L 7 AS 714/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 682/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 714/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bestandskraft und einstweiliger Rechtsschutz
Wenn die Hauptsacheentscheidung – regelmäßig ist dies der strittige Verwaltungsakt – bindend wird, kann ein Eilverfahren zwecks Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden. Ein erstinstanzliches Eilverfahren ist dann nicht mehr statthaft und damit unzulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 26d). Eine Beschwerde gegen einen ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist schon wegen der bindenden Hauptsacheentscheidung unbegründet, weil das Sozialgericht den Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
Kindergeld und der Unterhaltsvorschuss sind auf Leistungen nach dem SGB II als Einkommen anzurechnen. Dies entspricht den Vorgaben des SGB II und dem Verfassungsrecht.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 9. August 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist im Eilverfahren, in welcher Höhe der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen, insbesondere, ob Kindergeld und Unterhaltsvorschuss auf den Bedarf angerechnet werden dürfen.

Die 1983 geborene Antragstellerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II von der Antragsgegnerin. Sie und ihr 2008 geborener Sohn wohnen als Untermieter bei der Großmutter des Sohnes; hierfür fallen unstreitig monatlich Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 75,04 Euro an. Die Antragstellerin ist selbstständig erwerbstätig, erzielt jedoch kein anrechenbares Einkommen. Für den Sohn erhält die Antragstellerin monatlich Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 133,- Euro und Kindergeld in Höhe von monatlich 184,- Euro. Bis Juni 2010 bezog die Antragstellerin monatlich 264,18 Euro Elterngeld.

Mit Bescheid vom 19.04.2010 wurden zuletzt Leistungen für den Zeitraum von Mai 2010 bis einschließlich Oktober 2010 bewilligt. Für die Monate Juli bis Oktober 2010 wurden (nach Wegfall des Elterngeldes) monatlich 461,04 Euro bewilligt. Dabei wurden das Kindergeld und der Unterhaltsvorschuss als Einkommen angerechnet.

Im Widerspruch machte die Antragstellerin geltend, dass abgesehen von den übrigen Einnahmen (Nebengewerbe, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss) ab 01.07.2010 ein Bedarf "unter unseren Bedingungen" von mindestens 995,- Euro bestehe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2010 zurückgewiesen. Klage wurde dagegen nicht erhoben.

Am 30.07.2010 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht Regensburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 09.08.2010 (zugestellt am 12.08.2010) wurde der Antrag zurückgewiesen. Die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und das Kindergeld seien als Einkommen anzurechnen. Es bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Kindergeldes. Bei Einkommen von Steuerpflichtigen gehe es darum, existenzsichernde Mittel aus dem erzielten Einkommen von der Steuerpflicht freizustellen. Dagegen gehe es im vorliegenden Fall darum, staatliche Fürsorgeleistungen als Mittel zur Existenzsicherung zu erhalten. Wenn das Kindergeld bei existenzsichernden Leistungen nicht berücksichtigt werden würde, käme es zu einer Bedarfsüberdeckung.

Am Montag, den 13.09.2010, hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Es bestehe ein Bedarf von monatlich mindestens 780,- Euro nach Abzug der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und des Kindergeldes um das Allernötigste abdecken zu können.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 09.08.2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II in Höhe von monatlich mindestens 780,- Euro zu erbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 09.08.2010 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen. Das Sozialgericht hat weitere Leistungen zu Recht abgelehnt.

Der Bescheid der Antragsgegnerin zu den strittigen Leistungen ist gemäß § 77 SGG in der Sache bindend geworden. Gegen den Bescheid vom 19.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2010 (mit zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung) wurde nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 84 SGG Klage erhoben.

Streitgegenstand eines Eilverfahrens zwecks Erlass einer einstweiligen Anordnung ist es, zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für den Zeitraum bis zur bindenden Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht (vgl. Krodel, 2. Auflage 2008, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, Rn. 290). Wenn die Hauptsacheentscheidung - regelmäßig ist dies der strittige Verwaltungsakt - bindend wird, kann ein Anordnungsverfahren nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden. Ein erstinstanzliches Eilverfahren ist dann nicht mehr statthaft und damit unzulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 26d). Eine Beschwerde gegen einen ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist schon wegen der bindenden Hauptsacheentscheidung unbegründet, weil das Sozialgericht den Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.

Damit die Antragstellerin nicht auf den falschen Gedanken verfällt, dass ihr durch die Nichterhebung der Klage weitere Leistungen entgangen sind, wird auf Folgendes hingewiesen:

Das Kindergeld und der Unterhaltsvorschuss wurden völlig zu Recht als Einkommen angerechnet. Dies entspricht den Vorgaben des SGB II und dem Verfassungsrecht.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 07.07.2010, Aktenzeichen 1 BvR 2556/09, festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch die Anrechnung von Einkommen nicht verletzt wird. Dieses Grundrecht greift erst dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen.

Die Höhe des Existenzminimums definiert nicht etwa die Antragstellerin, die vorbringt, dass neben dem Kindergeld und dem Unterhaltsvorschuss mindestens 780,- Euro nötig seien, um das Allernötigste zu decken. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 09.02.2010, Aktenzeichen 1 BvL 1/09, entschieden, dass die Vorgaben des SGB II zur Höhe der Regelleistungen bis Ende 2010 anzuwenden sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit weiterem Beschluss vom 11.03.2010, Aktenzeichen 1 BvR 3163/09, festgestellt, dass speziell die Anrechnung von Kindergeld auf die Leistungen nach dem SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Kindergeld dient bei Steuerpflichtigen der Freistellung des Existenzminimums des Kindes von der Einkommensteuer. Der Gesetzgeber ist aber nicht verpflichtet, dieser Vergünstigung entsprechende Sozialleistungen an Personen zu erbringen, die kein zu versteuerndes Einkommen erzielen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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