L 5 AS 383/11 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 22 AS 1345/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 383/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen. Der Antrag auf Bewilligung auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg. Dieses hat seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt des Antrags- und Beschwerdegegners abgelehnt.

Der am ... 1978 geborene Beschwerdeführer bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Mit Bescheid vom 2. Mai 2011 wurden ihm für den Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2011 monatlich 709,00 EUR bewilligt.

Der Beschwerdegegner ersetzte mit Bescheid vom 8. März 2011 eine nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 1 Satz 6 SGB II. Der Bescheid enthielt Festlegungen für die Zeit vom 8. März bis 7. September 2011. U.a. regelte er die Teilnahme des Beschwerdeführers an einem Bundesprogramm "Bürgerarbeit". Dagegen legte dieser unter dem 15. März 2011 Widerspruch ein.

Am 19. April 2011 hat er beim Sozialgericht Magdeburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 8. März 2011, ferner die Feststellung der Verletzung seiner verfassungsmäßig geschützten Grundrechte sowie die Verpflichtung des Beschwerdegegners, von weiteren "Vorladungen zu Zwangsmaßnahmen, Zwangsausbildungen und Zwangsarbeiten" Abstand zu nehmen, beantragt.

Zwischenzeitlich hatte der Beschwerdeführer mehrere Meldetermine nicht wahrgenommen. Der Beschwerdegegner hat mit Bescheid vom 22. Juni 2011 für die Zeit von 1. Juli bis 30. September 2011 eine Minderung der Leistungen um monatlich 10% des Regelbedarfs (= 36,40 EUR) festgestellt. Das Sozialgericht hat unter dem 4. Juli 2011 darauf hingewiesen, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sei. Der Beschwerdeführer hat daraufhin klargestellt, dass die Erwähnung des Sanktionsbescheids nur der Begründung seines Anliegens gedient habe.

Mit Beschluss vom 7. September 2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. März 2011 sowie die weiteren Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 8. März 2011 sei nach summarischer Prüfung nicht rechtswidrig, sodass die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen sei. Der Feststellungsantrag sei unzulässig, da die Rechtmäßigkeit des Bescheids schon bei der begehrten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu prüfen gewesen sei. Keine Erfolgsaussicht habe das Begehren, auf weitere Vorladungen zu verzichten; dies folge schon aus der Rechtmäßigkeit des Bescheids. Der Beschluss enthält die Belehrung über das zulässige Rechtsmittel der Beschwerde zum Landessozialgericht.

Der Beschwerdeführer hat am 19. September 2011 Beschwerde eingelegt und auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen. Ergänzend hat er sich auf die "Objektformel" bezogen, die den Begriff der Menschenwürde in Art. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) mit Inhalt erfülle. Nach Hinweis auf die Unzulässigkeit der Beschwerde wegen Ablaufs des Zeitraums der Gültigkeit des angefochtenen Bescheids hat der Beschwerdeführer ergänzend ausgeführt, dies widerspreche der Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss. Er verweise auf Art. 103 GG und Art. 6 Menschenrechtskonvention (MRK). Ferner hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Beschwerdeführer beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 7. September 2011 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. März 2011 anzuordnen, ferner festzustellen, dass dieser ihn in seinen verfassungsmäßig geschützten Grundrechten verletzt sowie den Beschwerdegegner zu verpflichten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von weiteren Vorladungen zu Zwangsmaßnahmen, Zwangsausbildungen und Zwangsarbeiten Abstand zu nehmen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Beschwerde für unzulässig, weil der Regelungszeitraum nur bis zum 7. September 2011 gegolten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Beschwerdegegners haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ist form- und fristgerecht eingelegt gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist statthaft und nicht gemäß § 172 Absatz 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Absatz 1 Satz 1 SGG beschränkt, da der angefochtene Bescheid vom 8. März 2011 nicht auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichtet ist und damit der wirtschaftliche Wert des Beschwerdegegenstands nicht maßgeblich ist.

2.

Die Beschwerde ist jedoch unzulässig.

a.

Nach § 39 Nr. 1 SGB II hat der Widerspruch gegen einen Bescheid, der Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid vom 8. März 2011 nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II hat dem Beschwerdeführer u.a. die Teilnahme an der Maßnahme "Bundesprogramm Bürgerarbeit" auferlegt. Damit hat er Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit i.S.v. § 39 Nr. 1 SGB II geregelt (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 39 RN 6). Dies hat zur Folge, dass der Widerspruch vom 15. März 2011 keine aufschiebende Wirkung hatte.

Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist jedoch nur solange möglich gewesen, wie der angegriffene Bescheid Wirksamkeit entfaltet hat. Denn der Streitgegenstand des Eilverfahrens erledigt sich durch Zeitablauf, wenn der Zeitraum, für den der Verwaltungsakt Geltung beansprucht, während des Eilverfahrens verstrichen ist (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, siehe Beschluss vom 23. August 2011, L 5 AS 435/10 B ER; so auch: Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. November 2011, L 7 AS 693/11 B ER und vom 15. Juli 2009, L 7 AS 243/09 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 19 AS 344/11 B ER und 345/11 B ER sowie vom 13. September 2011, L 6 AS 1002/11 B ER, juris). Dies gilt selbst dann, wenn aufgrund des angegriffenen Verwaltungsakts Sanktionen bestandskräftig verhängt worden sind (Beschluss des erkennenden Senats vom 23. August 2011, a.a.O.). Insoweit obliegt es dem Beschwerdeführer, sich gegen den Sanktionsbescheid vom 22. Juni 2011 mit den ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen (Widerspruch, Klage) zu wehren.

Die von dem hier angegriffenen Bescheid vom 8. März 2011 ausgehenden Belastungen, nämlich die dem Beschwerdeführer auferlegten Verhaltenspflichten, sind mit Ablauf des 7. September 2011 entfallen. Ab dem 8. September 2011 hat der Beschwerdeführer kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Fortführung des Beschwerdeverfahrens mehr gehabt. Damit ist das Rechtschutzbedürfnis des Beschwerdeführers entfallen. Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen.

b.

Kein Rechtsschutzbedürfnis besteht ferner für die begehrte Feststellung der Verletzung von Grundrechten durch den Bescheid vom 8. März 2011.

Zwar ist die Umstellung einer Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG zulässig, da hierin keine Antragsänderung liegt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 131, Rn. 8a). Eine verbindliche Entscheidung über einen Fortsetzungsfeststellungsantrag kann jedoch grundsätzlich nur in einem Hauptsacheverfahren getroffen werden. Im gerichtlichen Eilverfahren kann ein solches Feststellungsinteresse nicht befriedigt werden. Die einstweilige Anordnung dient allein der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses oder der vorläufigen Sicherung eines Rechts; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitigen Verwaltungsakts. Eine verbindliche Entscheidung über diese Frage herbeizuführen ist aber gerade Sinn und Zweck eines Fortsetzungsfeststellungsantrags (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 27. Januar 1995, 7 VR 16/94, NVwZ 1995, 586 f.). Wegen der begrenzten Zielsetzung des Eilverfahrens (vorläufige Entscheidung in der Regel bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache) kann im Eilverfahren nämlich keine Entscheidung getroffen werden, die auf Grund summarischer Überprüfung eines zeitlich begrenzten Zustands hinaus auch für künftige Rechtsschutzbegehren Bedeutung erlangt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 17. Februar 2009, L 5 B 386/08 AS ER; ebenso: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. Mai 2006, 1 M 95/06 und OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Mai 2010, 8 ME 84/10, jeweils zu § 123 und § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens besteht nach der Erledigung des Antragsbegehrens folglich kein Rechtsschutzbedürfnis für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns.

c.

Auch für das Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von weiteren Vorladungen zu Zwangsmaßnahmen, Zwangsausbildungen und Zwangsarbeiten Abstand zu nehmen, liegt kein Rechtsschutzbedürfnis vor. Es handelt sich dabei um einen in der Hauptsache im Rahmen einer vorbeugenden Unterlassungsklage geltend zu machenden Unterlassungsanspruch.

Ein Bedürfnis für eine solche gerichtliche Entscheidung bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren besteht nur ausnahmsweise dann, wenn das Interesse des Betroffenen an der vorbeugenden Klärung einer Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Voraussetzung ist, dass eine Verweisung auf die gerichtliche Prüfung erst nach Erlass eines potentiellen Verwaltungsakts - z.B. über die eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Bescheide oder die Sanktionierung von nicht wahrgenommenen Mitwirkungshandlungen - unzumutbar wäre. Die Schutzwürdigkeit kann vorliegen, wenn ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen würden, denen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht begegnet werden könnte. Die Anwendung des begehrten Rechtsmittels ist deshalb auf die Fälle beschränkt, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Verwaltungsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in dem von der Prozessordnung gegebenen Instanzenzug kaum erlangen kann, etwa in Fällen der Wohnungsdurchsuchung, bei erledigtem polizeirechtlichen Unterbindungsgewahrsam, bei vorläufiger gerichtlich angeordneter Unterbringung psychisch auffälliger Personen o.ä. (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 5. Dezember 2001, 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BverfGE 104, 220 f., ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Juni 2006, L 1 B 16/06 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Dezember 2005, L 29 B 121/05 AS ER; juris).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, gegen künftige eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheide, Mitwirkungsaufforderungen oder Sanktionsbescheide jeweils mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86b SGG vorzugehen.

3.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen.

Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. März 1990 - 1 BvR 94/88 -, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 1998, B 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).

Da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte, kam die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden Rechtsanwalts nicht in Betracht.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das Rechtsschutzbedürfnis war schon vor Einlegung des Rechtsmittels am 19. September 2011 entfallen.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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