S 4 AS 783/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 783/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten ihr höhere laufende Leistungen der Grundsiche-rung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Monate September und Oktober 2010 zu gewähren.

Die 1967 geborene Klägerin lebte mit ihren 1992 und 1997 geborenen Söhnen zu-sammen. Der 1992 geborene Sohn absolvierte ab September 2010 eine Berufsaus-bildung und verfügte ab diesem Zeitpunkt über eigenes Einkommen (Ausbildungs-vergütung, Wohngeld). Der Beklagte gewährte der Klägerin und ihrem 1997 geborenen Sohn, mit dem sie in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt, mit Änderungsbescheid vom ... 2010 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September bis einschließlich Oktober 2010. Der Höhe nach bewilligte sie der Klägerin und ihrem Sohn für den Monat September 2010 556,52 EUR (390,96 EUR Klägerin, 165,56 EUR Sohn) und einen weiteren Gesamtbetrag in Höhe von 519,64 EUR für den Monat Oktober 2010 (367,67 EUR Klägerin, 151,97 EUR Sohn). Zur Begründung verwies der Beklagte auf die dem Bescheid als Anlage beigefügten Berechnungsbögen für die Monate September und Oktober 2010.

Den am ... 2010 gegen den Änderungsbescheid vom ... 2010 erhobenen Wi-derspruch begründete die Klägerin unter Hinweis darauf, der angefochtene Bescheid genüge mangels Individualisierung nicht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 33, 37 SGB X. Mit Widerspruchsbescheid vom ... 2011 wies der Beklagte den Wi-derspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, Anhaltspunkte für eine sachliche oder rechnerische Unrichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids seien nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Es werde auf die dem angefochtenen Bescheid als Anlage beigefügte Berechnungsbögen Bezug genommen. Der Widerspruchsbescheid wurde laut Postabgangsvermerk des Sachbearbeiters des Beklagten am ... 2011 vom Beklagten abgesandt. Der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem Gericht vorgelegte Briefumschlag wies als Absendedatum Montag, den ... 2011 aus.

Am Montag, den ... 2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe er-hoben.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, der angefochtene Bescheid der Beklagten entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot für Verwaltungsakte. Es mangele u. a. an der er-forderlichen Individualisierung, zutreffender Adressierung und an einer Benennung der für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Der Beklagte verkenne, dass es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um sogenannte Individualansprüche handele. Sofern die Leistungsbewilligung für mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft aufgehoben oder teilweise aufgehoben werde, habe dies durch Zustellung rechtlich selbständiger Bescheide zu erfolgen. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Damit sei der Aufhebungsbescheid, um einen solchen handele es sich hier, zu unbestimmt. Eine Reduzierung auf den im Adressfenster benannten Adressaten sei im Hinblick auf die §§ 33, 37 und 41 SGB X nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

den Änderungsbescheid des Beklagten vom ... 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom ... 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Ausführungen insbesondere auch der Ausführungen zur Bedarfsberechnung im Berechnungsbogen als Anlage zum Bescheid vom ... 2010.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte (1 Band) und den Inhalt der Prozessakte (S 4 AS 783/11) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig, weil die Klägerin die nach § 87 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltende gesetzliche Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe des Verwal-tungsakts nicht versäumt hat. Entgegen der Angabe des Postabgangsvermerks in der Behördenakte ist der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom ... 2011 nämlich nicht am Freitag, den ... 2011, sondern nach dem Stempelaufdruck des Briefumschlages, mit dem der Bescheid versandt worden ist, erst am Montag, den ... 2011 vom Beklagten an den Bevollmächtigten der Klägerin abgesandt worden. Klage erhoben worden ist aber am Montag, den ... 2011 und damit innerhalb der gesetzlichen Klagefrist. Bei dieser Tatsachenlage kommt dem weiteren Umstand, dass der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegte Widerspruchsbescheid - entgegen guter anwaltlicher Übung - keinen Posteingangstempel der Anwaltskanzlei trägt, kein entscheidungserhebliches Gewicht mehr zu.

Die Klage hat aber in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Der angefochtene Ände-rungsbescheid vom ... 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Unschädlich ist, dass die Entscheidungen über die Teilaufhebungen konkludent in Änderungsbescheiden und nicht in besonderen Aufhebungsbescheiden enthalten waren. Denn in § 48 SGB X ist ebenso wie in § 45 SGB X keine bestimmte Form vorgegeben. Die (Teil)Aufhebung einer Leistungsbewilligung kann damit auch konk-ludent in einem Änderungsbescheid enthalten sein (vgl. ebenso jüngst Sächsisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 15. Dezember 2011, L 3 AS 480/09, JURIS Rn. 51).

Der angefochtene Änderungsbescheid vom ... 2010 genügt auch dem Be-stimmtheitsgebot aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 33 Abs. 1 SGB X.

Das Bundessozialgericht fordert für die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, dass aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, was die Behörde regelt (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2011 – B 4 RA 114/00 RSozR 3-2600 § 149 Nr. 6 = JURIS Rn. 25; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 30/09R – SozR 4-4200 § 31 Nr. 3 Rn. 16 = JURIS Rn. 16, m. w. N.; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 – B 14 AS 92/09 R – JURIS Rn. 18, m. w. N.). Ein Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X – und ebenso ein Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X – muss erkennen lassen, wer Adressat des Bescheides ist, welche Leistungsbewilligung für welchen Zeitraum und in welchem Umfang aufgehoben wird (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 18. September 2008, a. a. O., Rn. 57, m. w. N.).

Die Aufhebung von Bewilligungen über unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II erfordert es danach zunächst, den jeweils aufzuhebenden Bewilligungsbescheid und seine bereits erfolgten Änderungen unverwechselbar zu bezeichnen, was in der Regel neben der Benennung seines Datums auch die Kennzeichnung seines Regelungsgegenstandes nach dem bewilligten Betrag, den begünstigten Personen und den Bewilligungszeitraum notwendig macht. Zudem muss die Aufhebung erkennbar machen, ob die Aufhebung alle von dem jeweiligen Bewilligungsbescheid und seinen Änderungen geregelten Bezugsmonate betrifft oder sich auf einzelne Teilzeiträume beschränkt, die dann zu benennen sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich einer betragsmäßig vollständigen oder lediglich anteiligen Rücknahme (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 1. November 2011, L 9 AS 831/10, JURIS Rn. 40).

Ein Änderungsbescheid ist zwar nicht das Gegenstück, das heißt actus contrarius, zum ursprünglichen Bewilligungsbescheid. Aus der neuen Leistungsbewilligung lässt sich somit nicht unmittelbar ersehen, in welchem Umfang die ursprüngliche Leis-tungsbewilligung aufgehoben wird. Dies lässt sich jedoch ohne Weiteres durch Aus-legung ermitteln. Aus einem Vergleich der Verfügungssätze im ursprünglichen Bewil-ligungsbescheid - hier dem Änderungsbescheid vom ... 2011 - und im streitge-genständlichen Änderungsbescheid vom ... 2011 - ergibt sich, inwieweit in zeitlicher Hinsicht und der Höhe nach eine Aufhebung erfolgt ist.

Die Klägerin als Adressatin des Änderungsbescheids ist in der Lage gewesen, das vom Änderungsbescheid vom ... 2010 Geforderte zu erkennen. Der Verfügungssatz ist klar und eindeutig. Der abändernde Bescheid vom ... 2010 nimmt bereits im Betreff ausdrücklich auf den ursprünglichen Bescheid - den Änderungsbescheid vom ... 2011 - Bezug und teilt den neu berechneten Leistungszeitraum (September und Oktober 2010) - sogar im Fettdruck hervorgehoben - mit. Weiter wird der Grund für die Änderung - Neuberechnung des Kindergeldüberhangs des 1992 geborenen Sohnes des Klägerin unter Berücksichtigung dessen Einkommens - benannt.

Der weitere Regelungsgehalt des Bescheids ist durch Auslegung zu ermitteln. Ausle-gungsfähig ist dabei nicht nur der Bescheid selbst, sondern insbesondere auch der dem Bescheid individualisiert als Anlage beigefügte Berechnungsbogen. Nicht ausreichend wäre hingegen etwa allein ein Hinweis auf bei den Behördenakten befindlichen Unterlagen (vgl. z. B. Engelmann, in von Wulffen, SGB X, Kommentar, 6. Auflage 2008, § 33 Rn. 4 m. w. N.). Damit sind die vom Beklagten dem Bescheid und dem Widerspruchsbescheid jeweils beigefügten Horizontalberechnungen in den Blick zu neh-men.

Horizontalübersicht Monat/Jahr: September 2010 Bedarfsanteile Summe

EUR A

BV/EHB EUR B

VU25 EUR C

MUK EUR Bedarfsanteil BA Arbeitslosengeld II 646,00 359,00 287,00 - Sozialgeld 251,00 ... - 251,00 Mehrbedarf Alleinerziehung 43,00 43,00 - - Mehrbedarf Ernährung 105,01 - - 105,01 Gesamtbedarf BA 1.045,01 402,00 287,00 356,01 Bedarfsanteile Kommuna-ler Träger Summe Anteile Grundmiete Monatsrelevante Miete 393,00 131,00 131,00 131,00 Summe Anteile Heizkosten 58,47 19,49 19,49 19,49 Gesamtbedarf KT 451,47 150,49 150,49 150,49 Gesamtbedarfssumme 1.496,48 552,49 437,49 506,50 Einkommensanteile Einkommensbereinigung -60,00 -30,00 -30,00 - Kindergeld Einkommen 368,00 84,37 99,63 184,00 Erwerbseinkommen 402,86 - 402,86 - Einkommen Wohngeld 116,00 - 116,00 - Absetzung/Freibetrag §§11, 30 -151,00 - -151,00 - Gesamteinkünfte -657,86 -54,37 -437,49 -184,00 Tatsächliche Einkom-mensverteilung Bedarf BA 1.045,01 402,00 287,00 356,01 Einkommensverteilung I 337,86 - 337,86 - Davon zu verteilen 54,37 54,37 - - Davon verteilt 338,00 34,33 99,63 204,04 Einkommensverteilung II 675,86 34,33 437,49 204,04 Angerechnetes Einkommen auf BA-Leistungen 525,37 34,33 287,00 204,04 Anspruch Leistungen BA 519,64 367,67 - 151,97 Übersteigendes Einkommen 150,49 - 150,49 - Bedarf KT 451,47 150,49 150,49 150,49 Zuschuss § 22 0,00 - - - Anspruch Leistungen KT 300,98 150,49 - 150,49 Zuschlag Alg 0,00 - - - Zusatzbeitrag KV 0,00 - - - Zuschuss KV/PV - Vermei-dung HB 0,00 - - - Gesamtanspruch 820,62 518,16 - 302,46 einmalige Leistung 0,00 - - - Zusätzliche Leistung f. d. Schule 0,00 - - - Zuschüsse zur KV 0,00 - - - Zuschüsse zur PV 0,00 - - - Zuschüsse zur privaten RV 0,00 - - - Sanktionsbeträge Zuschlag 0,00 - - -

Horizontalübersicht Monat/Jahr: Oktober 2010 Bedarfsanteile Summe

EUR A

BV/EHB EUR B

VU25 EUR C

MUK EUR Bedarfsanteil BA Arbeitslosengeld II 646,00 359,00 287,00 - Sozialgeld 251,00 ... - 251,00 Mehrbedarf Alleinerziehung 43,00 43,00 - - Mehrbedarf Ernährung 105,01 - - 105,01 Gesamtbedarf BA 1.045,01 402,00 287,00 356,01 Bedarfsanteile Kommuna-ler Träger Summe Anteile Grundmiete Monatsrelevante Miete 393,00 131,00 131,00 131,00 Summe Anteile Heizkosten 58,47 19,49 19,49 19,49 Gesamtbedarf KT 451,47 150,49 150,49 150,49 Gesamtbedarfssumme 1.496,48 552,49 437,49 506,50 Einkommensanteile Einkommensbereinigung -60,00 -30,00 -30,00 ... Kindergeld Einkommen 368,00 47,49 136,51 184,00 Erwerbseinkommen 402,86 - 402,86 - Einkommen Wohngeld 116,00 - 116,00 - Absetzung/Freibetrag §§11, 30 187,88 - 187,88 - Gesamteinkünfte -638,98 -17,49 -437,49 -184,00 Tatsächliche Einkom-mensverteilung Bedarf BA 1.045,01 402,00 287,00 356,01 Einkommensverteilung I 300,98 - 399,98 - Davon zu verteilen 17,49 17,49 - - Davon verteilt 338,00 11,04 136,51 190,45 Einkommensverteilung II 638,98 11,04 437,49 190,45 Angerechnetes Einkommen auf BA-Leistungen 488,49 11,04 287,00 190,45 Anspruch Leistungen BA 556,52 390,96 - 165,56 Übersteigendes Einkommen 150,49 - 150,49 - Bedarf KT 451,47 150,49 150,49 150,49 Zuschuss § 22 0,00 - - - Anspruch Leistungen KT 300,98 150,49 - 150,49 Zuschlag Alg 0,00 - - - Zusatzbeitrag KV 0,00 - - - Zuschuss KV/PV - Vermei-dung HB 0,00 - - - Gesamtanspruch 857,50 541,45 - 316,05 einmalige Leistung 0,00 - - - Zusätzliche Leistung f. d. Schule 0,00 - - - Zuschüsse zur KV 0,00 - - - Zuschüsse zur PV 0,00 - - - Zuschüsse zur privaten RV 0,00 - - - Sanktionsbeträge Zuschlag 0,00 - - -

Aus den vorstehend abgedruckten Horizontalübersichten ergibt sich, dass der Beklagte bei der Einkommensberechnung der Bedarfsgemeinschaft für den Monat September 2010 zu Recht von einem Einkommensüberhang bei der Klägerin in Höhe von 17,49 EUR ausgegangen ist, während er den Einkommensüberhang für den Monat Oktober 2010 ebenso zutreffend mit 54,37 EUR errechnet hat. Auf dieser Basis hat er den der Klägerin und ihrem Sohn zustehenden Leistungsanspruch für den Monat September 2010 zutreffend mit 556,52 EUR und für den Monat Oktober 2010 mit 519,64 EUR bestimmt. Ursache für den Einkommensüberhang war das monatliche Einkommen des 1992 geborenen weiteren Sohnes der Klägerin, der ab September 2010 in monatlich unterschiedlicher Höhe Einnahmen aus Ausbildungsgeld und Wohngeld gehabt hat. Dagegen sind von der Klägerin in der Sache - jenseits der gerügten Förmlichkeiten zu Bestimmtheit, Begründung und Individualisierung - im Übrigen auch keine Ein-wendungen erhoben worden.

Danach hat die Klage in der Sache keinen Erfolg haben können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Im Hinblick auf die klägerseitig geltend gemachte Forderung höherer Grundsiche-rungsleistungen in Höhe von 17,49 EUR für den Monat September 2010 und weiteren 54,37 EUR für den Monat Oktober 2010 (insgesamt also von 71,86 EUR) wird der Wert des Beschwerdegegenstands von 750,- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht. Demzufolge bedürfte die Berufung der Zulassung. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Dementsprechend hat kein Anlass bestanden, die Berufung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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