L 12 AS 1353/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 453/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1353/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 38/12
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.06.2010 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des den Klägern zu gewährenden Arbeitslosengeldes II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010. Konkret ist umstritten, ob der Beklagte berechtigt war, eine Abfindungszahlung anzurechnen.

Die 1960 und 1967 geborenen Kläger zu 1) und 3) sind die Eltern der 1989, 1991 und 1993 geborenen Kläger zu 2), 4) und 5). Bis Juli 2009 bezog der Kläger zu 1) Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Alg I-Leistungen). Ergänzend wurden den Klägern mit Bewilligungsbescheiden vom 07.01.2009 und 27.01.2009 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum Februar 2009 bis Juli 2009 in Höhe von 1.007,64 Euro (Februar 2009) bzw. 1.102,64 Euro (März bis Juli 2009) gewährt.

Am 03.03.2009 floss dem Kläger zu 1) eine Abfindung aus einem arbeitsrechtlichen Vergleich in Höhe von 13.049,42 Euro zu. Der Beklagte, dem dies schon vorher bekannt wurde, änderte die Leistungsbewilligung mit Bescheiden vom 11.02.2009, 24.06.2009 und 27.10.2009 und rechnete die Abfindungszahlung ab März 2009 mit einem monatlichen Teilbetrag von 1.000 Euro als Einkommen des Klägers zu 1) an.

Auf einen Fortzahlungsantrag der Kläger vom 29.06.2009 zahlte der Beklagte die zuvor bewilligten Leistungen zunächst weiter. Am 28.07.2009 erließ er wegen einer Betriebskostennachzahlung und geänderten monatlichen Pauschalen einen "Änderungsbescheid" über den Zeitraum August 2009 bis Januar 2010.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Kläger, mit dem diese geltend machten, dass die Anrechnung der Abfindung nicht über August 2009 hinaus erfolgen dürfe, wies der Beklagte nach Erteilung eines Änderungsbescheides vom 29.10.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2009 zurück. Am 04.11.2009 erließ der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem die Anrechnung der Abfindung im Januar 2010 auf 646,31 Euro festgesetzt wurde.

Der Kläger zu 1) hat am 27.11.2009, der Kläger zu 2) am 26.11.2009 und die Klägerinnen zu 3) bis 5) haben am 03.12.2009 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben und beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28.07.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29.10.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04.11.2009 zu verurteilen, ihnen Arbeitslosengeld II-Leistungen ab August 2009 ohne Anrechnung der Abfindung zu bewilligen.

Dass die Abfindung als Einkommen iSv § 9 SGB II anzurechnen sei, sei selbstverständlich. Jedoch könne die Anrechnung nur dann als angemessen im Sinne von § 2 Abs. 5 S. 3 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) angesehen werden, wenn sich die Anrechnungszeit entsprechend einem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 08.07.2008 (L 13 AS 4522/07) nach der Anzahl der Tage bestimme, die sich ergäbe, wenn das Einmaleinkommen durch den täglichen Bedarf geteilt würde. Dieses entspreche inhaltlich in etwa der Regelung des § 143a SGB III und sei damit systemgerecht sowie die einzig wirklich handhabbare und nachprüfbare Anrechnungsweise. Ausgehend von einem monatlichen Bedarf der Kläger von 2.234,41 Euro, einem anrechenbaren Betrag von 11.646,31 Euro und unter Außerachtlassung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (da der Kläger zu 1) noch bis Juli 2009 Alg I-Leistungen bezogen habe), ergebe sich ein maximaler Anrechnungszeitraum von 156 Tagen. Im Übrigen habe der Beklagte mit seiner Anrechnungszeit von zwölf Monaten seine eigenen Bearbeitungshinweise missachtet, in denen es heiße, dass der Anrechnungszeitraum grundsätzlich so kurz wie möglich gehalten werden solle. Schließlich sei die Vorschrift der Alg II-V nicht bestimmt genug.

Mit Urteil vom 23.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Aufteilung der Abfindung über den Bewilligungsabschnitt hinaus sei rechtmäßig und der Anrechnungszeitraum mit 12 Monaten angesichts der Höhe dieser Abfindung nicht zu beanstanden. Die Norm des § 2 Abs. 3 S. 3 Alg II-V sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 SGB II gedeckt und bestimmt genug.

Gegen das ihnen am 16.07.2010 zugestellte Urteil haben die Kläger am 10.08.2010 Berufung eingelegt. Ergänzend zu dem bisherigen Vorbringen haben sie darauf hingewiesen, dass die Abfindungszahlung aufgrund diverser Ausgaben (Fahrschule, Möbel, Zuwendungen an Verwandte, Urlaub) im Juli 2009 verbraucht gewesen sei. Im Übrigen sei es wegen der Regelbewilligungsdauer angebracht, den Anrechnungszeitraum auf 6 Monate zu beschränken.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.06.2010 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Verbrauch der Einmalzahlung sei für die Leistungsbewilligung ohne Belang.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 28.07.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2009 und des Änderungsbescheides vom 04.11.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.01.2010. Sie waren im streitigen Zeitraum nicht in einem über die vom Beklagten bewilligten Leistungen hinausgehenden Maß hilfebedürftig im Sinn des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9 Abs. 1, 11 SGB II.

Der Bedarf der Kläger bestand im streitigen Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010 aus der für sie nach § 20 Abs. 2 S. 1, S. 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006, BGBl I, 558 in der Bekanntmachung vom 17.06.2009, BGBl I, 1342) maßgebenden Regeleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger zu 1) und 3) in Höhe von je 323,00 Euro und in Höhe von 287,00 Euro für die Kläger zu 2), 4) und 5) zuzüglich der jeweiligen - zwischen den Beteiligten unstreitigen - Kosten der Unterkunft und Heizung.

Dem Bedarf der Kläger gegenüber stand - zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitiges (bereinigtes) - Einkommen der Klägerinnen zu 3) und 4) sowie Kindergeld für die Kläger zu 2), 4) und 5). Ebenfalls als Einkommen zu berücksichtigen ist der vom Beklagten angesetzte Betrag von monatlich 1000,00 Euro (August 2009 bis Dezember 2009) bzw. von 646,31 Euro (Januar 2010) als Teilbetrag der im März 2009 zugeflossenen Abfindungszahlung.

Die Abfindungszahlung, die im März 2009 auf dem Konto des Klägers zu 1) eingegangen und den Klägern somit nach Antragstellung einmalig wertmäßig zugeflossen ist, ist nach dem "Zuflussprinzip" Einkommen im Sinn von § 11 Abs. 1 SGB II und nicht Vermögen im Sinn von § 12 SGB II (vgl. BSG Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 47/08 R Rn 15 ff. - BSGE 102, 295). Diese rechtliche Zuordnung gilt nicht allein in dem Monat bzw. dem Bewilligungsabschnitt, in dem der Zufluss stattgefunden hat (hier gemäß Bescheiden vom 07.01.2009 und 27.01.2009 der Zeitraum Februar bis Juli 2009), sondern auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum (hier dem streitigen Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010). Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den gesamten Zeitraum, auf den das Einkommen aufgeteilt wird, sog. "Verteilzeitraum" (BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R Rn 25; Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn 21 - BSGE 101, 291; Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 57/07 R Rn 28 - SozR 4-4200 § 11 Nr. 16). Entsprechend wird die Einnahme auch bei erneuter Antragstellung nicht zu Vermögen (BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn 26, 29 - BSGE 101, 291), sondern bleibt im Folgebewilligungszeitraum Einkommen (vgl. BSG a.a.O. Rn 25; LPK-SGB II/Geiger, 4. Aufl. 2011, § 11 Rn 40). Ist nach Antragstellung eine als Einkommen zu berücksichtigende einmalige Einnahme zugeflossen, ändert die erneute Antragstellung allein den "Aggregatzustand" der Einnahme nicht. Diese "mutiert" nicht gleichsam durch die neue Antragstellung zu Vermögen (BSG a.a.O. Rn 29). Eine geänderte Beurteilung, d.h. eine (spätere) Bewertung als Vermögen kann sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur dann ergeben, wenn die Hilfebedürftigkeit vor (erneuter) Antragstellung für mindestens einen Monat beendet war (BSG a.a.O. Rn 31).

Die vom Beklagten vorgenommen Aufteilung der - nach dem Vorstehenden als Einkommen zu wertenden - Abfindungszahlung über den ersten Bewilligungszeitraum nach Einkommenszufluss hinaus auch auf die streitigen Monate August 2009 bis Januar 2010 ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.

Einmaliges Einkommen ist nach § 13 SGB II i.V.m. §§ 4, 2 Abs. 4 Alg II-V in der vom 01.01.2009 bis 31.03.2011 geltenden Fassung vom 18.12.2008, BGBl I, 2780 - im Folgenden: a.F. (jetzt Neufassung in § 11 Abs. 3 SGB II), auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermächtigungsnorm des § 13 SGB II bestehen nicht (BSG Urteil vom 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R Rn 29 ff. - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17).

Der Verteilzeitraum beginnt gemäß § 2 Abs. 4 S. 1 Alg II-V a.F. grundsätzlich im Monat des Zuflusses der einmaligen Einnahme bzw. gem. § 2 Abs. 4 S. 2 Alg II-V in dem auf diesen folgenden Monat, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind. Hier hat der Beklagte mit der Anrechnung zutreffend im Monat des Zuflusses der Abfindung (März 2009) begonnen.

Die vom Beklagten festgesetzte Dauer des Verteilzeitraums auf 11 Monate ist im Hinblick auf die Gesamtsumme von 13.049,42 Euro, von denen der Beklagte (lediglich) 11.646,31 Euro in die Berechnung der Anrechnungssumme hat einfließen lassen (Bescheid vom 27.10.2009) und den monatlichen Bedarf der Kläger als angemessener Zeitraum im Sinn von § 2 Abs. 4 S. 3 Alg II-V a.F. anzusehen.

Weder stehen der Ablauf des Bewilligungszeitraums noch die neue Antragstellung (hier Fortzahlungsantrag vom 29.06.2009) dem vom Beklagten gewählten Verteilzeitraum eines knappen Jahres entgegen. Der "Verteilzeitraum" im Sinn von § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. kann sich über das Ende des Bewilligungszeitraums und/oder eine neue Antragstellung hinweg erstrecken (vgl. zur Vorgängerregelung des § 2 Abs. 3 Alg II-V BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn 27 - BSGE 101, 291). Etwas Anderes ergibt sich weder aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte noch aus dem Sinn der Regelung.

§ 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. setzt der zeitlichen Verteilung von Einkommen nach dem Wortlaut keine zeitliche Grenze (vgl. zur Vorgängerregelung des § 2 Abs. 3 Alg II-V BSG a.a.O. Rn 30; vgl. auch BSG Urteil vom 27.09.2011 - B 4 AS 180/10 R Rn 32: Verteilung auf 12 Monate bei einer für ein Jahr bestimmten Einnahme angemessen).

Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich eine Begrenzung nicht. Die ursprüngliche Fassung der Alg II-V (damals § 2 Abs. 3 Alg II-V) vom 20.10.2004 (BGBl I, 2622) sah die Möglichkeit, einmalige Einnahmen auf mehrere Kalendermonate zu verteilen, noch nicht vor. Dies konnte dazu führen, dass die einmaligen Einnahmen den Bedarf im Zuflussmonat überstiegen und die Hilfebedürftigkeit sowie dem folgend die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung (vgl § 5 Abs 1. Nr. 2a SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB XI), mit der Konsequenz entfielen ließen, dass der zuvor Leistungsberechtigte sich ggf. freiwillig krankenversichern musste. Diese Konsequenz und der damit verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand haben den Verordnungsgeber veranlasst, im Regelfall (des Entfallens der Krankenversicherungspflicht) eine Verteilung der einmaligen Einnahmen auf "angemessene Zeiträume" vorzusehen (BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 57/07 R Rn 29 m.w.N. - SozR 4-4200 § 11 Nr. 16). Wollte man aber mit der Neufassung vor allem eine Minimierung des Verwaltungsaufwandes erzielen, so sollte hiermit offenbar eine längere Erstreckung des Berücksichtigungszeitraums erreicht werden (vgl. BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R Rn 29). Dem widerspräche eine durch Auslegung erfolgende Begrenzung des Verteilzeitraums auf den "ersten" Bewilligungszeitraum oder aufgrund einer erneuten Antragstellung. Auch die Aufhebung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. und Überleitung in die geänderte Norm des § 11 Abs. 3 SGB II mit einer nunmehr auf 6 Monate festgesetzten Aufteilung lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass bereits vorher eine Begrenzung durch den Bewilligungszeitraum oder eine Begrenzung auf einen am regelhaften Leistungszeitraum orientierten Verteilzeitraum von 6 Monaten als allein angemessen i.S.v. § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. anzusehen gewesen wäre (so auch BSG Urteil vom 27.09.2011 - B 4 AS 180/10 R Rn 32). Zunächst einmal zeigt die nunmehr feste Verteilregel des § 11 Abs. 3 SGB II (vgl. hierzu Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 20111, § 11 Rn 21), dass ein im laufenden Bewilligungszeitraum erzieltes Einmaleinkommen über das Ende des Bewilligungszeitraums hinaus verteilt werden kann (LPK-SGB II/Geiger, 4. Aufl. 2011, § 11 Rn 40), bei Überschreiten des Bedarfs eines Monats in der Regel wohl sogar zu verteilen ist. Zum anderen wäre die Neuregelung dann nicht erforderlich gewesen, wenn bereits aus der Alg II-V a.F. eine Begrenzung des Verteilzeitraumes auf 6 Monate herauszulesen gewesen wäre, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Neuregelung nicht als "Klarstellung" bezeichnet hat.

Auch der Sinn der Anrechnungsregelung des § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. erfordert eine grundsätzliche zeitliche Begrenzung des Verteilzeitraumes nicht. Vielmehr muss sich die Auslegung des in § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. gewählten Begriffes der Aufteilung auf einen "angemessenen Zeitraum" an der in § 7 i.V.m. § 9 SGB II normierten Hilfebedürftigkeit und der in § 2 SGB II enthaltenen Selbsthilfeobliegenheit der Leistungsberechtigten orientieren. Dies bedeutet, dass Leistungsberechtigten, die beim Zufluss eines hohen Einmalzahlbetrages eigentlich - wie die Kläger hier - (mindestens für einen bestimmten Zeitraum) aus dem Leistungsbezug ausscheiden müssten, bei Verbleib im Leistungssystem des SGB II die zugeflossenen Leistungen in den folgenden Monaten anteilig bis zum (errechneten) vollständigen Verbrauch anzurechnen sind.

Entgegen der Auffassung der Kläger steht der Anrechnung der Abfindungszahlung in den vom Beklagten angesetzten monatlichen Teilbeträgen auch nicht die Tatsache entgegen, dass die Kläger den Erstattungsbetrag nach ihren Angaben bis Juli 2009 für diverse Ausgaben (Fahrschule, Möbel, Zuwendungen an Verwandte, Urlaub) verwendet haben. Werden verfügbare Mittel vorzeitig verbraucht, so ist dieser Verbrauch ebensowenig zu berücksichtigen wie im Moment des Zuflusses des Einkommens offene Schulden von der Einmalzahlung abgezogen werden können (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 11.01.2012 - L 12 AS 1978/10 m.w.N. zu Rspr und Literatur). Der Leistungsberechtigte, der seine Selbsthilfeobliegenheit und die hieraus resultierende Verpflichtung, jegliches Einkommen zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen, missachtet und Einkommen entgegen dem Gebot, dieses zunächst für den Lebensunterhalt einzusetzen für andere Belange verwendet, kann nicht unter Berufung auf ein solches Fehlverhalten höhere Leistungen erlangen als ein Leistungsberechtigter, der seinen aus dem SGB II erwachsenden Obliegenheiten nachkommt. Der bedarfsmindernden Berücksichtigung einer Einmalzahlung steht es daher nicht entgegen, wenn der Leistungsberechtigte den Betrag für eigene Belange außerhalb der notwendigen Sicherung seines Lebensunterhalts verwendet hat (vgl. für die Verwendung zur Rückzahlung von Schulden BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn 19 - BSGE 101, 291; BSG Urteil vom 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R Rn 25 m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17). Verbraucht der Hilfebedürftige ihm zufließendes Einkommen vorzeitig, sind die Einnahmen entsprechend dennoch bis zum Ende des nach § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. angemessenen Zeitraums mit den jeweiligen Teilbeträgen anzurechnen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11.01.2012 - L 12 AS 1978/10; LSG NRW Urteil vom 25.10.2010 - L 6 AS 171/10; LSG NRW Beschluss vom 14.06.2010 - L 6 AS 432/10 B ER und L 6 AS 494/10 B ER; ebenso LSG NRW Urteil vom 02.04.2009 - L 9 AS 58/07; Bay. LSG, Urteil vom 13.04.2007 - L 7 AS 309/06; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn 66; aA wohl Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 11 Rn 16; VG Bremen Urteil vom 15.05.2008 - S 3 V 1349/08; wohl auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.11.2008 - L 14 B 1818/08 AS ER; Geiger, info also 2009, 20, 23).

Der Anrechnung von Einmaleinkommen in dem auf den Zufluss folgenden Bewilligungszeitraum trotz vorigen Verbrauchs steht auch nicht entgegen, dass bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zu Beginn des (Folge-)Bewilligungszeitraumes Einkommen berücksichtigt wird, das in diesem (Folge-)Leistungszeitraum zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung steht. Weder kann der Anrechnung entgegengehalten werden, "fiktives Einkommen" dürfe nach Art. 1 Grundgesetz und den Grundprinzipien des SGB II nicht angerechnet werden (so LPK- SGB II/Geiger, 4. Aufl. 2011, § 11 Rn 42) noch steht der Anrechnung entgegen, dass - wenn es sich um eine Erstantragstellung handeln würde - Leistungen zu gewähren wären.

Ob die Anrechnung fiktiven Einkommens im SGB II grundsätzlich unzulässig ist (so zB Löns in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011, § 11 Rn 15; LPK-SGB II/Geiger a.a.O.), kann dahingestellt bleiben, da es sich bei der Anrechnung von zugeflossenem Einmaleinkommen nicht um ein fiktives, sondern um ein tatsächlich erzieltes Einkommen handelt. Der Leistungsberechtigte wird bei der Anrechnung des Einmaleinkommens auch in den Folgemonaten nicht so gestellt, als "hätte" er lediglich Einkommen erzielt oder "könnte" dieses erzielen. Vielmehr stand ihm der angerechnete Betrag in seiner Gesamtheit im Moment des Zuflusses als "bereites Mittel" (vgl. hierzu Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 4. Aufl. 2011, § 11 Rn 13) tatsächlich zur Verfügung. Diese tatsächlich zugeflossene Einnahme wird lediglich nicht als Gesamtbetrag im Moment des Zuflusses berücksichtigt, sondern (zu Gunsten der sonst aus dem Leistungsbezug ausscheidenden Kläger) so behandelt, als sei sie in mehreren aufeinanderfolgenden Monaten zugeflossen. Anders als bei fiktiven, d.h. nicht erzielten und damit zu keinem Zeitpunkt "bereiten" Einnahmen wird der Leistungsberechtigte damit nicht so behandelt als "hätte" er etwas erzielt, sondern so als ob er eine Aufteilung des tatsächlich erzielten Einkommens auf mehrere Monate vornehmen würde, um seinen Obliegenheiten nach dem SGB II zur Sicherung seines Lebensunterhalts Genüge zu leisten.

Der Anrechnung steht auch nicht entgegen, dass dem Antragsteller im (Folge-) Bewilligungszeitraum Leistungen zu bewilligen wären, wenn es sich um einen Erstantrag mit (neuer) Prüfung der Hilfebedürftigkeit handeln würde. Grund hierfür ist, dass sich die Situation eines Leistungsberechtigten bei Erstantragstellung gravierend von derjenigen beim Folgeantrag eines bereits zuvor Leistungsberechtigten unterscheidet. Durch den Antrag auf Leistungsgewährung gem. § 37 SGB II begibt sich ein Hilfebedürftiger in das System des SGB II und unterliegt damit bzw. mit Leistungsbeginn auch dessen Regeln. Entsprechend treffen ihn als Leistungsbezieher die Selbsthilfeobliegenheiten, die sich aus dem in § 2 SGB II niedergelegten Grundsatz des Forderns (§ 2 Abs. 2 SGB II) sowie dem o.g. Grundsatz der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge ergeben. Verletzt er diese Obliegenheiten, kann er sich nicht zu seinen Gunsten hierauf berufen und (weitere) Leistungen - als Zuschuss - fordern. Den Hilfebedürftigen, der mangels Antragstellung außerhalb des Systems des SGB II steht, treffen die Obliegenheiten dieses Leistungssystems hingegen nicht (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R Rn 17 - BSGE 105, 188). Allerdings können sogar gegen letzteren unter eingeschränkten Voraussetzungen Ersatzansprüche geltend gemacht werden, wenn dieser die Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 34 SGB II).

Der Anrechnung einer Einmalzahlung nach ihrem Verbrauch steht schließlich nicht entgegen, dass nach erfolgtem Verbrauch für den bzw. die Leistungsberechtigten keine tatsächlichen (ausreichenden) Mittel mehr zur Verfügung stehen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kann ein Antragsteller nach den gesetzlichen Vorschriften des § 19 SGB II i.V.m. §§ 11, 13 SGB II i.V.m. der Alg II-V a.F. nicht als hilfebedürftig im Sinne von §§ 7, 9 SGB II angesehen werden, fehlen ihm aber gleichwohl tatsächlich die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt, steht der faktisch Hilfebedürftige nach der Konzeption des SGB II nicht schutzlos da. Vielmehr besteht die Möglichkeit, nach § 24 Abs. 1 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.03.2011, BGBl I , 453 - im Folgenden n.F. bzw im hier streitigen Zeitraum § 23 Abs. 1 SGB II a.F.) ein ergänzendes Darlehen zu erhalten (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11.01.2012 - L 12 AS 1978/10 sowie Beschluss vom 03.02.2010 - L 12 AS 91/10 B; ebenso LSG NRW Urteil vom 25.10.2010 - L 6 AS 171/10 m.w.N.). Hat der Leistungsträger hierüber (negativ) entschieden, ist auch die eventuelle Darlehensgewährung Streitgegenstand (BSG Urteil vom 22.08.2009 - B 14 AS 45/08 R). Im vorliegenden Verfahren stand eine darlehensweise Gewährung der begehrten Leistungen zwischen den Beteiligten nicht in der Diskussion.

Die hier streitige rechtliche Behandlung des Verbrauchs von berücksichtigungspflichtigem Einkommen entspricht auch der Rechtslage bei vorzeitigem sonstigem Verbrauch von gezahlten Regelleistungen. Denn auch der Hilfeempfänger, der mit den gewährten Leistungen der Grundsicherung in einem laufenden Monat nicht auskommt, kann nicht etwa wegen erneuter Hilfebedürftigkeit noch einmal Leistungen als Zuschuss verlangen. Vielmehr steht auch ihm lediglich der Weg offen, bei unabweisbarem Bedarf (weitere) Sach- bzw. Geldleistungen als Darlehen zu erhalten. Ausdrücklich sieht das Gesetz dabei die Möglichkeit vor, solchen Hilfebedürftigen, die sich als ungeeignet erweisen, mit der Regelleistung ihren Bedarf zu decken, so z.B. bei unwirtschaftlichem Verhalten, die (weiteren) (Darlehens-)Leistungen in voller Höhe oder anteilig (nur) als Sachleistungen zu gewähren (§ 24 Abs. 2 SGB II n.F. bzw. § 23 Abs. 2 SGB II a.F.).

Auch aus der Vorschrift des § 34 SGB II ergibt sich kein anderes Ergebnis. Insbesondere lässt sich hieraus nicht ein Anspruch darauf ableiten, bei vorzeitigem Verbrauch eines Einmaleinkommens vollständige Grundsicherungsleistungen lediglich mit einer Ersatzforderung nach § 34 SGB II belastet, zu erhalten. Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen als Zuschuss ist allein § 19 SGB II bzw. zur Gewährung dieser Leistungen als Darlehen § 24 Abs. 1 SGB II n.F bzw. § 23 Abs. 1 SGB II a.F. § 34 SGB II normiert allein einen Ersatzanspruch des Leistungsträgers gegen den Hilfebedürftigen, nicht aber umgekehrt einen Anspruch des Hilfebedürftigen auf Gewährung von Leistungen.

Andere Gründe, warum die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung der Abfindungszahlung auf 10 Monate á 1.000 Euro und einen Monat à 646,31 Euro als unangemessen im Sinn von § 2 Abs. 4 Alg II-V a.F. angesehen werden müsste, sind nicht erkennbar. Die Höhe der monatlichen Anrechnung - und damit die Länge des Verteilzeitraumes - sind dem Einzelfall entsprechend variabel vom Grundsicherungsträger festzusetzen. Hierbei darf unter der Geltung der Alg II-V a.F. die Aufteilung im Regelfall nicht vollständig auf die monatliche Leistung erfolgen, sondern muss ein Restleistungsbetrag belassen werden, um den Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht entfallen zu lassen (BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn 35 und BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 57/07 R Rn 30 - BSGE 101, 291). Dies hat der Beklagte mit einer Anrechnung von 1.000 Euro bei einem Bedarf der Kläger von knapp 2.300 Euro beachtet. Besonderheiten des streitigen Einzelfalls, die hier - wie von den Klägern gewünscht - allein eine Einkommensaufteilung nach den vom LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 08.07.2008 - L 13 AS 4522/07 vorgenommenen Berechnungskriterien angemessen erscheinen lassen könnten, sind von den Klägern nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Wenngleich eine solche Aufteilung in bestimmten Fällen eine angemessene Anrechnung darstellen mag, schließt diese andere angemessene Ansätze nicht aus. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ursprüngliche Fassung der Alg II-V vom 20.10.2004 - in ähnlichem Ansatz wie das LSG Baden-Württemberg - die Hilfebedürftigkeit solange entfallen ließ, wie die einmalige Einnahme zur Deckung des rechnerischen Bedarfs ausgereicht hätte. Diese Regelung wurde dann durch den Passus einer "angemessenen Aufteilung" abgelöst (hierzu Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn 24). Hätte der Verordnungsgeber den Verteilzeitraum grundsätzlich für alle Fallgruppen der Anrechnung so bestimmen wollen wie es der Berechnung des LSG Baden-Württemberg entsprach, wäre es ein Einfaches gewesen, die vorige Regelung beizubehalten und lediglich im Lichte der Rechtsprechung des BSG zum Schutze der Kranken- und Pflegeversicherung (BSG a.a.O.) dahingehend zu modifizieren, dass dem Hilfebedürftigen monatlich ein geringfügiger Betrag ("symbolischer Euro") zu verbleiben habe. Diesen Weg aber ist der Verordnungsgeber nicht gegangen.

Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass sich ein längerer Verteilzeitraum für Leistungsberechtigte grundsätzlich günstiger auswirkt als ein kurzer Verteilzeitraum. Zum einen führt die Streckung der Anrechnung dazu, dass monatlich mehr Leistungen ausgezahlt werden als dies bei einer kürzeren aber monatlich höheren Anrechnung der Fall wäre. Zum anderen begünstigt ein längerer Anrechnungszeitraum die Leistungsberechtigten insofern als die Absetzregelung des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft der Kommunen nach dem SGB II vom 30.07.2004, BGBl I, 2014) i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V a.F. das aus der Einmalzahlung anzurechnende Einkommen jeden Monat regelmäßig um 30 Euro mindert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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