S 55 AS 7242/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
55
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 7242/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze:

1. Der ausländische Ehegatte eines deutschen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, mit dem er in Bedarfsgemeinschaft lebt, kann sich für Geldleistungen nach §§ 19, 20 SGB II auf die Anspruchsberechtigung nach § 7 Abs 2 SGB II stützen.
2. Für Berechtigte nach § 7 Abs 2 SGB II gelten nicht die Anspruchsvoraussetzungen oder -ausschlüsse nach Absatz 1, weder hinsichtlich des Alters, noch hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit, noch hinsichtlich der Einschränkungen nach Satz 2.

Tenor:

1. Die Bescheide der Beklagten vom 3. und 4. November 2010, einschließlich des Erstattungsbescheides vom 4. November 2010, in der Form der Änderungs-bescheide vom 29. November 2010 und 7. Februar 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Februar 2011 werden geändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 2. November bis 31. Dezember 2010, der Klägerin zu 1) bereits ab 1. November 2010, jeweils monatlich in Höhe von 663,00 EUR, abzüglich jeweils 207,62 EUR für November 2010, und für den Zeitraum vom 1. bis 28. Januar 2011 jeweils in Höhe von 623,00 EUR zu zahlen.
3. Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld II an den ausländischen Kläger zu 2) während der ersten drei Monate seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und die Leistungshöhe für seine Ehefrau jeweils im Zeitraum von November 2010 bis Januar 2011.

Die 1964 geborene Klägerin zu 1) ist deutsche Staatsangehörige; der 1984 geborene Ehemann ist ägyptischer Staatsangehöriger. Die Ehe besteht seit August 2009. Die Klägerin zu 1) bewohnte eine Wohnung bis Januar 2011, für die monatlich 759,79 EUR zu zahlen waren (bruttowarm, Heizkosten: 98,24 EUR). Das Warmwasser wurde durch elektrische Durchlauferhitzer erzeugt. Auf die Abrechnung vom 7. Oktober 2010 wurde ein Betriebskostenguthaben von 415,24 EUR im November 2010 von der Klägerin zu 1) mit der Miete verrechnet.

Auf Grund des Arbeitsvertrages vom 30. August 2010 arbeitete die Klägerin ab 1. Oktober 2010 als Kinderfrau monatlich 25 Stunden gegen ein Entgelt von 200,00 EUR monatlich.

Die Beklagte hatte der Klägerin mit Bescheid vom 14. Juli 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. August 2010 Arbeitslosengeld II bewilligt. Sie erließ zum 22. Oktober 2010 einen weiteren Änderungsbescheid und forderte die Klägerin zur Senkung der Unterkunftskosten auf.

Am 2. November 2010 beantragte der Kläger zu 2) mit Schreiben vom 1. November 2010 Leistungen der Grundsicherung bei der Beklagten. Mit Schreiben ebenfalls vom 1. November 2010 teilte die Klägerin zu 1) mit, dass sich ab 29. Oktober 2010 die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft geändert habe und ihr Ehemann eingezogen sei. Sie legte die Anmeldebestätigung vom 1. November 2010 der Beklagten vor. Dem Kläger zu 2) wurden am 18. November 2010 Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilt.

Die Beklagte änderte mit Bescheid vom 3. November 2010 die Leistungsbewilligung für die Klägerin zu 1) für die Monate Oktober und November 2010 und bewilligte der Klägerin zu 1) mit Bescheid vom 4. November 2010 für den Zeitraum von Dezember 2010 bis Mai 2011 Arbeitslosengeld II vorläufig in Höhe von 622,89 EUR. Dabei rechnete sie vom Einkommen der Klägerin 80,00 EUR auf die Leistung monatlich an. Ebenfalls unter dem 4. November 2010 erließ die Beklagte einen Erstattungsbescheid bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs für die Monate Oktober und November 2010. Die Erstattungssumme betrug danach 501,92 EUR. Wegen der Einzelheiten der Bescheide vom 3. und 4. November 2010 wird auf die Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakte gemäß § 136 Abs 2 SGG Bezug genommen.

Die Kläger legten mit Schreiben vom 22. November 2010 Widerspruch gegen die Entscheidungen ein. Auch der Kläger zu 2) habe als Ehemann der Klägerin zu 1) Anspruch ab 29. Oktober 2010. Er bilde mit der Klägerin zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft und sei leistungsberechtigt nach § 7 Abs 1 SGB II. Der Ausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II sei unzulässig. Dieser gelte nicht für Ehegatten deutscher Staatsbürger. Der Kläger zu 2) sei auch vor Erteilung des Aufenthaltstitels im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II erwerbsfähig gewesen. Schließlich habe die Beklagte zu geringe Unterkunftskosten berücksichtigt.

Die Beklagte erließ am 29. November 2010 und am 7. Februar 2010 weitere Änderungs- bzw Erstattungsbescheide, wegen deren Inhalt auf die Verwaltungsakte gemäß § 136 Abs 2 SGG Bezug genommen wurde. Dabei setzte ein Bescheid vom 7. Februar 2011 die Leistungsbewilligung für Dezember 2011 endgültig fest auf 415,27 EUR, während ein weiterer Bescheid eine Erstattungsforderung für Dezember 2011 von 207,62 EUR feststellte. Mit Bescheid vom 7. Februar 2011 gewährte die Beklagte beiden Eheleuten ab 29. Januar 2011 Leistung von monatlich 1.325,79 EUR monatlich. Im Übrigen wies sie die Widersprüche der Eheleute mit den Widerspruchsbescheiden vom 23. Februar 2011 zurück. Dabei begründete sie den Leistungsausschluss für den Kläger zu 2) für den Zeitraum bis 28. Januar 2012 mit der Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe der Beklagten wird gemäß § 136 Abs 2 SGG auf den Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011 Bezug genommen.

Die Kläger verfolgen ihr Begehren mit ihrer am 11. März 2011 erhobenen Klage weiter.

Die Kläger beantragen,

1. die Bescheide der Beklagten vom 3. und 4. November 2010, einschließlich des Erstattungsbescheides vom 4. November 2010, in der Form der Änderungsbescheide vom 29. November 2010 und 7. Februar 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Februar 2011 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zu 1) ab 1. November 2010, im Übrigen den Klägern Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 2. November bis 31. Dezember 2010 jeweils monatlich in Höhe von 663,00 EUR, abzüglich jeweils 207,62 EUR für November 2010, und für den Zeitraum vom 1. bis 28. Januar 2011 jeweils in Höhe von 623,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger zu 2) hat Anspruch auf Grundsicherungsleistungen im Zeitraum seit Antragstellung am 2. November 2010 gemäß §§ 7 Abs 2, 19 Abs 1 Satz 1, 20, 22 SGB II. Daraus resultiert für die Klägerin zu 1) ein höherer monatlicher Leistungsanspruch. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich deshalb als rechtswidrig und verletzten Rechte der Kläger. Diese haben Anspruch auf Korrektur der angefochtenen Bescheide.

1. Die Klagen sind zulässig, das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

Die in zulässiger objektiver und subjektiver Klagenhäufung eingelegten kombinierten Anfechtungsklagen und Leistungsklagen, mit denen die Klägerin zu 1) die Änderung der Leistungshöchstwertfestsetzungen der Bewilligungsbescheide und höhere Leistungen verlangt und der Kläger zu 2) die Gewährung von Grundsicherungsleistungen bei Aufhebung der Leistungsablehnung ihm gegenüber begehrt, sind statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Die Streit-gegenstände wurden im Sinne von § 92 Abs 1 Satz 1 SGG hinreichend bestimmt, die Zahlungsklagen beziffert. Die Leistungsklagen umfassen ausschließlich die Zeiträume vom 1. November 2010 für die Klägerin zu 1) bzw vom 2. November 2010 für den Kläger zu 2) jeweils bis 28. Januar 2011.

Die Kläger sind klagebefugt im Sinne von § 54 Abs 1 Satz 2, Abs 2 SGG. Sie behaupten eine Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 und 20 GG) als prozessrechtlich relevante Beschwer. Zugleich mit der Bestimmung der Leistungshöhe begrenzt die Behörde den Leistungsumfang verbindlich. Diese Leistungshöchstwertfestsetzung greift die Klägerin zu 1) mit ihrer Anfechtungsklage an und macht mit der Versagung höherer Leistungen eine Verletzung ihres Rechts auf Arbeitslosengeld II geltend. Gleiches gilt für den Kläger zu 2) der wegen der Leistungsablehnung auch dem Grunde nach die Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung verlangt. Die Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erscheint angesichts der Bedeutung der maßgeblichen Vorschriften für die Gewährung existenzsichernder Leistungen jeweils ernsthaft möglich. Für gebundene Entscheidungen über Sozialleistungen besteht ein Rechtsanspruch auf die Leistung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 38 SGB I). Dieser Rechtsanspruch muss insbesondere bei existenzsichernden Leistungen auch dann aktuell realisiert werden, wenn der Behörde – zulässigerweise – ein Ermessen bei vorläufiger Gewährung der Leistungen eingeräumt ist. Insbesondere bei der Ermessensausübung im Rahmen vorläufiger Entscheidung ist die Verwirklichung des Grundrechts sicherzustellen. Bei der Leistungsgewährung für die Zeiträume bis Ende Dezember 2010 hat die Behörde indes Leistungen endgültig bewilligt, während für Januar 2011 nur der Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung Streitgegenstand ist.

Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Es ist nicht zu erkennen, wie die Kläger wirksamer ihre Ansprüche verfolgen können sollten.

2. Die Kläger haben jeweils Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld im Zeitraum vom 1. bzw 2. November 2010 bis 28. Januar 2011 gemäß §§ 19 Abs 1 Sätze 1 und 3, 20 Abs 1 und 4 SGB, 7 Abs 1 Satz 1 und Abs 2, 22 Abs 1 SGB II. Die Voraussetzungen für den Anspruch sind sämtlich erfüllt. Die Klägerin zu 1) ist erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Kläger zu 2) ist ihr Ehegatte, der mit ihr in der gemeinsamen Wohnung in Bedarfsgemeinschaft gelebt hat und deshalb seinen Anspruch aus § 7 Abs 2 SGB II herleiten kann. Vorrangige Leistungsansprüche bestehen nicht. Weder die Regelungen des SGB XII, noch des AsylBewLG oder des WohnGG kommen in Betracht.

2.1. Die Klägerin zu 1) ist vom persönlichen Geltungsbereich der Grundsicherungsleistungen des SGB II nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB II erfasst. Sie hat im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm § 7a SGB II während der hier streitigen Zeiträume vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2012 das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht.

Die Klägerin zu 1) war im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 8 Abs 1 und 2 SGB II erwerbsfähig. Von der Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) im Sinne von § 8 Abs 1 SGB II hat sich die Kammer aufgrund der Angaben der Klägerin in der Verhandlung und des persönlichen Eindrucks überzeugt. Dafür spricht auch die von ihr im fraglichen Zeitraum tatsächlich ohne gesundheitliche Probleme ausgeübte Tätigkeit. Anhaltspunkte für eine gesundheitliches Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin zu 1), welche die Grenzen des § 8 Abs 1 SGB II überschreiten würden, sind nicht ansatzweise zu erkennen. Anlass für entsprechende Ermittlungen bestanden daher nicht.

2.2. Die Klägerin zu 1) war unstreitig hilfebedürftig im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, 9 Abs 1, 2 SGB II. Sie verfügte in den hier streitigen Zeiträumen nicht über ausreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung des bestehenden Bedarfs. Dieser betrug für die Kläger jeweils von November bis Dezember 2010 monatlich 702,90 EUR und im Januar 2011 insgesamt 715,90 EUR. Dabei betragen die gesetzlich anerkannten Regelbedarfe im Jahr 2011 monatlich 323,00 EUR und im Jahr 2012 monatlich 328,00 EUR, die Kosten der Unterkunft 379,90 EUR, der Mehrbedarf für die Erzeugung von Warmwasser für 2011 in Höhe von 8,00 EUR monatlich.

Die Unterkunftskosten der Kläger waren an sich unangemessen im Sinne von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Jedoch war eine Kostensenkungsaufforderung erst im Oktober 2010 erteilt worden, so dass jedenfalls bis Januar die Kosten der Unterkunft noch vollständig zu übernehmen waren. (Sodann sind die Kläger auch umgezogen.) Ein Abzug der Warmwasserpauschale hatte bis Ende 2010 nicht zu erfolgen, weil Warmwasser durch elektrische Durchlauferhitzer erzeugt wurde und der einheitlich gemessene Haushaltsstrom mit seinen Kosten in der Regelleistung erfasst war. Nach § 21 Abs 7 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt nach Satz 2 der Regelung für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II. Für 2011 galt ein gerundeter Pauschalbetrag von 8,00 EUR (Brehm/Schifferdecker in SGb 2011, 505, 509 f). Die Pauschalen sind anzuwenden, weil Warmwasser durch in der Wohnung des Kläger installierte Vorrichtungen (elektrische Durchlauferhitzer) erzeugt wird und eine separate Verbrauchserfassung nicht erfolgt, denn als Energieträger wird der einheitlich gemessene Haushaltsstrom genutzt.

Zur Überzeugung der Kammer verfügte die Klägerin lediglich über die Einkünfte aus ihrer geringfügigen Tätigkeit in Höhe von monatlich 200,00 EUR, die mit monatlich 80,00 EUR nach Abzug der Freibeträge nach §§ 11 Abs 2, 30 SGB II aF bzw ab Januar 2011 nach § 11b SGB II nF auf die Leistungen anzurechnen waren. Über Vermögen verfügten beide Kläger im hier relevanten Zeitraum nicht. Andere Einkünfte aus Erwerbstätigkeit oder aus Sozialleistungen standen unstreitig nicht zur Verfügung. Auf die Nebenkostenabrechnung vom 7. Oktober 2010 wurde ein Betriebskostenguthaben von 415,24 EUR im November 2010 von der Klägerin zu 1) mit der Miete verrechnet. Dieses im Oktober 2010 zugeflossene Guthaben wurde im Folgemonat durch Aufrechnung verwertet und ist im November 2010 bedarfsmindernd jeweils hälftig bei den Unterkunftskosten der Kläger zu berücksichtigen. Darüber besteht zwischen den Beteiligten zutreffend kein Streit.

2.3. Auch der räumliche Geltungsbereich der Vorschriften erfasst wegen § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II die Klägerin. Diese hat unstreitig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes. Sie ist deutsche Staatsbürgerin, weshalb die Ausschlusstatbestände nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II für sie nicht zu prüfen sind.

2.4. Die Klägerin zu 1) hat damit dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld II, denn sie ist erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne der §§ 19 Abs 1, 7 Abs 1 Satz 1 SGB II.

2.5. Auch der Kläger zu 2) erfüllte seit Antragstellung sämtliche Voraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, denn er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht. Er war nach seinen glaubhaften Angaben gesund und erwerbsfähig und erhielt noch im November 2010 die Arbeitserlaubnis, die ihm bereits ab 2. November hätte erteilt werden können (§ 8 Abs 2 SGB II). Da er über keinerlei Einkünfte oder über Vermögen verfügte, war er hilfebedürftig und er hatte seinen Wohnsitz seit Ende Oktober 2010 in der Bundesrepublik. Er hat seinen Lebensmittelpunkt erkennbar und dauerhaft in die Bundesrepublik, an die Seite seiner Ehefrau verlegt. Weil er seinen Leistungsanspruch jedoch auch aus § 7 Abs 2 SGB II herleiten kann, kommt es auf die Prüfung von Leistungsausschlusstatbeständen nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht an. Zwar war er als ägyptischer Staatsbürger nicht als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt. Dies spielt für eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 2 SGB II jedoch keine Rolle.

Nach § 7 Abs 2 SGB II Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Diese Anspruchsvoraussetzungen sind beim Kläger zu 2) erfüllt, denn er lebte mit seiner Ehefrau, die erwerbsfähige Leistungsberechtigte war, in einer Bedarfsgemeinschaft, seit er mit ihr in der gemeinsamen Wohnung lebte. Dies ergibt sich aus § 7 Abs 3 Nr 3a) SGB II. Die mit der Klägerin zu 1) geschlossene Ehe entspricht im Sinne von § 34 Abs 1 SGB I dem bundesdeutschen Eherecht, denn die Ehe wurde zwischen den Ehegatten als jeweils alleinige und ausschließliche Ehe mit gegenseitigen Einstands- und Verantwortungspflichten und dem dafür erforderlichen Willen frei geschlossen. Dies entnimmt die Kammer der durch die Botschaft der Bundesrepublik Kairo beglaubigten Übersetzung der Eheschließungsurkunde (Bl 1543 ff der VwAkte).

Die Anspruchsgrundlage nach § 7 Abs 2 SGB II tritt für Geldleistungen gleichberechtigt neben diejenige nach Absatz 1. Für Berechtigte nach Absatz 2 gelten nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach Absatz 1, weder hinsichtlich des Alters, noch hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit, noch hinsichtlich der Einschränkungen nach Satz 2. Die Hilfebedürftigkeit wird ggf über § 9 Abs 2 Satz 3 fingiert und der Aufenthalt folgt zwingend aus dem Leben in der Bedarfsgemeinschaft. Ein echtes Subsidiaritätsverhältnis des Anspruches nach Absatz 2 Satz 1 gegenüber Absatz 1 lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Allerdings ist leistungsrechtlich eine Subsidiarität insoweit zu erkennen, als Sach- und Dienstleistungen nur unter den Voraussetzungen des Satzes 2 erbracht werden dürfen. Für Geldleistungen besteht damit gerade kein leistungsrechtlicher Nachrang. Kein Nachrang, aber eine Abhängigkeit besteht, soweit der Anspruch davon abhängig ist, dass ein nach Absatz 1 Berechtigter in Bedarfsgemeinschaft mit dem Anspruchsinhaber lebt und diesem nur in den Grenzen seiner Berechtigung Ansprüche vermittelt. Insofern wird – jedenfalls sprachlich – ein gesetzgeberischer Wille nicht erkennbar, diese Grenzen zusätzlich auch in der Person des nach Absatz 2 Berechtigten wirksam zu machen.

Der Wortlaut der Regelung des § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II, der eine Anspruchsberechtigung "auch" bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen bestimmt, knüpft damit sprachlich an die vorherige Regelung des Absatzes 1 an und lässt ein Verständnis nur in dem Sinne zu, dass die Berechtigung selbst und gerade dann besteht, wenn die Anspruchsvoraussetzungen des Absatzes 1 nicht vorliegen. Zugleich schließt die sprachliche Wendung "auch" nicht aus, dass die Berechtigung nach dieser Vorschrift ebenfalls dann besteht, wenn zumindest einige (oder alle) Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind. Zudem sieht insbesondere der Wortlaut von § 7 Abs 2 SGB II eine Anwendung der Einschränkungen oder der weiteren Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht vor. Das ist hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des Alters und der Erwerbsfähigkeit auch weitgehend unbestritten. Allerdings ist es unzutreffend, dass § 7 Abs 2 SGB II einen Anwendungsbereich nur für erwerbsunfähige Personen habe (so aber Spellbrink in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl, § 7 RdNr 26, der sich da aber "wohl" nicht ganz sicher zu sein scheint und das hier zu entscheidende Problem auch nicht thematisiert; ebenfalls unter Zitat von Spellbrink ebd: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2012, L 29 AS 1662/12 B ER, Umdruck S 7). Es ist kein Tatbestandsmerkmal der Erwerbsunfähigkeit in § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II (im Sinne einer teleologischen Reduktion der Vorschrift) hineinzulesen, die für Erwerbsfähige stets eine Anspruchsbegründung nur nach § 7 Abs 1 SGB II erlaube würde (in einem solchen Sinne kann Spellbrink aaO nicht verstanden werden). Ganz herrschender Meinung nach sind Kinder unter 15 Jahren, die in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, leistungsberechtigt nach Absatz 2, obwohl das Ausschlusskriterium für einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 für sie nicht das Moment der Erwerbsfähigkeit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II ist, sondern das Alter nach Nr 1. Die Definition der Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 1 SGB II sieht eine Altersgrenze für die Erwerbsfähigkeit nicht vor und diese Tatbestandsvoraussetzung tritt in § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II gleichrangig neben diejenige nach Nr 1. Auch aus § 19 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB II lässt sich kein Verständnis eines Erwerbsfähigkeitsbegriffs herleiten, der das Alter einbeziehen würde, weil die Vorschrift in Satz 1 den in § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II legaldefinierten Begriff der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verwendet und Satz 2 lediglich die Leistungsberechtigten erfassen will, die nicht unter diejenigen Personen fallen, auf die die Legaldefinition zutrifft. Kinder unter 15 Jahren erhalten nach § 19 Abs 1 Satz 2 SGB II Sozialgeld nicht, weil sie nicht erwerbsfähig wären, sondern weil sie nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind – und zwar wegen ihres Alters.

Sofern die Auffassung vertreten wird, dass sich die Funktion des § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II darin erschöpfe, einen Anknüpfungspunkt zum einen für die Normierung der Bedarfsgemeinschaft und zum anderen für die Leistungen nach § 28 SGB II zu schaffen (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2012, L 29 AS 1662/12 B ER, Umdruck S 7), wird der anspruchsbegründende Charakter der Vorschrift mit ihren weitreichenden Konsequenzen sogar hinsichtlich der Zuordnung zum Leistungssystem des SGB II weg von dem des SGB XII (vgl Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, 2012, § 7 SGB II RdNr 29, Spellbrink aaO) und damit ihre herausragende Funktion bei der Gewährung von Leistungsansprüchen ignoriert.

Der bloße Hinweis, dass nicht ersichtlich sei, warum der Leistungsausschluss nach Absatz 1 Satz 2 nicht, jedoch die nach den Absätzen 4 und 5 für die Berechtigten nach Absatz 2 Satz 1 gelten sollen (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2012, L 29 AS 1662/12 B ER, Umdruck S 7), ersetzt weder die angedeutete erforderliche teleologische Auslegung noch die Auslegung unter grammatischen, systematischen und historischen Aspekten.

Der Wortlaut und Formulierungskontext von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bezieht sich auf den Leistungsanspruch nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, dem er unmittelbar folgt. Der Gesetzgeber hat auch im Übrigen genau unterschieden, für wen welche Leistungsausschlüsse gelten sollen. So bezieht sich der Ausschluss nach § 7 Abs 4a SGB II sachgerecht ausschließlich auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte (insofern korrigierte der Gesetzgeber den früheren Wortlaut), während die Ausschlüsse nach den Absätzen 4 und 5 jeweils umfassend formuliert sind. Dass der historische Gesetzgeber bei der Vorgabe der Leistungsausschlüsse nach Absatz 1 Satz 2 für Berechtigte nach Absatz 2 ungenau gewesen sein könnte, lässt sich angesichts der sonst in der Vorschrift zu findenden genauen Bestimmung des Geltungsbereiches kaum annehmen.

Gründe, die Einschränkungen des Absatzes 1 Satz 2 auch für die nach Absatz 2 Berechtigten zu aktivieren, lassen sich insbesondere auch systematisch und teleologisch nicht annehmen. Ein Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Anspruchsvoraussetzungen und Einschränkungen des Anspruches nach Absatz 1 derart, dass etwa die Einschränkungen des Satzes 2 stärkeres Gewicht als die das Satzes 1 haben könnten, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil: da es sich ausdrücklich um Einschränkungen handelt, sind diese restriktiv auszulegen, weil sie Abweichungen von der Regel vorsehen und zudem das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum betreffen.

Gerade unter teleologischen Aspekten kommt eine Reduktion des Anwendungsbereiches des § 7 Abs 2 SGB II nicht in Betracht. Dem widerspricht nicht nur der Aspekt, dass die Einschränkungen des Absatzes 1 Satz 2 nach dem Normprogramm bereits für den Leistungsberechtigten nach Absatz 1 wirksam werden, von dessen Anspruch akzessorisch die Ansprüche nach Absatz 2 abgeleitet sind, so dass insofern eine indirekte, aber zwingende Ausstrahlung der Einschränkungen des Absatzes 1 in die Anspruchsvoraussetzungen des Absatzes 2 bereits besteht. Warum angesichts dieses Umstandes und entgegen der sprachlichen Gestaltung zusätzlich beim Berechtigten nach Absatz 2 die Ausschlussgründe nach Absatz 1 Satz 2 wirken sollen, wenn sie schon beim den Anspruch vermittelnden Angehörigen nicht greifen, ist nicht erkennbar. Vielmehr kommt hier die Auslegungsregel des § 2 Abs 2 letzter Teilsatz SGB I zum Tragen, wonach bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Die Grundsicherung nach §§ 7, 19, 20 SGB II zählt gemäß § 19a Abs 1 SGB I zu diesen sozialen Rechten. Unter Beachtung dieser zentralen Vorgabe des bundesdeutschen Sozialrechts kommt eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereiches der Anspruchsgrundlage des § 7 Abs 2 SGB II gegen den Wortlaut der Regelung nicht in Betracht.

Für die Kammer kommt es damit nicht auf die Klärung der Frage an, inwieweit der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II im Falle des Zuzugs eines ausländischen Ehegatten zum Ehegatten mit bundesdeutscher Staatszugehörigkeit nicht greift (vgl dazu LSG NRW Urteil vom 12. Januar 2012, L 19 AS 282/11), denn die vom Kläger zu 2) verlangten Geldleistungen nach §§ 19 Abs 1, 20 Abs 1, 4 unterscheiden sich nicht; sein Sozialversicherungsstatus ändert sich nicht danach, ob er Leistung nach § 19 Abs 1 Satz 1 oder nach Satz 2 SGB II bezieht. Andere als Geldleistungen hat der Kläger zu 2) nicht geltend gemacht, so dass es auch im Hinblick auf die Leistungseinschränkungen nach § 7 Abs 2 Satz 2 SGB II nicht auf die Klärung der genannten Frage ankommt.

2.6. Die Höhe der Leistungsansprüche für die Kläger folgt in den einzelnen Leistungsmonaten jeweils ihrem Bedarf, wobei das Einkommen der Klägerin zu 1) wegen der Verteilungsregel des § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II monatlich für jeden der Kläger mit einem Betrag von 40 EUR anzurechnen ist und für November 2010 für jeden Kläger wegen der Nebenkostengutschrift aus Oktober 2010 ein Abschlag von 207,62 EUR vorzunehmen ist. Die Leistungshöhe für Januar ist von der Beklagten noch nicht endgültig festgesetzt, so dass die Entscheidung nur die Bestimmung der vorläufigen Werte berücksichtigte. Dabei war der Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung im Rahmen der Ermessensentscheidung für die vorläufige Bewilligung noch nicht zwingend zu berücksichtigen, weil die entsprechenden Regelungen erst rückwirkend in Kraft getreten und insofern von den Klägern ausweislich ihrer Anträge auch nicht angefochten sind. Dies wird die Beklagte bei der endgültigen Festsetzung zu berücksichtigen haben. Ohne Berücksichtigung dieses Mehrbedarfs errechnete sich die Leistung für die Kläger im Zeitraum 1. bis 28. Januar 2011 wie folgt: Regelbedarf von 328,00 EUR plus Unterkunftskosten von 379,90 EUR abzüglich 40,00 EUR Erwerbseinkommen ergibt den Monatsbetrag von 667,90 EUR. Dies verteilt auf 28 Tage im Januar mit dem Faktor 28/30 ergibt den Betrag von 623,37 EUR, was auf 623 EUR abzurunden war. Weil die Leistung für Januar 2011 noch nicht endgültig festgestellt ist, musste die Kammer die Anwendbarkeit von §§ 40 Abs 2 Nr 1 SGB II, 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse der Kammer nicht prüfen. Da die Kammer eine Fallkonstellation hinsichtlich der Regelbedarfe von Ehegatten dem BVerfG bereits vorgelegt hat (1 BvL 10/12) und die Möglichkeit der Vorläufigkeitsbestimmung nach §§ 40 Abs 2 Nr 1 SGB II, 328 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III auch nach sonst endgültiger Feststellung der Leistungsansprüche besteht (vgl Urteil der Kammer vom 15.08.2012, S 55 AS 13349/12), war die Kammer wegen einer deshalb ausscheidenden unmittelbaren verfassungsrechtlichen Beschwer aufgrund des vorliegenden Urteils nicht zu einer weiteren Anrufung des BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG verpflichtet, zumal dem prozessualen Begehr der Kläger vollumfänglich entsprochen wurde.

Sofern die Beklagte für November und Dezember 2010 Erstattungsforderungen mit den angefochtenen Bescheiden geltend gemacht hatte, sind die Erstattungsforderungen angesichts der erforderlichen Nachzahlungen zu korrigieren bzw kommen nicht mehr zum Tragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung durch die Kläger.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (§§ 161 Abs 2 Satz 1, 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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