl am Lohnabstandsgebot mit der fünfköpfigen Familie als Referenzgruppe festhielte.

c) Diese Beobachtung führt unmittelbar weiter zu der Frage, ob eine Anwendung des Lohnabstandsgebots mit dem Rechtsstaatsgebot vereinbar wäre (Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Die Verfassungsjudikatur verlangt vom Gesetzgeber nämlich, "sachgerecht" zu verfahren (BVerfGE 22, 168; 48, 234 f.). Der Gesetzgeber hat darauf zu achten, dass eine Bestimmung von ihrem eigenen System aus sinnvoll ist bzw. er seine das Gesetz rechtfertigende Motivation folgerichtig umsetzt (BVerfGE 11, 283, 293). Normen müssen in ihrem Inhalt entsprechend ihrer Zielsetzung in ihrer Ausgestaltung widerspruchsfrei sein" (BVerfG vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 et al. = juris-Rdnr. 61). Das Rechtsstaatsprinzip ist im weiteren Sinne ein Willkürverbot.

Diese innere Widerspruchsfreiheit sieht der Senat, wie vorstehend erörtert, schon wegen der gleichzeitigen Schaffung des § 6a BKGG aber nicht. Darüber hinaus ist zum einen noch festzustellen, dass die im Gesetz festgelegte Referenzgruppe weder die soziale Realität in der gesamten Gesellschaft widerspiegelt, noch eine Relevanz bei den Sozialhilfeempfängerhaushalten hat. Denn Familien mit mehr als zwei Kindern werden selten. Ausweislich der Daten der Volkszählung 1961 gab es damals 10.357.400 Familien. Davon hatten 49 Prozent ein Kind, 32 Prozent zwei Kinder und 20 Prozent drei oder mehr Kinder. Im Jahr 2007 zählte man ausweislich des aktuellen Mikrozensus 12.283.000 Familien mit folgender Verteilung: 52 Prozent ein Kind, 37 Prozent zwei Kinder und nur noch 12 Prozent drei oder mehr Kinder. In Absolutzahlen gab es 1961 2.040.000 Familien mit drei oder mehr Kindern, 2007 waren es 1.453.000. Speziell Familien mit drei Kindern gab es 1961 ca. 13 Prozent (1.290.500) und 2007 nur noch 9 Prozent (1.147.000). Auf Haushalte bezogen umfasste die im Gesetz genannte Gruppe der Fünf-Personen-Haushalte bereits zum Start der bis heute geltenden Fassung des Lohnabstandgebots zum 1. August 1996 weniger als zwei Prozent aller Haushalte, die damals laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhielten (Wenzel, Gerd, Zur Festsetzung der Regelsätze nach der Reform des Sozialhilferechts, NDV 1996, S. 306). Zum anderen stellt der Senat fest, dass sowohl die Ermittlung des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs ebenso wie die Ermittlung des Vergleichseinkommens schon deswegen nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit möglich ist, weil dabei jeweils Faktoren eine Rolle spielen, deren Werte schwanken und die nichts mit der eigentlichen Zielsetzung zu tun haben, den Arbeitsanreiz zu sichern. Die Lohnabstandsgrenze ist deshalb ebenfalls nicht sicher zu bestimmen. Nach Wenzel (aaO, S. 307) spiegelt die im Gesetz festgelegte Referenzgruppe nach allem weder die soziale Realität in der gesamten Gesellschaft wider, noch habe sie eine Relevanz bei den Sozialhilfeempfängerhaushalten: "Sie ist willkürlich gesetzt und kann nur damit erklärt werden, dass bewusst eine Referenzgruppe gewählt worden ist, bei der sich ein Lohnabstandsproblem überhaupt erst ergeben kann" (vgl. hierzu auch Sartorius, aaO (2000), S. 126 - 129; ferner Breuer/Engels, Bericht und Gutachten zum Lohnabstandsgebot, Band 29 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren, Köln 1994, S. 100 ff.). Den Senat überzeugt diese Auffassung, zumal die Bundesregierung selbst vorrechnet, dass der Kreuzungspunkt zwischen SGB II-Leistungen und Arbeitseinkommen spätestens bei der vierköpfigen Familie mit einem Bruttoeinkommen von 1.566 Euro erreicht ist (in 2008, vgl. BT-Drucks. 16/10004 v. 15. Juli 2008, S. 5 f.). Tatsache ist jedenfalls auch, dass bereits eine vierköpfige Einverdiener-Familie mit Durchschnittseinkommen mit ihrem verfügbaren Erwerbseinkommen das (steuerliche) Existenzminimum im Jahr 2005 deutlich unterschritten hat (vgl. die nachfolgende Tabelle).

Steuerliches Existenzminimum und verfügbares Nettoeinkommen verschiedener Haushaltstypen bei Durchschnittsbruttoeinkommen (2005)-

led., 0 Kinder vh.,0 Kinder Vh,1 Kind vh. 2 Kinder
Brutto 30.000 30.000 30.000 30.000
-Lohnsteuer 4.860 1.634 1.634 1.634
-Soli 237 0 0 0
-Kirchensteuer 389 131 37 0
-Sozialversicherung (AN-Anteil) 6.465 6.465 6.390 6.390
+Kindergeld 1.848 3.696
Netto 18.049 21.770 23.787 25.672
Existenzminimum Erwachsene 7.664 15.328 15.328 15.328
Sächliches EM Kinder 3.648 7.296
Betreuung, Erziehung, Ausbildung 2.160 4.320
Frei verfügbares Einkommen 10.385 6.442 2.651 -1.272

- Die Bezugsgröße gemäß § 18 SGB Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) (= Durchschnittsentgelt des vorvergangenen Kalenderjahres) lag 2006 und 2007 bei 29.400.- Euro. Erläuterungen: Gültig bis 30. Juni 2005. Es wurde der Beitragssatz der AOK Baden-Württemberg zu Grunde gelegt. Quelle: Landesfamilienrat Baden-Württemberg/Stresing

6. Diese Beobachtung führt zu weiteren Überlegungen, welche ebenfalls die Unanwendbarkeit des Lohnabstandsgebots begründen. Denn wie vorstehend ersichtlich, resultiert die Unterschreitung des steuerlichen Existenzminimums bei Mehrkindfamilien primär aus der für Haushalte mit und ohne Kinder nahezu identischen Belastung mit Sozialbeiträgen (einschließlich des vorenthaltenen Lohnes in Gestalt der sogenannten "Arbeitgeberbeiträge") infolge der Anknüpfung der Sozialversicherung an den Arbeitslohn, welcher als Markteinkommen "individualistisch verengt" ist und deshalb per se zu Einkommensvorsprüngen nicht unterhaltsbelasteter Marktteilnehmer führt (dazu siehe Lampert, Priorität für die Familie, Berlin 1996, S. 89 f.; bereits 1955 wies Schreiber hierauf hin, in: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, Schriften des BKU, Köln, S. 8, 34 ff.). Diese Vorsprünge werden durch das Sozialversicherungssystem in den Bereich der sekundären Einkommensverteilung verlängert, was nach den überzeugenden Feststellungen der Wissenschaftler des 5. Familienberichts ein System "struktureller Rücksichtslosigkeit" gegenüber Familien zur Folge hat (BT-Drucks. 12/7560, S. 21 ff.). Dem hat die Verfassungsjudikatur inzwischen auch Rechnung getragen. Denn das BVerfG hat im "Pflegeversicherungsurteil" vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94 = BVerfGE 103, 242, 263 ff., 270 ff.) festgestellt, dass die gleiche Beitragsbelastung für Eltern und Nichteltern wegen der beitragsäquivalenten Bedeutung der Kindererziehung für die Systeme intergenerationeller Umverteilung einen Verstoß gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG beinhaltet. Diese Überlast ist aber die wesentliche Ursache für die stetig steigende Kinderarmut trotz stetig sinkender Geburtenzahlen (dazu im Einzelnen Hessische Staatskanzlei (Hrsg.), Die Familienpolitik muss neue Wege gehen!, Wiesbaden 2003, S. 60 ff.). Familienexistenzen werden so ausgerechnet in dem Maße immer prekärer, je höher im Zuge des Geburtenrückgangs durch zunehmende Kinderlosigkeit die Beitragslasten (oder die Beiträge substituierenden Verbrauchssteuern mit ihrer ebenfalls regressiven Belastungswirkung) steigen. Im Zuge dieser Entwicklung würde die Anwendung des Lohnabstandsgebots zwangsläufig zu einer Abwärtsspirale des Eckregelsatzes führen, wodurch wiederum Familien umso härter betroffen wären, je mehr Staat und Gesellschaft auf bildungsfähigen Nachwuchs angewiesen sind. Tatsächlich berührt das Lohnabstandsgebot also zentral die Kinderfrage, denn bei Alleinstehenden ist die Gefahr, dass die Sozialleistungen höher liegen als selbst die Einkommen im Niedriglohnbereich, im Normalfall auszuschließen; erreicht wird diese Grenze vielmehr regelmäßig nur, wenn Kinder vorhanden sind, was aber nicht daran liegt, dass die Sozialleistungen insgesamt zu hoch sind, sondern dass die Kinderkosten so hoch und unverändert privatisiert sind (so überzeugend Lenze, aaO, die das Lohnabstandsgebot folgerichtig als verfassungswidrig ansieht). Solange also die vom BVerfG 1992 im "Trümmerfrauen"- (BVerfGE 87, 1) und 2001 im "Pflegeurteil" verlangten Korrekturen in den Transfersystemen nicht konsequent umgesetzt sind, perpetuiert die Anwendung des Lohnabstandsgebots im Ergebnis jedenfalls den vom BVerfG bereits festgestellten Verfassungsverstoß. Nach Überzeugung des Senats muss das Lohnabstandsgebot als Maßstab zur Bemessung des Existenzminimums ebenso wie für die Beurteilung der "Vertretbarkeit" der vorliegenden Gesetzgebung deshalb ausscheiden.

7. Ebenso wie diese Begrenzung nach oben erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats auch die vom BSG für den Korridor der legislativen Gestaltungsfreiheit beschriebene Untergrenze des "physischen Existenzminimums" ("nacktes Überleben", B 1 KR 10/07 R) mit dem Grundgesetz unvereinbar, da diese Untergrenze schon aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt. Das Bundesverfassungsgericht versteht den Begriff der Menschenwürde hingegen als tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte (vgl. BVerfGE 6, 32, 36, 41; 45, 187, 227); Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als soziales Gattungswesen (vgl. Beschluss vom 20. Oktober 1992 - 1 BvR 698/89). Ist mit dem Begriff der Menschenwürde jedoch der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen als soziales Gattungswesen verbunden, folgt hieraus nach Auffassung des erkennenden Senats zugleich, dass das Existenzminimum dann über die bloße Sicherung der "nackten Existenz" hinaus ein Verbot sozialer Ausgrenzung enthalten und deshalb im Sinne eines "soziokulturellen Existenzminimums" deutlich über dem das "nackte Überleben" sichernden physischen Existenzminimum liegen muss.

8. Im Übrigen lässt das BSG die Tatsache unbeachtet, dass der Gesetzgeber des SGB II durch die Bezugnahme auf das SGB XII von einem bestimmten oder zumindest bestimmbaren soziokulturellen Existenzminimum ausgegangen ist. Denn in der Gesetzesbegründung des SGB II wird ausdrücklich auf das "soziokulturelle Existenzminimum" im Sinne der früheren Rechtsprechung des BVerwG und das SGB XII als Referenzsystem Bezug genommen, welches in § 28 Abs. 3 SGB XII wiederum auf die Lebensverhältnisse der "unteren Einkommensgruppen" und die EVS als Datengrundlage Bezug nimmt. Damit hat der Gesetzgeber des SGB II, wenn auch auf Umwegen, offenkundig aber die Maßstäbe für das Existenzminimum als empirisch-normatives Konstrukt übernehmen wollen, anhand derer das Existenzminimum zu bestimmen und zu überprüfen ist (siehe hierzu die Begründung zur RSV BR Drucks. 206/04, S. 10): Ist jeder Bezieher von Regelleistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die zu erfolgende Bedarfsdeckung so gestellt wie das unterste Fünftel der Gesamtbevölkerung in Deutschland - ohne Haushalte von Hilfeempfängern -, so dass er, orientiert an den herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen, ein Leben führen kann, ohne als Sozialhilfeempfänger aufzufallen (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 5 C 34/92, ständige Rechtsprechung)? Zwar spricht die Begründung zur RSV insoweit davon, "dass die regelsatzrelevanten Verbrauchsausgaben der untersten 20 vom Hundert in etwa denen der untersten 25 vom Hundert nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalten mit Sozialhilfeempfängern" entsprächen und bezieht die vorgenannte Inklusion hierauf (aaO). Dies beinhaltet jedoch den vom Verordnungsgeber selbst zu Recht für unzulässig erklärten Zirkelschluss der Einbeziehung von Sozialhilfeempfängern: Werden diese einbezogen, dann findet die Inklusion in das unterste Viertel einschließlich der Haushalte von Hilfeempfängern nämlich stets auch dann statt, wenn sie weit unter dem Niveau der Lebenshaltung des untersten Quintils ohne Einbeziehung der Sozialhilfe (und Alg II) beziehenden Haushalte leben müssen. Im Bereich des SGB II ist die Bezugnahme auf das unterste Quintil ohne Hilfeempfänger aber im Zusammenhang mit dem gemäß § 1 SGB II zu verfolgenden Ziel der Wiedereingliederung in die gesellschaftliche Normalität zu sehen, welche voraussetzt, dass die Hilfeempfänger den Anschluss nach oben nicht verlieren. Zu Recht weist die Beigeladene zu 4. im Schriftsatz vom 28. Oktober 2008 insoweit darauf hin, dass selbst das unterste Quintil wegen des Problems der verdeckten Armut noch problematisch erscheint und es besser wäre, stattdessen auf das zweite Dezil abzustellen. Warum also dieser vom Gesetzgeber selbst empirisch-normativ konstruierte Maßstab der Lebensverhältnisse des untersten Quintils nicht überprüfbar sein sollte, erschließt sich dem Senat jedenfalls nicht. So bleibt dem BSG zwangsläufig auch verborgen, dass die normativen "Korrekturen" an den empirisch/statistischen Ermittlungen zu einer Kollision mit dem selbst gesteckten normativen Inklusionsziel führen und letztlich willkürlich erscheinen, wie die Ausschüsse für Arbeit und Sozialpolitik und Frauen und Jugend in ihrer Empfehlung vom 4. Mai 2004 bereits festgestellt hatten (BR-Drucks 206/1/04; siehe auch oben unter 2.; vgl. ferner das überzeugende Urteil des LSG Chemnitz vom 29. März 2007, aaO).

9. Endlich scheint dem Senat für die Definition des Existenzminimums in §§ 20, 28 SGB II und seiner justitiellen Kontrolle die Prämisse des BSG in der Leitentscheidung vom 23. November 2006 fragwürdig, die auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich der Leistungsgewährung abstellt und letztlich auf die Übernahme des Prüfungsmaßstabs einer "Vertretbarkeitsprüfung" hinausläuft (vgl. BSG v. 23. November 2006, - B 11b AS 1/06 R - juris-Rdnr. 52 ff. unter Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 1093/05 -, das aber sogar nur eine bloße Evidenzkontrolle für ausreichend hält, siehe dort juris-Rdnr. 28). Denn das vorliegend im Streit stehende Existenzminimum als normativ-empirisches Konstrukt lässt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht in je unterschiedliche Funktionsbereiche des Leistungs- und des Eingriffsrechts teilen und unterscheiden, sondern es hat eine janusköpfige Doppelfunktion, welche der Mehrdimensionalität der es erzeugenden Grundrechte entspricht: Als Anspruchsgrundlage im Leistungsrecht und genau aus diesem Grunde gegenüber dem Fiskus andererseits zugleich als freiheitswahrende Verschonungsgrenze. Nach Ansicht des Senats folgt diese Überlegung aus der Formulierung in der Verfassungsjudikatur, "was der mittellose Bürger zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötige, habe der Staat ihm erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern und dürfe es ihm deshalb auch nicht nehmen" (BVerfGE 82, 60, 85; 99, 216). Das muss insbesondere für Kinder gelten, weil es für die Sicherung eines soziokulturellen Existenzminimums keinen Unterschied machen darf, ob dieses durch die steuerliche Freistellung von Einkommen der Eltern oder aber durch die Gewährung von Sozialleistungen für den Fall gesichert wird, in dem Eltern- möglicherweise langfristig- arbeitslos sind. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen ist nicht geringer, wenn er über kein steuerpflichtiges Einkommen verfügt. Der im ökonomischen Existenzminimum repräsentierte Freiheitsgehalt der Menschenwürde greift deshalb auch und "gerade dann, wenn es an den elementaren Mitteln zu deren Entfaltung fehlt. In dem Rückgriff auf das sozialrechtlich anerkannte Existenzminimum als Mindestgrenze zur Bestimmung der Aufwendungen, die zur Bestreitung des steuerfreien Existenzminimums notwendig sind, manifestiert sich der gemeinsame verfassungsrechtliche Grund, der insoweit die Zusammenschau beider Rechtsgebiete rechtfertigt" (so überzeugend Wallerath, Zur Dogmatik eines Rechts auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 4/2008, S. 157, 161 mwN). Das Existenzminimum ist so der Dreh- und Angelpunkt des wechselseitigen Verhältnisses von Bürger und Staat. Diese duale Identität des Existenzminimums hat das BVerfG seit seinem den Zusammenhang von Kindergeld und Steuerfreibeträgen betreffenden Beschluss vom 29. Mai 1990 in ständiger Rechtsprechung nicht zuletzt deshalb betont, weil es bei einer Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt, sonst zu einer mit Art. 100 Abs. 1 GG nicht mehr zu vereinbarenden Einschränkung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle käme (BVerfGE 82, 60 - Leitsatz 1). Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Eine Verletzung der grundgesetzlichen Gewährleistung der Menschenwürde, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, v. 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NJW 2003, S. 1236, 1237). Nach Ansicht des Senats gilt dies nicht nur für die Instanzgerichte unmittelbar gegenüber der Exekutive, sondern gemäß Art. 100 GG zugleich auch mittelbar gegenüber der Legislative. Der Senat stützt seine Auffassung zudem auf die Tatsache, dass das BVerfG im Beschluss vom 9. April 2003 in einschlägigem Zusammenhang zum Kinderexistenzminimum die Geltung des Rechtsstaatsprinzips gleichermaßen für das Eingriffs- wie auch das Leistungsrecht postuliert; Normen müssten "nicht nur bei Eingriffen in die Freiheitssphäre, sondern auch bei der Gewährung von Leistungen in ihrem Inhalt entsprechend ihrer Zielsetzung für die Betroffenen klar und nachvollziehbar sowie in ihrer Ausgestaltung widerspruchsfrei sein" (BVerfG vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 u.a. = juris-Rdnr. 61). Berücksichtigt man zudem, dass das Existenzminimum stets auf Gewährung eines Mindestmaßes an faktischer Freiheit ausgerichtet ist und insofern eine Schutzpflicht des Staates aus dem Gesichtspunkt des Untermaßverbots besteht (dazu Sartorius, aaO (2000), S. 61-65), dann gilt dies erst recht.

10. Die hier behandelte Rechtsprechung des BSG zu § 20 SGB II geht auch weder auf die Verfassungsjudikatur zur Überprüfung empirisch-normativer Konstrukte des Gesetzgebers (dazu nachfolgend unter VII.) noch den Streit der Staatsrechtwissenschaft zur Rolle des Arguments der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit in der allgemeinen verfassungsrechtlichen Diskussion ein, der gerade Fragestellungen wie die vorliegende betrifft (hierzu siehe im Einzelnen Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, Berlin 2000, S. 355 ff.) und welcher in der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG ein Echo findet (siehe BVerfG 24. Oktober 2002 2 BvF 1/01 Altenpflegegesetz - dort Bezugnahme auf Meßerschmidt in juris-Rdnr. 346 ff.). Zu Recht wird nach Überzeugung des Senats nämlich kritisiert, dass "eine Grundrechtsdogmatik, die einerseits selbst bagatellhafte Eingriffe in individuelle Freiheitsbereiche sorgfältig registrieren, andererseits schwerwiegende Schutzverweigerungen ignorieren würde, kaum erträglicher wäre als die beschworenen Rationalitätsdefizite und Machtverschiebungen infolge eines ausgeweiteten Grundrechtsschutzes" (derselbe, aaO, S. 375 f.; vgl. hierzu auch Sartorius, info also 2004, S. 56, der darauf hinweist, dass im "Gegensatz zur Prädikatsvergabe nach dem Weingesetz die Höhe des für viele Menschen existentiell wichtigen Regelsatzes keiner uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt"; siehe ferner die abweichende Meinung Grimms - "Banalisierung der Grundrechte" - zu BVerfGE 80, 137 ff. - "Reiten im Walde"). Immerhin standen im Jahr 2005 über sieben Millionen Menschen, darunter rund 1,57 Millionen Kinder, im Leistungsbezug nach dem SGB II und gerade deren Zahl ist in den Folgejahren stetig gewachsen (auf rund 2,2 Millionen im April 2008, vgl. Deutscher Caritasverband, Wie die Bekämpfung der Kinderarmut gelingen kann. Vorschläge des Deutschen Caritasverbandes, neue caritas 17/2008 - 6. Oktober 2008; siehe hierzu auch Münder, Linderung der Familien- und Kinderarmut durch das Jugendhilfe- und Grundsicherungsrecht, SDSRV 57 (Berlin 2008), S. 105 ff. sowie BT-Drucks. 16/4210, S. 29). Zugleich betrifft die Frage des sozialrechtlichen Existenzminimums bei gegebener Verfassungsjudikatur zugleich die Gesamtheit der der Einkommensteuer unterworfenen Bürger.

VII. Fazit und Konsequenzen für den Kontrollmaßstab des Senats

Für den erkennenden Senat ist nach allem kein Grund ersichtlich, weshalb für den vorliegenden Fall, bei dem es um die empirisch-normative Frage des soziokulturellen Existenzminimums und seiner Kontrolle an den Maßstäben des Grundgesetzes geht, nicht die Grundsätze zu berücksichtigen sein sollten, die das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung empirisch-normativer Konstrukte vor allem bei Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers entwickelt hat und die je nach der Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen oder ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen (BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 "Mitbestimmung" - BVerfGE 50, 290 - juris - Leitsatz 10; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981- 2 BvL 3/77 - juris-Rdnr. 41 ff.). Wenn sich aus der Auslegung eines Grundrechts Grenzen für den Gesetzgeber ergeben, muss das Gericht ihre Einhaltung überwachen können; es darf sich dieser Aufgabe nicht entziehen, wenn anders es nicht die Grundrechte praktisch zum guten Teil entwerten und seiner ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Funktion ihren eigentlichen Sinn nehmen will (so schon BVerfG v. 11. Juni 1958 - "Apothekenurteil"- BVerfGE 7, 377 ff. - juris-Rdnr. 85 ff.). Für die zu prüfenden Normen gilt aber, dass sie sowohl in der Intensität ihrer Auswirkungen für Millionen Betroffene, deren Existenz sie sichern sollen, wie in ihrer Funktion als Bedürftigkeitsgrenze mit Wirkung für zahlreiche Rechtsbereiche und dabei vor allem das Einkommensteuerrecht, von grundlegender Bedeutung für Staat und Bürger sind. Soweit es um die "zwingende Aufgabe des Staates geht, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schaffen, unterliegt folglich auch der parlamentarische Gesetzgeber einer intensiven, auf Effektivität verpflichteten gerichtlichen Kontrolle" (Rothkegel/Hannes, aaO). Deshalb sind nach Überzeugung des Senats, ausgehend von der vom Gesetzgeber in §§ 20, 28 SGB II übernommenen normativ-empirischen Festlegung des Verordnungsgebers, welche sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht hat, mindestens folgende Fragen zur "normativen Vergewisserung" zu beantworten (vgl. BVerfG 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 Altenpflegegesetz - BverfGE 106, 62, 152 f. - juris-Rdnr. 346 ff.): Ist die vom Gesetzgeber gewählte Methode zur Ermittlung des ausweislich der Gesetzesbegründung zu gewährleistenden "soziokulturellen Existenzminimums" geeignet? Sind die zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen sorgfältig ermittelt oder lassen sie sich jedenfalls im Rahmen der gerichtlichen Prüfung bestätigen? Wird die gewählte Methode konsequent verfolgt? Sind die tragenden Gesichtspunkte der normativen Wertungen mit hinreichender Deutlichkeit offen gelegt worden? Sind in das empirisch-normative Konstrukt auch keine sachfremden Erwägungen eingeflossen?

Konkret stellen sich dem Senat unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung des SGB II und der §§ 27 f., 40 SGB XII sowie der RSV und ihrer Begründung damit vor allem folgende Fragen: Ist das "Statistikmodell" grundsätzlich zur Ermittlung eines "soziokulturellen Existenzminimums" geeignet? Wurden den Tatsachenermittlungen die Ergebnisse der EVS für die unteren 20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt? Wurde die Methode korrekt angewendet - insbesondere: Wurden Zirkelschlüsse durch Herausnahme der Sozialhilfeempfänger vermieden? Sind die normativen Eingriffe bei der Feststellung der Regelsatzrelevanz einzelner Positionen begründet und sind diese Begründungen nachvollziehbar? Wird das erklärte Ziel erreicht, dass die Lebenshaltung der Grundsicherungsempfänger nach den §§ 20, 28 SGB II der Lebenshaltung des unteren Fünftels entspricht (vgl. BR-Drucks. 206/04, S. 10)? Da der Senat bei diesem Vorgehen dem Gesetzgeber keine fremden, äußeren Prüfungsmaßstäbe oktroyiert, sondern sich ausschließlich an dessen Gesetzes- und Verordnungsbegründung selbst orientiert und somit nur die Einhaltung der vom Gesetzgeber selbst statuierten Regeln überprüft, vermag er die aus dem Demokratieprinzip rührenden Bedenken, welche zur justitiellen Kontrolle des Gesetzgebers geäußert werden, nicht zu sehen. Mangels eigener Sachkunde war der

Senat für die Beantwortung dieser Fragen auf die Unterstützung durch Sachverständige angewiesen.

VIII. Die tatsächlichen Grundlagen der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Senats

Vorstehende Fragen sind unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zusammenfassend wie folgt zu beantworten:

1. Das Statistikmodell auf der Basis der EVS ist zwar nach Ansicht des Sachverständigen Dr. Martens grundsätzlich geeignet, die Bedarfe eines soziokulturellen Existenzminimums zu ermitteln. Allerdings kommt der Auswahl der Referenzgruppe "der unteren 20 Prozent der Haushalte – ohne Sozialhilfeempfänger" entscheidende Bedeutung zu. Im Vollzug der RSV wurde von dieser Vorgabe durch den Verordnungsgeber jedoch in zweifacher Weise abgewichen: zum einen mit der Sondergruppe der Ein-Personen-Haushalte als Referenzhaushalte, zum anderen mit der unvollständigen Separierung der Grundsicherungsempfänger (dazu nachfolgend zu 2.). Soweit die Beigeladene zu 4. im Schriftsatz vom 15. Oktober 2008 (S. 13) vorträgt, der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, das benötigte Einkommen allein lebender Personen als Eckregelsatz zu bemessen, vermag der Senat den Beleg nicht zu finden; vielmehr taucht die Bezugnahme auf diese Gruppe nur in der Begründung der RSV unvermittelt auf: "Absatz 3 konkretisiert die Haushalte in unteren Einkommensgruppen im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz3 SGB XII. Für die auf den Eckregelsatz bezogene Ermittlung des regelsatzrelevanten Verbrauchs werden die statistisch nachgewiesenen Verbrauchsausgaben der untersten 20 vom Hundert der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte zu Grunde gelegt" (BR-Drucks. 206/04, S.10). Die Gründe und Hintergründe für die Auswahl der Ein-Personen-Haushalte, deren Einkommen und Verbräuche erheblich unter denen von Familienhaushalten wie dem der Kläger liegen (dazu nachfolgend zu 5.), konnten auch in der mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden. Der Sachverständige Dr. Martens hat dazu nur angemerkt, es liege auf der Hand, dass sich Einkommen und Verbräuche bei Ein-Personen-Haushalten relativ leicht handhaben ließen, jedoch seien die Überlegungen nicht offen diskutiert worden; soviel er gehört habe, sei über die Inhalte der Arbeitsgruppe, die mit den Arbeiten für die RSV betraut gewesen sei, Verschwiegenheit vereinbart worden. Diese Darstellung wurde vom Sachverständigen Höft-Dzemski, der Mitglied der besagten Arbeitsgruppe war, insofern bestätigt, als dieser bekundete, zwar nicht mehr genau zu wissen, ob Vertraulichkeit vereinbart worden sei, jedoch sei "eine gewisse kollegiale Verschwiegenheit bei der Bearbeitung derartiger Fragen durchaus nicht unüblich". In der Sache trug er vor, ihm erscheine die Bezugnahme auf Ein-Personen-Haushalte logisch zu sein, wenn man mit einem Eckregelsatz arbeiten wolle; er habe auch mit Kollegen darüber diskutiert und ebenfalls keine Auskunft bekommen, weshalb gerade dieser Zuschnitt der Referenzgruppe gewählt worden sei. Die Sachverständige Dr. Becker hat hierzu angemerkt, dass seit jeher bei der Bestimmung der Eckregelsätze auf den Ein-Personen-Haushalt abgestellt worden sei. Eine stichhaltige Begründung vermag der Senat nach allem nicht zu erkennen.

2. Darüber hinaus weisen die Sachverständigen Dres. Becker und Martens im Ergebnis übereinstimmend darauf hin, dass der gemäß der RSV unzulässige Zirkelschluss gleichwohl bei der Auswertung der EVS noch vorhanden ist, weil sowohl Haushalte mit Erwerbseinkommen plus aufstockenden Leistungen ebenso noch dabei seien wie Haushalte mit Bezug von Arbeitslosengeld und SGB II-Leistungen bzw. Sozialhilfeempfänger. Ferner nehme eine erhebliche Anzahl von Personen Sozialhilfeleistungen nicht in Anspruch, obwohl sie einen gesetzlichen Anspruch hätten ("Dunkelziffer"). Damit enthalte die gewählte Bezugsgruppe Personen, die faktisch Einkommensniveaus wie Sozialhilfeempfänger und darunter aufwiesen und dennoch als Vergleichsmaßstab für den Regelsatz herangezogen würden. Den Senat haben die Ausführungen überzeugt, nachdem die Sachverständigen Dres. Becker und Martens die Einwände der Beigeladenen zu 4. in ihren ergänzenden Stellungnahmen sowie in der mündlichen Verhandlung vollends entkräftet haben. Dementsprechend ist der Senat vom Vorliegen des (teilweisen) Zirkelschlusses bei der Regelsatzbildung der Bundesregierung überzeugt, der nach der RSV gerade zu vermeiden war. Der Senat sieht damit auch die Behauptung der Beigeladenen zu 4. als widerlegt an, dass die Regelleistungen noch den vom SGB XII in Verbindung mit der RSV vorgeschriebenen Kontakt zu den Einkommen und Verbräuchen des untersten Quintils hielten.

3. Die von der RSV abweichende Bezugnahme auf die Ein-Personen-Haushalte kann auch nicht mit dem Argument notwendiger Typisierung gerechtfertigt werden. Eine solche läge nur dann vor, wenn die gesetzlichen Verallgemeinerungen auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen (vgl. BVerfGE 84, 348, 359; 87, 234, 255; 96, 1, 6). Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (BVerfGE 116, 164, 182 f.). Tatsächlich lebten im Jahr 2005 laut dem Sachverständigen Dr. Martens - bezogen auf alle Haushalte - aber nur 14,174 Mio. Personen in Ein-Personen-Haushalten, das waren 17,4 Prozent der Bevölkerung oder 37,5 Prozent aller Haushalte. Bei den Ein-Personen-Haushalten im SGB II-Bezug waren es 2005 2,127 Mio. Haushalte/Personen bzw. 30,5 Prozent Anteil an allen SGB II-Beziehern oder 56,9 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften. Somit wären die Grenzen zulässiger Typisierung klar überschritten. Unschädlich wäre es nur, wenn lediglich ein "mäßiger Prozentsatz" unberücksichtigt bleibt (vgl. z.B. BVerfGE 39, 169, 196). Davon kann nach den vorstehenden Zahlen und Verhältnissen aber keineswegs ausgegangen werden.

4. Aus den Gutachten der Sachverständigen Dres. Martens und Becker ergibt sich zur Überzeugung des Senats ferner, dass sich das Ausgabeverhalten der Ein-Personen-Haushalte nicht auf Mehrpersonenhaushalte bzw. Familien übertragen lässt. Vielmehr zeigen die Gutachten große Diskrepanzen und Differenzen zwischen dem Verbrauchsverhalten von Ein-Personen-Haushalten und Familien auf. So wird insbesondere in der Abteilung "Verkehr" nachgewiesen, dass Familien vermehrt im ländlichen Bereich, Alleinstehende dagegen in Ballungsgebieten leben und auch ärmere Familien mehrheitlich ein Auto besitzen, ebenso, dass der Mobilitätsbedarf durch Kinder steigt. Die Daten der EVS 2003 belegen dies nach Dr. Martens in aller Deutlichkeit bei den Paarhaushalten mit einem Kind unter 18 Jahren: Die Verbrauchsausgaben aller Haushalte belaufen sich auf 83,28 Euro pro Monat, bei Haushalten ohne "Haushalte unterhalb Sozialhilfeschwelle" sind es 94,06 Euro pro Monat. Dagegen weisen Ein-Personen-Haushalte mit 18,45 Euro gegenüber diesen Werten lediglich ca. ein Fünftel der Verbrauchswerte der Paarhaushalte mit einem Kind auf. Da die laufenden Kosten für das Auto und die Ausgaben für Benzin aber nicht von den Regelsätzen erfasst werden, decken Familien diesen Bedarf zu Lasten anderer Teile des Grundsicherungsbedarfs. Wenn die laufenden Ausgaben für ein Kfz als nicht regelsatzrelevant eingestuft würden, sei deshalb zumindest die Berücksichtigung der Durchschnittsausgaben für öffentliche Verkehrsmittel unabdingbar. Neben anderen erheblichen Differenzen weist der Sachverständige insbesondere noch darauf hin, dass bei den Alleinstehenden die Bildungsausgaben als nicht regelsatzrelevant unberücksichtigt blieben, das sei bei Familien nicht hinnehmbar.

5. Die Auswirkungen der fehlenden Berücksichtigung der familienspezifischen Einkommens- und Verbrauchslagen sind nach den für den Senat überzeugenden Angaben der Sachverständigen Dres. Martens und Becker erheblich: Der Sachverständige Dr. Martens ermittelte, dass der Erwachsenenregelsatz mit 403 Euro um 58 Euro höher ausfallen würde, als der im Streitzeitraum nach der Referenzgruppe der Ein-Personen-Haushalte ermittelte Wert der geltenden Regelleistung. Im Falle der bis unter 6-Jährigen müsste die Regelleistung um ca. ein Viertel erhöht werden (26 Prozent), um bedarfsdeckend zu sein, bei den 6- bis unter 14-Jährigen um die Hälfte (51 Prozent) und bei den 14- bis unter 18-Jährigen um rund ein Fünftel (21 Prozent). Die Sachverständige Dr. Becker kommt auf vergleichbare Beträge, denn sie ermittelt einen Bedarf im Durchschnitt aller Paarhaushalte mit einem Kind unter 18 Jahren in Höhe von monatlich 932 Euro, dem die Regelleistung von 825 Euro bei einem Paarhaushalt mit einem Kind unter 14 Jahren gegenübersteht. Die Regelleistungen für Paarhaushalte mit einem 6- bis 13-jährigen Kind blieben sogar um etwa 150 Euro hinter dem Bedarf zurück. Dass sie bei diesen Betrachtungen im Gutachten auf das Jahr 2007 abgestellt hat, erachtet der Senat als unschädlich, da die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass sich die jeweiligen Verhältnisse zueinander im Zeitverlauf nicht veränderten.

6. Für den Senat überzeugend ist auch der detaillierte Nachweis der Sachverständigen Dres. Becker und Martens, dass die der derzeitigen Gestaltung der Regelleistungen immanente "Kompensationsthese" nicht realistisch ist und insbesondere bei zentralen Ausgabepositionen bei Familienhaushalten wie Nahrungsmittel und Getränke, Verkehr und Bildung versagt. Die Annahme, dass kindspezifische Bedarfe, die bisher nicht explizit in die Bemessung der Regelleistung eingehen, implizit - infolge von Haushaltsgrößenersparnissen und relativ geringer Bedeutung erwachsenenspezifischer Güter - Berücksichtigung fänden, sei außer bei den Kosten der Unterkunft nicht zutreffend. Hinweise auf besondere Defizite zeigten sich - so die Sachverständige Dr. Becker - wenn die Annahmen und die daraus folgenden Grenzen des Statistikmodells berücksichtigt würden. Die maßgeblichen Beträge einzelner Ausgabearten ergäben sich nämlich als Durchschnitt über alle Haushalte. Da bei vielen Positionen aber nur ein Teil der Haushalte die spezielle Ausgabe getätigt habe – der entsprechende Bedarf trete nicht in jedem Monat auf –, bleibe der Durchschnittswert hinter den faktischen Kosten derjenigen zurück, bei denen die Ausgabe tatsächlich angefallen ist. Nach der Logik des Statistikmodells werde dies kompensiert durch die in der Regelleistung berücksichtigten Ausgabearten, die beim jeweiligen Hilfeempfänger nicht angefallen seien; außerdem solle der Hilfeempfänger Rücklagen für Reparaturen und Ersatzbeschaffungen bilden. Dass ein derartiger Ausgleich durch die individuell verschiedenen Ausgabenstrukturen erfolgen könne, sei insbesondere beim Bildungsbereich jedoch zweifelhaft. Denn der sich hier ergebende Durchschnittsbetrag von etwa 23 Euro dürfte die faktischen Kosten einer Kinderbetreuung, von Nachhilfeunterricht oder anderen Bildungsausgaben so stark unterschreiten, dass dies mit den vergleichsweise geringen Bedarfen bei anderen Gütern bzw. mit Einschränkungen – z.B. beim Gaststättenbesuch – kaum zu kompensieren sei. Zudem fielen die genannten Bildungsaufwendungen gegebenenfalls regelmäßig an, von Ansparphasen könne also nicht ausgegangen werden. Ähnliches gelte für Schulmaterial, das in der EVS-Systematik unter den Rubriken Bücher, Zeichen- und Schreibmaterial der Güterkategorie Freizeit, Unterhaltung und Kultur zugeordnet ist. Insoweit zeigten sich Defizite der gegenwärtigen Grundsicherungsleistungen für Familien insbesondere bei den Kosten für Betreuung, Bildung und besonderer Förderung von Kindern und Jugendlichen.

Dass die Kompensationsthese nicht zutrifft, belegt auch der Sachverständige Dr. Martens wie folgt: "Einsparpotentiale können im Zusammenhang mit den vorgelegten Berechnungen faktisch aus mehreren Gründen vernachlässigt werden: Die Ausgabenposition mit dem größten Sparpotential, Wohnkosten nämlich, ist nicht regelsatzrelevant und geht damit nicht in die Berechnungen ein. Bei der quantitativ bedeutsamen Ausgabeposition "Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke" sind ohnehin bereits Discountpreise als Vergleichsmaßstab angesetzt. Hinsichtlich der Verpackungsgrößen dürften zudem synergetische Effekte bei einem Drei-Personenhaushalt weitgehend ausgereizt sein. Eine ganze Reihe weiterer Ausgabepositionen enthalten keine Synergiepotentiale. So beispielsweise der Besuch von Veranstaltungen, außerschulischer Unterricht, Mitgliedschaft in Sportvereinen, aber auch Schuhwerk oder Ausgaben für pharmazeutische und Gesundheitsprodukte. Bei den verbleibenden Ausgabepositionen mit Synergiepotential wie beispielsweise Kleidung, Spielzeug oder Elektrogeräte bleibt das Ausgabevolumen im untersten Quintil – den zur Bestimmung von Kinderregelsätzen herangezogenen Haushalten - derartig gering, dass sie das Ergebnis nicht wesentlich beeinflussen können" (Gutachten vom 20. September 2008, S. 33).

7. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. Becker kann somit aus den Verbrauchsstatistiken Alleinstehender insbesondere der Kinderbedarf im Allgemeinen und erst recht der von Kindern im Alter der Klägerin zu 3. im Besonderen nicht abgeleitet werden, die hohe entwicklungsbedingte Kosten hätten. Ein gegenläufiger, mit dem Alter sinkender Bedarf in anderen Bereichen sei hier nicht erkennbar, so dass kein kompensierender Effekt eintrete. Demnach werde die derzeitige Sozialgeldregelung, die keine Differenzierung bei den unter 14-jährigen vorsieht, den entwicklungsbedingten Unterschieden des Kindesbedarfs nicht gerecht: "Die Klägerin zu 3. hat einen besonderen Wachstumsschub erlebt und dabei eine Körpergröße von 1,76 m erreicht. Dies legt die Annahme eines außergewöhnlichen Nahrungsmittel- und Bekleidungsbedarfs des Kindes im konkreten Fall nahe, so dass möglicherweise eine noch stärkere Bedarfsunterdeckung als im Durchschnitt der Gleichaltrigen mit Sozialgeldbezug vorliegt. Dies kann freilich mit pauschalen Regelleistungen nicht berücksichtigt werden. An der Situation der Kläger werden somit die Grenzen des Statistikmodells deutlich. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass im Einzelfall überdurchschnittliche Bedarfe in einzelnen Konsumbereichen durch unterdurchschnittliche (notwendige) Kosten für andere Gütergruppen kompensiert werden. Davon kann bei Kindern aber nicht generell ausgegangen werden, da in einzelnen Entwicklungsphasen Mehrbedarfe kumulativ auftreten können. Derartigen Problemen könnte der Gesetzgeber durch eine Öffnungsklausel begegnen, die in Sonderfällen – z. B. bei besonders starkem Wachstum eines Kindes – zweckbestimmte Zusatzleistungen ermöglicht" (so die Sachverständige Dr. Becker, Gutachten S. 24). Insbesondere zusätzlich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich der in der Regelleistung enthaltene Anteil für "Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke" für Kinder von 0 - 14 Jahren auf nur 2,71 Euro pro Tag beläuft (dazu im Einzelnen das Gutachten Dr. Martens, S. 13 - 17), ist der Senat auch von der Richtigkeit dieser Ausführungen überzeugt.

8. Insbesondere werden die vom BVerfG im Beschluss vom 10. November 1998 (2 BVR 1057/91 - BVerfGE 99, 216) beispielhaft aufgezählten außerschulischen Bildungs- und Kulturbedarfe ("Betreuung, Erziehung, Ausbildung") nicht gedeckt, wie die Sachverständige Dr. Becker überzeugend darlegt: Die schematische Festlegung der Kinderregelleistung als 60-Prozent-Quote der Eckregelleistung berücksichtige die vom BVerfG festgestellten Bedarfe weder explizit noch indirekt "Mitgliedsbeiträge an Organisationen ohne Erwerbszweck gehen bei der Berechnung des Eckregelsatzes zwar grundsätzlich ein; von dem Durchschnittsbetrag von 1,17 Euro im unteren Einkommensbereich der Alleinstehenden werden 25 Prozent, also 0,29 Euro, berücksichtigt. Der marginale Durchschnittsbetrag resultiert aus der geringen Quote der Vereinsmitgliedschaften in der Referenzgruppe, für den Ansatz von nur einem Viertel fehlt jede Begründung, und letztlich wird durch die formale Kalkulation mit wenigen Cent verschleiert, dass die faktischen Möglichkeiten der sinnvollen Betätigung von Kindern stark begrenzt und von kommunalen (kostenfreien oder im Preis ermäßigten) Angeboten abhängig sind. Auch die "sonstigen Formen der Begegnung mit anderen Kindern oder Jugendlichen außerhalb des häuslichen Bereichs", kulturelle Teilhabe und eine förderliche Freizeit- und Feriengestaltung erfordern Geld – z. B. für Fahrkarten, Eintrittskarten für Zoo, Zirkus und Kindertheater, für Geburtstagseinladungen, Ferienspiele, Sprachkurse etc ... Mit den Regelleistungen werden die entsprechenden Ausgaben im unteren Einkommensbereich der Referenzfamilien mit einem Kind nicht gedeckt. Ähnliches gilt für das Erlernen und Erproben moderner Kommunikationstechniken: Datenverarbeitungsgeräte und Software gehen mit einem Durchschnittsbetrag von nur 2,57 Euro in den Eckregelsatz ein, Aufwendungen für Bild-, Daten- und Tonträger bleiben ausgeklammert, Computerkurse sind nicht vorgesehen" (S. 30 des Gutachtens).

Über die vom BVerfG beispielhaft aufgezählten Bedarfe seien jedoch noch weitere zu berücksichtigen: "Ausgaben für Schulmaterial infolge - regional unterschiedlich - eingeschränkter Lernmittelfreiheit, wobei Kosten insbesondere zu Beginn eines Schuljahres anfallen; - bei Ganztagsbetreuung bzw. -schulen Kosten für ein warmes Mittagessen; - Ausgaben zur Entdeckung und Förderung von Hobbies (Sport-, Musikunterricht), wobei nicht nur laufende Mitglieds- oder Kursbeiträge, sondern auch Kosten für Sportbekleidung, Noten etc. anfallen; - bei individuellem Förderungsbedarf Ausgaben für Nachhilfeunterricht oder Hausaufgabenbetreuung" (S. 30 f. des Gutachtens). Die faktischen Ausgaben für Freizeit, Unterhaltung, Kultur der Alleinstehenden des unteren Einkommensbereichs würden bei der auch für Familien maßgeblichen Eckregelleistungsberechnung sehr restriktiv - nämlich mit nur 55 Prozent - berücksichtigt. Dies könne für Erwachsene mit Verweis auf die gesetzliche Formulierung, Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben "in vertretbarem Umfang" in die Regelleistung einzubeziehen (§ 20 Abs. 2 SGB II), noch begründbar sein, bei Kindern und Jugendlichen widerspreche eine dermaßen beschränkte kulturelle Teilhabe aber dem Gebot, "dem Kind eine Entwicklung zu ermöglichen, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt". Da die Kompensationsthese sich nicht bestätigt habe und die Herausnahme einzelner Ausgabepositionen relevanter Gütergruppen sowie die Ausklammerung von Bildungsausgaben dem Grundgedanken des Statistikmodells entgegenstehe, wonach sich im Einzelfall über- und unterdurchschnittliche Bedarfe kompensierten, sei die Deckung "kultureller" Bedarfe von Kindern und Jugendlichen aus sachverständiger Sicht als defizitär zu bezeichnen" (S. 31 des Gutachtens).

9. Insbesondere: Die zu § 3 Ziffer 2 RSV gegebene Begründung der RSV Entgegen den Angaben des Verordnungsgebers (BR-Drucks 206/04 S. 10 f.) können die Regelleistungen für Kinder auch weder mit "international anerkannten wissenschaftlichen Verfahren, z.B. der modifizierten OECD-Skala" noch mit der in Bezug genommenen Studie von Münnich/Krebs "Ausgaben für Kinder in Deutschland" (WiSta 12/2002, S. 1080) gerechtfertigt werden. Vielmehr bestätigt die Lektüre der angegebenen Studie des Statistischen Bundesamts im Gegenteil die Aussagen der Sachverständigen sowie die Auffassung der beiden Fachausschüsse in ihrer Ablehnungsempfehlung vom 4. Mai 2004 und unterstreicht umgekehrt gerade die systematischen und schweren Fehler des Verordnungsgebers bei der Einschätzung des Kinderbedarfs, welche der Gesetzgeber im Vorgriff bei der Verabschiedung des SGB II am 24. Dezember 2003 übernommen hat.

a) Denn zum einen gründet die ("modifizierte") OECD-Skala nicht auf Bedarfsermittlungen, sondern setzt mit der sog. "Faktorgewichtung" (Haupteinkommensbezieher = 1; alle weiteren Haushaltsmitglieder, die 14 Jahre und älter sind = 0,5; Kinder ( 14 = 0,3) lediglich abstrakte Quoten für Zwecke internationaler statistischer Vergleiche fest (dazu näher Strengmann-Kuhn, Vermeidung von Kinderarmut in Deutschland durch finanzielle Leistungen, ZSR 4/2006, S. 439 ff.). In seiner Auseinandersetzung mit dem Schriftsatz der Beigeladenen zu 4., die sich ebenfalls auf die modifizierte OECD-Skala berief, äußerte sich der Sachverständige Dr. Martens in der Stellungnahme vom 24. Oktober 2008 wie folgt: "Die OECD-Skala ist ein Äquivalenzziffernsystem, um Wohlstandsniveaus von unterschiedlich zusammengesetzten Haushalten auf Personen hin zu berechnen. Dies ist eine ganz andere Zielrichtung als die Bestimmung von Existenzminima von Kindern in unterschiedlichen Altersstufen. Der Verweis auf international anerkannte wissenschaftliche Verfahren ist deshalb thematisch verfehlt." Die OECD-Skalen sind demzufolge zur Ermittlung eines "soziokulturellen" Existenzminimums, welches sich an den Gegebenheiten des Inlands zu orientieren hat, weder gedacht noch geeignet. Das zeigt sich im Übrigen schon daran, dass die Werte der alten OECD-Skala (Faktorengewichtung 1, - 0,7 und - 0,5) für Kinder bei Paaren mit 1 Kind sogar noch um 77 Euro über den Ergebnissen des Statistischen Bundesamts gestanden hatten, während der Wert der neuen OECD-Skala insoweit um 67 Euro niedriger liegt; dagegen war der korrespondierende Wert nach der BSHG-Skala sogar um 110 Euro höher als der des Statistischen Bundesamts (Münnich/Krebs, aaO, S. 1097; siehe auch dieselben, Einkommensverhältnisse von Familien und ihre Ausgaben für Kinder, Berechnungen auf der Grundlage der EVS 2003, WiSta 6/2006, 644, 667: die modifizierte OECD-Skala sei "nicht besonders realitätsnah").

b) Zum anderen stützt die vom Verordnungsgeber zur Begründung der Struktur der Kinderregelsätze zitierte Studie des Statistischen Bundesamts diese gerade nicht, was - erstens- schon durch die Tatsache unterstrichen wird, dass die Kinder darin gerade nicht in zwei Altersgruppen unterschieden werden, sondern nach vier Altersgruppen von 0 - 5, 6 - 12 und 13 - 18 Jahren sowie älter (Münnich-Krebs, aaO, S. 1090). Zweitens geht die Studie bei Paaren mit einem Kind im ersten, d.h. untersten Dezil, von Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 1.265 Euro und Konsumausgaben von 1.365,- Euro aus, von denen 278,- Euro auf das Kind entfielen. Durchschnittlich hätten Paare mit einem Kind unter 18 Jahren im alten Bundesgebiet 498,- Euro für dieses ausgegeben. Obgleich die Paarhaushalte mit einem Kind, die zur ersten Dezilgruppe zählten, sparsam wirtschafteten, hätten die monatlichen Ausgaben für den Privaten Konsum 1998 bereits die monatlichen Haushaltsnettoeinkommen um 100,- Euro überschritten. Da diese Haushalte darüber hinaus in der Regel noch Steuern und Versicherungen (u.a. Kfz.-Steuer und -Versicherung, Hausrat- und Haftpflichtversicherung) zu zahlen gehabt hätten, dürfte das tatsächliche monatliche Defizit sogar noch weit höher ausgefallen sein und auf breiter Front zur Verschuldung geführt haben: "Inwieweit Kinder diese Unterversorgungslagen als materielle Benachteiligungen bzw. Chancenungleichheit erleben, wäre gesondert zu untersuchen" (aaO, S. 1093). Ferner zeigten "die vorstehenden Untersuchungen darüber hinaus, dass Mütter und Väter bei den Ausgaben für den Privaten Konsum zuerst an ihrer eigenen Lebenshaltung Abstriche machen und Wohlstandsverluste hinnehmen, ehe sie Einschränkungen an den Ausgaben für ihr(e) Kind(er) ins Auge fassen. Kinderarmut steht erst am Ende einer von Eltern bzw. Elternteilen nicht mehr beherrschbaren wirtschaftlichen Notsituation" (aaO, S. 1096). Abschließend stellt die Studie fest, "bei der Betrachtung der Ergebnisse unter verteilungspolitischen Aspekten sollte die besondere Situation in den unteren Einkommensdezilen beachtet werden" (aaO, S. 1099).

c) Dass der Verordnungsgeber dem Rechnung getragen hat, sieht der Senat aber nicht. Im Gegenteil belegt allein schon diese Studie die deutliche Unterdeckung des existenzminimalen Bedarfs bei Kindern in der Altersgruppe der Klägerin zu 3., weil der Betrag von 278 Euro an Konsumausgaben für das Kind im untersten Dezil genannt wird, der auch unter Berücksichtigung der für Vergleichszwecke zu addierenden Wohnkosten in Höhe von 67 Euro (a.a.0., Tabelle 6, S. 1093) deutlich über dem der Klägerin zu 3. in der ersten Jahreshälfte 2005 gewährten Sozialgeld in Höhe von 207 Euro liegt, obwohl diese Daten aus der im streitigen Zeitraum sieben Jahre alten EVS 1998 stammen und dazu noch die Verhältnisse nur des untersten Dezils abbilden, während nach der RSV 2005 das unterste Quintil die Referenz- und soziokulturelle Zielgruppe bilden soll, mithin dort sogar noch höhere referentielle Konsumausgaben anfallen. Die Höhe des Sozialgeldes gemäß §§ 20, 28 SGB II findet somit in der genannten Studie nicht nur keine Stütze, sondern diese belegt im Gegenteil die fehlende Bedarfsdeckung im Falle von Kindern im Alter der Klägerin zu 3 ... Dieses Ergebnis wird durch die Folgestudie derselben Autoren (WiSta 6/2006, S. 644 ff.) auf der Grundlage der EVS 2003 bestätigt. Danach gaben im Jahr 2003 Paare mit einem Kind in den Altersgruppen bis unter 6 Jahre 471,- Euro, 6 bis unter 12 Jahre 578,- Euro und von 12 bis unter 18 Jahre 673,- Euro durchschnittlich für ihr Kind pro Monat aus (aaO, S. 652, - früheres Bundesgebiet). Im untersten Dezil beliefen sich die Ausgaben im Durchschnitt aller Altergruppen auf 332,- Euro (davon 79,- Euro für "Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung", - Tabellen 3 und 4, aaO, S. 669 f. - altes Bundesgebiet -). Die Spreizung "zwischen oben und unten" habe zwischen 1998 und 2003 bei Paaren mit einem Kind deutlich zugenommen, ebenso die Zahl der von Überschuldung und Insolvenz bedrohten Haushalte allgemein (aaO, S. 657 f.).

10. Damit unterstreicht die vorgenannte Studie zugleich die auch von den Sachverständigen Dr. Becker und Holz bestätigten Angaben der Kläger im Verfahren, dass bei einer Unterdeckung des Kinderbedarfs unvermeidlich alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in Mitleidenschaft gezogen werden.

11. Die vorstehend zu Ziffern 1 bis 8 dargestellte Tatsache der fehlenden Bedarfsermittlung bei Kindern und der Unterschreitung ihrer Bedarfe durch die Regelleistungen war in den letzten Jahren auch Gegenstand zahlreicher parlamentarischer Anfragen und Anträge sowie Initiativen auf Seiten der Gebietskörperschaften und der Wohlfahrtsverbände (vgl. zum Beispiel BT-Drucks. 16/5699 v. 14. Juni 2007; 16/5870 v. 3 Juli 2007; 16/7113 v. 14. November 2007; 16/9028 v. 30.April 2008; 16/9810 v. 26. Juni 2008; 16/9999 vom 16. Juli 2008; BR-Drucks. 676/07 v. 28. September 2007; 329/08 vom 23. Mai 2008; Deutscher Caritasverband, Wie die Bekämpfung der Kinderarmut gelingen kann. Vorschläge des Deutschen Caritasverbandes, neue caritas 17/2008 - 6. Oktober 2008; Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Was Kinder brauchen Für eine offene Diskussion über das Existenzminimum für Kinder nach dem Statistikmodell gemäß § 28 SBG XII, September 2008; Pressedienst Landeshauptstadt Stuttgart vom 24. September 2008 "Umfassendes Maßnahmepaket zur Unterstützung von bedürftigen Kindern vereinbart"; Nordrhein-Westfalen, Chancen für Kinder. Rahmenbedingungen und Steuerungsmöglichkeiten für ein optimales Betreuungs- und Bildungsangebot in Nordrhein-Westfalen. Bericht der Enquetekommission 2008, siehe dort unter 3.8. auf S. 171 die Empfehlung zur Neugestaltung des Kinderregelsatzes). Nachdem mit der Reform des Unterhaltsrechts zum 1. Januar 2008 noch der Mindestunterhalt an den Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum (der sich nach dem sich Regelsatz gemäß der RSV) angepasst wurde, ist inzwischen offenbar auch die Bundesregierung zu der dazu konträren Einsicht gelangt, dass die Kinderregelsätze defizitär sind; dies beweist die mündliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft Hartmut Schauerte am 18.Juni 2008 auf die Frage der Abgeordneten Dr. Enkelmann, ob ein Tagessatz von 4,17 Euro pro Tag für ein Kind ausreichend sei: "Die Bundesregierung ist intensiv dabei umzudenken, weil wir an einem solchen Durchschnittswert nicht festhalten können. Ein Kind ist nämlich teurer als 60 Prozent des Regelsatzes für einen Erwachsenen" (BT-Plenarprotokoll 16/168 - S. 17804 B). Die Einsicht wird auch durch den Entwurf des "Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen" unterstrichen, der u.a. für Schüler im Rahmen des SGB II und SGB XII jeweils zum Schuljahresbeginn einen Einmalbetrag in Höhe von 100 Euro vorsieht; der Entwurf war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die erstmals für das zweite Halbjahr 2009 geplante Einmalzahlung für Schulbedarf in Höhe von 100,- Euro bestätigt nur die Tatsache, dass bei der Klägerin zu 3. - und damit auch für deren Eltern - im streitbefangenen Zeitraum eine Unterdeckung bezüglich des notwendigen Bedarfs vorgelegen hat (und vorliegt).

12. Keine anderweitige Deckung des Bedarfs bei der Klägerin zu 3. durch Beigeladene: Die nach allem ungedeckten Bedarfe der Klägerin zu 3. sind auch nicht durch anderweitige Leistungen und Angebote der Beigeladenen zu 1. bis 3. abgedeckt. Soweit die Beigeladene zu 4. auf die ja stets gegebene und ausreichende Verantwortung der Jugendhilfe verweist, fehlt es hierfür, wie seitens des Beigeladenen zu 2. in der mündlichen Verhandlung betont wurde, bei der Klägerin zu 3. schon an den gesetzlichen Voraussetzungen. Auch die durch das zu 3. beigeladene Land Hessen durchgeführte Befragung der kommunalen Spitzenverbände hat kein Ergebnis erbracht, wonach für Kinder im Allgemeinen und für die Klägerin zu 3. im Besonderen davon ausgegangen werden könnte, dass in ausreichendem Umfang zusätzliche und vor allem kostenfreie Angebote zur Verwirklichung der speziellen Bedarfe von Kindern zur Verfügung stehen. Es werden zwar von den Beigeladenen zu 1. bis 3. vielfältige ergänzende Schul- und Freizeitangebote gemacht, die geeignet sind, Kindern in gewissem Umfang ergänzende Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen und sie bei der Erfüllung von Grundbedürfnissen, zum Beispiel mit Zuschüssen zum Schulessen, zu unterstützen. In der Summe sind diese Angebote aber meist nicht kostenfrei und verlangen den Einsatz eigener Geldmittel oder sie sind teilweise nicht dauerhaft und verlässlich, sondern werden nur unter Fiskalvorbehalten gewährt, wie beispielsweise die aus fiskalischen Gründen erfolgte Abschaffung der Kostenbefreiung für das örtliche Schwimmbad seitens der Beigeladenen zu 1. zeigt. Nicht wenige Angebote sind überdies mit der kaum überwindlichen Barriere von Fahrtkosten verbunden. Die Sachverständige Holz hat in der mündlichen Verhandlung hierzu überzeugend ausgeführt, dass die vielfältigen Initiativen gerade Kinder der Altersgruppe von 11 bis 14 nicht erreichten; hier spreche man immer noch von "Lücke-Kindern". Es komme im Übrigen auch darauf an, dass die Kinder diese Aktivitäten mit ihren jeweiligen Cliquen zusammen machen können, was bei schulischen Angeboten in der Regel aber ausscheide. Hinsichtlich der Kostenermäßigungen müsse berücksichtigt werden, dass beispielsweise bei einer 2/3 Ermäßigung - ausgehend von 10 Euro - immer noch ein Kostenanteil von 3,33 Euro übrig bleibe und das sei für viele Familien schon zu viel. Aus Gründen der Teilhabe sei es außerdem wichtig, dass derartige Teilnahmen nicht etwa nur einmal in der Woche stattfänden, sondern Kinder die Möglichkeit haben müssten, diese Angebote wiederholend oder dauernd wahrzunehmen. Ferienlager z.B. seien wichtig, aber längst nicht ausreichend. Statt an diese Fragen strikt aus der Kinderperspektive heranzugehen und von dieser Perspektive aus die Prioritäten zu setzen, ständen regelmäßig fiskalische Belange im Vordergrund.

13. Nach allem ist der Senat auch von der Richtigkeit der Ausführungen der Sachverständigen Dr. Becker und Holz überzeugt, dass die Unterdeckung der Bedarfe von Familien und Kindern im SGB II-Bezug - vor allem im Alter der Klägerin zu 3. - mit hoher Wahrscheinlichkeit die Lern- und Bildungsfähigkeit der Kinder beeinträchtigt und zu deren sozialen Ausgrenzung führt. So weist die Sachverständige Dr. Becker auf einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen hin, welche die zentrale Bedeutung der familialen Bildung betonen. Die Bedeutung des Bildungsgeschehens in der Familie sei auch vor dem Hintergrund der begrenzten Ressourcen von Kindertageseinrichtungen (Personalausstattung pro Gruppe, Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte etc.) groß. Die Möglichkeiten von Eltern zur Sozialisation und Förderung ihrer Kinder würden durch knappe Geldmittel unmittelbar limitiert; der Kontakt zu Gleichaltrigen sei eingeschränkt, Hobbies und Begabungen würden nicht entdeckt bzw. nicht gefördert, es fehlten Betätigungs- und Entfaltungsräume, gemeinsame Unternehmungen der Familien unterblieben, Schulmaterialien seien nicht vollständig bezahlbar und individuelle Förderung - z. B. bei Schulproblemen - nicht möglich. Daraus ergebe sich eine vergleichsweise große Wahrscheinlichkeit von Interessenmangel, Konzentrationsschwäche, sonstigen Verhaltensauffälligkeiten und – dadurch mitbedingt – von begrenzter Lern- und Bildungsfähigkeit. Das Risiko der Ausgrenzung sei groß und Exklusionsprozesse verstärkten wiederum die primären Folgen der defizitären materiellen Situation für die Lern- und Bildungsfähigkeit von Kindern (Gutachten vom 15. September 2008, S. 32 - 38). Diese Ausführungen der Sachverständigen Dr. Becker werden von der Sachverständigen Holz, welche selbst maßgeblich an der ersten und bisher einzigen Langzeitstudie in Deutschland beteiligt war, (AWO-ISS/Frankfurt am Main "Zukunftschancen für Kinder!?"), bestätigt: Armut erzeuge bei vielen Eltern chronischen Stress aufgrund der prekären Lebenssituation, deren Balance durch kleine Störungen aus dem Gleichgewicht geraten könne. Daraus erwachse ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen und ein negativeres Rollenbild als Eltern. In Folge dessen entwickelten sich eher negative Lebensereignisse wie Krankheit, Gewalt, Zerbrechen von Partnerschaften und Freundesnetzwerken. Das wiederum führe zu sozialer Isolation. Armut führe so auch zu einer häuslichen Umgebung, die sich wiederum durch wenig kognitiv stimulierende Lerngelegenheiten auszeichne, und wirke grundsätzlich mehrdimensional auf die gesamte Lebenslage eines Menschen ein, bestimme dessen Gestaltungs-, Handlungs- wie Entscheidungsspielräume und führe zu sozialer Ausgrenzung. Einkommensarmut, benachteiligte Lebenslage und Ausgrenzung stellten dabei verschiedene, einander ergänzende Diagnosekonzepte dar, die kombiniert werden müssten, um Anforderungen der sozialen Inklusion und der Armutsprävention zu erfüllen. Die Gesundheitsforschung führe relevante Belege bereits für den Zeitpunkt der Schwangerschaft und spätestens ab Geburt des Kindes an und die Ernährungsforschung liefere ebenso wie die Bildungsforschung eindeutige Belege armutsbedingter Wirkungen ab dem frühen Kindesalter. Die von ihr mit betreute bisher einzige deutsche Langzeitstudie habe für die erforschten 6-jährigen Vorschulkinder nachgewiesen, dass rund 40 Prozent der armen, aber nur rund 15 Prozent der nicht-armen sechsjährigen Kinder Mängel in der Grundversorgung (Wohnung, Kleidung, Ernährung) gehabt hätten. Bis zum Ende der Grundschulzeit wachse der Anteil bei den armen Kindern auf über 52 Prozent an, dagegen sinke er bei den nicht-armen Kindern, je nach der finanziellen Lage der Familie, gegen Null. Je früher und je länger ein Kind Armutserfahrungen mache, desto gravierender seien die Folgen für seine Lebenssituation heute und seine Zukunftschancen morgen. Auf die Gutachten im Einzelnen wird Bezug genommen.

C.

Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Verfassungsfrage

Prüfmaßstäbe sind für den erkennenden Senat die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das besondere Diskriminierungsverbot gegenüber Familien (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG ) sowie schließlich die Grundsätze der Normenklarheit, Folgerichtigkeit und Systemgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Senat sieht diese Verfassungsnormen durch die §§ 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II verletzt.

1. Prüfung des § 20 Abs. 1 bis 3 SGB II in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II im Hinblick auf die Gewährleistung des Existenzminimums der Klägerin zu 3. - Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat in Wahrnehmung seines Wächteramts zum Schutze des Kindes in Unterstützung der Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet, für die Existenzsicherung des Kindes Sorge zu tragen und muss dazu Regelungen treffen, welche seinen Schutzauftrag auch erfüllen, das Existenzminimum eines Kindes sicherzustellen (Beschluss vom 9. April 2003 – 1 BvL 1/01 = BVerfGE 108, 52, 62 - juris-Rdnr. Ziff. 51 ff.). Dabei wird dieses aus der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG folgende Existenzminimum durch das Sozialstaatsprinzip - Art. 20 Abs. 1 GG - zu einem soziokulturellen Existenzminimum in subjektiv-rechtlicher Ausprägung verstärkt (vgl. BVerfGE 40, 121, 133 f.). Die Sicherstellung dieses Schutzauftrags zur Gewährleistung des Existenzminimums bei Kindern setzt aber denknotwendig voraus, dass der Gesetzgeber sich überhaupt Rechenschaft hinsichtlich des existenzminimalen Bedarfes der Kinder ablegt. Dass dies bei § 28 SGB II versäumt wurde, hat die Überprüfung der Begründung der RSV zweifelsfrei ergeben (siehe oben unter VIII. 9). Die mit einer Quote von 60 Prozent des Eckregelsatzes für Erwachsene bemessene Regelleistung unterschreitet den existenzminimalen Bedarf der Klägerin zu 3. auch erheblich.

Soweit die Beigeladene zu 4., die zitierten Fachsenate des BSG und Teile der Literatur sich auf das Argument stützen, die Bestimmung des Existenzminimums sei als normative Wertung nur im Grenzbereich des "physischen Existenzminimums" überprüfbar, kann dem nach Ansicht des Senats schon deshalb nicht gefolgt werden, weil hierbei die Tatsache übersehen wird, dass der Gesetzgeber selbst von einem "soziokulturellen Existenzminimum" spricht und dazu auf das SGB XII als Referenzsystem verweist, für welches wiederum die RSV die Konkretisierung im Maßstab der Lebensverhältnisse des untersten Quintils der Haushalte sieht (siehe dazu oben unter B.V.8.). Damit hat der Gesetzgeber des SGB II jedoch die Methode und die Definition des "soziokulturellen Existenzminimums" als empirisch-normatives Konstrukt festgelegt (zur ähnlichen Konstellation siehe BVerfG v. 9. April 2003, aaO, - juris-Rdnr. 59) und der Senat vermag keinen Grund zu sehen, weshalb der Gesetzgeber sich an seinen eigenen Maßstäben nicht festhalten lassen muss. Insbesondere kann dies nach Ansicht des Senats entgegen der Auffassung des BSG nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Festlegung der Regelleistung "letztlich ein normativ/wertender Prozess ist, der in seinen einzelnen Schritten keinen naturwissenschaftlich-mathematisch ableitbaren Richtigkeitsansprüchen unterliegt" (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 R - juris-Rdnr. 22). Denn tatsächlich handelt es sich um ein normativ-empirisches Verfahren, bei welchem sich die für die Ermittlung des Inhalts und der Höhe der Regelsätze/-leistungen bestimmenden normativen Festlegungen aus § 28 Abs. 1 und 3 SGB XII sowie der RSV und die tatsächlichen Festlegungen dann aus den Resultaten der empirischen Statistik ergeben müssen; ein nachträgliches "passend" Rechnen der empirischen Resultate hält der Senat für eine Verletzung der Gebote der Normenklarheit und Folgerichtigkeit sowie für einen Verstoß gegen das Willkürverbot (siehe dazu oben unter V. 2. und 8. sowie nachfolgend unter 5.). Dieses soziokulturelle Niveau einer Lebenshaltung, die jener des untersten Quintils der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte mit Sozialhilfeempfängern entspricht, wird bei der Klägerin zu 3. jedoch weit unterschritten, wie die Sachverständigen Dres. Martens und Becker im Ergebnis übereinstimmend dargelegt haben und zudem die Studie von Münnich/Krebs belegt, derzufolge allein das sächliche Existenzminimum aus der zum Streitzeitraum bereits sieben Jahre alten EVS 1998 mit 278 Euro (darunter 67 Euro für die Kosten der Unterkunft) schon für nur das unterste Dezil deutlich höher als die der Klägerin zu 3. gewährte Regelleistung war. Dieser Unterschied wurde ausweislich der EVS 2003 sogar noch größer, denn darin beliefen sich die Ausgaben des untersten Dezils im Durchschnitt aller Altergruppen auf 332 Euro (davon 79,- Euro Euro für "Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung" (Münnich/Krebs, aaO, 2006, S. 669 f., altes Bundesgebiet)).

Der Gesetzgeber hat es aber nicht nur unterlassen, selbst das Existenzminimum von Kindern sorgfältig zu ermitteln und hat sich auf unzutreffende Angaben des Verordnungsgebers verlassen, sondern er hat darüber hinaus den Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216, 231 ff.) nicht berücksichtigt, in welchem die sozialhilferechtliche Bemessung des Existenzminimums von Kindern als defizitär angesehen und dessen steuerrechtliche Berücksichtigung deshalb als mit Art. 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG unvereinbar beanstandet wurde. Schon für das BSHG, das - wie auch das SGB XII - bei Kindern und Jugendlichen zum notwendigen Lebensunterhalt auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf zählte, hat das Bundesverfassungsgericht nämlich noch den Betreuungs- und Erziehungsbedarf als weitereexistenzminimale Kinderbedarfe festgestellt, welche für jedes kindergeldberechtigte Kind gedeckt werden müssten. Zwar trifft diese Pflicht zuvörderst die Eltern, im Falle deren Unvermögens jedoch kraft des Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG die staatliche Gemeinschaft. Diese allgemeinen Kosten, die Eltern aufzubringen haben, um ihrem Kind eine Entwicklung zu ermöglichen, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt, hat der Gesetzgeber in Folge des Beschlusses vom 10. November 1998 für das Steuerrecht mit 2160 Euro beziffert, entsprechendes für das Sozialhilferecht jedoch nicht übernommen, wie sich nicht zuletzt ausdrücklich aus den Stellungnahmen der Beigeladenen zu 4. ergibt, wonach von diesen steuerlichen Absetztatbeständen nicht auf einen sozialhilferechtlich notwendigen Bedarf geschlossen werden könne (vgl. Schriftsatz vom 15.Oktober 2008, S. 4 f.; ferner BT-Drucks. 14/1087). Der Senat hält diesen Standpunkt schon mit dem bloßen Wortlaut der Entscheidung des BVerfG für unvereinbar, erst recht aber mit ihrem Sinn (siehe hierzu auch Lenze, Die Verfassungsmäßigkeit eines einheitlichen und der Besteuerung unterworfenen Kindergeldes, Rechtsgutachten, Hans-Böckler-Arbeitspapier 151, Januar 2008, S. 52, die nachweist, dass auch nicht der Aspekt der Systemgerechtigkeit gegen die Übertragbarkeit spricht). Denn diese Verfassungsjudikatur nimmt Bezug auf die elementaren Grundlagen einer Kultur der Freiheitsfähigkeit, die mit der Bildungsfähigkeit des Nachwuchses steht und fällt und somit gerade kraft des staatlichen Wächteramts eine besondere Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft begründet. Dass die nach dem SGB II gewährten Regelleistungen für die Klägerin zu 3. diese Bedarfe nicht abdecken und sie auch nicht durch die weiteren beigeladenen Gebietskörperschaften erfüllt werden, haben diese teils selbst eingeräumt, vor allem aber die Sachverständigen Dr. Becker und Holz detailliert und für den Senat überzeugend dargelegt. Ebenso überzeugend haben sie weiter ausgeführt, dass diese Unterdeckung unmittelbar zur sozialen Ausgrenzung der Sozialgeld beziehenden Kinder geeignet ist und zur Beschädigung von deren Bildungspotentialen und Teilhabechancen in der Gesellschaft führen kann. Wichtige soziale Handlungsressourcen, Entfaltungsmöglichkeiten und damit letztendlich elementare Freiheitsspielräume im zukünftigen Leben der Kinder drohen so auf Dauer verloren zu gehen.

Diese Wirkung des Gesetzes wird schließlich (für die Zukunft) auch nicht dadurch beseitigt, dass der Gesetzgeber nun ab der zweiten Jahreshälfte 2009 für Schulkinder zusätzlich einen Betrag von 100,- Euro/Jahr vorsieht (vgl. Entwurf des "Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen), weil auch damit die hier festgestellte Unterdeckung nicht ansatzweise behoben wird. Umgekehrt verdeutlicht diese Gesetzgebung vielmehr nur die Tatsache der von Anfang an bestehenden und fortdauernden Unterdeckung des soziokulturellen Existenzminimums der Kinder in der Altersgruppe der Klägerin zu 3., die so der sozialen Ausgrenzung preisgegeben ist. Mithin steht für den Senat insoweit die Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip durch die §§ 20, 28 SGB II fest.

2. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG a) im Vergleich zu Kindern im Leistungsbezug nach dem SGB XII und b) der Kinder im Alter der Klägerin zu 3. mit Kleinkindern

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG gebietet der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (BVerfGE 71, 255, 271; BVerfGE 108, 52 ff.). Es ist dabei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete einerseits, Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn sich die Differenzierung sachbereichsbezogen nicht auf einen vernünftigen oder sonst einleuchtenden Grund zurückführen lässt und andererseits, Art und Ausmaß tatsächlicher Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Dabei müssen, sofern eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt, für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes - vgl. BVerfGE 108, 52 ff., mwN).

a) Unterschiedlich geregelt hat der Gesetzgeber die Behandlung von Kindern im SGB II einer- und SGB XII andererseits. Denn Kinder, deren Eltern im Leistungsbezug nach dem SGB XII stehen, werden je nach regionaler Festsetzung unter Umständen in den Genuss höherer Leistungen als nach dem SGB II kommen, wie der Sachverständige Dr. Martens in seinem Gutachten ausgeführt hat (beispielsweise in München, wo der Eckregelsatz zum 1. Mai 2008 von 347 auf 371 Euro erhöht wurde - S. 36 des Gutachtens vom 20. September 2008). Darüber hinaus bestehen noch insoweit weitere wesentliche normative Unterschiede zwischen dem SGB XII und dem SGB II, als ersteres Gesetz, wie dargelegt, mehrfach den Grundsatz familiengerechter Leistungen betont und in § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch eine Öffnungsklausel im Hinblick auf individuell abweichende und zu deckende Bedarfe enthält, während dies beim SGB II nicht der Fall ist. Mögen Unterschiede in der gesetzlichen Behandlung erwachsener Hilfesuchender ihre Rechtfertigung noch in der je gegebenen oder fehlenden Erwerbsfähigkeit finden, versagt diese Begründung bei Kindern jedoch offensichtlich und liegt der Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz durch §§ 20, 28 SGB II für den Senat deshalb auf der Hand.

b) Umgekehrt hat der Gesetzgeber Kinder im Alter der Klägerin zu 3. mit Neugeborenen gleich behandelt, obwohl die Bedarfe sich erheblich unterscheiden, wie die Sachverständigen Dres. Martens und Becker im Einzelnen überzeugend ausgeführt haben und sich im Übrigen wiederum auch aus der zitierten Studie von Münnich/Krebs ergibt. Aus der Tatsache, dass diese Studie, welche der Verordnungsgeber zur Rechtfertigung der fehlenden Differenzierung herangezogen hat, dafür gerade nichts hergibt, sondern im Gegenteil auf die Notwendigkeit der Differenzierung der Kinder nach Altersgruppen hinweist, folgt für den Senat zwingend, dass eine zumindest nachvollziehbare Rechtfertigung der fehlenden Differenzierung bei der Altersgruppe der 0 bis 14-jährigen ausscheidet; jedenfalls vermag der Senat eine solche nicht zu erkennen.

3. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gegenüber Familien, Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG durch die Orientierung der Regelleistung an den Ein-Personen-Haushalten

Über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgehend enthält Art. 6 Abs. 1 GG einen besonderen Gleichheitssatz. Dieser verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Art. 6 Abs. 1 GG untersagt eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen, von Eltern gegenüber Kinderlosen sowie von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften. Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG) anknüpft (BVerfGE 99, 216 ff.). Der Senat sieht auch dieses Diskriminierungsverbot durch die geprüften Normen verletzt. Zwar knüpfen die §§ 20, 28 SGB II nicht an die Ehe oder eheliche Erziehungsgemeinschaft, sondern an Bedarfsgemeinschaften an, deren Regelleistungen dann in Quoten des Eckregelsatzes bestimmt werden. Damit unterwirft der Gesetzgeber faktisch jedoch gerade die nach wie vor dominierende Bedarfsgemeinschaft "Familie" (dazu Walla/Eggen/Lipinski, Der demographische Wandel, Stuttgart 2006, S. 78 ff.) den Regeln der "Ein-Personen-Haushalte", wodurch Familien, wie hier im Einzelnen nachgewiesen wurde, systematisch benachteiligt werden (und zwar nicht nur im Sozialleistungs-, sondern entsprechend der gegebenen Verfassungsjudikatur deshalb zwangsläufig gleichermaßen im Einkommensteuerrecht). Die Auswahl der Ein-Personen-Haushalte als Referenzhaushalte zur Bestimmung des Eckregelsatzes führt nämlich zu einer systematischen Untererfassung der familienspezifischen Bedarfe. Der Senat vermag hierfür auch keine Rechtfertigungsgründe zu erkennen, denn Rechtfertigungsgründe wie der einer notwendigen Typisierung in der Massenverwaltung, der Praktikabilität oder Verwaltungsvereinfachung tragen diese Auswahl der Referenzgruppe und die Kürzung der Regelleistung ersichtlich nicht. Es leben insgesamt in Deutschland - und auch im SGB II-Bezug - deutlich mehr Menschen in Mehrpersonenhaushalten als in Ein-Personen-Haushalten. Tatsächlich lag im Übrigen der Anteil der Seniorenhaushalte (65-jährige und Ältere) im unteren Einkommensbereich mit 32 Prozent um knapp 78 Prozent höher als im Durchschnitt der Bevölkerung, wo dieser Wert im Jahr 2004 bei 18 Prozent lag (dieselben, aaO, S. 28). Auch wenn insoweit mit der Bundesregierung (in BT-Drucks. 16/9810, S. 15) nicht von einer "Konzentration von Rentnern und Rentnerinnen" gesprochen werden kann, liegt für den Senat jedoch auf der Hand, dass von einem weit überproportionalen Anteil von Senioren im unteren Einkommensbereich mit einer entsprechenden Wirkung auf die Ermittlung von Einkommen und Verbräuchen im Rahmen der EVS auszugehen ist.

Ob die Kürzung gemäß § 20 Abs. 3 SGB II auf 90 Prozent der Regelleistung auch für Paarhaushalte ohne Kinder zu einer relativen Schlechterstellung kinderloser Ehepartner führt und ob deswegen eine "doppelte" Schlechterstellung festzustellen wäre, lässt der Senat offen; immerhin legen die Sachverständigengutachten mit ihren Hinweisen auf das Versagen der sogenannten "Kompensationsthese" außerhalb der Kosten der Unterkunft einen solchen Schluss nahe. Ebenso lässt der Senat die Frage offen, ob in der Tatsache, dass Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II Mehrbedarfszuschläge erhalten, welche in ihrer Begründung auf § 23 Abs. 2 BSHG Bezug nehmen und auf die gesteigerten Anforderungen der Kinderbetreuung in dieser Personengruppe reagieren sollen, eine Benachteiligung der in ehelicher Gemeinschaft erfolgender Kindererziehung zu sehen ist; denn der Betreuungsbedarf ist generell Bestandteil des kindbedingten Existenzminimums (vgl. BVerfGE 99, 216, 233).

4. Verletzung des Familienexistenzminimums - Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG

Das Bundesverfassungsgericht erlegt dem Staat aber nicht nur die Pflicht zur Förderung der Familie auf, sondern präzisiert dazu, dass dies insbesondere ihren wirtschaftlichen Zusammenhalt umfasse (BVerfGE 61, 18, 25; 62, 323, 332; 75, 382, 392) und die Familie als Wirtschaftsgemeinschaft zu fördern sei (vgl. BVerfGE 103, 89, 108 f.). Eine "Förderung" der Familie kann denknotwendig aber erst jenseits der Grenze beginnen, an welcher die systematischen Benachteiligungen der Familien im Transfersystem ausgeglichen sind. Korrespondierend und zu Recht konsequent hat das BVerfG deshalb in seinen Entscheidungen zum steuerlichen Existenzminimum auch auf die Wahrung des "Familienexistenzminimums" geachtet. Da bei den bisher entschiedenen Konstellationen stets Familien mit unterhaltsberechtigten Kindern betroffen waren, trägt die Verfassungsjudikatur hier erkennbar den Gegebenheiten des familiären Unterhaltsrechts Rechnung, welches Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern einer gesteigerten Unterhaltspflicht unterwirft und die unterhaltsrechtlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit (Selbstbehalt) insoweit aufhebt (§ 1603 Abs. 2 BGB). Dass die gelebte Realität dem entspricht, zeigt der Vortrag der Kläger, dass die Eltern unter Hintanstellung ihrer eigenen existenzminimalen Bedürfnisse zunächst den Bedarf der Klägerin zu 3. zu decken bestrebt sind. Diese familiären Verteilungs- und Schutzmechanismen werden durch die Sachverständigen Dr. Becker und Holz ebenso bestätigt wie durch die Studie von Münnich/Krebs. Sie bewirken, dass die Verletzung des Existenzminimums jedes einzelnen Familienmitglieds regelmäßig auf die anderen Familienangehörigen durchschlägt (vgl. hierzu auch BVerfG v. 6. Februar 2001, - 1 BvR 12/92 - BVerfGE 103, 89, 109 - juris-Rdnr. 54). So liegt es hier.

5. Prüfung an den Maßstäbe des Willkürverbots sowie der Gebote der Systemgerechtigkeit, Folgerichtigkeit und Normenklarheit (Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG)

Die umfassende Geltung des Rechtsstaatsgebots, das im weiteren Sinne ein Willkürverbot ist, bindet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch den Gesetzgeber. Zwar ist der Gesetzgeber im Leistungsrecht bei der grundsätzlich in seinem Ermessen liegenden Auswahl der Elemente, die für die Bewertung bestimmter Sachverhalte als "gleich" oder "ungleich" i.S.d. konkreten gesetzlichen Regelung maßgebend sein sollen, frei, jedoch verlangt die Verfassungsjudikatur von ihm, "sachgerecht" zu verfahren (BVerfGE 22, 168; 48, 234 f.). Gesetzlichkeiten, die in der Sache selbst liegen und die fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft entsprechen, darf der Gesetzgeber nicht missachten. Diese Gebote gelten besonders dann, wenn die zu ordnenden Lebensverhältnisse gerade darum viel Gemeinsames haben, weil sie zu ein und demselben Lebensbereich gehören, d.h. zu einem Komplex des sozialen Lebens, der zusammengehört (BVerfGE 9, 349 f.). Der Gesetzgeber hat darauf zu achten, dass eine Bestimmung von ihrem eigenen System auch sinnvoll ist (BVerfGE 11, 283, 293) bzw. er seine das Gesetz rechtfertigende Motivation folgerichtig umsetzt.

Der Senat sieht auch das Rechtsstaatsprinzip in mehrfacher Weise verletzt.

a) So stützt sich der Gesetzgeber des SGB II ausweislich der Gesetzesbegründung auf das SGB XII als Referenzsystem und die gemäß § 40 SGB XII erlassene RSV als Grundlage der Definition und Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums. Dabei ist schon fraglich, ob die Herausnahme einzelner Verbrauchspositionen in der RSV überhaupt mit der Ermächtigungsgrundlage vereinbar ist, jedenfalls hat aber der Verordnungsgeber das selbst statuierte Verfahren nicht folgerichtig durchgeführt, indem er nämlich zum einen entgegen seiner eigenen Bestimmung der Referenzgruppe der untersten 20 vom Hundert der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte (§ 2 Abs. 3 RSV) tatsächlich nur die Referenzgruppe der Ein-Personen-Haushalte mit ihrem gegenüber dem gesamten unteren Quintil signifikant niedrigeren Verbrauch gewählt hat. Zum anderen hat er dabei entgegen seiner eigenen Vorgabe in § 2 Abs. 3 RSV die Haushalte im Bezug von Sozialhilfe und der Grundsicherung nicht konsequent separiert, wie die Sachverständigen Dres. Becker und Martens überzeugend ausgeführt haben. Die Diskussion der Sachverständigen Dr. Becker mit der Beigeladenen zu 4. in der mündlichen Verhandlung hat dem Senat gezeigt, dass der Exekutive die statistischen Fehlerquellen offenbar nicht ausreichend klar sind. Es handelt sich bei der Problemgruppe nämlich keineswegs nur um Aufstocker, sondern wegen des Drei-Monats-Zeitraums und der längeren Befragungsintervalle auch um viele Statuswechsler infolge des Eintritts von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebedürftigkeit. Schon das BVerwG hat die Orientierung des Statistikmodells am Verbrauch der unteren Einkommensgruppen nur so lange nicht als methodisch zirkulär beanstandet, solange gewährleistet ist, dass diese "statistisch zuverlässig über der Sozialhilfeschwelle liegen" (BVerwGE 102, 366, 369). Endlich hat der Verordnungsgeber in ebenfalls nicht nachvollziehbarer Weise die Ergebnisse der EVS in regelsatzrelevante oder nicht regelsatzrelevante Teile unterschieden. Für besonders gravierend hält der Senat die Tatsache, dass das Bildungswesen (Abteilung 10) insgesamt herausgenommen wurde. Dass dies gerade mit Rücksicht auf die in §§ 16 und 27 Abs. 2 SGB XII normierte Familien- und Kindergerechtigkeit der Leistungen nicht folgerichtig ist, wurde bereits dargelegt; ebenso wenig folgerichtig ist dies zugleich mit Blick auf § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II, der ebenfalls eine familiengerechte Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen gebietet. Auch bei der Abteilung 09 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) wurden als nicht regelsatzrelevant Positionen "Ausgaben für Wohnmobil bzw. Wohnwagen, Sportboote, Segelflugzeuge" bezeichnet und die Verbrauchsquoten entsprechend gekürzt, die nach Ansicht des Sachverständigen Dr. Martens wie auch Stimmen in der Literatur (z.B. Frommann, aaO) gar nicht als Verbrauchsausgaben anfallen und somit nur als willkürliche Rechenoperationen zur Erreichung bestimmter Ergebnisse erschienen. Der Senat kann das nicht widerlegen, zumal auch die Beigeladene zu 4. hier keine Klarheit zu stiften vermochte. Der Sachverständige Dr. Martens sprach in diesem Zusammenhang sogar davon, man habe nur den Eindruck erhalten können, "dass die Zahlen und Daten passend gerechnet wurden, um auf diesen Wert zu kommen. Eine öffentliche Diskussion, warum Einzelpositionen dann anders gewertet wurden, fand nicht statt" (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 6). Nach allem muss der Senat mit dem Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik sowie dem Ausschuss für Frauen und Jugend in der Stellungnahme vom 4. Mai 2004 zu dem Schluss gelangen, dass die Verfahrensweise des Verordnungsgebers "nicht hinreichend transparent" ist und es sich teils "offensichtlich um willkürliche Setzungen" handelt (Bundesrat- Drucksache 206/1/04). Diese bei den einzelnen Positionen vorgenommenen Einschätzungen und Bewertungen stehen jedenfalls in einem grundsätzlichen Widerspruch zu dem Grundprinzip der Empirie, welches dem Statistikmodell zugrunde liegt, und bewirken eine Intransparenz, welche mit der beabsichtigten Objektivität des Verfahrens nach Ansicht des Senats nicht vereinbar und deshalb auch nicht folgerichtig ist.

b) Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es nach Auffassung des Senats auch nicht zu vereinbaren, dass Kinderbedarfe im SGB II und SGB XII unterschiedlich behandelt werden und beide zugleich auch von den Kinderexistenzminima in weiteren Regelungsbereichen signifikant abweichen. So hat das BVerfG im Beschluss vom 9. April 2003 (BVerfGE 108, 52, 72 f, 74 f. "Kinderexistenzminimum IV") auf die Bestimmung des sächlichen Kinderexistenzminimums bei verschiedenen Altersgruppen gemäß §§ 1612a f. BGB i.V.m. § 1 der Regelbetrags-Verordnung i.d.F. des Art. 1 V vom 24. April 2003 (BGBl. I., 546) hingewiesen und dazu ausgeführt: "Dass mit der in § 1612b Abs. 5 BGB genannten Bezugsgröße von 135 Prozent des jeweiligen Regelbetrages nach der Regelbetragverordnung ein Maßstab für die Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes gesetzt ist, nach dem sich bemisst, ob zur Sicherung des Existenzminimums auch das Kindergeld des Unterhaltspflichtigen für den Kindesunterhalt heranzuziehen ist, ergibt sich nicht aus der Norm selbst, sondern erschließt sich nur aus den Gesetzesmaterialien. Dort ist angeführt worden, dass Regelbeträge nach der Regelbetragverordnung selbst noch nicht das Existenzminimum eines Kindes abzudecken vermögen (vgl. BT-Drucks 13/9596, S. 31). Aufgrund eines Vergleichs der Entwicklung der Regelbeträge sowie der Beträge des Existenzminimums ist dann davon ausgegangen worden, dass sich das Existenzminimum mit 135 Prozent der Regelbeträge nach der jeweiligen Regelbetragverordnung darstellen lasse (vgl. BT-Drucks. 14/3781, S. 7 f.)." Bei Anwendung der Bezugsgröße von 135 Prozent des jeweiligen Regelbetrages gemäß § 1 der Regelbetragsverordnung in der Altersgruppe bis 12 Jahren, welcher die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum angehörte, errechnete sich daraus ein Betrag des sächlichen Existenzminimums von 325,35 Euro, der damit deutlich über der der Klägerin zu 3. gewährten Regelleistung in Höhe von 207 Euro lag. Ebenso weist Spellbrink (aaO) zu Recht darauf hin, dass das Sozialgeld für Kinder gemäß §§ 20, 28 SGB II die niedrigsten Sätzen der Düsseldorfer Tabelle noch unterschreite. Zudem hat das BVerfG im Beschluss vom 10.November 1998 (2 BvR 1057/91 - BVerfGE 99, 216 - iuris-Rdnr. 85) auch bereits darauf hingewiesen, dass bei Kindern, die nicht bei ihren Eltern leben, weitere Aufwendungen berücksichtigt würden, die auch zu Hause anfielen; aufschlussreich ist insoweit die Empfehlung des Deutschen Vereins zu § 3 Abs. 3 der Regelsatzverordnung zum BSHG, der zufolge im Falle der "Unterbringung bei anderen" eine von den Regelsätzen abweichende Höhe der Leistungen für Kinder vorgesehen war, welche für das ganze Bundesgebiet für Kinder vom vollendetem 7. bis zum vollendetem 14. Lebensjahr mit einem Pauschalsatz von 470,- Euro für die materiellen Aufwendungen sowie einem Satz in Höhe von 196,- Euro für die Kosten der Erziehung beziffert wurde (nach Roscher, in: LPK - BSHG, 6. Aufl., § 22 Rdnr. 51). Wenn die Bundesregierung demgegenüber darauf verweist, eine weitgehende Harmonisierung zwischen Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht hinsichtlich der für Kinder jeweils zu berücksichtigenden Mindestbeträge sei jedenfalls heute bereits erreicht, weil der vom sozialhilferechtlichen Existenzminimum abgeleitete steuerliche Freibetrag für das sächliche Existenzminimum (Kinderfreibetrag) auf Grund der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Unterhaltsrechtsreform zur Bezugsgröße für die Definition eines einheitlichen Mindestunterhalts für minderjährige Kinder geworden und dadurch das Unterhaltsrecht insoweit an das Steuer- und Sozialrecht angepasst worden sei (so die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage 16/9846 in: BT-Drucks. 16/10004 v. 15. Juli 2008, S. 6), so sieht der Senat hierin gerade keinen Ausdruck eines durchdachten Konzepts des Kinderexistenzminimums, sondern genau das Gegenteil, weil nämlich die hier nachgewiesenen schweren - und von den zitierten Fachausschüssen längst und der Bundesregierung zumindest inzwischen erkannten Fehler - bei der Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern unbesehen im Maßstab eins zu eins in andere Rechtsgebiete übertragen wurden (im Übrigen und bis auf weiteres unterscheiden sich die Unterhaltsbeträge gemäß den §§ 1612a BGB, 36 Nr. 4 EGZPO zum Beispiel wegen der Behandlung des Kindergeldes sowie der Besitzstandswahrung nach wie vor von der steuer- und sozialrechtlichen Ausgestaltung des Kinderexistenzminimums).

c) Für nicht sachgerecht im Sinne der Verfassungsjudikatur zum Rechtsstaatsprinzip hält der Senat ferner die Tatsache, dass die Regelleistungen außerhalb der Neufestsetzungen zwischen den in fünfjährigem Turnus stattfindenden EV-Stichproben jährlich anhand der Veränderungen des Rentenwertes angepasst werden (§ 20 Abs. 4 SGB II), denn bei Renten als Versicherungsleistungen fehlt jeglicher Bezug zu einer Bedarfs- und Bedürftigkeitsprüfung, zumal in die Bestimmung des Rentenwertes auch der Anteil für die freiwillige Altersvorsorge und auch die reduzierende Berücksichtigung steigender Lebenserwartung eingeht (vgl. §§ 65, 68, 255e Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI -). Auch wenn vorliegend aufgrund des bis zum 30. Juni 2005 beschränkten Zeitraums keine Anpassung gemäß § 20 Abs. 4 SGB II streitig ist, spielt dieser Gesichtspunkt aufgrund der Tatsache, dass der Bemessung des Eckregelsatzes in der mittelbar maßgeblichen RSV zum 1. Januar 2005 auch die EVS 1998 zu Grunde lag, die anhand der Veränderung des Rentenwertes auf 2005 hochgerechnet worden war, insofern eine Rolle, als der Eckregelsatz nach den Bekundungen des Sachverständigen Dr. Martens hierdurch einen Kaufkraftverlust von 1,6 Prozent erfuhr (S. 10 des Gutachtens vom 20.September 2008). Die Regelleistung soll gemäß § 20 Abs. 1 SGB II den Lebensunterhalt und das soziokulturelle Existenzminimum sichern und sich dabei gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 SGB II insbesondere am Verbraucherverhalten und den Lebenshaltungskosten orientieren. Insoweit ist aber festzustellen, dass seit der letzten EVS gerade jene Lebenshaltungskosten besondere Steigerungen erfahren haben, denen die Grundsicherungsempfänger kaum ausweichen können (dazu Münder, Linderung der Familien- und Kinderarmut durch das Jugendhilfe- und Grundsicherungsrecht, SDSRV 57 (Berlin 2008), S. 105, 111 f.). Dem trägt die Fortschreibung gemäß § 20 Abs. 4 SGB II aber keine Rechnung, was im Ergebnis dazu führt, dass ausgerechnet Kinder von den demographiebedingten Abschwächungen der Rentenentwicklung besonders und letztlich unter Berücksichtigung des überproportional hohen Anteils der Rentner im untersten Quintil der EVS und seiner Auswirkung auf die Einkommens- und Verbrauchsermittlungen sogar doppelt vom "Seniorenfaktor" betroffen sind. Dass die Regelung des § 20 Abs. 4 SGB II somit sachwidrig ist, erkennt auch das BSG, das jedoch hieraus nicht den Schluss der Verfassungswidrigkeit ziehen will, weil dem Gesetzgeber auch hinsichtlich des Anpassungsverfahrens ein großer Gestaltungsspielraum zustehe (Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/ 11b AS 32/06 R - juris-Rdnr. 37). Diese Argumentation dürfte mit der Verfassungsjudikatur zum Komplex der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit allerdings kaum zu vereinbaren sein, derzufolge die Durchbrechung des gewählten Referenzsystems eines besonderen sachlichen Grundes bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06 - juris Rdnr. 106); daran fehlt es nach Ansicht des Senats jedoch.

4. Nach allem ist es nach Überzeugung des Senats mit dem Rechtsstaatsprinzip auch unvereinbar, dass der Gesetzgeber des SGB II in §§ 20, 28 zwar das soziokulturelle Existenzminimum beziffert, dessen Definition und Ermittlung aber nicht selbst vorgenommen, sondern ausweislich der Gesetzesbegründung letztlich der Exekutive, konkret gemäß § 28 Abs. 2 SGB XII i.V. m. § 40 SGB X dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesminister für Wirtschaft, überlassen hat. Trotz des formalen Unterschieds, dass das Ergebnis der exekutiven Ermittlungen in § 20 Abs. 2 SGB II legislativ sanktioniert wurde, hat sich gegenüber dem Rechtszustand unter dem BSHG also nichts daran geändert, dass das soziokulturelle Existenzminimum materiell von der Exekutive bestimmt wird (so auch Rothkegel/Hannes, in Gagel (Hrsg.), Arbeitsförderungsrecht mit SGB II, Kommentar, EL 32, Juni 2008, Rdnr. 32 f.). Vorliegend besteht zudem die Besonderheit, dass das Ergebnis schon lange vor der Annahme der RSV im Bundesrat feststand. Mit dieser Vorfestlegung wurde also nicht einmal der Anschein eines ordnungsgemäßen Verfahrens gewahrt. Dabei beleuchtet der Umstand, dass zwei einschlägig befasste Fachausschüsse mehr als vier Monate nach der Verabschiedung des SGB II gravierende Einwände gegen die RSV erhoben haben, noch zusätzlich, dass das praktizierte Verfahren die gesetzesimmanente Logik nicht nur chronologisch auf den Kopf stellte; vielmehr bestätigt dies zugleich die in der Literatur geäußerten inhaltlichen Vorbehalte gegenüber den zahlreichen Unstimmigkeiten bei der Regelsatzfestsetzung (dazu im Einzelnen Rothkegel/Hannes, aaO, 34 ff.), welche auch die vom Senat gehörten Sachverständigen bestätigten. Schon diese chronologische Verletzung eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens hält der Senat mit dem Rechtstaatsprinzip für unvereinbar (siehe oben zu B. VI. 2). Erst recht gilt dies aber für die Abwälzung der materiellen Verantwortung. Denn das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass alle grundlegenden und wesentlichen Entscheidungen für das Gemeinwesen, insbesondere in grundrechtsrelevanten Bereichen, vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind (vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 8. Auflage, Art. 20 GG, Rdnr. 44 ff.; Eylert, Mario, Rechtliche Probleme der schematisierenden materiellen Sozialhilfeleistungen, Dissertation Berlin 1989 - veröffentlicht als Band 16 der Reihe Dissertationen des Deutschen Vereins, S. 211 ff.; Sartorius, aaO (2000), S. 96 ff.). Dass es dabei entscheidend aber nicht auf den formellen Gesetzesakt, sondern auf die Wahrnehmung der inhaltlich-materiellen Verantwortung ankommt, beweist das hier zu beurteilende Gesetzgebungsverfahren nach Ansicht des Senats schlagend. Tatsächlich dürfte es für das Verhältnis von Staat und Bürgern aber keine andere Regelung der fundamentalen Bedeutung der Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums gleichkommen, die in den vergangenen Jahrzehnten schon aufgrund der stetigen Zunahme der Zahlen bedürftiger Bürger gestiegen ist. Die Regelleistung ist seit 1990 nicht nur für die Millionen in Not geratene Bürger von entscheidender existentieller Bedeutung -im Jahr 2005 standen rund 7,4 Mio. Menschen, darunter knapp 1,6 Mio. Kinder, im Leistungsbezug gemäß dem SGB II-, sondern sie beinhaltet nach der Verfassungsjudikatur darüber hinaus mit der Verschonungsgrenze noch die grundlegende Determinante des gesamten Einkommensteuerrechts. Die hier festgestellte spezifische Unterdeckung des familiären Existenzminimums beinhaltet nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG insbesondere zugleich die Feststellung eines unzureichenden steuerlichen Existenzminimums und damit auch eines ungenügenden Kindergeldes. Der Senat vermag nach allem jedenfalls keine andere Regelung im Bereich des Transferstaats zu benennen, welche dem hier behandelten Fragenkomplex an Bedeutung auch nur nahe kommt, weshalb eine Delegation der Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums auf den Verordnungsgeber - auch auf Umwegen wie vorliegend geschehen - nach Ansicht des Senats ausscheiden und zumindest das anzuwendende Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums und der Festsetzung der Regelleistungen der vollständigen Inhaltskontrolle unterliegen muss.

D.

Da die Vorlagefragen, wie dargelegt, auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung beantwortet werden können und die Rechtsgültigkeit der §§ 20, 28 SGB II entscheidungserheblich ist, musste der Rechtstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG ausgesetzt und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt werden.

Der Beschluss ist weder nach Maßgabe von Art. 100 Abs. 1 GG noch gemäß § 80 BVerfGG oder § 177 SGG anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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