S 11 AS 942/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 942/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 03.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2011 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die bewilligten Leistungen gemäß den gesetzlichen Vorgaben auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu ¾.

Tatbestand:

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin bezog seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Die Klägerin wohnte zunächst im Zuständigkeitsbereich der (damaligen) ARGE in der Stadt B ... Von dort verzog sie in den Zuständigkeitsbereich der (damaligen) ARGE im Kreis B ... Im Rahmen des dortigen Verwaltungsverfahrens gab die Klägerin an, sie sei im August 2007 mit Herrn N. U., dem Vater des seinerzeit noch ungeborenen Kindes, in eine gemeinsame Wohnung in Stolberg gezogen. Dieser habe sich im Dezember 2007 von ihr getrennt, woraufhin sie zurück zu ihrem Vater nach B. gezogen sei.

Am 00.00.0000 wurde K.N. T. geboren. Herr U. erkannte – mit Zustimmung der Klägerin - die Vaterschaft am 03.07.2008 an. Er und die Klägerin erklärten, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen.

Ausweislich eines Verbis-Vermerks vom 01.07.2010 teilte die Klägerin der ARGE in der Stadt B. mit, sie erwäge einen Umzug nach P. oder die Umgebung, da ihr Partner, der Vater ihres Kindes, dort beruflich eingesetzt werde. Am 05.08.2010 teilte sie der seinerzeit örtlich zuständigen ARGE mit, von Stolberg in die S.-M.-Straße 29 nach H. ziehen zu wollen.

Ausweislich eines Verbis-Vermerks vom 06.09.2010 wohnte die Klägerin seit dem 01.09.2010 in H ... Der Umzug des Partners sei geplant. Am 29.10.2010 teilte die Klägerin mit, Herr U. sei zwar bei ihr gemeldet, halte sich aber tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf.

Die Wohnung in H., welche die Klägerin ab dem 01.09.2010 angemietet hatte, war ca. 59,73 qm groß. Die monatliche Grundmiete betrug 300,00 EUR die monatlichen Nebenkostenvorauszahlungen 60,00 EUR, die monatlichen Heizkostenvorauszahlungen ebenfalls 60,00 EUR.

Mit Bescheid vom 23.08.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2010 bis 28.02.2011 Leistungen in Höhe von 667,65 EUR.

Mit Schreiben vom 23.08.2010 forderte der Beklagte die Klägerin auf, eine Meldebescheinigung für den neuen Wohnort vorzulegen, Wohngeld für ihr Kind zu beantragen und den Bescheid über die Gewährung von Unterhalsvorschuss für ihr Kind vorzulegen.

Mit Schreiben vom 23.09.2010 hörte der Beklagte die Klägerin zur vorläufigen Einstellung der Zahlung an. Der Beklagte erklärte darin, nach den ihm vorliegenden Unterlagen sei die Klägerin am 01.09.2010 mit Herrn U. zusammengezogen. Auf dieses Schreiben hin erklärten Herr U. und die Klägerin, sie lebten nicht zusammen.

Mit Schreiben vom 12.10.2010 erklärte der Beklagte, er gehe weiter von davon aus, dass Herr U. und die Klägerin zusammenlebten. Er forderte die Klägerin auf Unterlagen des Herrn U. vorzulegen. Sollten dies nicht bis zum 29.10.2010 geschehen, so könnten die Leistungen vom Beklagten ganz entzogen werden.

Die Klägerin schrieb am 20.10.2010 an den Beklagten, sie könne die geforderten Angaben zu Herrn U. nicht machen, da diese ihr nicht bekannt seien.

Mit Bescheid vom 03.11.2010 entzog der Beklagte der Klägerin die Leistungen für die Zeit ab dem 01.11.2010. Zur Begründung stützte sich der Beklagte auf § 60 und § 66 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I).

Am 13.11.2010 legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.11.2010 ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2011 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Am 13.12.2010 erklärte die Klägerin gegenüber der ARGE in der Stadt B., sie habe bis zum 28.11.2010 in H. gewohnt, weil sie ursprünglich mit dem Vater ihres Kindes habe zusammenziehen wollen. Das habe allerdings nicht "geklappt". Bis zum 31.10.2010 habe sie Leistungen von dem Beklagten erhalten. Im Anschluss seien von dort die Leistungen eingestellt worden, weil sie angeblich mit Herrn U. zusammen gewohnt habe. Dies sei aber unrichtig. Sie sei nun von H. zurück nach B. gezogen. Dort lebe sie mietfrei bei ihrer Schwester. Sie beantrage nun Leistungen bei der zuständigen ARGE.

Am 03.03.2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Schwerin Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 01.10.2012 hat die 13. Kammer des Sozialgerichts T. den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht B. verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 03.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2011 für die Zeit vom 01.11.2010 bis 12.12.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 667,65 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, die Klägerin und Herrn U. hätten im streitgegenständlichen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft gebildet. So sei Herr U. polizeilich bei der Klägerin gemeldet gewesen und auch sei auf dem Briefkasten der Name des Herrn U. angebracht gewesen. Die Klägerin und Herr U. hätten sich wechselseitig als Lebensgefährten bezeichnet. Der Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Leistungen der Klägerin einzustellen, weil die Klägerin keine Angaben über das Einkommen ihres Lebensgefährten gemacht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage zulässig (vgl. Bundessozialgericht – BSG - Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 78/08 R = juris; BSG Urteil vom 19.09.2008 - B 14 AS 45/07 R = juris Rn. 12). Da es sich bei dem angefochtenen Bescheid um einen sog. "Entziehungsbescheid" handelt, also einem Bescheid, mit dem der Klägerin die durch Bescheid vom 23.08.2010 bewilligten Leistungen entzogen werden sollten, konnte die Klägerin die Anfechtungsklage auch grundsätzlich prozessual mit dem Antrag verbinden, die bewilligten Leistungen auszuzahlen (vgl. BSG Urteil vom 22.02.1995 - 4 RA 44/94 = juris Rn. 16; Kampe, in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 66 Rn. 36.)

Im vorliegenden Fall besteht freilich die Besonderheit, dass die Klägerin am 28.11.2010 aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten verzogen war, so dass der geltend gemachte Anspruch für die Zeit vom 29.11.2010 bis zum 12.12.2010 nicht im Wege des Annexantrags geltend gemacht werden konnte (dazu unter III).

II.

Die Anfechtungsklage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese rechtswidrig sind.

Entgegen der Auffassung des Beklagte kommt eine Aufhebung der Leistungsbewilligung auf Grundlage von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird.

Nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Durchgreifende Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Vorschrift im Rahmen des SGB II bestehen nicht (vgl. BSG Urteil vom 01.09.2008 - B 14 AS 45/07 R = juris Rn. 15; BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R = juris Rn. 14; BSG Beschluss vom 15.07.2010 - B 14 AS 45/10 B = juris; Bayerisches Landessozialgericht - LSG - Beschluss vom 31.08.2012 L 7 AS 601/12 B ER = juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 03.03.2010 - L 12 AS 15/08 = juris). Bei einem Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II sind leistungserheblich auch das Einkommen und Vermögen einer Person, mit der der Antragsteller in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, denn gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist zur Feststellung der Bedürftigkeit bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen oder Vermögen desjenigen zu berücksichtigen, mit dem der Leistungsberechtigte in einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft lebt.

Im vorliegenden Fall ist – was zu Lasten des Beklagten geht – schon das Vorliegen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft nicht nachgewiesen (dazu unter 1.). Aber selbst wenn man eine solche annehmen wollte, hat der Beklagte die Entziehung der Leistung der Klägerin nicht ermessensfehlerfrei auf die fehlende Mitwirkung im Hinblick auf Unterlagen und Auskünfte des Herrn U. gestützt (dazu unter 2.) 1. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung gehört zur Bedarfsgemeinschaft neben dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als Partner die Person, die mit dem Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Hierin sind Voraussetzungen normiert, die zur Annahme eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, kumulativ vorliegen müssen:

Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (BSG Urteil vom 23.08.2012 B 4 AS 34/12 R = juris Rn. 14 unter Bezugnahme u.a. auf Hänlein, in: Gagel, SGB II/SGB III, 47. Erg.-Lfg. 2012, § 7 Rn 46 ff; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 7 Rn. 44 ff; Sächsisches LSG Urteil vom 7.1.2011 - L 7 AS 115/09 = juris Rn. 31; Sächsisches LSG Beschluss vom 10.9.2009 - L 7 AS 414/09 B ER = juris Rn. 58; Bayerisches LSG Beschluss vom 9.12.2009 - L 16 AS 779/09 B ER = juris Rn. 14). Bei den Kriterien zu 1. und 2. (Partnerschaft und Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt) handelt es sich – wie das Bundessozialgericht klargestellt hat - um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des § 7 Abs 3 Nr 3 SGB II kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen. Partnerschaft und Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt sind zugleich Anknüpfungspunkte der Vermutung des § 7 Abs 3a SGB II (BSG Urteil vom 23.08.2012 B 4 AS 34/12 R = juris Rn. 14, unter Hinweis auf Wolff-Dellen, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 7 Rn. 31b). Das Bundessozialgericht verweist überdies darauf, dass die subjektive Seite, wonach die in einem Haushalt zusammenlebendenden Partner auch den gemeinsamen Willen, haben müssen, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen nach § 7 Abs 3a SGB II bei positiver Feststellung einer der dort aufgezählten vier Fälle - die ebenso wie die beiden objektiven Kriterien von Amts wegen ermittelt werden müssen (§ 20 SGB X bzw § 103 SGG) - allerdings vermutet wird (BSG Urteil vom 23.08.2012 B 4 AS 34/12 R = juris Rn. 14). Besteht eine solche Vermutung, so obliegt es dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, diese Vermutung zu widerlegen. Nach zutreffender Auffassung des Bundessozialgerichts regelt § 7 Abs 3a SGB II also (nur) die subjektive Voraussetzung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und gibt mit den dort aufgezählten, nicht abschließenden (BT-Drucks 16/1410, 19) Fallgestaltungen Indizien für eine gesetzliche Vermutung von Tatsachen vor, mit deren Hilfe auf den inneren Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, geschlossen werden kann (BSG Urteil vom 23.08.2012 B 4 AS 34/12 R = juris Rn. 14).

Im vorliegenden Fall sieht die Kammer nach diesen Vorgaben das Vorliegen einer Partnerschaft im oben genannten Sinne nicht als nachgewiesen an. Der Beklagte hat die Annahme einer Partnerschaft darauf gestützt, dass die Klägerin und Herr U. sich (a) als Lebensgefährten bezeichnet haben, (b) angegeben haben, zusammenziehen zu wollen sowie (c) der polizeilichen Meldung und der Beschriftung des Briefkastens. Die Kammer verkennt keineswegs die Indizwirkung dieser Tatsachen. Allerdings hat der Beklagte den Vortrag der Klägerin und des Herrn U. vom 30.09.2010 völlig außer Acht gelassen, wonach beide gerade nicht zusammen leben und Herr U. lediglich die postalische Adresse der Klägerin verwandt habe um erreichbar zu sein. Er habe auch grundsätzlich Interesse daran, in der Nähe seine Sohns zu leben. Derzeit schlafe er bei Bekannten und Verwandten. Eine Prüfung dieser Schilderung seitens des Beklagten ist – obwohl ohne Probleme, etwa durch einen entsprechenden Hausbesuch, möglich - nicht erfolgt. Nach Einschätzung der Kammer ist vorliegend damit noch nicht einmal das Tatbestandsmerkmal des Zusammenlebens hinreichend dargetan. Die Annahme einer Einstehens- und Bedarfsgemeinschaft ist damit nicht nachgewiesen. Schon vor diesem Hintergrund erscheint die Aufforderung an die Klägerin, Unterlagen des Herrn U. vorzulegen rechtswidrig, da sein Einkommen für die Höhe der Leistungen der Klägerin keine Rolle spielt. 2. Aber selbst wenn von einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen gewesen wäre, so wäre zu beachten, dass für den Hilfebedürftigen nur eine Verpflichtung zu solchen Angaben besteht, die ihm selbst bekannt sind und von ihm auch zu leisten sind. Bei Verweigerung der Mitwirkung des Partners kann daher von dem Hilfebedürftigen die Vorlage von Unterlagen nicht gefordert werden, wohl aber ungefähre Angaben (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1988 - 7 RAr 70/87 = juris; a.A. offenbar LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.02.2008 – L 8 AS 3380/07 = juris Rn.24 f.). Dies hat der Beklagte allerdings nicht getan, sondern unmittelbar die Leistungen entzogen. Die auf § 66 Abs. 1 SGB I gestützte Entziehung der Leistungen steht nach dem klaren Wortlaut der Norm im Ermessen des Leistungsträgers. Ihm steht insoweit ein Entschließungsermessen als auch ein Auswahlermessen zu (vgl. Kampe in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 66 Rn. 35). Dieses Ermessen hat der Beklagte jedoch aus auszuüben (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I) und seine Entscheidung entsprechend zu begründen, § 35 Abs. 1 Satz 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Die Begründung muss dabei zum einen erkennen lassen, dass überhaupt Ermessen ausgeübt worden ist, zum anderen muss es die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen erkennen lassen, die der Entscheidung zugrunde liegen (vgl. Gutzler, in BeckOK SGB I, Stand: 01.12.2012, § 39 Rn 8; vgl. auch Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 35 Rn. 6). Weder der Ausgangsbescheid vom 03.11.2010 noch der Widerspruchsbescheid vom 02.02.2011 lassen indes die ordnungsgemäße Ausübung von Ermessen erkennen. Die Entziehung der Leistung wurde allein darauf gestützt, dass die Unterlagen des mutmaßlichen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nicht vorgelegt worden. Soweit der Beklagte im Bescheid darauf hinweist, es handele sich um eine Ermessensentscheidung genügt dies - entsprechend den oben dargelegten Anforderungen an Ermessensentscheidung - nicht. Eine Heilung im Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X ist ebenfalls nicht eingetreten (vgl. dazu etwa Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 41 Rn. 11 ff.; Gutzler, in BeckOK SGB I, Stand: 01.12.2012, § 39 Rn 9). Schon aus diesem Grund wäre der Bescheid aufzuheben gewesen.

III.

Wie oben bereits dargelegt, konnte die Klägerin grundsätzlich die Anfechungsklage auch mit dem Antrag verbinden, die zuvor bewilligten Leistungen ausbezahlt zu erhalten. Nach Auffassung der Kammer kommt eine Verurteilung zur Auszahlung allerdings nur insoweit in Betracht, als ein Anspruch gegen den Beklagten auch tatsächlich in Betracht kommt. Dies ist – wegen der mangelnden örtlichen Zuständigkeit des Beklagten – für die Zeit ab dem 29.11.2010 nicht mehr der Fall. Die Klägerin hat im Verwaltungsverfahren gegenüber der ARGE in der Stadt B. angegeben, seit dem 28.11.2010 nicht mehr in H. gewohnt zu haben. Auch stellte sie die Anträge auf Fortzahlung in B. erkennbar bereits Anfang Dezember 2010. Die Kammer geht nach alledem davon aus, dass die Klägerin ab dem 29.11.2010 ihren Wohnsitz nicht mehr in H. sondern im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des JobCenters in der Städteregion B. hatte. Der Beklagte war damit ab dem 29.11.2010 örtlich nicht mehr zuständig, § 36 SGB II. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war damit der Beklagte zwar für den hier streitigen Zeitraum weiter zuständig. Nach Auffassung der Kammer ist im Rahmen des Annexantrags zur Aufhebung (vgl. oben I) damit aber nicht die Verpflichtung verbunden, an die Klägerin Leistungen für denjenigen Zeitraum zu zahlen, für den sie nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gewohnt hat (vgl. zur Rechtsnatur des des § 36 SGB II BSG, Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 133/11 R = juris; vgl. auch Aubel in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 36 Rn. 5 ff.). Der Beklagte war daher – als Annex zur Aufhebung – nur dazu zu verurteilen, die bewilligten Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.

V.

Im Hinblick auf den Umfang des Unterliegens und Obsiegens ist eine Berufung der Klägerin zulassungsbedürftig. Gründe, die Berufung zuzulassen sind weder vorgetragen noch erkennbar, § 144 Abs. 1, 2 SGG. Der Beklagte kann das Urteil mit der Berufung anfechten.
Rechtskraft
Aus
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