L 5 AS 436/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 21 AS 629/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 436/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 8. März bis 28. September 2005.

Die am.1947 geborene Klägerin zu 1. und der am 1943 geborene Kläger zu 2. sind miteinander verheiratet. Sie bewohnen ein in ihrem Eigentum stehendes Eigenheim.

Die Klägerin zu 1. bezog bis zum 12. Januar 2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) i.H.v. 21,19 EUR/Tag. Der Kläger zu 2. war bis 4. Februar 2005 versicherungspflichtig beschäftigt. Er war seit 23. Dezember 2004 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt zuletzt am 7. März 2005 einen Bruttolohn von 1.029,01 EUR (netto 814,99 EUR). Am 11. März 2005 erhielt er Krankengeld i.H.v. 445,06 EUR für den Zeitraum vom 23. Februar bis 8. März 2005. Ab dem 9. März 2005 bezog er Arbeitslosengeld i.H.v. 902,10 EUR/Monat. Für eine Kfz-Haftpflichtversicherung waren 9,67 EUR/Monat aufzuwenden.

In dem ersten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II hatten die Kläger keine Leistungen für besondere Mehrbedarfe geltend gemacht. Der Antrag war mit Bescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2005 bestandskräftig abgelehnt worden.

Am 8. März 2005 beantragten die Kläger erneut die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Zu Leistungen für besondere Mehrbedarfe machten sie wiederum keine Angaben. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. April 2005 erneut eine Leistungsbewilligung mangels Hilfebedürftigkeit ab. Der Gesamtbedarf für März 2005 betrage 613,49 EUR. Das Gesamteinkommen des Klägers zu 2. i.H.v. insgesamt 1.193,65 EUR (um die Freibeträge bereinigtes Netto-Erwerbseinkommen (470,25 EUR), Arbeitslosengeld (691,61 EUR) und Krankengeld (31,79 EUR)) übersteige den Gesamtbedarf.

In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machten die Kläger geltend, der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2009 als unbegründet zurück. Der Gesamtbedarf für April 2005 betrage 818,86 EUR (Regelleistungen 2 x 298 EUR und KdU 222,86 EUR (je 1/12 der jährlichen Betriebskosten von 777,20 EUR sowie Erhaltungsaufwand 481,18 EUR)). Als Einkommen sei das um die Versicherungspauschale und die Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie bereinigte Arbeitslosengeld des Klägers zu 2. i.H.v. 861,71 EUR zu berücksichtigen. Dieses übersteige den Bedarf um 42,85 EUR.

Ihrem weiteren Antrag vom 29. September 2005 fügten die Kläger ärztliche Bescheinigungen zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung der Dr. P vom 26. September 2005 bei. Danach lagen bei der Klägerin zu 1. ab 1. Januar 2005 eine Hyperlipidämie und Hypertonie sowie bei dem Kläger zu 2. eine Hyperlipidämie bei Adipositas, eine Hyperurikämie/Gicht und eine Hypertonie bei Adipositas vor. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 3. November 2005 Leistungen vom 29. September 2005 bis 31. März 2006 und berücksichtigte einen monatlichen Mehrbedarf i.H.v. 35,79 EUR und 30,68 EUR für kostenaufwändige Ernährung sowie einen befristeten Zuschlag i.H.v. 320 EUR/Monat.

Gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 8. März 2005 haben die Kläger am 19. Oktober 2005 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Sie haben die Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen gerügt. Wie in dem Folgebescheid vom 3. November 2005 seien Mehrbedarfe für kostenaufwändige Ernährung sowie ein befristeter Zuschlag anzuerkennen. Außerdem seien sie vom Beklagten falsch beraten worden. Die Klägerin zu 1. habe die Sachbearbeiterin gefragt, ob sie wegen der Krankheiten etwas einreichen könnten, da sie Medikamente nähmen. Die Gegenfrage, ob sie Zucker hätte, habe sie verneint, so dass ihr kein Antrag auf Mehrbedarfe ausgehändigt worden sei. Auf Aufforderung des Sozialgerichts haben die Kläger einen "Ernährungsplan" vorgelegt und angegeben, sie benötigten Lebensmittel mit einem niedrigen Fettgehalt und einem hohen Ballaststoffanteil.

Der Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, bei Antragstellung am 8. März 2005 hätten keine Bescheinigungen vorgelegen und es seien keine Angaben zu Mehrbedarfen gemacht worden. Eine Berücksichtigung vor dem 29. September 2005 habe mangels nachgewiesener Anspruchsvoraussetzungen nicht erfolgen können. Auch sei im Widerspruch kein Mehrbedarf erwähnt worden. Die von den Klägern aufgelisteten Lebensmittel gehörten zur mit der Regelleistung abgedeckten "Vollkost".

Das Sozialgericht hat von der Nachfolgerin der Dr. P ..., Frau Dr. W ..., eine Auskunft vom 9. Februar 2009 eingeholt. Danach seien in den Krankenakten der Kläger nur die bekannten Bescheinigungen vom 26. September 2005 vorhanden, solche vor dem genannten Datum lägen nicht vor.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Oktober 2010 abgewiesen. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Beim Gesamtbedarf seien schon zu hohe KdU zugrunde gelegt worden, da ein Erhaltungsaufwand davon nicht erfasst sei. Dies könne aber dahinstehen, da auch insoweit keine Hilfebedürftigkeit vorliege. Es bestehe kein Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II. Angesichts der "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" vom 1. Oktober 2008 (im Folgenden: Empfehlungen 2008) sei bei den vorliegenden Erkrankungen in der Regel kein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsbedarf anzunehmen. Der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2003 bemessene Regelsatz decke den notwendigen Aufwand für Vollkost voll ab. Besonderheiten, die einen abweichenden Bedarf möglich erscheinen ließen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Es bestünden auch keine Bedenken, die Empfehlungen 2008 auf das Jahr 2005 anzuwenden. Sie beruhten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bereits vorher Gültigkeit gehabt hätten. Ob ein Verschulden vorliege und den Klägern ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur Seite stehe, könne daher offen bleiben. Das anzurechnende Arbeitslosengeld übersteige den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft. Somit bestehe auch kein Anspruch auf den befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II.

Gegen das ihnen am 21. Oktober 2010 zugestellte Urteil haben die Kläger am 11. November 2010 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie hätten Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wie im Bescheid vom 3. November 2005. Mit den Mehrbedarfszuschlägen von 35,79 EUR und 30,68 EUR sowie den vom Beklagten zugrunde gelegten KdU i.H.v. 222,86 EUR ergebe sich ein Gesamtbedarf von 885,33 EUR/Monat. Dieser übersteige das anrechenbare Einkommen und begründe einen Anspruch auf befristeten Zuschlag. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen bestätigten das Vorliegen der Krankheiten bereits ab 1. Januar 2005. Im Jahr 2005 hätten die Empfehlungen 2008 noch nicht vorgelegen. Nach den bis dahin anwendbaren Empfehlungen wäre ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung anzuerkennen gewesen. Der Beklagte habe in diesen Fällen stets einen Mehrbedarf anerkannt und sich insoweit gebunden. Diese Selbstbindung könne nicht rückwirkend entfallen. Sie hätten allein aufgrund der unsachgemäßen Arbeitsweise des Beklagten keine ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Daher liege eine besondere Härte vor, die es rechtfertige, auch für den streitigen Zeitraum Leistungen zu gewähren. Bedenken bestünden auch im Hinblick auf den Regelsatz. Denn die Empfehlungen 2008 basierten auf den Regelsätzen aus dem Jahr 2007, die höher seien als die für das Jahr 2005. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe festgestellt, dass die damaligen Regelsätzen nicht verfassungsgemäß gewesen seien. Es könne daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine Vollkost aus der Regelleistung habe finanziert werden können. Darüber hinaus sei das anzurechnende Einkommen um die gezahlten Gewerkschaftsbeiträge des Klägers zu 2. für die Industriegewerkschaft B -A -U. in Höhe von 8,20 EUR/Monat zu bereinigen.

In der mündlichen Verhandlung des Senats haben die Kläger ihr Begehren auf die Regelleistungen einschließlich der Mehrbedarfe für Ernährung beschränkt. Weitere KdU-Leistungen würden nicht begehrt.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Oktober 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 8. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2005 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 8. März bis 28. September 2005 Leistungen nach dem SGB II insbesondere unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfszuschlags für kostenaufwändige Ernährung, eines befristeten Zuschlags nach Bezug von Arbeitslosengeld I und unter Abzug des Gewerkschaftsbeitrags des Klägers zu 2. bei der Einkommensanrechnung zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ferner sei der Gewerkschaftsbeitrag bisher weder geltend gemacht worden, noch würde sich daraus ein Hilfebedarf ergeben.

Der Senat hat Auskünfte der Dr. W ... vom 16. April und 14. Mai 2012 eingeholt. Diese hat angegeben, die Kläger erstmals 2006 und 2008 behandelt zu haben. Bei der Klägerin zu 1. habe seinerzeit eine arterielle Hypertonie und eine Hypercholesterinämie bestanden. Bei dem Kläger zu 2. hätten seinerzeit ein Diabetes mellitus, eine Hyperurikämie, eine Hypertriglyceridämie, eine arterielle Hypertonie und eine Hypercholesterinämie vorgelegen. In den Akten seien keine direkten Aufzeichnungen über eine spezielle Krankenkost vorhanden. Sie empfehle Patienten mit einer Stoffwechselstörung wie bei den Klägern eine gesunde, fettarme Ernährung und bei Diabetikern zusätzlich das Vermeiden von Zucker. Ihre Auffassung über Ernährungsformen weiche nicht von den vorgelegten Empfehlungen 2008 ab. Im Jahr 2005 wäre nach der früheren Regelung ein Mehrbedarf gerechtfertigt gewesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Berufung der Kläger ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden.

Sie ist auch statthaft im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung. Danach ist die Berufung ohne Weiteres zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt gerichtet ist, 750,00 EUR übersteigt. Hier ist eine Bewilligung von Leistungen für einen Zeitraum von annähernd sieben Monaten im Streit. Die Kläger begehren für diese Zeit monatliche Leistungen wie im Bescheid vom 3. November 2005 (338,99 EUR/Monat für Oktober bis Dezember 2005) bewilligt.

2. Der Beklagte ist gemäß § 70 Nr. 3 SGG als Rechtsnachfolger der ARGE SGB II H beteiligtenfähig. Durch Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, Nr. 61) ist seit dem 1. Januar 2011 der Landkreis H. für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II zuständig. Diese erfolgt durch die Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H., einem Eigenbetrieb ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Diese ist im vorliegenden Gerichtsverfahren gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz SGB II an die Stelle des bisherigen Trägers getreten.

3. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Insoweit haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine wirksame Begrenzung des Streitgegenstands auf abgrenzbare Verfügungssätze des Ablehnungsbescheids, nämlich der Regelleistungen und der Mehrbedarfe sowie der Einkommensanrechnung vorgenommen. Die KdU sind nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 39/08 R (12)).

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 8. März bis 28. September 2005. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Magdeburg sowie die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

1. Die Kläger waren in dem hier streitigen Zeitraum dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem SGB II. Bei einer auf Leistungen gerichteten Klage sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsberechtigung dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen.

Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Berechtigt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erhalten sind nach § 7 Abs.1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die Kläger hatten im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet, das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht, waren erwerbsfähig und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Hinweise für fehlende Hilfebedürftigkeit wegen einzusetzenden Vermögens hat der Senat nicht.

2. Sie waren jedoch nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes, da sie ihren Hilfebedarf aus dem einzusetzenden Einkommen decken konnten.

a. Bei den Klägern bestand im streitigen Zeitraum ein Gesamtbedarf von 818,86 EUR/Monat.

a.a. Der Gesamtbedarf beinhaltete zunächst die Regelleistungen i.H.v. jeweils 298 EUR gemäß § 20 SGB II. Soweit im Klageverfahren noch die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistungen gerügt worden ist, hatte der Senat dem nicht weiter nachzugehen. Zwar hat das BVerfG die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt jedoch kein höherer Anspruch für die Hilfebedürftigen. Vielmehr galt die gesetzliche Regelung bis zum 31. Dezember 2010 fort. Dem Gesetzgeber wurde lediglich aufgegeben, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09 u.a.).

b.b. Die Kläger haben keinen Anspruch auf den geltend gemachten Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 5 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Erforderlich ist dafür ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen Kostform. Nur krankheitsbedingte Gründe sind von Bedeutung (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 100/10 R (16, 17)).

Bei den Klägern lagen im streitigen Zeitraum Hyperlipidämien (eine Erhöhung der Fettstoffe im Blut) und Hypertonien (ein Bluthochdruckleiden) vor. Bei dem Kläger zu 2. bestanden ferner eine Hyperurikämie (eine Erhöhung der Harnsäurekonzentration im Blut) sowie eine Adipositas (eine Übergewichtigkeit). Die von Dr. W. in der Auskunft vom 14. Mai 2012 mitgeteilten weiteren Erkrankungen, insbesondere der Diabetes mellitus, waren ausweislich der Bescheinigung von Dr. P vom 26. September 2005 seinerzeit noch nicht diagnostiziert worden. Nach deren Einschätzung bedurften die Kläger seinerzeit einer lipidsenkenden und purinreduzierten Kost sowie der Kläger zu 2. zusätzlich einer natriumdefinierten Reduktionskost mit dem Ziel der Reduzierung des Körpergewichts um zwei Kilogramm.

Für diese empfohlenen Kostformen ist eine kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen nicht erforderlich gewesen. Vielmehr war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats ausreichend, sich gesund und fettarm zu ernähren. Dies ergibt sich zu Überzeugung des Senats aus der Auskunft der Dr. W. vom 14. Mai 2012. Sie hat in den von der Praxisvorgängerin übernommenen Unterlagen keine Aufzeichnungen über eine spezielle Krankenkost gefunden und hält eine solche auch nicht für erforderlich.

Die Kläger selbst haben in ihrem dem Sozialgericht vorgelegten Ernährungsplan lediglich gängige Lebensmittel aufgeführt, die einen niedrigen Fettgehalt und einen hohen Ballaststoffanteil enthalten. Sie haben auch sonst nicht geltend gemacht, aus tatsächlichen Gründen auf eine teurere Ernährung angewiesen zu sein.

Auch aus den Empfehlungen 2008 lässt sich ein Mehrbedarf nicht rechtfertigen. Es handelt sich hierbei nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten. Dennoch dienen die Empfehlungen 2008 als Orientierungshilfe und können insbesondere zum Abgleich mit den Ergebnissen der durchzuführenden Einzelfallermittlung verwendet werden (BSG, Urteil vom 20. November 2011, B 4 AS 138/10 R (18, 23)). Danach ist für die bei den Klägern vorliegenden Erkrankungen regelmäßig kein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand anzunehmen (Ziffer 4 der Empfehlungen 2008). Vielmehr ist regelmäßig eine Vollkosternährung ausreichend. Diese Ernährungsempfehlung ist auch von der heute behandelnden Ärztin Dr. W. bestätigt worden. Ausdrücklich hat sie unter dem 14. Mai 2012 angegeben, ihre Einschätzung über die erforderlichen Ernährungsformen weiche nicht von den ihr auszugsweise vorgelegten Empfehlungen 2008 ab.

Zu Recht hat das Sozialgericht die unter dem 1. Oktober 2008 neu herausgegebenen Empfehlungen für den vorliegenden, das Jahr 2005 betreffenden Rechtsstreit angewendet. Es gibt keine Gründe, die dort dokumentierten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, a.a.O., (23); Urteil vom 20. November 2011, a.a.O. (23)).

Die Argumentation der Kläger, die Empfehlungen 2008 seien wegen ihrer Bezugnahme auf die aktuellen - höheren - Regelsätze nicht anwendbar, geht fehl. Der Senat legt die Empfehlungen lediglich für die Plausibilitätskontrolle der Ermittlungen hinsichtlich der medizinischen Kausalität zu Grunde.

Die Frage, ob im Jahr 2005 mit der Regelleistung von 298 EUR/Monat eine gesunde und fettarme Ernährung möglich gewesen ist, stellt sich in diesem Zusammenhang nicht. Es gibt keinen Anspruch auf eine höhere Regelleistung aufgrund eines individuellen Ernährungsmehrbedarfs. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistungen nicht vorgesehen. Es ist Sache des Hilfebedürftigen, über die Verwendung des festgelegten Regelbedarfs im Einzelnen zu bestimmen und einen ggf. höheren Ernährungsbedarf durch geringere Ausgaben in anderen Bereichen zu kompensieren (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, a.a.O., (30 f.)). Der Vortrag der Kläger, sie äßen dreimal wöchentlich Fisch, der teuer und mit der Regelleistung nicht zu finanzieren sei, ist daher nicht von Bedeutung. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Regelleistung im streitigen Zeitraum zwar niedriger war als im Jahr 2008; das gleiche gilt jedoch auch für die Lebenshaltungskosten.

Auch aus einem behaupteten "besonderen Härtefall" oder einer Selbstbindung des Beklagten lässt sich kein Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf herleiten.

Es handelt sich bei der begehrten Mehrbedarfsleistung nicht um einen Anspruch, der in das Ermessen des Beklagten gestellt ist. Ohne das Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsbewilligung kann daher auch in "Härtefällen" kein Anspruch hergeleitet werden.

Auch eine Selbstbindung des Beklagten führt nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen. Lediglich im Rahmen von Ermessensentscheidungen kann der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltungsbehörde Berücksichtigung finden. Keinesfalls kann jedoch eine gesetzliche Anspruchsvoraussetzung ersetzt oder fingiert werden (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, B 14 KG 2/09 R (11)). Das Fehlen der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung kann nicht durch eine im Jahr 2005 gängige Verwaltungspraxis ersetzt werden.

Aus dem gleichen Grund hat das Sozialgericht auch zu Recht einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Dieser setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft i.S.v. §§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I), verletzt hat. Ferner muss zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können, die dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen darf (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011, B 4 AS 99/10 R (24)). Der Senat hatte der Frage einer möglichen Falschberatung bei Antragstellung im März 2005 nicht nachzugehen, da die begehrte Bewilligung des Mehrbedarfs im Widerspruch zu § 21 Abs. 2 SGB II stünde.

c.c. Zu dem Gesamtbedarf waren die unstreitig gestellten KdU i.H.v. 222,86 EUR/Monat hinzuzurechnen.

Dieser betrug daher insgesamt 818,86 EUR in jedem Monat des streitigen Zeitraums.

3.a. Darauf waren die Einkünfte der Kläger anzurechnen. Die Klägerin zu 1. hatte im streitigen Zeitraum keine Einnahmen erzielt.

Die Einkünfte des Klägers zu 2. lagen im März 2005 bei 1.922,19 EUR (Nettolohn 814,99 EUR, Krankengeld 445,66 EUR, anteiliges Arbeitslosengeld 661,54 EUR (22 x 30,07 EUR)). Davon waren abzusetzen im März 2005 die Freibeträge i.H.v. 171,55 EUR, die Werbungskosten- und Versicherungspauschale i.H.v. 15,33 EUR und 30 EUR, die Kosten der Kfz-Haftpflichtversicherung i.H.v. 9,67 EUR/Monat sowie nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II der Gewerkschaftsbeitrag i.H.v. 8,20 EUR (BSG; Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R (27)). Es verblieb ein einzusetzendes Einkommen von 1.687,44 EUR, das den Hilfebedarf überstieg.

Die Einkünfte des Klägers zu 2. betrugen seit April 2005 monatlich 902,10 EUR Arbeitslosengeld. Davon waren die Versicherungspauschale von 30 EUR, die Kosten der Kfz-Haftpflichtversicherung i.H.v. 9,67 EUR/Monat sowie auch während des Bezugs der Lohnersatzleistung weiterhin der Gewerkschaftsbeitrag i.H.v. 8,20 EUR abzusetzen (BSG, Urteil vom 27. September 2011, a.a.O., (30)). Es verblieb ein einzusetzendes Einkommen von 854,23 EUR.

b. Dieses Einkommen überstieg jeweils den Gesamtbedarf der Kläger, weshalb keine Hilfebedürftigkeit vorlag.

5. Mangels Hilfebedürftigkeit bestand auch kein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 24 SGB II a.F. Danach erhielt, soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld Arbeitslosengeld II bezieht, in diesem Zeitraum einen monatlichen Zuschlag. Da die Kläger zu Recht kein Arbeitslosengeld II bezogen haben, scheidet der begehrte Zuschlag aus.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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