L 16 AS 260/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 53 AS 2818/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 260/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Darlehensgewährung zur Neuanschaffung eines PCs beziehungsweise Darlehen für Reparaturkosten eines Pkw´s; kein Unabweisbarerbedarf nach § 23 Abs. 1
SGB II, keine Förderung aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. März 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Darlehen in Höhe von 300 EUR für die Anschaffung eines neuen Computers sowie in Höhe von 3000 EUR für dringende Kfz-Reparaturen, im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), streitig.

Der 1962 geborene Kläger erhält von der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 14.10.2009 wurden ihm für den Zeitraum vom 1.10.2009 bis zum 31.3.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 1007,35 EUR bewilligt. Zuletzt gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 30.3.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 980,35 EUR für den Monat April 2010 und für die Monate Mai bis September 2010 in Höhe von 972,35 EUR.

Am 24.11.2009 beantragte der Kläger ein zinsloses Darlehen in Höhe von 300 EUR für die Neuanschaffung eines Computers. Er benötige diesen für die Erstellung von Bewerbungsunterlagen, Suche nach Arbeitsangeboten im Internet, Online-Bewerbungen usw ...

Am 9.12.2009 beantragte er ein zinsloses Darlehen in Höhe von 2000 EUR für dringende Kfz-Reparaturen.

Mit Bescheid vom 22.1.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 300 EUR für die Anschaffung eines PCs und die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 2000 EUR für Kfz-Reparaturen ab. Ein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens bestehe weder nach § 23 SGB II noch nach § 16 SGB II i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Der Kläger habe die Möglichkeit, in den Diensträumen der Beklagten, in eigens dafür aufgestellten Terminals, kostenlose Internetrecherchen durchzuführen. Außerdem erhalte er Unterstützung in Form einer Fördermaßnahme, die vom 15.12.2009 bis zum 14.6.2010 bei dem Bildungsträger I. durchgeführt werde. Sie habe zum Ziel, ihn bei der Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses zu unterstützen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2010 zurück.

Bereits am 30.11.2009 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht München erhoben mit dem Antrag, über seine beiden Anträge auf Gewährung eines zinslosen Darlehens für Kfz-Reparaturen und die Anschaffung eines PCs zu entscheiden.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 5.1.2010 darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sei, da eine Untätigkeitsklage erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Antragstellung zulässig sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 10.3.2010 hat der Kläger seine Klage umgestellt und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 22.1.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.3.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Darlehen in Höhe von 300 EUR für die Reparatur seines PCs sowie ein weiteres Darlehen in Höhe von 3000 EUR für die Reparatur seines Pkws zu gewähren.

Mit Urteil vom 10.3.2010 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch nach § 16 SGB II i.V.m. § 46 SGB III für die beantragten Darlehen. Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme oder Überwindung von Vermittlungshemmnissen würden nach § 45 SGB III in pflichtgemäßem Ermessen der Beklagten stehen. Die von der Beklagten im Bescheid vom 22.1.2010 getroffene Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden, da Ermessensfehler nicht erkennbar seien. Die Beklagte habe die gesetzlichen Möglichkeiten zur Förderung der Arbeitsaufnahme im Zusammenhang mit bereits bestehenden oder dem Kläger in Aussicht gestellten Angeboten (Mobilitätshilfe bei konkretem Arbeitsangebot) abgewogen und einen Anspruch zu Recht verneint. Es wäre sinnvoll und wünschenswert, einen eigenen PC für die Arbeitssuche zu haben, es seien aber keine Umstände ersichtlich, die dies zu einer erforderlichen Eingliederungsleistung machen würden (§§ 3 S. 1 und 14 S. 3 SGB II). Auch aus § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II bestehe kein Anspruch auf Darlehensgewährung. Nach dieser Vorschrift könne ein Darlehen gewährt werden, wenn im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werde. Unabweisbarkeit liege nur dann vor, wenn es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bedarfe komme, die auch nicht durch Mittelumschichtung innerhalb der Regelleistung beseitigt oder aufgefangen werden könnte. In grundrechtlicher Perspektive sei darauf abzustellen, ob dem Hilfebedürftigen noch ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werde. Eine Grundrechtsrelevanz sei weder im Hinblick auf die PC-Nutzung noch im Hinblick auf die Kfz-Nutzung erkennbar.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 6.4.2010 Berufung eingelegt, ohne diese näher zu begründen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen und in der mündlichen Verhandlung beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 10.3.2010 die Klage gegen den Bescheid vom 22.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.2.2010 abgewiesen.

Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht die Darlehenshöhe für die Reparatur des Pkw von 2000 EUR auf 3000 EUR erhöht hat, so stellt dies eine nach § 99 Abs. 2 SGG zulässige Klageänderung dar. Er verfolgt in einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage das Ziel, die Beklagte, unter Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes, zur beantragten Leistung in der nunmehr geänderten Höhe zu verpflichten.

Als Anspruchsgrundlage für die Anträge des Klägers kommt lediglich § 16 Abs 1 SGB II in der ab dem 1.1.2009 geltenden Fassung i.V.m. § 45 SGB III sowie § 23 SGB II in Betracht.

1. Darlehen für die Neuanschaffung eines PC:

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass sich ein Anspruch auf Darlehensgewährung nicht aus § 16 Abs 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III ergibt. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II kann die Agentur für Arbeit zur Eingliederung in Arbeit Leistungen nach dem 1. Abschnitt des 4. Kapitels des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringen. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB III können Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Sie sollen insbesondere bei der Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eingliederungsziele unterstützt werden. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird.

Eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget hat zur Voraussetzung, dass die hilfebedürftige Person arbeitslos ist, die gewünschte Leistung der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung dient und diese Leistung für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Dies bedeutet, dass die berufliche Eingliederung auf andere Art und Weise nicht zu erreichen ist.

Vorliegend hat der Kläger vorgetragen, dass er einen PC neu anschaffen muss, damit er sich im Internet über aktuelle Stellenanzeigen informieren und entsprechende Bewerbungen erstellen kann. Wie schon das Sozialgericht ausgeführt hat, ist die Anschaffung eines PCs zumindest bis zum Ende der Maßnahme bei der Firma I. nicht erforderlich, da der Kläger dort sowohl Internetrecherchen vornehmen als auch Bewerbungen erstellen kann. Für die Zeit nach Beendigung der Maßnahme stehen ihm die Selbstinformationseinrichtungen nach § 41 Abs. 2 SGB III der Agentur für Arbeit kostenlos zur Verfügung, so dass die Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden ist, die Anschaffung des Computers zur Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung sei nicht notwendig.

Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Darlehens ergibt sich auch nicht aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Soweit danach im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sach- oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfesuchenden ein entsprechendes Darlehen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Zur Klärung der Frage, ob ein bestimmter Bedarf grundsätzlich von der Regelleistung umfasst wird, kann auf die Festlegungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zurückgegriffen werden, soweit deren Abteilungen in den Eckregelsatz der Sozialhilfe Eingang gefunden haben (vgl. BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - juris Rn. 26, SozR 4-4200 § 7 Nr. 15). Die Neuanschaffung eines PCs ist der Abteilung 09 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) der EVS zuzuordnen. Die Abteilung 09 der EVS eröffnet den Zugang zur sozialen Mitwelt. In dieser Abteilung sind die Kosten für die Neuanschaffung eines PCs enthalten. Daher stellen diese Kosten grundsätzlich einen von der Regelleistung umfassten Bedarf dar. Dieser ist jedoch nach § 23 Abs. 1 SGB II nur zu übernehmen, wenn es sich nach den Umständen um einen unabweisbaren Bedarf handelt, der weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann.
Unabweisbar ist ein Bedarf immer dann, wenn es sich um einen unaufschiebbaren Bedarf handelt oder ein Ausweichen auf eine andere Bedarfsdeckung nicht möglich ist (so Münder in LPK, SGB II § 23 Rn. 9). Vorliegend ist es dem Kläger möglich, seinen Bedarf (Internetrecherche und Erstellen von Bewerbungen) durch die von der Beklagten angebotene Maßnahme anderweitig zu decken oder nach Abschluss der Maßnahme auf andere Hilfsangebote zurückzugreifen. Daher liegt, wie schon das Sozialgericht ausgeführt hat, kein unabweisbarer Bedarf vor. Ein Rechtsanspruch des Klägers auf die Gewährung eines Darlehens zu Neuanschaffung des PCs besteht somit nicht.

2. Darlehen für Pkw Reparatur:

Ein Anspruch auf Darlehensgewährung ergibt sich nicht aus § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m.
§ 45 SGB III, da im Rahmen des § 45 Abs. 1 SGB III nur Leistungen gewährt werden können, welche die Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung fördern und die zur Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung notwendig sind. Der Kläger trägt nicht konkret vor, welche neue Arbeitsstelle er ohne Reparatur seines Pkws nicht erreichen kann bzw. welches Bewerbungsgespräch nicht wahrnehmen kann. Daher fehlt es bereits an der Voraussetzung des § 45 Abs. 1 S. 1 SGB III, dass die Leistung für die berufliche Eingliederung des Klägers notwendig ist. Insbesondere, da er im Großraum München wohnt, der über ein ausgebautes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln verfügt.

Der Kläger kann die begehrten Aufwendungen für die Reparatur des Pkw auch nicht in Gestalt eines Darlehens gemäß § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II beanspruchen. Die Voraussetzungen des § 23 Abs.1 SGB II (siehe oben) sind hier nicht erfüllt. Der geltend gemachte Bedarf ist bereits nicht von der Regelleistung umfasst.
Innerhalb der Abteilung 07 der EVS sind Aufwendungen für ein Kraftfahrzeug nicht erfasst (vgl. zur Problematik Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 20 Rn. 51). Hieraus folgt, dass die Aufwendungen für den Erwerb und die Haltung eines Kraftfahrzeugs nicht zu den von der Regelleistung umfassten Bedarfen rechnen. Die wertende Entscheidung, Kosten für ein Kraftfahrzeug nicht als existenznotwendig anzusehen und damit nicht in die Regelleistung einzubeziehen, ist vom BVerfG nicht beanstandet worden (BVerfG Urteil vom 9.2.2010
- 1 BvL 1/09 ua -, NJW 2010, 505, Rn. 179). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ein angemessenes Kraftfahrzeug, für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist. Aus der gesetzgeberischen Wertung, dass ein Vermögensgegenstand nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden muss, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die damit zusammenhängenden Aufwendungen auf der Bedarfsseite berücksichtigt werden müssten (vgl. zu den Kosten einer Kraftfahrzeug-Versicherung BSG vom 23.11.2006,- B 11b AS 3/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 2).

Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Aufwendungen für die Reparatur des Kraftfahrzeugs von der Regelleistung umfasst seien, weil sie letztlich aus der Regelleistung bestritten werden müssen, besteht ein Anspruch auf eine darlehensweise Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht, weil es sich jedenfalls nicht um einen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, sondern die allgemeine Mobilität des Klägers auch anderweitig sichergestellt werden kann. Insbesondere ist auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel hinzuweisen. Somit ergibt sich auch kein Anspruch des Klägers auf die Gewährung eines Darlehens für Reparaturkosten seines Pkws.

Damit ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird es nach § 160 Abs. 1 und 2 SGG nicht zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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