L 7 AS 312/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 26 AS 511/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 312/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Bestimmtheitserfordernis gemäß § 33 SGB X verlangt bei einer teilweisen Aufhebung im SGB II, dass zum einen der Zeitraum, für den die Aufhebung erfolgt, benannt wird. Zum anderen ist mitzuteilen, in welchem Umfang die Bewilligung im benannten Zeitraum aufgehoben wird
2. Die Benennung der aufgehobenen Verwaltungsakte ist nicht erforderlich, wenn ohne diese Bezeichnung die genaue Abgrenzung des Lebenssachverhaltes, der in der Aufhebungsentscheidung geregelt werden soll, noch möglich ist.
3. Das Bestimmtheitserfordernis erfordert es jedenfalls in Fällen, in denen § 40 Abs. 4 SGB II nicht zur Anwendung gelangt, nicht, dass im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zwischen Kosten der Unterkunft und weiteren Bedarfen differenziert wird.
4. Von einer Anhörung kann nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 04. Mai 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung gewährter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Zeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009.

Die 1979 geborene Klägerin ist alleinerziehende Mutter zweier in den Jahren 2000 bzw. 2004 geborenen Töchter. Sie steht mit ihren Kindern seit März 2007 im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Auf einen Fortzahlungsantrag vom 3. September 2008 hin gewährte der Beklagte durch Bescheid vom 5. September 2008 Leistungen vom 3. September 2008 bis 28. Februar 2009 in Höhe von 915,17 EUR monatlich. Am 7. November 2008 wurde dem Beklagten ein Arbeitsvertrag vorgelegt, wonach die Klägerin ab 1. Dezember 2008 als Büro-/Reinigungshilfe für monatlich brutto 870 EUR beschäftigt sein sollte.

Mit Schreiben vom 11. November 2008 teilte der Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass ab 1. Dezember 2008 zunächst ein fiktives Nettoeinkommen angerechnet und anschließend nach monatlicher Vorlage der Gehaltsabrechnungen der Anspruch überprüft und gegebenenfalls eine Nachzahlung vorgenommen werde. Aus einem beiliegenden Berechnungsbogen ergibt sich, dass der Beklagte in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis 28. Februar 2009 ein Nettoeinkommen von 600 EUR monatlich abzüglich der Freibeträge angerechnet hatte. Die Klägerin erhielt nunmehr gemeinsam mit ihren Kindern einen monatlichen Betrag in Höhe von 522,75 EUR. Der Beklagte forderte die Klägerin unter Hinweis auf die Vorschriften der §§ 60 ff. SGB I auf, bis zum 15. Januar 2009 Gehaltsabrechnungen vorzulegen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach.

Sie stellte am 4. März 2009 einen Fortzahlungsantrag und gab an, dass sie die Beschäftigungsaufnahme schon angezeigt habe und schon eine Berechnung erfolgt sei; Gehaltsabrechnungen legte sie nicht vor. Sie gab auch nicht an, dass ihr Nettogehalt, welches ihr zugeflossen war, tatsächlich höher war als 600 EUR. Mit weiterem Bewilligungsbescheid vom 4. März 2009 in der Gestalt des Änderungsbewilligungsbescheides vom 29. April 2009 (wegen höherer Kindergartengebühren ab Mai 2009) bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihren Kindern sodann im Zeitraum 1. März 2009 bis 31. August 2009 ebenfalls Leistungen unter Anrechnung eines Nettoeinkommens der Klägerin in Höhe von 600 EUR abzüglich der Freibeträge.

Am 6. Mai 2009 teilte der Arbeitgeber der Klägerin dem Beklagten mit, dass eine Kündigung zum 31. Mai 2009 erfolgt sei. Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 forderte der Beklagte daraufhin von der Klägerin Gehaltsabrechnungen für die Monate April und Mai 2009 an. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 22. Juni 2009 mit, dass sie von Dezember 2008 bis einschließlich Mai 2009 immer das gleiche Gehalt gehabt habe. Sie legte zudem am 7. Juli 2009 einen Kontoauszug vor, aus welchen sich in den Monaten März bis Mai 2009 jeweils ein Gehaltseingang am Ende des laufenden Monats in Höhe von 691,43 EUR ergab. Am 15. Juli 2009 übersandte der Arbeitgeber dem Beklagten auf dessen Anforderung hin die Lohnabrechnungen der Klägerin, aus welchen sich ein Nettoverdienst von 691,43 EUR monatlich im Zeitraum Januar bis Mai 2009 ergab und für Dezember 2008 ein Nettoeinkommen von 692,29 EUR.

Mit Bescheid vom 11. August 2009 hob der Beklagte daraufhin die Bewilligungsbescheide vom 5. September 2008, 4. März 2009 und 29. April 2009 gegenüber der Klägerin teilweise für den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009 auf und forderte von der Klägerin die Erstattung eines Betrages in Höhe von insgesamt 548,58 EUR. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass die Klägerin nicht monatlich 600 EUR (netto), sondern 691,43 EUR (netto) verdient habe und deshalb eine Überzahlung eingetreten sei. Die Aufhebung erfolge nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X. Der Beklagte fügte eine Aufstellung für den gesamten Zeitraum bzgl. der Berechung der Überzahlung bei.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 25. August 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie an, dass die Höhe der Forderung nicht nachvollziehbar und auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Rückforderung nicht dargelegt seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010 half der Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als mit dem Bescheid ein höherer Betrag als 421,74 EUR zurückgefordert wurde. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er an, dass die auf die Töchter B. und C. entfallenden Anteile in getrennt zu erlassenden Bescheiden zurückzufordern seien und der Widerspruch diesbezüglich begründet sei. Im Übrigen sei die Rückforderung jedoch berechtigt, da das tatsächlich erzielte Nettoarbeitseinkommen höher gelegen habe, als dies bei der Hilfeberechnung berücksichtigt worden sei. Der Widerspruchsbescheid benennt erneut die Bewilligungsbescheide, die aufgehoben wurden, und enthält eine tabellarische Darstellung der Berechnung.

Die Klägerin erhob hiergegen am 22. März 2010 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hob nach mündlicher Verhandlung am 4. Mai 2011 den Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides durch Urteil vom 4. Mai 2011 auf. Zur Begründung führte es aus, dass der Bescheid rechtswidrig sei, da er nicht bestimmt sei; er sei darüber hinaus auch nichtig. Zwar sei dem Bescheid eine Übersicht beigefügt gewesen, aus welcher sich der monatliche Gesamtbetrag der Rückforderung (nämlich 91,43 EUR) ergebe. Jedoch habe der Beklagte nicht dargestellt, welche Art von Leistungen er zurückfordert bzw. aufhebt (Regelleistung und/oder Kosten der Unterkunft und Heizung). Zudem verstoße der Bescheid gegen das lndividualisierungsgebot bei der Aufhebung und Erstattung von gewährten Leistungen nach dem SGB II. Nach Auffassung des Gerichts könne dem Bestimmtheitserfordernis nicht mehr genügt werden, wenn erst in dem zu erlassenden Widerspruchsbescheid eine individualisierte Aufhebung und Erstattung mit genauer Bezeichnung der monatlichen Rückforderungsbeträge für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfolge und damit § 33 Abs. 1 SGB X entsprochen werde. Das Gericht gehe vielmehr davon aus, dass ein inhaltlich unbestimmter Verwaltungsakt wie im vorliegenden Fall nicht nur rechtswidrig, sondern bereits nichtig sei, da er offensichtlich keinen vollstreckbaren Inhalt besitze. Ein solcher nichtiger Verwaltungsakt könne nach Ansicht der Kammer nicht mehr nachträglich durch einen Widerspruchsbescheid einen hinreichend bestimmten Inhalt erhalten.

Das SG Frankfurt am Main hat in seinem Urteil die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat gegen das am 16. Mai 2011 zugestellte Urteil am 16. Juni 2011 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Bescheid vom 11. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010 weder nichtig noch rechtwidrig sei, da er bestimmt sei.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 4. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Bescheid vollständig unbestimmt sei.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 2. März 2012 und 9. Mai 2012 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig und begründet.

Das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 4. Mai 2011 war aufzuheben, da der Bescheid des Beklagten vom 11. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen kommt nur § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III) i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) in Betracht. Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X); dies ist im SGB II nach § 13 SGB II iVm § 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) i. d. F. vom 17.12.2007 (BGBl I 2942) der Beginn des Monats, in dem das Einkommen zufließt.

Es handelte sich bei den Bewilligungsbescheiden vom 5. September 2008 und vom 4. März 2009 in der Gestalt des Änderungsbewilligungsbescheides vom 29. April 2009 um Dauerverwaltungsakte, da sie laufenden Leistungen nach dem SGB II für jeweils einen Bewilligungsabschnitt mit einer Dauer von sechs Monaten zusprachen.

Es ist nach Erlass dieser Bescheide jeweils eine Änderung eingetreten in den Verhältnissen, die bei Erlass der Bescheide maßgeblich waren. Die Klägerin erhielt nämlich jeweils am Monatsende eine Gehaltszahlung und zwar beginnend ab Dezember 2008 und somit nach Erlass der benannten Bewilligungsbescheide vom 5. September 2009 und 4. März 2009 in Gestalt des Bescheides vom 29. April 2009. Maßgeblich für die Feststellung, ob nach Erlass der streitgegenständlichen Bewilligungsbescheide eine Änderung eingetreten ist, so dass der Anwendungsbereich des § 48 SGB X eröffnet ist, ist der Zufluss des Arbeitsentgeltes, denn nur dieser kann zu einer Rechtswidrigkeit der gewährten Leistungen führen. Maßgeblich ist dagegen nicht der Abschluss des Arbeitsvertrages, denn dieser lässt die Bewilligung der SGB II-Leistungen nicht teilweise rechtswidrig werden. Da es sich bei einem Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht um einen für einen bestimmten Zeitraum sicher feststehenden Zufluss handelt, liegt auch bezogen auf den jeweiligen Bewilligungsbescheid durch die monatlichen Zahlungen eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen. Die Zahlung von Arbeitsentgelt setzt nämlich als Gegenleistung die Erbringung einer Arbeitsleistung voraus, so dass monatlich aufgrund von Erkrankung, Erkrankung eines Kindes, unbezahlten Urlaubs, Kurzarbeit etc. Änderungen möglich sind. Letztlich sind auch Zahlungsausfälle seitens des Arbeitgebers trotz des bestehenden Anspruchs denkbar. Maßgeblich bleibt daher stets der Zeitpunkt des Zuflusses, nicht dagegen die Vereinbarung eines entsprechenden Anspruchs in einem Vertrag. Es ist somit der Anwendungsbereich des § 48 SGB X eröffnet.

Dem steht nicht entgegen, dass durch Schreiben vom 11. August 2008 eine Anpassung der Leistungen erfolgt war. Es handelte sich hierbei nicht um eine teilweise Aufhebung nach § 48 SGB X für die Zukunft, sondern um eine teilweise vorläufige Zahlungseinstellung zur Vermeidung einer Überzahlung nach § 331 SGB III.

Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne ist mit den Zuflüssen eingetreten. Die Klägerin war in den genannten Bewilligungsabschnitten durch die Zahlungen teilweise weniger hilfebedürftig als in den Bewilligungsbescheiden errechnet.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtige Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (BSG, SozR 4-4200 § 11 Nr. 17; BSG, SozR 4-4200 § 11 Nr. 15). Es handelt sich daher bei den jeweiligen Zahlungen nicht um Vermögen.

Das anzurechnende Einkommen ist nach § 11 Abs. 2 SGB II zu bereinigen. Vom Einkommen sind u. a. abzusetzen
1. auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a) zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b) zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4. geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6. für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach § 30. Der Beklagte hat zutreffende Absetzbeträge in Ansatz gebracht, nämlich vom Nettoeinkommen die Versicherungspauschale in Höhe von 30 EUR und den Freibetrag. Weitere Absetzbeträge werden nicht behauptet und sind nicht ersichtlich.

Minderte der Zufluss des Einkommens somit die Hilfebedürftigkeit, so sind damit zugleich die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erfüllt, der die rückwirkende Aufhebung ermöglicht. Denn die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen führte dazu, dass es zu einer Minderung des Anspruchs nach dem SGB II kam.

Der streitgegenständliche Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist auch nicht deswegen rechtswidrig, da er unbestimmt ist oder an einem Begründungsmangel leidet. Er ist auch nicht nichtig.

Zunächst ist festzustellen, dass nicht allein auf den Ausgangsbescheid, sondern auf den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abzustellen ist, denn dieser ist streitbefangen. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist nach § 95 SGG Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Im SGG werden ursprünglicher Verwaltungsakt und Widerspruchsbescheid als Einheit angesehen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 95 Rn. 2). Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn der Widerspruchsbescheid den Ausgangsbescheid so stark verändert, dass es sich um einen vollständig neuen Bescheid handelt, oder der Ausgangsbescheid nichtig war. Dies war jedoch nicht der Fall (dazu sogleich).

Sowohl der Ausgangsbescheid vom 11. August 2009 als auch der Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010 sind hinreichend bestimmt. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Entscheidend für die inhaltlich hinreichende Bestimmtheit ist, dass für einen verständigen, objektiven Erklärungsempfänger der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist (BSG, SozR 3-4100 § 242q Nr. 1). Dies bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsaktes in der Lage sein muss, dass von ihm Geforderte zu erkennen. Das Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, Az.: B 4 AS 154/11 R - juris -). Dies verlangt bei einer teilweisen Aufhebung im SGB II, dass zum einen der Zeitraum, für den die Aufhebung erfolgt, benannt wird. Zum anderen kann es erforderlich sein, dass, wenn der Zeitraum mehrere Bewilligungsabschnitte und ggf. eine Vielzahl von Bewilligungsbescheiden betrifft, diese genau bezeichnet sind (siehe auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2012, Az.: L 7 AS 4111/11 - juris -). Dies ist davon abhängig zu machen, ob ohne die Bezeichnung der aufzuhebenden Verwaltungsakte die genaue Abgrenzung des Lebenssachverhaltes, der in der Aufhabungsentscheidung geregelt wird, noch möglich ist (insoweit enger: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 15. März 2012, Az.: L 15 AS 426/10 und Urteil vom 1. November 2011, Az.: L 9 AS 831/19 - beide juris -). Zudem ist konkret mitzuteilen, in welchem Umfang die Bewilligung im benannten Zeitraum aufgehoben wird (so auch LSG Schleswig, Urteil vom 21. März 2012, Az.: L 6 AS 107/11 - juris -). Im Ergebnis muss der Empfänger des Bescheides erkennen können, was gewollt ist und was geregelt werden soll. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit bezieht sich auf den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes, nicht auf die Gründe (von Wulffen-Engelmann, SGB X, Kommentar, 7. Auflage 2010, § 33 Rn. 3). Zudem muss der maßgebende Sachverhalt sich aus dem Verwaltungsakt selbst und nicht erst in Verbindung mit dem Akteninhalt ergeben (von Wulffen-Engelmann, a.a.O., § 33 Rn. 4), damit erkennbar ist, über welchen Lebenssachverhalt eine Entscheidung getroffen wurde. Diesen Vorgaben werden der Bescheid vom 11. August 2009 und der Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010 gerecht. Dem Verfügungssatz des angefochtenen Ausgangsbescheides ist ohne weiteres zu entnehmen, welche Bewilligungsbescheide, nämlich die vom 5. September 2008 und vom 4. März 2009 nebst eines sog. Änderungsbescheides vom 29. April 2009, teilweise aufgehoben werden. Ebenso ergibt sich aus dem Bescheid der Zeitraum, für welchen eine Aufhebung erfolgt, nämlich der 1. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009. Gleiches gilt für den Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides. Letztlich ergeben sich im Hinblick auf den Erstattungsbetrag gemäß § 50 SGB X keinerlei Fragen bzgl. der Höhe. Der Betrag ist eindeutig und genau beziffert. Die Tatsache, dass die Klägerin zunächst auch auf Rückzahlung der sich aus der Rückforderung der Leistungsgewährung bzgl. ihrer Kinder ergebenden Beträge in Anspruch genommen wurde und die Aufhebung dieser Leistungen vollständig gegenüber ihr erfolgte, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit und nicht der Bestimmtheit (siehe hierzu schon Hess. LSG, Urteil vom 12. März 2007, Az.: L 9 AS 33/06; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5. Mai 2011, Az.: L 15 AS 64/09, nachfolgend BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, Az.: B 4 AS 154/11 R - juris -). Unabhängig davon, dass der Ausgangsbescheid somit teilweise rechtswidrig war, wurde die Klägerin vollkommen klar und bestimmt aufgefordert, den sich ergebenden Erstattungsbetrag zu zahlen. Außerdem enthalten beide Bescheide umfängliche Darlegungen der Berechnung, aus denen sich die Zusammensetzung des Erstattungsbetrages und die Höhe der teilweisen Aufhebung entnehmen lassen. Inwieweit demnach Unklarheiten bestehen könnten oder unterschiedliche subjektive Bewertungen möglich wären, erschließt sich dem Senat nicht. Nicht erforderlich ist entgegen der Ansicht des SG, dass in der Aufhebungsentscheidung dargelegt wird, welcher Teil der Aufhebung sich auf die Regelleistung und welcher Teil sich auf die Kosten der Unterkunft bezieht, sofern es sich um eine teilweise Aufhebung der Leistungsgewährung handelt. Ein solches Erfordernis lässt sich nämlich zum einen dem materiellen Recht nicht entnehmen und zum anderen knüpfen sich an eine solche Differenzierung keinerlei Wirkungen und daher auch keinerlei Verteidigungsmöglichkeiten für den Empfänger eines Teil-Aufhebungsbescheides. Ein solches Erfordernis käme wegen § 40 Abs. 4 SGB II (aktuelle Fassung; zuvor: Abs. 2) allenfalls bei einer vollständigen Aufhebung in Betracht. Der Lebenssachverhalt lässt sich insgesamt unzweideutig dem Bescheid und dem Widerspruchsbescheid entnehmen.

Der Verwaltungsakt ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil er an einem Begründungsmangel gemäß § 35 SGB X leidet. Nach § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Sinn der Begründungspflicht ist es den Betroffenen in die Lage zu versetzen, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen bzw. zu verteidigen. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken (von Wulffen-Engelmann, a.a.O., § 35 Rn. 5) und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (BSG, SozR 2200 § 773 Nr. 1). Beiden Bescheiden ist zum einen zu entnehmen, weshalb die benannten Bewilligungsentscheidungen teilweise aufgehoben werden und zum anderen wird die genaue Berechnung der Einkommensanrechnung und die Zusammensetzung des Erstattungsbetrages mitgeteilt. Der Bescheid vom 11.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 legt nachvollziehbar dar, weshalb und in welcher Höhe Leistungen in einzelnen Monaten zu hoch gewährt wurden.

Er ist auch nicht nichtig nach § 40 SGB X. Ein Verwaltungsakt ist nach § 40 Abs. 1 SGB X nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nach § 40 Abs. 2 SGB X nichtig,
1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5. der gegen die guten Sitten verstößt. Es liegt offensichtlich kein Tatbestand der absoluten Nichtigkeit nach § 40 Abs. 2 SGB X vor. Der Bescheid vom 11.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 leidet aber auch an keinem sonstigen Fehler, so dass eine Nichtigkeit nach § 40 Abs. 1 SGB X ebenfalls ausscheidet.

Die angefochtenen Bescheide sind schließlich auch nicht wegen mangelnder Anhörung gemäß § 24 SGB X rechtswidrig. Dies ergibt sich zum einen aus § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, wonach der Beklagte von einer Anhörung absehen konnte, weil er die Angaben der Klägerin über das erzielte Einkommen zu Grunde gelegt und insoweit nicht zu Ungunsten der Klägerin von diesen Angaben abgewichen ist. Zudem war die Pflicht zur Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X entbehrlich. Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Es handelt sich zum einen bei den hier streitgegenständlichen Leistungen nach dem SGB II um einkommensabhängige Leistungen und zum anderen gilt § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X auch für rückwirkende Anpassungen wie vorliegend (BSG, SozR 4-4300 § 128 Nr. 1).

Wenn damit die teilweise Aufhebung der Bewilligungsbescheide rechtmäßig war, so ist die entstandene Überzahlung nach § 50 SGB X zu erstatten. Anhaltspunkte dafür, dass die Erstattungsforderung fehlerhaft berechnet wurde, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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