L 7 AS 334/11 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 52 AS 283/11
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 334/11 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen Prozesskostenhilfe
Hinreichende Erfolgsaussicht in der Hauptsache für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist zu verneinen, wenn lediglich die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung ab 01.01.2011 geltend gemacht wird. Es ist nicht erkennbar, dass die neuberechnete Regelleistung den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 09.02.2010 nicht entspricht.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München
vom 24. März 2011 wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist vor dem Sozialgericht München die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 30.6.2011 streitig.

Mit Bescheid vom 21.12.2010 gewährte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 30.6.2010 in Höhe von monatlich 695,83 Euro (Regelleistung in Höhe von 359,00 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 346,83 Euro). Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch mit der Begründung, dass die Berechnung des Regelsatzes verfassungswidrig sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.1.2011 zurückgewiesen.

Am 1.2.2011 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München erhoben und zur Begründung auf den Widerspruch Bezug genommen. Der Kläger benötige weitere Kosten um eine adäquate Altersvorsorge aufzubauen. Die hierfür in der Regelleistung zu Verfügung gestellten Beträge würden nicht ausreichen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Kläger erhebliche Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr habe. Der gesamte oberbayerische Raum sei durch einen hohen Lebenshaltungsindex gekennzeichnet. Die verfassungsrechtliche Problematik der Berechnung der Regelsätze sei als bekannt vorauszusetzen.

Mit Beschluss vom 24.3.2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht. Dem Kläger sein Leistungen nach dem SGB II auf der Grundlage des § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II bewilligt worden. Diese Vorschrift sei auch noch nach dem 31.12.2010 anwendbar, so dass ein höherer Leistungsanspruch, trotz der durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten Unvereinbarkeit der genannten Normen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. 20 Abs. 1 GG, nicht beansprucht werden könne. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig auf geltender gesetzlicher Grundlage erlassen worden, der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei abzulehnen.

Mit Änderungsbescheid vom 30.3.2011 hat der Beklagte die gesetzliche Änderung zur Erhöhung der Regelleistung ab dem 1.1.2011 umgesetzt und dem Kläger höhere Leistungen nach dem SGB II bewilligt.

Am 27.04.2011 hat der Kläger beim Bayerischen Landessozialgericht Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts erhoben. Der Beschluss des Sozialgerichts gehe an der eigentlichen Problematik des Falles vorbei. Es bestehe hinreichender Erfolgsaussicht der Klage, da für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 28.3.2011 die pauschalierte Leistungsgewährung zur Sicherung des Existenzminimums nicht mehr verbindlich gewesen wäre. Im Einzelfall sei die Prüfung des Vorliegens eines besonderen Bedarfes geboten gewesen. Bei existenzsichernden Leistungen bestehe auch bei geringen Beträgen ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Widerspruch sei zumindest im Hinblick auf die Erhöhung des Regelsatzes um 5,00 Euro erfolgreich gewesen und es sei noch über die Kosten für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren zu befinden. Außerdem würden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelsatzberechnung in der Neuregelung bestehen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sei von Seiten der Politik als auch von Wohlfahrtsverbänden das neue Berechnungsverfahren für die Regelleistung als verfassungswidrig eingeschätzt worden. Problematisch sei etwa die Frage der statistischen Referenzgruppe der unteren Einkommensbezieher. Der neue § 21 Abs. 6 SGB II für Sonderbedarfe komme in der Praxis kaum zum Tragen - der übrige Regelsatz biete kaum Spielraum für etwaige individuelle Sonderbedarfe. In der Abteilung VII (Verkehr) dürfte ein Fehler von einigen Euro bestehen.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unbegründet sei, da der Bescheid vom 21.12.2010 vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht rechtswidrig sei und mit Bescheid vom 30.3.2011 die rückwirkende Bewilligung der höheren Leistungen erfolgt sei.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt hat.

Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe im Klageverfahren ist, unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes in der Hauptsache, zulässig. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Berufungsstreitwert von mehr als 750,- Euro nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erreicht wird oder nicht (vgl. hierzu ausführlich Beschluss des Senats vom 27.5.2011, Az.: L 7 AS 342/11 B PKH, ebenso Bay. Landessozialgericht vom 15.10.2010, Az.: L 16 AS 458/10 B PKH und vom 6.10.2010, Az.: L 8 SO 184/09 B PKH).
Nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Die Beschwerde ist unbegründet, weil die Klage gegen die ursprünglichen Regelleistungen mutwillig war und die Klage gegen die neuen Regelbedarfe ohne Erfolgsaussicht ist.

1. Klage gegen die ursprünglichen Regelleistungen

Durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe soll der Betroffene einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, Rn. 25). Ein vernünftiger Bemittelter hätte nicht am 1.2.2011 eine Klage gegen die bisherigen Regelleistungen erhoben, wenn er angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 und des bereits vorliegenden Gesetzentwurfs sicher sein konnte, dass die Erhöhung der Regelleistung geringfügig ausfallen und in jedem Fall rückwirkend zum 01.01.2011 erfolgen wird (BVerfG a.a.O., Rn 218). Mit Gesetz vom 24.03.2011 wurden die neuen Regelbedarfe beschlossen (BGBl I, S. 453). Ein Abwarten auf das Inkrafttreten des geplanten Gesetzes war dem Kläger - wie jedem vernünftigen Bemittelten, der die Prozesskosten selbst zu tragen hat - zuzumuten.

2. Klage gegen die neuen Regelbedarfe
Die nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht des Klageverfahrens ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Antrag auf Prozesskostenhilfe bei summarischer Prüfung zu verneinen.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist stets gegeben, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zumindest vertretbar gehalten werden kann und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit der Beweisführung besteht (vgl. Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rn. 7a). Für die Klage gegen die neuen Regelbbedarfe ist eine Erfolgsaussicht nicht erkennbar.
Die neuen Regelbedarfe wurden durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I, S. 453) festgelegt. Gerichte sind an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen - es kann das Gesetz nur gemäß Art 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, wenn es von der Verfassungswidrigkeit des einfachen Gesetzes überzeugt ist (Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 100 Rn. 10). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es keine Anhaltspunkte.

Wie sich aus der Begründung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (Drucksache Bundestag 17/3404, S. 42 ff) ergibt, hat sich der Gesetzgeber an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 gehalten. Auf Grundlage einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2008 wurden die Bedarfe von Erwachsenen und Kindern im Einzelnen ermittelt. Abschläge von einzelnen Verbrauchspositionen wurden entweder nicht mehr vorgenommen (z.B. bei Bekleidung) oder durch Sonderauswertungen berichtigt (z.B. Heizstromanteil, Personennahverkehr, Telefonkosten). Die Fortschreibung der Regelbedarfe wurde an die Preisentwicklung und die Nettolöhne angebunden (vgl. § 20 Abs. 5 SGB II), statt an die Rentenentwicklung. Zu den Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche wurden gesonderte Anspruchsgrundlagen geschaffen (§§ 28, 29 SGB II). Für den Mehrbedarf in atypischen Härtefällen wurde bereits mit Gesetz vom 27.05.2010 (BGBl I, S. 1706) in § 21 Abs. 6 SGB II eine Anspruchsgrundlage erstellt, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.

Einzelne Punkte der Ermittlung des neuen Regelbedarfs werden politisch unterschiedlich bewertet, etwa die Abgrenzung der unteren Einkommensschicht nach § 4 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG), die festlegt, welche Referenzhaushalte der EVS für die Berechnung der Bedarfe herangezogen werden. Dies darf aber nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die getroffene Regelung verfassungswidrig ist. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.O., Rn. 168) festgestellt, dass die Wahl der Referenzgruppe auf sachgerechten Erwägungen beruhen muss. Eine sachfremde Festlegung der Referenzgruppe kann das Beschwerdegericht nicht erkennen.

Außerdem wurden die Bedarfsermittlungen im RBEG für alle Personen auf der Grundlage vorgenommen, dass die Kosten für Warmwasser aus dem Regelbedarf zu bezahlen sind. Erst in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens wurden die Kosten für Warmwasser zu den Kosten der Unterkunft umsortiert (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 7 und § 77 Abs. 6 SGB II). Die Regelbedarfe wurden aber nicht mehr entsprechend korrigiert.

Insgesamt ist festzustellen, dass für eine Klage gegen die neuen Regelbedarfe eine Erfolgsaussicht nicht erkennbar ist. Für eine Vorlage des Gesetzes über die neuen Regelbedarfe an das Bundesverfassungsgericht sind ebenso keine Gründe erkennbar.

Eine Kostenentscheidung unterbleibt im Beschwerdeverfahren gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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