S 38 AS 5649/09

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 38 AS 5649/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Stadtratsbeschluss vom 24.11.2011 beinhaltet kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG
Bemerkung
1. Eine Rückrechnung der für einen qualifizierten Mietspiegel erhobenen Daten auf einen Wert fü den davor liegenden Zeitraum mittels des deutschlandweiten allgemeinen Lebenshaltungskostenindexes zu Bestimmung der angemessenen Miethöhe ist ausgeschlossen.
I. Der Bescheid vom 21.09.2009 in der Fassung des Bescheides vom 29.09.09 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009 in der Fassung des Bescheides vom 18.03.2010 wird dahingehend geändert, dass der Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin monatlich weitere 31,00 EUR zu zahlen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte. III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin und das beklagte Jobcenter (im Folgenden: der Beklagte) streiten über Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2009 - 30.04.2010.

Die 1966 geborene, erwerbslose Klägerin wohnte in dem streitgegenständlichen Zeitraum in D. in einer 48,60 m² großen Wohnung, für die sie 248,00 EUR Grundmiete, 40,00 EUR Betriebskostenvorschuss und 40,00 EUR Heizkostenvor-schuss, insgesamt 328,00 EUR zahlte.

Im Dezember 2009 attestierte ihr der behandelnde Arzt eine Laktoseintoleranz, beruhend auf der Untersuchung vom 27.07.2009.

Die Klägerin bezieht seit 2005 fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Auf den Fortzahlungsantrag vom 31.08.2009 bewilligte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 21.09.2009 Leistungen für die Zeit vom 01.11.2009 - 30.04.2010. Dabei bewilligte er die Kosten der Unterkunft nur in Höhe von 308,70 EUR, da nach seiner Auffas-sung damit die Angemessenheitsgrenze i.S.d. § 22 Abs. 1 S.1 SGB II erreicht war.

Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2009 zurück. Die Klage ging am 12.11.2009 beim Sozialgericht Dresden ein.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung folgendes Teilanerkenntnis abgegeben:

"Für den hier streitigen Zeitraum von November 2009 bis April 2010 wird in die Berechnung der Leistungsansprüche nach dem SGB II ein Bedarf an monatlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 320,53 EUR eingestellt."

Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen und darüber hinaus an dem Rechtsstreit festgehalten.

Die Klägerin meint, die aufgrund ihrer Erkrankung vorgegebene Ernährung sei mit einem Kostenaufwand verbunden, der mit der Regelleistung nicht zu decken sei. Darüber hinaus ist sie der Auffassung, der Beklagte sei verpflichtet, die Kosten der Unterkunft in voller Höhe zu übernehmen.

Die Klägerin beantragt:

Der Bescheid des Beklagten vom 21.09.2009 in der Fassung des Bescheides vom 29.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009 in der Fassung des Leistungsbescheides vom 18.03.2010 wird dahingehend geändert, dass der Klägerin Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe bewilligt werden, insbesondere ein änderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe von monatlich 30,00 EUR und die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe.

Der Beklagte beantragt:

Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass bei der Klägerin kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zu bewilligen sei. Auch bei der Laktoseintoleranz sei davon auszugehen, dass der in der Regelleistung enthaltener Anteil für Ernährung den insoweit notwendigen Aufwand decke. Die Klägerin sei erneut – und zwar durch den amtsärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit – zu untersuchen, um festzustellen, ob bei ihr eine Laktoseintoleranz vorliege. Der Beklagte meint, die Kosten der Unterkunft seien nur in Höhe des Anerkenntnisses zu übernehmen, da die Wohnungskosten der Klägerin die Angemessenheitsgrenze überschreiten.

Das Gericht hat Befundberichte der Frau Dr. med. L. L. und des Dipl.-med. M. H. und des Arztes Herrn R. eingeholt. Hierzu wird auf Bl. 60 ff. und 78 ff. der Gerichtsakte und Bl. 81f. der GA S 38 AS 4987/09 verwiesen.

Das Gericht hat außerdem Beweis erhoben Einholung eines Sachverständigengutachtens. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf Bl. 102 ff. der GA S 38 AS 4987/09 verwiesen.

Das Gericht hat die Leistungsakte mit dem Az. 07402 BG 0008717 und die Gerichtsakte S 38 AS 4987/09 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Der Kammer lagen außerdem die gerichtlichen Verfahrensakten, der Mietspiegel 2008 und der dazugehörige Methodenbericht, die Kommunale Bürgerumfrage 2007, Dresdner Mietspiegel 2010, der dazugehörige Methodenberichte, die kommunale Bürgerumfrage 2010 sowie das Gutachten des I. W. und U. (IWU) und dessen ergänzende Stellungnahmen vom 16.02.2012 und 09.05.2012 sowie eine Tabelle zur Auswertung des Mietspiegels 2008 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und der Entscheidungsfindung gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Akte, die Gerichtsakte, die gewechselten Schriftsätze insgesamt und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2012 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 21.09.2009 in der Fassung des Bescheides vom 29.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009 in der Fassung des Bescheides vom 18.03.2010, mit dem der Beklagte der Klägerin Leistungen für die Zeit vom 01.11.2009 - 30.04.2010 bewilligt hat.

2. Der Bescheid ist rechtswidrig, die Klägerin hierdurch in ihren Rechten verletzt, § 54 SGG.

2.1. Die erwerbsfähige Klägerin hatte das 67. Lebensjahr noch nicht vollendet, hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und verfügte nicht über verwertbares Vermögen.

2.2. Sie war außerdem hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB II. Die Regelleistung betrug in der Zeit vom 01.11.2009 – 30.04.2010 monatlich 359,00 EUR, § 20 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 S.1 des SGB II für die Zeit ab 01.07.2009.

2.3. Ein ernährungsbedingter Mehrbedarf bestand für die Klägerin – die in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, diesen nur noch im Zusammenhang mit der Laktoseintoleranz und nicht wegen Urolthiasis und Hyperurikämie geltend zu machen - in Höhe von 30,00 EUR monatlich. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 22.11.2011, Az. B 4 AS 138/10 R m.w.N.) ist die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Eines gesonderten Antrags auf diese Leistungen bedarf es damit nicht. Da der Bewilligungsbescheid nicht bestandskräftig wurde, hat die Kammer den Mehrbedarf zu berücksichtigen, obwohl er erst zu einem späteren Zeitpunkt angezeigt wurde.

Die Kammer ist insbesondere aufgrund der ärztlichen Stellungnahme des Arztes Herrn R. (Bl. 81f. GA S 38 AS 4987/09) zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin an einer Laktoseintoleranz leidet. Die Untersuchung erfolgte durch eine pneumologische Schwerpunktpraxis u.a. für Allergologie. Der Nachweis der Erkrankung wurde mittels eines Laktoseintoleranz-Tests geführt, nachdem der sog. Prick-Test den Nachweis einer Sensibilisierung gegen Nahrungsmittel nicht erbracht hatte.

Dem nicht näher begründeten Antrag des Beklagten auf neuerliche Begutachtung der Klägerin war nicht nachzugehen. Der untersuchende Arzt hat bereits festgestellt, dass die Klägerin einer laktosefreien Ernährung bedarf. Nach den Ausführungen der Gutachterin R. (S. 3 des Gutachtens) gibt es kein zuverlässiges Testverfahren, um den Grad der Unverträglichkeit nachzuweisen.

Die Kammer ist aufgrund des zu dieser Frage eingeholten Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme der Dipl. oec. troph. R. zu der Überzeugung gelangt, dass der Mehrbedarf der Klägerin in Höhe von 1,00 EUR/Tag zu bemessen ist.

Die Sachverständige hat verständlich und nachvollziehbar dargelegt, dass die laktosearme Kost weitgehend mit herkömmlichen Lebensmitteln realisierbar ist und die Mehrkosten mit bis zu 1,00 EUR täglich zu bemessen sind. An dem Sachverstand der dem Gericht bereits aus anderen Verfahren bekannten Gutachterin hat die Kammer keinen Zweifel. Die gutachterlichen Ausführungen lassen weder Denkfehler noch sonstige Widersprüche oder Mängel erkennen. Dem Umstand, dass die Sachverständige den Betrag nicht endgültig beziffert hat, hat das Gericht dadurch Rechnung getragen, dass es den von ihr genannten Höchstbetrag in Ansatz gebracht hat. Nach § 41 Abs. 1, S. 2 SGB II wird der Monat mit 30 Tagen berechnet, woraus sich der Betrag von 30,00 EUR monatlich als Mehrbedarf ergibt.

2.4. Die Kosten der Unterkunft waren abzüglich der Warmwasserpauschale mit 321,53 EUR zu berücksichtigen, denn in dieser Höhe sind sie angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 S.1 SGB II.

Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2011, Az. B 4 AS 19/11 R m.w.N.).

Die Angemessenheit der Unterkunft ist in mehreren Schritten zu prüfen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08 R). Hierzu sind in einem ersten Schritt die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnstandard zu bestimmen.

2.4.1. Zur Wohnungsgröße hat das BSG im Urteil vom 22.09.2009 (Az. B 4 AS 70/08 R) speziell für das Bundesland Sachsen ausgeführt, dass zur Ermittlung der angemessenen Wohnungsgröße die festgesetzten Werte (Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom 27.06.2005, Sächsisches Amtsblatt vom 28.07.2005, S. 682) zugrunde zu legen sind. Die Vorschrift ist zum 31.12.2009 außer Kraft getreten, eine Regelung zur Wohnungsgröße hat nachfolgend das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz mit der VwV Wohnflächenhöchstgrenzen vom 07.06.2010 getroffen. Diese Vorschrift ist vorliegend jedoch nicht anwendbar, weil sie erst nach Ablauf des hier streitigen Lei-stungszeitraums erging. Nach Auffassung der Kammer ist deshalb in Ermangelung anderweitiger Vorschriften weiterhin die VwV- Ersatz-wohnraumförderung zur Anwendung zu bringen.

Danach darf eine 1-Zimmerwohnung bewohnt von 1 Person 50 m² groß sein, eine 2-Zimmer-Wohnung bis zu 60 m². Nach Auffassung des Gerichts kann es jedoch bei der Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße nicht darauf ankommen, ob die Wohnung 1 oder 2 Zimmer hat. Vielmehr muss ausschlaggebend sein, wie viele Personen in der Wohnung leben. Wenn für einen 1-Personen-Haushalt auch 50 m² ausreichend sein können, muss dieser Wert für 1-Personen-Haushalte grundsätzlich zu Grunde gelegt werden, da es im Rahmen der Leistungen nach dem SGB II darauf ankommt, die Existenz des Hilfebedürftigen menschenwürdig zu sichern.

2.4.2. Angemessen sind "Aufwendungen für eine Wohnung" außerdem nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen "gehobenen Wohnstandard" aufweist, es sich um eine "Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt" handelt ("lediglich einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung", vgl. BSG Urteil vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08 R). Angemessen erscheinen insoweit Wohnungen mit einem Badezimmer, Sammelheizung, Fenstern und ausreichender Elektroinstallation.

2.4.3. Um prüfen zu können, welche Aufwendungen für eine "einfache" Wohnung abstrakt angemessener Größe im unteren Segment des Wohnungsmarktes zu zahlen ist, muss nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG auf einer zweiten Prüfungsstufe der maßgebliche räumliche Vergleichsmaßstab festgelegt werden, innerhalb dessen das (durchschnittliche) Mietpreisniveau solcher Wohnungen ermittelt wird. Das BSG geht dabei im Grundsatz vom Wohnort des Hilfebedürftigen als dem maßgeblichen räumlichen Vergleichsraum aus (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, Az. B 14 AS 132/10 R m.w.N.). Der Vergleichs-raum erstreckt sich hier auf das gesamte Stadtgebiet der LH D.

2.4.4. Um ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln auch innerhalb eines Vergleichsraums zu gewährleisten, muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze auf Grundlage eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" erfolgen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.09.2009, Az. B 4 AS 18/09 R).

Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt (BSG a.a.O.):

&61656; Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), &61656; es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße, &61656; Angaben über den Beobachtungszeitraum, &61656; Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel), &61656; Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, &61656; Validität der Datenerhebung, &61656; Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und &61656; Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Die Stadt D. verfügte zum streitgegenständlichen Zeitpunkt nicht über ein Konzept, dass diesen Vorgaben des BSG entsprach.

Das Konzept ist schon deshalb nicht schlüssig, weil es entgegen den Anforderungen des BSG (Urteil vom 20.08.2009, Az. B 14 AS 65/08 R) nicht unterschiedliche Preise für unterschiedlich große Wohnungen festsetzt, sondern aus verschiedenen Werten ein feststehender Quadratmeterpreis gebildet wurde.

Darüber hinaus enthält der Stadtratsbeschluss vom 24.01.2008 keinerlei Ausführungen dazu, wie die in der Tabelle zu Nr. 2 aufgeführten Obergrenzen gebildet wurden. Die Stadt D. hat mit Schreiben vom 04.06.2010 dargelegt, Grundlage des Stadtratsbeschlusses sei der Mietspiegel 2006 bzw. 2008. Auch damit lässt sich ein schlüssiges Konzept nicht herleiten.

Hinsichtlich der festgesetzten Grenzen für die angemessenen kalten Betriebskosten ist das Konzept ebenfalls nicht schlüssig. Das von der Landeshauptstadt D. in den Raum gestellte Verhältnis von kalten zu warmen Betriebskosten mit 55 % zu 45 % ist nicht durch eine hinreichende Datenerhebung unterlegt.

2.4.5. Nach der Rechtsprechung des BSG hat das Gericht, in Fällen, in denen ein schlüssiges Konzept nicht vorliegt aufgrund vorhandener geeigneter Daten eine Angemessenheitsobergrenze ermitteln, soweit dies möglich ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 27/09 R und Urteil vom 20.08.2009, Az. B 14 AS 65/08 R).

2.4.5.1. Für das Jahr 2009 lässt sich mit dem vorhandenen Datenmaterial eine Angemessenheitsgrenze nicht ermitteln.

Dem Gericht lag zunächst der Mietspiegel für das Jahr 2008 und der dazugehörige Methodenbericht vor. Außerdem existiert eine kommunale Bürgerumfrage aus den Jahren 2005 und 2007.

Der Mietspiegel 2008 kann nach Ansicht des Gerichts als Grund-lage für die Bemessung der Angemessenheitsgrenze nicht heran-gezogen werden, da er keine Aussage zu den Betriebskosten enthält. Insoweit schließt sich die Kammer der von der 29. Kam-mer des SG Dresden vertretenen Auffassung an, dass mit den vorhandenen Daten eine Angemessenheitsgrenze nicht ermittelt werden kann (vgl. hierzu SG Dresden, Urteil vom 28.02.2012, Az. S 29 AS 7524/10).

Das Gericht folgt nicht der von der 40. Kammer des SG Dresden (vgl. Urteil vom 29.06.2010, Az. S 40 AS 391/09) vertretenen Auf-fassung, wonach die Angemessenheitsgrenze bei 281,00 EUR liegt. Die 40. Kammer hat die Angemessenheitsgrenze auf der Grundlage veralteter Daten und unter Einrechnung eines Sicher-heitszuschlags bemessen. Nach der Rechtsprechung des BSG obliegt es dem Gericht aber, vorhandenes Datenmaterial als Re-chengrundlage zu verwerten. Der Sicherheitszuschlag ist demge-genüber eine willkürliche Größe, die gerade nicht aufgrund vor-handener Daten ermittelt wird (im Ergebnis ebenso: SG Dresden, Urteil vom 14.05.2012, Az. S 3 AS 3497/10).

Auch mittels der vom Beklagtenvertreter im Termin vorgelegten Tabelle sah sich die Kammer mangels weitergehender Erläute-rungen nicht zu Berechnungen in der Lage. Der letztlich vom Be-klagten als angemessen anerkannte Betrag lässt sich anhand der Tabellen nicht herleiten.

Die Landeshauptstadt D. hat mit Beschluss vom 24.11.2011 den Stadtratsbeschluss vom 24. Januar 2008 mit Wirkung vom 01.12.2010 aufgehoben. Der Beklagte hat in diesem Zusammen-hang in anderen Verfahren die Auffassung vertreten, die Ange-messenheitsgrenze könne durch eine rückwirkende Ermittlung von Richtwerten erfolgen, indem die für 2011 ermittelte Angemes-senheitsgrenze durch den Lebenshaltungskostenindex zurückge-rechnet werde. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen.

Ausgangspunkt für die Ermittlung des Preisindex ist der so ge-nannte Warenkorb, der sämtliche Waren und Dienstleistungen enthält, die aktuell von den Konsumenten am häufigsten gekauft werden. Die Auswahl der konkreten Produkte für die Preisbeob-achtung wird laufend in Form von repräsentativen Stichproben ermittelt und aktuell gehalten. Insgesamt 300.000 Einzelpreise für diese Produkte werden deshalb jeden Monat von 600 Preiserhe-bern in 188 Gemeinden und durch zentrale Preiserfassungen z. B. im Internet oder in Versandkatalogen ermittelt. Anschließend werden die einzelnen Güter des Warenkorbs rund 700 Gütergruppen zugeteilt und für jede Güterart die durchschnittliche Preisentwicklung errechnet. Als Grundlage für die Einteilung in Gütergruppen dient die COICOP-Klassifizierung, wie sie auch von Eurostat oder den Vereinten Nationen verwendet werden. Die Klassifizierung fasst die Gütergruppen noch in drei Hierarchiestufen zu größeren Kategorien zusammen, um so einen Überblick über die Preisentwicklung in unterschiedlich detaillierten Teilbereichen der privaten Lebensführung zu ermöglichen.

Gegenstand des Lebenskostenindex sind also nicht allein die Mietpreise und schon gar nicht die in der Stadt Dresden verlang-ten Mieten.

Das Gericht sieht sich aufgrund des vorhandenen Datenmaterials nicht in der Lage, generell-abstrakt eine Angemessenheitsgrenze für Wohnungen mit einer Größe von 50 m² für das Jahr 2009 zu bilden.

Nach der Rechtsprechung des BSG dürfen die Tabellenwerte zu § 8 WoGG zugrunde gelegt werden, wenn es an lokalen Erkennt-nismöglichkeiten mangelt, also kein Datenmaterial vorhanden ist, bzw. mittels der vorgelegten Daten eine Angemessenheitsgrenze nicht berechnet werden kann (BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 50/09 R). Die Angemessenheitsobergrenze ist dann nach den Tabellenwerten des WoGG - rechte Spalte plus Zuschlag - zu bestimmen (BSG Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 27/09 R).

Nach der Wohngeldverordnung gilt für D. ausweislich der in § 1 Abs. 3 WoGV genannten Anlage die Mietstufe III. Nach § 12 WoGG in der damals gültigen Fassung beträgt der Höchstbetrag der Miete für Wohnraum in der Mietstufe III für 1 Personen-Haushalte 330,00 EUR.

Dieser Wert ist nach dem BSG (Urteil vom 20.08.2009 Az B 14 AS 65/08 R) auch bei Anwendung des § 12 WoGG (BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 50/09 Rdnr. 27) angemessen zu erhöhen.

In der Rechtsprechung wird hierzu überwiegend die Ansicht ver-treten, der Zuschlag sei mit 10 % zu bemessen (vgl. hierzu SG Koblenz, GB vom 20.05.2010, Az. S 16 AS 444/08; SG Braun-schweig, Urteil vom 09.09.2009, Az. S 33 AS 2716/08; SG Lüne-burg, Beschluss v. 05.08.2009, Az. S 79 AS 779/09 ER). Das BSG (Urteil vom 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R) hat ebenfalles einen Zuschlag in dieser Höhe als angemessen anerkannt. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung nach eigner Prüfung an.

Damit liegt die Angemessenheitsgrenze für die Bruttokaltmiete für einen 1-Personen-Haushalt im Jahr 2009 bei 363,00 EUR. Der von der Klägerin gezahlte Betrag liegt weit hierunter (288,00 EUR).

Abzüglich der Warmwasserpauschale von 6,47 EUR hatte der Beklagte die KdU in Höhe von 321,53 EUR zu übernehmen.

2.4.5.2. Für die Zeit vom 01.01. - 30.04.2010 ist ein Quadratmeterpreis von 6,41 EUR als angemessen zu Grunde zu legen. Die Stadt D. hat, um die angemessene Miete zu bestimmen, ein Gutachten eingeholt (IWU-Gutachten). Auf dessen Grundlage hat der Stadtrat am 24.11.2011 einen Beschluss zu den Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft in D. gefasst. Die dem Gutachten zu Grunde liegenden Daten wurden im Jahr 2010 erhoben. Danach beträgt der angemessene Quadratmeterpreis für einen Einpersonenhaushalt eine Wohnungsgröße von 45 m² 6,13 EUR.

Nach Auffassung der Kammer beruhen die in dem Gutachten er-mittelten Angemessenheitsgrenzen schon deshalb nicht auf einem schlüssigen Konzept, weil das beauftragte Institut in anderen Städten erhobene Daten bei der Berechnung berücksichtigt hat (zur Vermeidung von Wiederholungen vgl. hierzu: SG Dresden, Beschluss vom 10.05.2012, Az. S 10 AS 2528/12 ER, SG Dres-den, Urteil vom 17.07.2012, Az. S 29 AS 4546/11, SG Dresden, Urteil vom 01.06.2012, Az. S 40 AS 5436/11). Das Gericht schließt sich insoweit der von der 10., 29. und 40. Kammer vertre-tenen Auffassung ausdrücklich an.

Zur Bestimmung der angemessenen Bruttokaltmiete sind deshalb die dem qualifizierten Mietspiegel 2010 der Stadt D. zu Grunde liegenden Datensätze und die Daten aus der Kommunalen Bür-gerumfrage heranzuziehen. Diese hat das IWU in seiner Stellung-nahme vom 16.02.2012 neu aufbereitet. Die 29. Kammer hat im Urteil vom 17.07.2012 hierzu ausgeführt:

"Die in der Tabelle 1 der Stellungnahme des IWU vom 16.02.2012 ausgewiesenen gewichteten Mittelwerte weisen ohne Substandard (d.h. unter Ausschluss unzumutbarer Wohnungen) und ohne zehn unplausible Fälle zunächst mit Altverträgen und ohne Inflationierung aus, welche Mietpreise in Dresden für bestimmte Wohnungsgrößen bezahlt wurden (Spalte C), rechnet dann zunächst die "gute Lage" (Spalte D) und die in Neubauten ab 1991 befindliche Wohnungen (Spalte E) sowie bestimmte Ausstattungsmerkmale (Spalten F und G) heraus. Bei der Ermittlung der so genannten "Referenzmiete" muss, wie bereits ausgeführt, nach Wohnungsgrößen differenziert werden, da kleinere Wohnungen im Regelfall im Verhältnis teurer sind. Dabei ist es aber nicht erforderlich, dass die einbezogenen Wohnungsgrößen mit den abstrakt angemessenen Größen identisch sind; Schwankungen wie bei den Woh-nungsgrößenkategorien der Mietspiegel sind hinnehmbar (Wiemer, NZS 2012 S. 9/12). Die Kammer schließt sich insoweit der Meinung des IWU an, dass es sachgerecht ist, Flä-chenkorridore von 20 qm um den jeweiligen Richtwert für die maximal abstrakt angemessene Wohnungsgröße nach der VwV Wohnflächenhöchstgrenzen zu bilden, d.h. bei einem 1-Personen-Haushalt einen Flächenkorridor von 35 qm bis 55 qm um den maximal angemessenen Wert von 45 qm zu wählen (und nicht den Korridor von 24 bis 50 qm). Die Kammer ist nicht der Meinung, dass der Mietspiegeldatensatz um die so genannten "Bestandsmieten" zu bereinigen ist, noch dass die Preise für die Bestandsmieten zu inflationieren sind, wie es das IWU in der Tabelle 2 auf Seite 18 seines Gutachtens vorgenommen hat (a.A. Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.05.2012 – L 7 AS 24/12 B ER – zitiert nach Juris). Das BSG verlangt in mehreren Entscheidungen ausdrücklich, dass bei der Ermittlung, wie viel für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist, nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen abgestellt wird, sondern auch auf vermietete Wohnungen (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R – zitiert nach Juris Randnr. 22 und vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R – zitiert nach Juris Randnr. 24). Diese Auffassung hält die Kammer für richtig, denn nicht jeder Arbeitssuchende, der Ansprüche nach dem SGB II geltend macht, ist kürzlich umgezogen bzw. beabsichtigt umzuziehen. Nach Meinung der Kammer sind aus der Tabelle 1 der Stellungnahme des IWU vom 16.02.2012 die Werte der Spalte D, d.h. die Werte ohne die in guter Lage befindlichen Wohnungen anzuwenden, denn im Bereich der Grundsicherung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R – (Freiburg), SGb 2012 S. 361/364 Randnr. 23) von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnungsstandard auszugehen, der hinsichtlich Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt. Der ohne Einbeziehung der guten Wohnlagen berechnete Mittelwert bietet gleichwohl noch die Gewähr, dass Wohnraum zu diesem Preis über den gesamten Vergleichsraum von D. hinweg ohne die Gefahr einer Segregation (Ghettobildung) verfügbar ist (so auch SG Dresden, Urteil vom 01.06.2012 – S 40 AS 5435/11 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Kammer ist des Weiteren nicht der Meinung, dass aus den auf dem Mietspiegeldatensatz beruhenden Werten auch die in ab 1991 errichteten Neubauten befindlichen Wohnungen herauszurechnen sind. Das IWU geht in seiner ergänzenden Stellungnahme davon aus, dass Wohnungen in Neubauten ab 1991, die ca. 10% der gesamten Bausubstanz ausmachen, stark mit der gehobenen Ausstattung korrelieren. Insbesondere die Behauptung, dass die in Neubauten ab 1991 befindlichen Wohnungen einen Standard aufweisen, der über den einfachen Standard hinausgeht, sieht die Kammer als nicht durch valide Datenerhebungen belegt an. Zwar lässt sich aus dem Mietspiegel ersehen, dass ab 1991 neu gebaute Wohnungen durchweg den höheren Ausstattungsklassen zuzuordnen sind. Wie bereits zuvor die 40. Kammer ist jedoch auch die 29. Kammer der Auffassung, dass sich jedenfalls bei den Ausstattungsklassen 4 und 5 nicht feststellen lässt, dass diese für Grundsicherungsempfänger zu "luxuriös" wären und so die Herausnahme dieser gesamten Baualtersklasse aus der Er-mittlung rechtfertigen könnte (SG Dresden, Urteil vom 01.06.2012 – B 40 AS 5435/11 – zur Veröffentlichung vorge-sehen; vgl. auch BSG, Urteile vom 13.04.2011 – B 14 AS 85/09 R – (Berlin) zitiert nach Juris Randnr. 23 und - B 14 AS 32/09 R – (Berlin) zitiert nach Juris Randnr. 24 m.w.N.). Damit ist auch die darauf aufbauende Herausnahme bestimmter Ausstattungsmerkmale nicht zu berücksichtigten. Im Übrigen wäre bei einer weiteren Selektion nicht mehr gesichert, dass die Datengrundlage dann noch ausreicht, um einen angemessenen Mietpreis zu bestimmen, denn dann läge der Anteil der Wohnungen, die diesen Kriterien entsprechen, lediglich noch bei 19 bis 34 %. Zwar kann ein schlüssiges Konzept sowohl auf Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen nur einfachen Standards abstellen. Legt man der Datenerhebung jedoch nur die Wohnungen so genannten einfachen Standards zu Grunde, müsste nachvollziehbar sein, nach welchen Gesichten die Auswahl getroffen wurde und außerdem müsste in die-sem Fall als Angemessenheitsgrenze der Spannenoberwert, d.h. der obere Wert der ermittelten Mietpreisspanne zu Grun-de gelegt werden (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - zitiert nach Juris Randnr. 21). Da dies der Kam-mer nicht möglich ist, war nach Herausrechnung der "guten Lage" auf den Gesamtwohnungsbestand abzustellen und nicht nur auf Wohnungen eines einfachen Ausstattungsstandards." Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen hinsichtlich des ermittelten Quadratmeterpreises an. Die der Spalte D der Tabelle 1 der Stellungnahme des IWU vom 16.02.2012 entnommene Brut-tokaltmiete beträgt 6,41 EUR/m².

2.4.5.3. Damit ergibt sich eine Angemessenheitsgrenze für die Kaltmiete von 6,41 × 50 = 320,50 EUR. Die von der Klägerin gezahlte Kaltmiete liegt darunter (288,00 EUR).

Abzüglich der Warmwasserpauschale von 6,47 EUR waren die Kosten der Unterkunft der Klägerin in Höhe von 321,53 EUR zu übernehmen.

2.5. Die Klägerin hatte damit einen Leistungsanspruch in Höhe von (359,00 + 30,00 + 321,53 =) 710,53 EUR. Insoweit ergibt sich unter Berücksichtigung der vom Beklagten gezahlten bzw. anerkannten Beträge ein Anspruch in Höhe von monatlich weiteren 31,00 EUR.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 S. 1 SGG, 91 ZPO und folgt der Entscheidung über die Hauptsache.

4. Der Beschwerdewert von 750,00 EUR ist nicht erreicht. Die Berufung war jedoch gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Rechtsfrage, in welcher Höhe die Kosten der Unterkunft in D. zu bemessen sind, ist bislang nicht geklärt, die Klärung liegt im allgemeinen Interesse.
Rechtskraft
Aus
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