L 7 AS 998/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 1777/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 998/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.04.2011 geändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Sanktionsbescheides vom 17.02.2010, geändert mit Änderungsbescheid vom 22.03.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2010, soweit diese die Kostenentscheidung betreffen, verurteilt, dem Kläger die notwendigen Kosten des Vorverfahrens zu erstatten. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Kosten der anwaltlichen Vertretung in einem Widerspruchsverfahren in Höhe von 309,40 Euro.

Der am 00.00.1968 geborene, alleinstehende Kläger bezog vom Beklagten ab 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Er war u. a. im Jahr 2009 und im ersten Halbjahr 2010 geringfügig bei der Firma N in L beschäftigt.

Der Beklagte senkte mit Bescheid vom 04.06.2009 das Arbeitslosengeld II des Klägers für die Zeit vom 01.07. bis zum 30.09.2009 monatlich um 30% der maßgebenden Regelleistung ab, d. h. in Höhe von 105,00 Euro. Er begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger seine in der Eingliederungsvereinbarung vom 26.03.2009 festgelegten Pflichten nicht umfassend erfüllt habe, da er seine Eigenbemühungen nicht ausreichend nachgewiesen habe.

Mit Bescheid vom 21.09.2009 senkte der Beklagte mit der Begründung, der Kläger habe seine Eigenbemühungen nicht nachgewiesen, das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.10. bis zum 31.12.2009 monatlich um 60% der Regelleistung ab, d. h. in Höhe von monatlich 215,40 Euro.

Am 22.09.2009 schloss der Kläger mit dem Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich verpflichtete, in den folgenden sechs Monaten mindestens drei Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber zum 20. jeden Monats - nächstmalig zum 20.10.2009 - eine Liste über die Eigenbemühungen vorzulegen. Der Beklagte wies darauf hin, dass bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung der Anspruch auf Arbeitslosengeld II vollständig entfalle. Im Einzelfall könne die Minderung auch für weitere wiederholte Pflichtverletzungen auf 60% beschränkt werden, sofern sich der Kläger nachträglich bereit erkläre, seinen Pflichten nachzukommen. Eine wiederholte Pflichtverletzung liege nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraumes länger als ein Jahr zurückliege.

Zur Akte gelangten eine Aufstellung über Bewerbungsbemühungen im Oktober 2009 (4 Bewerbungen) und im November 2009 (5 Bewerbungen).

Mit Schreiben vom 26.01.2010 hörte der Beklagte den Kläger dazu an, dass er entgegen der Eingliederungsvereinbarung für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 20.01.2010 keine Bewerbungsbemühungen nachgewiesen und auch keine Hinderungsgründe hierfür mitgeteilt habe. Er wies darauf hin, dass er über die Absenkung und den Wegfall des Arbeitslosengeldes II zu entscheiden habe. Der Beklagte führte aus:

"Da es sich in Ihrem Fall möglicherweise um die insgesamt dritte Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres handelt, die eine 100%ige Minderung des Arbeitslosengeldes II zur Folge hätte (d. h. sowohl die Regelleistung als auch die Kosten der Unterkunft entfallen vollständig), mache ich Sie vorsorglich auf die Möglichkeit der Gewährung ergänzender Sachleistungen aufmerksam - diese werden nur dann erbracht, wenn sie von Ihnen tatsächlich formlos beantragt werden. Sollten Sie diese ergänzenden Sachleistungen nicht in Anspruch nehmen (wollen), so entfällt auch der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz. Bevor ich über den Eintritt einer Sanktion gemäß § 31 SGB II entscheide, bitte ich Sie hiermit, mir bis zum 16.02.2010 die Gründe für Ihr Verhalten schriftlich mitzuteilen (§ 24 SGB X)."

Der Kläger antwortete nicht.

Der Beklagte entschied mit Bescheid vom 17.02.2010, dass das Arbeitslosengeld II des Klägers für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.05.2010 vollständig entfalle, weil er wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen sei. Er habe nicht wie vereinbart zum 20. jeden Monats eine Liste mit Eigenbemühungen eingereicht. Zu der Möglichkeit der Nachholung seiner Pflichten habe er sich nicht geäußert. Somit sei eine Begrenzung des Wegfalls der Leistungen auf eine Absenkung um 60 vom Hundert der maßgeblichen Regelleistung in seinem Fall nicht gerechtfertigt. Auf Antrag des Klägers könnten ihm in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen, insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen, gewährt werden.

Am 23.02.2010 ging beim Beklagten eine Liste zum Nachweis von Eigenbemühungen ein, auf der der Kläger Bewerbungen bei drei verschiedenen Firmen am 19. bzw. 20.02.2010 vermerkt hatte. Darüber hinaus legte er Schreiben vor, die Bewerbungen im Oktober und November 2009 sowie eine Bewerbung im Dezember 2009 betrafen.

Am 01.03.2010 beantragte der Kläger einen Lebensmittelbestellschein über 100,00 Euro, den er auch erhielt, aber nicht einlöste.

Am 18.03.2010 legte der Kläger Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 17.02.210 ein. Der von ihm bevollmächtigte Rechtsanwalt führte aus, die Regelung des § 31 SGB II begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Hinblick auf die Art und das geringe Gewicht des Pflichtverstoßes sei eine nachträgliche Begrenzung der Sanktionsfolge angezeigt. Der Kläger habe Eigenbemühungen getätigt, diese nur nicht rechtzeitig nachgewiesen. Inzwischen habe er den Nachweis geführt. Der Beklagte habe im angefochtenen Bescheid nicht eingehend überprüft, ob eine Begrenzung der Sanktionsfolgen auf 60% der Regelleistung vorzunehmen sei.

Am 22.03.2010 sprach der Kläger persönlich beim Beklagten vor und erklärte sich für die Zukunft bereit, seine Eigenbemühungen in Form der ausgehändigten Liste nachzuweisen.

Mit Änderungsbescheid vom 22.03.2010 senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.03. bis zum 31.05.2010 monatlich um 60% der Regelleistung, d. h. um 215,40 Euro monatlich, ab. Der Beklagte vermerkte in der Verwaltungsakte, dass sich der Widerspruch durch die vollumfängliche Stattgabe erledigt habe. Stattgabegrund sei ein neuer Sachverhalt. Der Kunde habe sich nachträglich bereit erklärt, der Eingliederungsvereinbarung ordnungsgemäß nachzukommen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2010 zurück. Zur Begründung gab er an, im Zeitpunkt des Erlasses des Sanktionsbescheides vom 17.02.2010 sei eine Begrenzung der Minderung auf 60% der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht angezeigt gewesen. Denn erst mit der Vorsprache vom 22.03.2010 habe sich der Kläger dazu bereit erklärt, seinen Verpflichtungen in Zukunft nachzukommen. Er entschied weiterhin, dass im Widerspruchsverfahren gegebenenfalls entstandene notwendige Aufwendungen nicht erstattet werden könnten. Dies begründete er damit, dass dem Kläger die Möglichkeit, die Absenkung auf 60% der Regelleistung zu begrenzen, indem er sich nachträglich bereit erkläre, seine Pflichten in Zukunft zu erfüllen, aufgrund der Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung bekannt gewesen sei. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes sei somit nicht notwendig gewesen.

Am 03.05.2010 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er erreichen will, dass der Beklagte verurteilt wird, die notwendigen Kosten des Vorverfahrens zu tragen. Er ist der Auffassung, es sei für ihn notwendig gewesen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, denn er sei selbst nicht dazu in der Lage, seine Rechte gegenüber dem Beklagten hinreichend zu wahren. Sein Widerspruch habe Erfolg gehabt, weil der Beklagte den angefochtenen Bescheid im Widerspruchsbescheid zu seinen Gunsten geändert habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Sanktionsbescheides vom 17.02.2010, geändert mit Änderungsbescheid vom 22.03.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2010, soweit diese die Kostenentscheidung betreffen, die notwendigen Kosten des Vorverfahrens in Höhe von 309,40 EUR zu erstatten, hilfsweise,

die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise,

die Berufung zuzulassen.

Er hat die angefochtenen Bescheide nach wie vor für rechtmäßig gehalten.

Mit Beschluss vom 09.06.2010 hat das SG den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Auf die Beschwerde des Klägers hin hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 28.09.2010 den erstinstanzlichen Beschluss geändert und Prozesskostenhilfe bewilligt. Es hat eine Erfolgsaussicht unter dem Aspekt bejaht, dass der Beklagte es unterlassen habe, zeitgleich mit dem Erlass des Sanktionsbescheides über die Gewährung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen zu entscheiden.

Mit Urteil vom 11.04.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Kosten für die Beauftragung des Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren ganz oder teilweise übernimmt. Nach § 63 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) habe der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Ein Widerspruch sei nur dann "erfolgreich" im Sinne dieser Vorschrift, wenn die abhelfende Entscheidung des Rechtsträgers dem Widerspruch und nicht einem anderen Umstand, beispielsweise der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten, zuzurechnen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass der am 18.03.2010 eingelegte Widerspruch den Beklagten bewogen habe, den Änderungsbescheid vom 22.03.2010 zu erteilen. Für den Beklagten sei vielmehr entscheidend gewesen, dass der Kläger durch Abgabe der Liste "Eigenbemühungen" am 23.02.2010 nachgewiesen habe, dass er jedenfalls für den Monat Februar 2010 die in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarten Eigenbemühungen unternommen habe und dass er sich bei seiner persönlichen Vorsprache am 22.03.2010 schriftlich bereit erklärt habe, seiner Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung in Zukunft ordnungsgemäß nachzukommen. Dies ergebe sich aus der Begründung des Änderungsbescheides vom 22.03.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2010. Nach dem tatsächlichen Verfahrensablauf sei keine "Abhilfe" erfolgt, sondern der Beklagte habe der Erfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung für den Monat Februar 2010 und der Zusage, diese Pflichten auch in Zukunft zu beachten, Rechnung getragen. Auch wenn die am 22.03.2010 abgegebene Erklärung unterblieben wäre, wäre der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, auf den Widerspruch hin den Sanktionsbescheid vom 17.02.2010 aufzuheben oder die Sanktion zu ändern. Im Zeitpunkt der Bescheiderteilung hätten die Voraussetzungen für eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 100% vorgelegen. Denn der Kläger habe entgegen der mit ihm geschlossenen Eingliederungsvereinbarung weder im Dezember 2009 noch im Januar 2010 Bewerbungsbemühungen nachgewiesen. Da wegen unterbliebener Eigenbemühungen bereits für die Zeit von Juli bis September 2009 und Oktober bis Dezember 2009 Minderungen des Arbeitslosengeldes II erfolgt seien, habe § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II bei der dritten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II vorgesehen. Eine Begrenzung der Minderung nach § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II sei im Zeitpunkt der Bescheiderteilung nicht in Betracht gekommen, weil sich der Kläger trotz des Anhörungsschreibens vom 26.01.2010 nicht beim Beklagten gemeldet und keine Gründe angegeben habe, die für die Anwendung des § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II sprachen. Eine Abhilfe im Widerspruchsverfahren sei auch nicht aus dem Grund vorzunehmen gewesen, dass der Beklagte den Sanktionsbescheid vom 17.02.2010 nicht mit einer Entscheidung über die Erbringung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen im Sinne des § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II verbunden habe. Die Kammer stütze sich auf die Ausführungen des 9. Senates des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 10.12.2009, Az.: L 9 B 51/09 AS ER. Das Landessozialgericht habe in diesem Beschluss ausgeführt, dass eine Entscheidung über Leistungen im Sinne des § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II ohne eine Mitwirkung des Betroffenen in der Regel nicht in Betracht komme, wenn keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Hilfebedürftige nicht imstande sei, seine bedrohliche Lage zu erfassen und/oder er nicht in der Lage sei, aus der erkannten Situation entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Der tatsächliche Verlauf des vorliegenden Falles zeige, dass der Kläger die Hinweise des Beklagten in der Eingliederungsvereinbarung und insbesondere im Anhörungsschreiben vom 26.01.2010 und im Sanktionsbescheid vom 17.02.2010 verstanden habe und dass er auch in der Lage gewesen sei, am 01.03.2010 einen eigenständigen Antrag auf Erbringung geldwerter Leistungen zu stellen. Diesem Antrag habe der Beklagte umgehend entsprochen. Es lägen auch keine anderweitigen Umstände vor, die sich etwa aus dem Lebensalter ergeben könnten, die eine unmittelbare Verknüpfung der Entscheidung über die Sanktion mit einer Entscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II erforderlich machten.

Der Kläger hat gegen das ihm am 03.05.2011 zugestellte Urteil am 03.06.2011 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass der Beklagte auch nach Vorlage der Bewerbungsnachweise und trotz entsprechender Anfrage des Klägers nicht dazu bereit gewesen sei, die vollständige Kürzung zurückzunehmen bzw. auf 60 % zu beschränken, so dass der Widerspruch durch diese Verweigerung der Behörde notwendig geworden sei. In dem Bescheid vom 17.02.2010 sei eine Begrenzung des Wegfalls der Leistungen von dem Beklagten nicht in Erwägung gezogen worden, obwohl der Kläger seine Eigenbemühungen nachgewiesen habe. Die Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II werde in der rechtswissenschaftlichen Kommentarliteratur verneint. Vorliegend habe der Kläger die geforderte Handlung, nämlich den Nachweis der Eigenbemühungen durch Abgabe einer Liste am 23.02.2010, in der die Eigenbemühungen nachgewiesen worden seien, unverzüglich nachgeholt und damit die geforderte Erklärung konkludent abgegeben. Auch mit dem Widerspruch vom 25.03.2010 sei nochmals erklärt worden, dass der Widerspruchsführer dazu bereit sei, seine Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung vom 22.09.2009 zukünftig vollumfänglich zu erfüllen. Dass der Widerspruchsführer dies in einer weiteren persönlichen Vorsprache gegenüber dem Beklagten am 22.03.2010 abermals erklärt habe, ändere nichts daran, dass er diese notwendige Erklärung bereits zuvor getätigt habe. Der Beklagte hätte daher bereits vor Erhebung des Widerspruchs sein Ermessen ausüben und eine Begrenzung des Wegfalls der Leistungen auf eine Absenkung um 60 % der maßgebenden Regelleistung vornehmen können. Dies habe er aber unterlassen. Aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte vor Einlegung des Widerspruchs sein Ermessen nicht ausgeübt habe, sei der Widerspruch dringend erforderlich gewesen. Der Widerspruch sei somit begründet gewesen. Der Widerspruchsführer sei nämlich seinen Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nicht erst im Widerspruchsverfahren, sondern vielmehr bereits mehr als drei Wochen vorher nachgekommen, indem er am 23.02.2010 die Eigenbemühungen in der vereinbarten Form nachgewiesen habe. Zusammenfassend bleibe festzuhalten, dass der Widerspruch aufgrund der Weigerung des Beklagten, dem Kläger trotz der Einreichung des Bewerbungsnachweise und seiner Anfrage auf Milderung der Sanktion, zumindest 40 % des ursprünglichen Arbeitslosengeldes II zu gewähren, dringend geboten und zudem erfolgreich war, denn der Beklagte habe infolge des Widerspruchs demselben abgeholfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 11.04.2011 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Sanktionsbescheides vom 17.02.2010, geändert mit Änderungsbescheid vom 22.03.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2010, soweit diese die Kostenentscheidung betreffen, die notwendigen Kosten des Vorverfahrens zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und auf die Darlegung im erstinstanzlichen Urteil. Ergänzend führt er aus, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig gewesen sei, es habe nicht zugleich über ergänzende Sachleistungen entschieden werden müssen. Es stelle sich die Frage, inwieweit die Einschaltung eines Bevollmächtigten überhaupt erforderlich gewesen sei sie oder ob der Kläger nur die erforderlichen Unterlagen hätte vorlegen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Köln ist begründet. Das SG hat seine Klage zu Unrecht abgewiesen.

Der Kläger hat Anspruch darauf, dass der Beklagte die Kosten für die Beauftragung des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren übernimmt.

Gemäß § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Das SG weist zu Recht darauf hin, dass es nicht der am 18.03.2010 eingelegte Widerspruch war, der den Beklagten bewogen hat, den Änderungsbescheid vom 22.03.2010 zu erteilen. Ausschlaggebend war vielmehr, dass der Kläger durch Abgabe der Liste "Eigenbemühungen" für den Monat Februar am 23.02.2010 die vereinbarten Eigenbemühungen nachgewiesen hatte, und dass er sich bei seiner persönlichen Vorsprache am 22.03.2010 schriftlich bereit erklärt hatte, seiner Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung in Zukunft ordnungsgemäß nachzukommen. Insbesondere war es entgegen des Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren auch nicht so, dass der Kläger bereits bei seiner Vorsprache am 01.03.2010, bei der er einen Antrag auf Erteilung eines Lebensmittelgutscheins gestellt hat, schon Bewerbungsnachweise vorgelegt hatte. In der Verwaltungsakte des Beklagten findet sich zwar der entsprechende Antrag auf Erteilung eines Lebensmittelgutscheins, in diesem Zusammenhang sind jedoch keine Bewerbungsnachweise abgeheftet. Auch sofern der Kläger darauf verweist, dass der Kläger schon vor dem Bescheid am 17.02.2010 seine Eigenbemühungen zwischenzeitlich nachgewiesen habe, ist dies den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Jedenfalls für die Zeit vom 01.12.2009 bis 20.01.2010 liegen keine entsprechenden Nachweise vor.

Allerdings war der Bescheid 17.02.2010 schon deswegen rechtswidrig, weil in ihm nicht zugleich über die Bewilligung von Sachleistungen entschieden wurde. Dies ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senat jedoch erforderlich (Beschlüsse des erkennenden Senats vom 09.09.2009, Az.: L 7 B 211/09 AS ER und vom 28.09.2010, Az.: L 7 AS 1260/10 B.). Mit dem Sanktionsbescheid hob der Beklagte die Leistung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.03.2010 bis 31.05.2010 vollständig auf (Regelleistung und Kosten der Unterkunft). Für diesen Fall sind die Regelungen des § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II a.F. zu beachten: Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 vom Hundert der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung kann der zuständige Träger in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen (§ 31 Abs. 3 Satz 7 SGB II a.F.). Der zuständige Träger soll diese Leistungen erbringen, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt (§ 31 Abs. 3 Satz 7 SGB II a.F.). Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, nimmt § 31 Abs. 5 Satz 5 SGB II a.F. auf die vorgenannte Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II a.F. Bezug ... Die Entscheidung über die Sanktion einerseits und die Gewährung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen andererseits sind eigenständige Verwaltungsentscheidungen. Das SGB II verknüpft sie in zeitlicher Hinsicht nicht, sondern lässt es zu, dass die Entscheidung über die Gewährung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen der Entscheidung über die Sanktion zeitlich auch nachfolgen kann.

Zur Überzeugung des Senats ist diese lose zeitliche Verbindung der beiden Verwaltungsentscheidungen in den Fällen, in denen der Grundsicherungsträger bei jungen Erwachsenen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 31 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F.), einen Wegfall des Arbeitslosengeldes II verfügt, durch eine verfassungskonforme Auslegung in der Weise zu reduzieren, dass der Grundsicherungsträger mit der Sanktionsentscheidung zeitgleich auch darüber entscheiden muss, ob im konkreten Fall ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen sind.

Dieses Erfordernis zeitgleicher Entscheidung gilt zur Überzeugung des Senats auch für die sonstigen Fälle des vollständigen Wegfalls des Arbeitslosengeldes II und damit auch bei Erwachsenen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben. Denn ein hinreichender Grund für eine unterschiedliche Behandlung ist nicht zu erkennen. In beiden Fällen ist der Gefährdung des physischen Existenzminimums Rechnung zu tragen (erkennender Senat, Beschluss vom 09.09.2009, Az.: L 7 B 211/09 AS ER, ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.01.2011, Az.: L 2 AS 428/10 B ER und LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.04.2010, Az.: L 13 AS 100/10 B ER). Bei einem vollständigen Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung ist der Verwaltungsträger aus verfassungsrechtlicher Sicht gehalten, die mit der Sanktion verbundenen Auswirkungen in seine Entscheidung einzubeziehen. Zur Vermeidung von unverhältnismäßigen Auswirkungen, die mit dem Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar sind, ist zu klären, ob die Betroffenen die wegfallenden Leistungen zur Existenzsicherung durch finanzielle Reserven, alternative Einkünfte oder durch Unterstützungsleistungen von Angehörigen und Freunden kompensieren können. Vorliegende sozialwissenschaftliche Untersuchungen geben Anhalt für die Annahme, dass vorgenannte Kompensationsmöglichkeiten bei einem wesentlichen Anteil der von Sanktionen Betroffenen nicht hinreichend zur Verfügung stehen (Ames, Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II, NDV 2010, Seiten 111 ff.). Erst die Information über die konkreten Auswirkungen der Sanktion, die zum vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeld II führt, versetzt den Träger in die Lage, das durch § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II a.F. grundsätzlich eröffnete Ermessenen gemäß § 39 Abs. 1 i.V.m. § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auszuüben.

Sofern nach der Neuregelung des § 31a SGB II zum 01.01.2011 die Entscheidung über ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen einen gesonderten Antrag erfordert und nicht mehr von Amts wegen zu treffen ist, sieht der Senat keine Notwendigkeit, für die Zeit vor der Gesetzesänderung seine Rechtsprechung für in der in der Vergangenheit liegenden Zeiträume zu ändern.

Auch fehlt es nicht an der kausalen Verknüpfung zwischen dem Widerspruch und der Abhilfe. Grundsätzlich muss eine Kausalität zwischen der Einlegung des Widerspruchs und dessen Erfolg bestehen, wobei es jedoch auf die vom Widerspruchsführer geltend gemachten Gründe nicht ankommt (Mutschler in Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2011, § 63 SGB X Rdn. 6). Ohne Belang ist, was der Widersprechende zur Begründung seines Rechtsbehelfs vorgebracht hat und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt haben (BSG, Urteil vom 21.07.1992, Az.: 4 RA 20/91 und Urteil vom 08.10.1987, Az.: 9a RVs 10/87). Dabei kann dahinstehen, ob ein solcher kausaler Zusammenhang zwischen Rechtsbehelf und "abhelfender" Entscheidung des Verwaltungsträgers immer schon dann anzunehmen ist, wenn belastender Verwaltungsakt, Widerspruch des Betroffenen hiergegen und "stattgebender" Verwaltungsakt in zeitlicher Abfolge stehen, da Sachverhalte denkbar sind, die neben dem denkbaren "kausalen" Zusammenhang Widerspruch - Abhilfe eine kausale Verknüpfung anderer Art diskutieren lassen (BSG, Urteil vom 21.07.1002, Az.: 4 RA 20/91). Hier wäre der Widerspruch des Klägers jedoch auch ohne die zwischenzeitlich erbrachten Nachweise und die Zusage, künftig der Verpflichtung in der Eingliederungsvereinbarung nachzukommen, erfolgreich gewesen, weil in dem Sanktionsbescheid nicht zugleich auch eine Entscheidung über die Erbringung von Sachleistungen getroffen worden war. Es liegt somit entgegen der Auffassung des SG nicht der Fall vor, dass der Erfolg des Widerspruchs nur darauf beruht, dass der Widerspruchsführer nachträglich seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat. In einem solchen Fall wäre der Widerspruch in der Tat nicht kausal erfolgreich (vgl. BSG, Urteil vom 21.07.1992, Az.: 4 RA 20/91; Mutschler, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hatte keinen Anlass, die Revision zuzulassen. Die streitige Rechtsfrage hat im Hinblick auf die Neuregelung des § 31a SGB II ab 01.01.2011 nur noch für die Vergangenheit Relevanz.
Rechtskraft
Aus
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