S 13 AS 1217/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 1217/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Inhaber von Sparvermögen ist nicht stets derjenige, auf dessen Namen das Geld angelegt ist (Anschluss an BGH, Urteile vom 18.01.2005, X ZR 264/02 sowie vom 12.12.1995, XI ZR 15/95).

2. Bei der Rückforderung von SGB-Leistungen wegen nicht angegebenen Vermögens ist – anders als bei einem erneuten Bewilligung – bei weiteren Bewilligungszeiträumen von dem jeweils im maßgeblichen Zeitpunkt festgestellten Vermögen der Vermögensteil abzusetzen, der bei ordnungsgemäßer Vermögensangabe im vorausgegangenen Bewilligungszeitraum und einer dieser Angabe entsprechenden Bewilligung hätte verbraucht werden müssen („fiktiver Verbrauch“).

(Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986, 5 B 10/85 zur Auslegung von § 45 SGB X; Abweichung von LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2010, L 5 AS 2340/08 sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011, L 12 AS 4994/10)
Der Bescheid der Beklagten vom 03.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2009 wird aufgehoben. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II von Januar 2005 bis Oktober 2008 und eine Erstattungsforderung von (ursprünglich) ungefähr 8.500 EUR, weil Vermögen des Klägers zu 2 nicht angegeben worden sei.

Die Kläger zu 2, 3 und 4 sind die Söhne des Klägers zu 1 sowie der Klägerin im Verfahren S 13 AS 1224/09. Der Großvater des Klägers zu 2 legte (13 Tage nach dessen Geburt am X.X.1992) ein Sparbuch über 2.692 DM auf den Namen seines Enkels an.

Die Kläger standen seit dem 01.01.2005 bei der Beklagten im Leistungsbezug nach dem SGB II. Diese erfuhr im September 2008 aufgrund eines Datenabgleichs nach § 52 SGB II davon, dass der Kläger zu 2 im Jahr 2007 Kapitalerträge in Höhe von 203 EUR erhalten habe, und forderte ihn zur Belegung von Einkommen und Vermögen auf. Seine Mutter oder sein Vater teilten der Beklagten mit, dass ihr Sohn mit dem Schreiben nichts anfangen könne, er tatsächlich Zinsen erhalten habe, sie davon allerdings nichts gewusst hätten und er das Geld auch nicht persönlich erhalten habe. Es handele sich um ein Sparkonto, dass die Großeltern nach der Geburt auf den Namen ihres Enkels angelegt hätten. Diese hätten es auch verwaltet. Sie (als Absender des Schreibens angegeben ist Familie Schönebeck) hätten keinerlei Einsicht oder sonstiges auf das Geld, könnten in keiner Weise darüber verfügen und hätten bis dahin nicht einmal gewusst, in welcher Höhe ein Sparkonto existiere. Der Kläger zu 2 solle das Geld erst erhalten, wenn für seine Großeltern der richtige Zeitpunkt gekommen sei.

Auf ein weiteres Anhörungsschreiben zur Guthabenshöhe seit Beginn der Zahlung von Arbeitslosengeld II reichten die Kläger eine Saldenbestätigung der Volksbank Pforzheim ein. Von Januar 2005 bis 06.03.2007 existierten ein Sparkonto sowie ein Konto Wachstumssparen, seitdem ein Sparkonto sowie eine Festgeldanlage. An den im Einzelnen von der Beklagten genannten Stichtagen betrug das Guthaben auf dem Konto "Wachstumssparen" zwischen (ungefähr) 5.100 EUR und 5.400 EUR, die Festgeldanlage belief sich auf 6.000 EUR. Das Sparbuch wies ein Guthaben von zunächst ungefähr 400 EUR bzw. 500 EUR aus, seit der Festgeldanlage von ungefähr 190 EUR.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 03.11.2008 nahm die Beklagte im Einzelnen benannte Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.10.2008 zurück und forderte die Erstattung von Leistungen i.H.v. insgesamt 8.604,90 EUR (Kläger zu 1:: 2.161,34 EUR; Kläger zu 2: 4.714,90 EUR; Kläger zu 3: 864,33 EUR; Kläger zu 4: 864,33 EUR) Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger zu 2 über Vermögen verfüge, dass seinen Freibetrag (4.850 EUR bis 31.07.2006 bzw. 3.850 EUR ab 01.08.2006) übersteige. Er sei daher nicht bedürftig, das Kindergeld sei dem Kindergeldberechtigten zuzuordnen. Es sei davon auszugehen, dass das Vermögen dem Kläger zu 2 gehöre, da die Anlagen auf seinen Namen liefen. Unberücksichtigt bleibe, dass die Großeltern die Konten angelegt hätten. Ein Eigentumsvorbehalt sei nicht nachgewiesen worden, die Bank habe bestätigt, dass nur unter Zustimmung der Erziehungsberechtigten Vermögen für die Kinder angelegt werden könne.

Den ohne weitere Begründung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2009, zugestellt am 18.02.2009 zurück.

Die Kläger haben am 18.03.2009 Klage beim SG Karlsruhe erhoben. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass das Vermögen nicht dem Kläger zu 2 gehöre. Die Anlage laufe zwar auf ihn, verfügungsberechtigt sei allerdings (allein) der Großvater, der immer wieder Einzahlungen und Abhebungen vorgenommen und das Geld jeweils separat für einige Zeit angelegt habe, zuletzt vom 06.03.2007 bis 31.05.2010 als Termineinlage. Es habe eine Überraschung zum 18. Geburtstag werden sollen. Die Unterlagen über das Konto seien zunächst nie bei ihnen gewesen. Ab März/April 2007 seien allerdings aus welchem Grund auch immer die Kontoauszüge bei ihnen eingegangen, der Großvater habe gemeint, dass die Schreiben ungeöffnet an ihn weitergeleitet werden sollten. Es liege keine Fahrlässigkeit vor.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 03.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie habe keine Zweifel, dass die Vermögenswerte vom Großvater angelegt worden seien. Dieser könne jedoch keine rechtlichen Ansprüche auf diese Vermögenswerte geltend machen, da er nicht ihr Inhaber und damit nicht Gläubiger gegenüber den Kreditinstituten sei, es bestehe kein vertraglicher Gläubigervorbehalt.

Mit Schriftsatz vom 11.05.2010 teilte die Beklagte nach einem gerichtlichen Hinweis u.a. mit, dass sich die Erstattungsforderung auf (insgesamt) 5.032,88 EUR reduziere, da nicht alle Bescheide aufgehoben worden seien. Der Prozessbevollmächtigte hat erklärt, das "Teilanerkenntnis" anzunehmen.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Großvater des Klägers zu 2 als Zeugen vernommen. Dieser hat u.a. erklärt, nach der Geburt seines Enkels Geld angelegt, das Sparbuch aber bis zu dessen 18. Geburtstag behalten zu haben. Er und seine Eltern hätten davon nichts gewusst. Auf Nachfrage hat sich der Zeuge dahin korrigiert, es den Eltern gegenüber erwähnt zu haben. Die Bankgeschäfte habe er stets alleine getätigt, das Geld sei immer bei der Volksbank angelegt worden, Kontoauszüge habe es erst ab 2007 gegeben. Die Klägerin im zeitgleich verhandelten Verfahren S 13 AS 1224/09 hat zuvor mitgeteilt, sie habe bei der Taufe von dem Sparbuch erfahren und dass es eine Überraschung werden solle. Sie habe 2007 bei der Umwandlung in einen Festzinsbetrag unterschrieben. Sie habe das Sparbuch nie gehabt, man habe nie darüber gesprochen. Die Kontoauszüge habe sie ungeöffnet an den Zeugen weitergeleitet, wie dieser es ihr vorher aufgetragen habe. Freistellungsaufträge habe sie wohl nicht unterschrieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten zu diesem und dem Verfahren S 13 AS 1224/09 sowie die vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert – so zu verstehen, dass sie (von Anfang an) auch von den Klägern zu 2, 3 und 4 erhoben worden ist. Dies entspricht auch der Auffassung der Beklagten. Da es insoweit nur um die Auslegung einer Klage geht, die bereits vor Eintritt der Volljährigkeit des Klägers zu 2 erhoben worden ist, und die bereits zuvor von seinen Eltern erteilte Prozessvollmacht fortbesteht (§ 202 SGG i.V.m. § 86 ZPO), hat er nicht selbst angehört werden müssen.

So verstanden ist die Klage zulässig und begründet. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.05.2010 ein wirksames Teilanerkenntnis abgegeben hat, das unter Rückgriff auf die beigefügte Berechnung erkennen lässt, gegenüber welchem Kläger und in welcher Höhe die Rücknahmeentscheidung und Erstattungsforderung verändert worden sind. Die angefochtenen Bescheide verletzen die Kläger (in ihrer ursprünglichen Fassung sowie unter Berücksichtigung des "Teilanerkenntnisses") in ihren Rechten und sind in vollem Umfang aufzuheben.

Die Beklagte hat zu Unrecht die Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X zurückgenommen, da sie nicht rechtswidrig gewesen sind. Als Grund für die Rechtswidrigkeit allein von der Beklagten geltend gemacht und als erörterungsbedürftig ersichtlich ist die nicht angegebene Anlage von Sparkonten und Festgeld auf den Namen des Klägers zu 2. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um sein Vermögen im Sinne von § 12 SGB II.

Die Kammer folgt hinsichtlich der Bestimmung, wer Inhaber des Sparvermögens ist, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser hat mit Urteil vom 18.01.2005 (X ZR 264/02) ausgeführt (zitiert nach juris):

"Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts läßt die Einrichtung eines Sparkontos auf den Namen eines anderen für sich allein noch nicht den Schluß auf einen Vertrag zugunsten Dritter zu (BGHZ 21, 148, 150; 28, 368, 369). Entscheidend ist vielmehr, wer gemäß der Vereinbarung mit der Bank oder Sparkasse Kontoinhaber werden sollte (BGH, Urt. v. 02.02.1994 - IV ZR 51/93, NJW 1994, 931). Ein wesentliches Indiz kann dabei sein, wer das Sparbuch in Besitz nimmt (BGH, Urt. v. 29.04.1970 - VIII ZR 49/69, NJW 1970, 1181), denn gemäß § 808 BGB wird die Sparkasse durch die Leistung an den Inhaber des Sparbuchs auf jeden Fall dem Berechtigten gegenüber frei. Typischerweise ist, wenn ein naher Angehöriger ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes anlegt, ohne das Sparbuch aus der Hand zu geben, aus diesem Verhalten zu schließen, daß der Zuwendende sich die Verfügung über das Sparguthaben bis zu seinem Tode vorbehalten will".

Nach diesen Maßstäben ist Inhaber des Sparkontos der Zeuge gewesen. Er hat ebenso wie die Klägerin im Verfahren S 13 AS 1224/09 vorgetragen, das Sparkonto eröffnet, das Sparbuch stets in seinem Besitz gehabt und Verfügungen alleine durchgeführt zu haben. Die Beklagte hat dies auch ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen. Damit ist nach der Rechtsprechung des BGH der Großvater des Klägers zu 2 als Inhaber des Sparkontos anzusehen (vgl. auch Grundmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2009, Band 2, Rn. I239, der in einem solchen Fall "keine Probleme" für die Bestimmung der Inhaberschaft sieht). Diese zivilrechtliche Zuordnung ist auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II beachtlich (ebenso –speziell zu Sparbüchern – Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 12 Rn. 29).

Der Kläger zu 2 ist aber auch nicht Inhaber des Kontos "Wachstumssparen" oder der Festgeldanlage gewesen. Selbst für die Bestimmung, wer Inhaber eines Girokontos ist, ist nach der Rechtsprechung des BGH "nicht allein entscheidend, wer als Inhaber angegeben ist oder aus wessen Mitteln die eingezahlten Gelder stammen. Maßgebend ist vielmehr, wer bei der Kontoerrichtung der Bank gegenüber als Forderungsberechtigter auftritt oder bezeichnet wird. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles ist zu prüfen, wer nach dem erkennbaren Willen des die Einzahlung Bewirkenden Gläubiger der Bank werden sollte" (Urteil vom 12.12.1995, XI ZR 15/95). Dies gilt erst recht für ein Konto "Wachstumssparen" oder eine Festgeldanlage. Der BGH misst "der Bezeichnung des Kontoinhabers bei der Eröffnung eines Girokontos ... mehr als bloße Indizwirkung" bei, da der Giroverkehr "auf eine rasche und unkomplizierte Abwicklung angelegt" sei. Dies gilt aber für Wachstumssparen sowie eine Festgeldanlage gerade nicht. Schon von daher besteht kein Grund, nicht den Zeugen als Inhaber auch dieser Anlagen anzusehen. Er ist bereits – nach den obigen Ausführungen – Inhaber des Sparkontos gewesen. Der Bank ist bekannt gewesen, dass er allein Geld eingezahlt und Verfügungen getätigt hat. Auch die neuen Geldanlagen sind von ihm durchgeführt worden. Hinsichtlich der Festgeldanlage kommt hinzu, dass die Laufzeit bis 31.05.2010 gedauert hat und damit bis kurz vor dem 18. Geburtstag des Klägers zu 2. Unter diesen Umständen ist auch für die Bank deutlich erkennbar gewesen, dass der Kläger zu 2 (noch) nicht hat Inhaber der Festgeldanlage werden sollen und der Zeuge ihm das Geld noch nicht hat übertragen wollen.

Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, ob eine faktische Zugriffsmöglichkeit des Klägers zu 2 bestanden hat, er also – wie die Beklagte vermutet – bei der Bank die Auszahlung des Festgeldes hätte bewirken können. Als Vermögen im Sinne von § 12 SGB II ist nur zu berücksichtigen, was einem nach den einschlägigen Regel des Zivilrechts "gehört" (Hänlein in: Gagel, SGB II / SGB III, Stand: 39. Ergänzungslieferung, Juli 2010, § 12 Rn. 18). Es kann nicht erwartet werden, dass jemand – womöglich unter Begehung von Untreue nach § 266 StGB – auf Vermögen zugreift, wenn er es nur (vielleicht) kann, aber nicht darf.

Da es sich (auch) beim Wachstumssparen sowie bei der Festgeldanlage nicht um Vermögen des Klägers zu 2 gehandelt hat, kommt es auf die Frage, ob während der Laufzeit eine zumutbare Verwertungsmöglichkeit bestanden hat, ebenso wenig an wie darauf, ob die subjektiven Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X erfüllt gewesen sind.

Die Kammer ist im Übrigen der Auffassung, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid auch dann teilweise rechtswidrig wäre, wenn das Sparvermögen dem Kläger zu 2 zuzuordnen wäre. Da es nicht um die Bewilligung von Leistungen, sondern die Rücknahme früherer Bewilligungsentscheidungen gegangen ist, hätte die Beklagte für den zweiten und nachfolgende Bewilligungszeiträume von dem jeweils im maßgeblichen Zeitpunkt festgestellten Vermögen den Vermögensteil absetzen müssen, der bei ordnungsgemäßer Vermögensangabe im vorausgegangenen Bewilligungszeitraum und einer dieser Angabe entsprechenden Bewilligung hätte verbraucht werden müssen. Dies entspricht auch der Praxis anderer SGB-II-Leistungsträger im Zuständigkeitsbereich des Gerichts.

Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Auslegung von § 45 SGB X. Das BVerwG hat – zum Ausbildungsförderungsrecht – mit Beschluss vom 18.07.1986 (5 B 10/85) Folgendes ausgeführt (zitiert nach juris, ohne Beifügung von Randnummern, Hervorhebung nicht im Original):

"Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in seinem Urteil vom 13. Januar 1983 - BVerwG 5 C 103.80 ... entschieden, daß bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung im vorangegangenen Bewilligungszeitraum angerechnetes Vermögen, das zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung noch nicht verbraucht ist, bei der Entscheidung über den Antrag auf Weiterförderung erneut anzurechnen ist. Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht angenommen, daß diese Entscheidung hier nicht einschlägig ist. Bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung muß nach § 28 Abs. 2 BAföG von dem Vermögen ausgegangen werden, das zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich vorhanden ist. Hat der Auszubildende bereits früher angerechnetes Vermögen nicht verbraucht, so muß es deshalb erneut berücksichtigt werden. Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden, die sich wegen verschwiegenen Vermögens später als rechtswidrig herausstellen, ist die Rechtslage anders. Hier ist von der Behörde rückschauend zu überprüfen, wie für bestimmte, in der Vergangenheit liegende Bewilligungszeiträume die Ausbildungsförderung hätte bemessen werden müssen, wenn der Auszubildende seiner Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs. 1 SGB AT nachgekommen wäre. Dabei kann nicht unterstellt werden, daß der Auszubildende das Vermögen, das in einem bestimmten Bewilligungszeitraum hätte angerechnet werden müssen, nicht für seine Ausbildung aufgewendet hätte, so daß es im darauffolgenden Bewilligungszeitraum noch zur Verfügung gestanden hätte und deshalb erneut anzurechnen gewesen wäre. Hier ist vielmehr vom Normalfall auszugehen, daß der Auszubildende anzurechnendes Vermögen auch tatsächlich zur Deckung des Lebensunterhalts und der Ausbildungskosten verbraucht.

Eine solche Annahme entspricht vor allem dem Sinn der Rücknahme rechtswidriger Bewilligungsbescheide und der sich daran anschließenden Rückforderung erbrachter Leistungen. Ihr Sinn liegt darin, im öffentlichen Interesse den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Dem rechtmäßigen Zustand hätte es entsprochen, daß der Auszubildende nach §§ 28 ff. BAföG in einem Bewilligungszeitraum angerechnetes Vermögen auch tatsächlich für den angenommenen Bedarf verbraucht hätte. Bei rechtswidrigem Verschweigen von Vermögen sind die öffentlichen Interessen daher nur in dem Maß beeinträchtigt, in dem der Auszubildende durch die bewilligten und ausgezahlten Förderungsleistungen, die ihm bei zutreffender Angabe seines Vermögens nicht hätten gewährt werden dürfen, davor bewahrt worden ist, entsprechendes Vermögen einzusetzen. Dies hat zur Folge, daß bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden in Rechnung zu stellen ist, der Auszubildende hätte bei rechtmäßigem Verhalten das angerechnete Vermögen auch tatsächlich anstatt der ihm rechtswidrig zugeflossenen Förderungsbeträge für seinen Lebensunterhalt und die Ausbildung verwendet. Es kann daher im folgenden Bewilligungszeitraum nicht erneut angerechnet werden.

Die in der Beschwerdebegründung angeführten Erläuterungen aus Kommentaren zum Bundessozialhilfegesetz ergeben nicht, daß bei der Rückforderung von Sozialhilfe anders zu verfahren wäre. Unter den angeführten Zitaten ist die rückwirkende Anrechnung von verschwiegenem Vermögen nicht erörtert."

Es besteht kein Grund, diese weiterhin gültige, von Verwaltungsgerichten auch in den letzten Jahren bestätigte und von den Ämtern für Ausbildungsförderung soweit bekannt auch beachtete Rechtsprechung nicht auf das Grundsicherungsrecht zu übertragen. Soweit dies für den Bereich der Sozialhilfe vom Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (Urteil vom 30.09.2004, 12 LC 201/04) abgelehnt worden ist – im Unterschied zur Entscheidung der Vorinstanz, diese im Ergebnis aber bestätigend –, können die dafür vorgebrachten Gründe jedenfalls für das Grundsicherungsrecht nicht mehr überzeugen. Das Gericht hat seine abweichende Auffassung damit begründet, dass "die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz einerseits und dem Bundesausbildungsförderungsgesetz andererseits" sich darin unterschieden, "dass die Sozialhilfe als Hilfe in aktuellen Notlagen nur äußerst kurzfristig - in der praktischen Anwendung monatsweise ... - bewilligt wird ..., während das Ausbildungsförderungsrecht ... einen Bewilligungszeitraum von regelmäßig einem Jahr vorsieht und in § 53 BAFöG eine Vorschrift zur Berücksichtigung von Änderungen der für die Bewilligung maßgeblichen Umstände, die während des Bewilligungszeitraumes eintreten, bereithält". Nach dem SGB II erfolgt keine praktisch monatsweise Bewilligung, vielmehr werden Leistungen grundsätzlich für sechs Monate bewilligt (§ 41 SGB II). Auch ist eine Berücksichtigung von Änderungen während eines laufenden Bewilligungszeitraums nach § 48 SGB X möglich. Sowohl das Ausbildungsförderungsrecht als auch das Grundsicherungsrecht gehen von einem weitgehend pauschalierten Bedarf aus, auf den (in erster Linie) Einkommen und Vermögen des Auszubildenden bzw. Hilfebedürftigen anzurechnen ist. Relevante Unterschiede sind daher nicht zu erkennen.

Die Rechtsprechung des BVerwG steht auch nicht im Widerspruch zu der des Bundessozialgerichts. Soweit dieses entschieden hat, dass das SGB II keine Vorschrift enthalte, die der wiederholten Berücksichtigung von Vermögen entgegenstehe (Beschluss vom 30.07.2008, B 14 AS 14/08 B), hat dem gerade keine Rücknahmesituation zugrundegelegen. Auch die zitierte Kommentarliteratur behandelt soweit ersichtlich nicht die Besonderheiten bei einer Rücknahme. Dass bei erneuter Antragstellung weiterhin vorhandenes Vermögen erneut berücksichtigt werden kann, entspricht auch der Rechtsprechung des BVerwG sowohl zum Recht der Sozialhilfe (Urteil vom 19.12.1997, 5 C 7/96) als auch zum Ausbildungsförderungsrecht (Urteil vom 13.01.1983, 5 C 103.80). Nähme man bei einer erneuten Antragstellung einen "fiktiven Verbrauch" an, belohnte man eine sparsame Lebensführung, obwohl kein Hilfebedarf besteht. Dies ist mit der hier zu beurteilenden Rücknahmesituation jedoch nicht zu vergleichen. Hier besteht kein Grund anzunehmen, der Nichtverbrauch von Vermögen läge an einer sparsamen Lebensführung. Vielmehr hat aufgrund der Bewilligung bedarfsdeckender Leistungen kein Anlass bestanden, auf das Sparvermögen zurückzugreifen. Nicht verständlich ist schließlich die Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.03.2010, L 5 AS 2340/08), dass "nicht nur zurückgefordert wird, was bei wahrheitsgemäßen Angaben nicht bewilligt worden wäre, hat letztlich Sanktionscharakter und möglicherweise generalpräventive Wirkung". § 45 SGB X "bezweckt einen Ausgleich zwischen dem individuellen Bestandsschutzinteresse und dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der materiell-rechtlich zutreffenden Rechtslage" (Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rn. 2), hat aber keinen Sanktionszweck. Sanktionen im Bereich des SGB II sind vielmehr nur nach Maßgabe von §§ 31 ff. SGB II (n.F.) zulässig, ggf. haben Falschangaben auch strafrechtliche Konsequenzen. Der "Grundsatz der Subsidiarität" von Leistungen nach dem SGB II wird jedoch überstrapaziert, wenn die hier maßgeblichen Vorschriften auf eine Weise ausgelegt werden, dass jemand in die Ver- oder gar Überschuldung getrieben wird, der "nur" (grob) fahrlässig falsche Angaben gemacht hat (aA nunmehr offenbar LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011, L 12 AS 4994/10, wobei die von ihm in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG und des BVerwG gerade keine Rückforderungskonstellationen betreffen). Im Übrigen wäre die Beklagte in einer Situation wie hier – in der der zurückgeforderte Betrag nicht nur höher ist als der Betrag, um den die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II überschritten sind, sondern sogar höher als das gesamte Vermögen – zumindest gehalten gewesen, eine besondere Härte zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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