L 19 AS 1899/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 3127/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1899/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.10.2011 abgeändert. Den Klägern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten ist nicht erforderlich.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.

Die Kläger stehen im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchendes - (SGB II).

Mit Bescheid vom 15.11.2010 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Klägern für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 Leistungen in Höhe von 116,38 EUR. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Am 04.02.2011 erhoben die Kläger daraufhin Klage vor dem Sozialgericht (S 62 AS 456/11 SG Dortmund) und beantragten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Im Rahmen dieses Verfahrens machten sie u.a. geltend, die Höhe der für die Zeit ab Januar 2011 bewilligten Leistungen sei verfassungswidrig. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist in diesem Verfahren bislang nicht erfolgt.

Mit Bescheid vom 10.05.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.06.2011 bis zum 30.11.2011. Der gegen die Höhe der Bewilligung eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 als unbegründet zurückgewiesen.

Am 19.07.2011 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2011 zu verpflichten, ihnen höhere Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Zur Begründung haben sie wiederum ausgeführt, die Regelungen über die Höhe der Leistungen seien für die Zeit ab dem 01.01.2011 verfassungswidrig.

Mit Beschluss vom 11.10.2011, den Klägern zugestellt am 19.10.2011, hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt T, J, abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

Hiergegen haben die Kläger am 24.10.2011 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung verweisen sie erneut darauf, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2011 aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Verfahrensakte S 62 AS 456/11 sowie die Gerichtsakte Bezug genommen

II.

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist teilweise begründet.

Prozesskostenhilfe steht den Klägern nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach summarischer Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht aufweist.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wobei diese angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2010 - 1 BvR 1873/09 = NJW 2010, 3083 ff.= juris Rn. 11; Beschluss vom 19.02.2008 - 1BvR 1807/07 = NJW 2008, 1060 ff. = juris Rn. 23 m.w.N). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Parteien bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung ihrer Rechtsstandpunkte. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren bietet dabei auch dem entscheidenden Gericht nicht selten die Möglichkeit seine eigene - im Prozesskostenhilfeverfahren aufgrund summarischer Prüfung - gebildete Rechtsauffassung zu überdenken.

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Höhe der den Klägern zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben ermittelt und den Klägern die entsprechenden Leistungen bewilligt. Etwas Gegenteiliges wird auch von den Klägern nicht geltend gemacht. Sie rügen lediglich, dass die Ermittlung der konkreten Regelbedarfe durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG) vom 24.03.2011 (BGBl. I S 453), verfassungswidrig sei.

Die Höhe des Regelbedarfs ist nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift eindeutig festgelegt, eine vom Wortlaut abweichende Auslegung auch unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht möglich. Der Beklagte und die Gerichte sind an die Gesetze gebunden. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich Feststellungen der Verfassungswidrigkeit obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Der Senat hat gegen die Höhe der gesetzlich geregelten Regelbedarfe für die Zeit ab dem 01.01.2011 keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (so auch etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 - L 12 AS 3445/11 = juris; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.08.2011 - L 19 AS 305/11 NZB = juris; SG Aachen Urteil vom 20.07.2011 - S 5 AS 177/11 = juris; SG Augsburg, Urteil vom 10.11.2011 - S 15 AS 749/11 = juris) Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in der Literatur dezidiert mit ausführlicher und differenzierter Begründung die Auffassung vertreten wird, dass die Neuregelung der Regelbedarfe durch das RBEG nicht den durch das Bundesverfassungsgericht dargelegten Anforderungen entspreche. Im Hinblick auf diesen Diskussionsstand in der Literatur ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtsschutzgleichheit und wegen der Komplexität der Rechtsfrage den Klägern die Möglichkeit zu eröffnen, ihren Rechtsstandpunkt - Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen der Höhe der Regelbedarfe - darzulegen, um dem Gericht die Möglichkeit des Überdenkens seiner Rechtsauffassung zu geben.

Für den hier streitigen Bewilligungsabschnitt vom 01.06. bis 30.11.2011 ist jedoch nach § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich. Eine Beiordnung ist nach dieser Vorschrift dann erforderlich, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig ist oder ein Beteiligter nicht in der Lage ist, seine Rechte angemessen wahrzunehmen (BVerfG Beschluss vom 09.07.2010 - 2 BvR 2258/09). Ob die Beiordnung erforderlich ist, ist stets im Einzelfall zu prüfen (vgl. Beschluss des Senats vom 27.12.2011 - L 19 AS 1538/11 B).

Ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts besteht nicht für die Klärung der betreffenden Rechtsfrage in mehr als einem Verfahren der Kläger.

Das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit, welches auch dem Institut der Prozesskostenhilfe zugrunde liegt, gebietet es nicht, dem unbemittelten Rechtssuchenden für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt im Hinblick auf die behauptete Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn durch die in einer Sache gewährte anwaltliche Beratung und Prozessführung wird er in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in den Parallelfällen hinreichend zu beurteilen. Aus der Erstberatung und den aus ihr hervorgegangenen Dokumenten (Anwaltsschreiben) bezieht der Beratene bei Vorliegen mehrerer sachlich und rechtlich (nahezu) gleich gelagerter Fälle spezifische Rechtskenntnisse, die eine im Prinzip rechtlich anspruchsvolle Materie auch für den Laien handhabbar machen können. Die Verweisung auf Selbsthilfe stellt dann keine unverhältnismäßige Einschränkung der Rechtswahrnehmung dar, weil auch ein kostenbewusster Bemittelter das aufgrund der Erstberatung vorhandene Wissen selbständig auf die späteren Fälle übertragen würde (so zur Beratungshilfe BVerfG, Beschluss vom 30.05.2011 - 1 BvR 3151/10 = NJW 2011, 2711 ff. = juris Rn. 12; Beschluss vom 02.09.2010 - 1 BvR 1974/08 = NZS 2011, 462 f. = juris Rn. 13 ff.).

Vorliegend ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Leistungen nach dem SGB II bereits Gegenstand des Verfahrens S 62 AS 456/11 SG Dortmund. Streitgegenstand dort ist auch der Zeitraum vom 01.01.2011 bis 31.05.201. Für dieses Verfahren haben die Kläger ebenfalls bereits Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch für das vorliegende Verfahren, welches nachfolgende Bewilligungsabschnitte betrifft, kommt - wie oben dargelegt - nicht in Betracht. Auf die Frage, ob im vorliegenden Fall, in dem die Klage am 19.07.2011 erhoben worden ist, eine Beiordnung von Prozesskostenhilfe schon deshalb ausscheidet, weil zu diesem Zeitpunkt bereits eines Verfahrens betreffend die Höhe der Regelleistung beim Bundessozialgericht anhängig war (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 - L 14 AS 206/12 B = juris Rn 8; LSG NRW Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1774/11 B; LSG NRW Beschluss vom 04.01.2012- L 12 AS 2100/11 B = juris Rn 2), kommt es nach alledem nicht an.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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