L 7 AS 697/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 22 AS 405/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 697/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 14/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Leistungsgewährung durch den erstangegangenen Träger nach § 43 SGB I ist im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX dann nicht ausgeschlossen, wenn – wie hier – einer der beteiligten Träger, die Regelung des § 14 SGB IX missachtet.
2. Ein Streit im Sinne des § 43 SGB I über die Zuständigkeit zwischen Trägern entfällt nicht endgültig, wenn die Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX eingreift.
3. Ein Erstattngsanspruch kann sich dann aus § 102 SGB X ergeben.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. November 2011 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 69.134,50 Euro zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten in Höhe von 69.134,50 Euro für eine von dem Kläger finanzierte Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit für einen Hilfeempfänger des Beklagten vom 01. März 2007 bis 30. Juni 2009.

Der Betroffene, Q., durchlief vom 01. März 2007 bis 30. Juni 2009 eine Ausbildung des Vereins für XY. e. V. (XY.) zum Bürokaufmann, die er erfolgreich abschloss. Er war zuvor suchtmittelabhängig gewesen und hatte Entzugsmaßnahmen abgeschlossen. Aus einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 23. Juli 2007 ergibt sich, dass der Betroffene seit einem Jahr den Drogenkonsum eingestellt hatte und regelmäßige Gespräche bei der Drogenberatungsstelle wahrnehme. Er beantragte über den XY. am 09. Februar 2007 die Kostenübernahme für die Maßnahme. Der XY. beschreibt die Maßnahme wie folgt: Sie richtet sich an schwerstvermittelbare Jugendliche und junge Erwachsene, die insbesondere aufgrund von früherer Drogenabhängigkeit, Sozialisationsschwierigkeiten oder (stabiler) Substitution nur schwer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Die Ausbildung zum Bürokaufmann wurde und wird in einer Übungsfirma des XY., ZZ., durchgeführt. Diese arbeitet nach kaufmännischen Gegebenheiten und rechtlichen Notwendigkeiten mit anderen Übungsfirmen zusammen. Die Übungsfirma arbeitet praxisersetzend und ist berufspraktischer Bestandteil der Ausbildung in der beruflichen Rehabilitation. Die Ausbildung wird ergänzt durch Praktika in den einzelnen Fachabteilungen des Vereins und durch betriebsinternen Unterricht. Zur Umsetzung der pädagogischen Ziele während der Ausbildung fanden folgende Methoden und Mittel Anwendung: Eingangsstufe, Gruppengespräche, Einzelgespräche, Lehrlingsversammlung, Arbeit mit Bezugspersonen, Hilfeangebot in schwierigen Lebenslagen, betriebsinterner Unterricht, Freizeitangebote. Die Kosten der Maßnahme umfassten Fahrtkosten, Ausbildungskosten und Sozialversicherungsbeiträge. Es handelte sich um eine teilstationäre Leistung. Der Betroffene bezog zum Zeitpunkt der Antragstellung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II); Leistungen zur Eingliederung in Arbeit wurden nicht gewährt. Nachdem der Antrag des Betroffenen bei dem Kläger am 09. Februar 2007 einging, kam dieser zu dem Ergebnis, dass er für die Maßnahmegewährung seit Einführung des SGB II nicht mehr zuständig sei. Er leitete daher den Antrag an den Beklagten weiter. Dieser teilte mit Schreiben vom 02. August 2007 mit, dass er seiner Auffassung nach für die Gewährung dieser Maßnahme nicht zuständig sei und leitete den Antrag an die Bundesagentur für Arbeit weiter. Diese gewährte dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe ab Juli 2007, welche der Beklagte auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes anrechnete. Die Übernahme der Kosten für die Maßnahme lehnte die Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Beklagten ab. Der Kläger erinnerte den Beklagten mehrfach hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die vom Betroffenen begehrte Maßnahme. Der Beklagte reagierte zunächst nicht und teilte am 02. August 2008 mit, dass es sich nicht um einen Reha-Fall handele und er den Fall eingestellt habe. Der Kläger erklärte mit Bescheid vom 03. September 2007 die Kostenübernahme nach § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I), um Nachteile für den Betroffenen zu vermeiden. Zugleich wurde bei dem Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch angemeldet. Mit Schreiben vom 09. Oktober 2008 bestritt der Beklagte seine Zuständigkeit. Der Kläger forderte den Beklagten erneut mit Schreiben vom 02. Dezember 2008 zur Erstattung nach § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf. Der Beklagte reagierte nicht.

Daraufhin erhob der Kläger am 02. April 2009 Klage auf Zahlung bei dem Sozialgericht Gießen. Der Kläger machte geltend, dass es sich nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe gehandelt habe, sondern um eine SGB II-Leistung zur Eingliederung in Arbeit. Der Beklagte wandte ein, dass es an einem Vorverfahren fehle und die Klage unzulässig sei. Das Sozialgericht Gießen wies die Klage durch Urteil vom 25. November 2011 ab. Es verwies zur Begründung darauf, dass kein Zahlungsanspruch bestehe, da der Beklagte dem Kläger gegen den Anspruch Einwände entgegenhalten könne, die sich aus seinem Verhältnis zum Betroffenen ergeben. Da der Beklagte gegenüber dem Betroffenen die Leistungsgewährung durch Bescheid vom 09. Oktober 2008 abgelehnt habe, könne er dies auch dem Kläger entgegenhalten.

Gegen das ihm am 20. Dezember 2011 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Gießen legte der Kläger am 29. Dezember 2011 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht ein.

Der Kläger behauptet weiterhin, dass es sich bei der durchgeführten Maßnahme um eine Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit und nicht zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehandelt habe. Er ist weiterhin der Ansicht, dass ein Erstattungsanspruch bestehe.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. November 2011 aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung in Höhe von 69.134,50 Euro zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass kein Erstattungsanspruch bestehe, da § 43 SGB I im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX verdrängt werde, so dass § 102 SGB X als Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch nicht herangezogen werden könne. § 105 SGB X greife ebenfalls nicht, da dieser ausscheide, wenn ein Träger Leistungen mit Kenntnis seiner Unzuständigkeit erbringe. Ebenso lägen die Voraussetzungen der §§ 103 f SGB X nicht vor. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass es sich um eine Ermessensentscheidung gehandelt habe und er ggf. im Rahmen seiner Ermessenserwägungen eine andere Maßnahme ausgewählt hätte.

Das Gericht hat am 16. November 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt. Es wird für den Inhalt auf das Protokoll verwiesen. Im Termin zur Erörterung haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Es wird zum weiteren Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Beteiligten sich hiermit im Erörterungstermin am 16. November 2012 einverstanden erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegt.

Sie ist auch begründet.

Das Sozialgericht Gießen hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 69.134,50 Euro. Es steht diesem Anspruch nicht, wovon das Sozialgericht Gießen zu Unrecht ausgegangen ist, ein ablehnender Bescheid des Beklagten gegenüber dem Betroffenen entgegen, denn ein solcher Bescheid existiert nicht. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

Anspruchsgrundlage des Erstattungsanspruches ist § 102 SGB X. Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, § 102 Abs. 2 SGB X.

Der Erstattungsanspruch setzt voraus, dass ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften rechtmäßig vorläufige Sozialleistungen erbracht hat. Dies erfordert zunächst, dass der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein muss (BSG, SozR 1300 § 102 Nr. 1 und Schellhorn, in: GK-SGB X, Stand: Oktober 2011, § 102 Rn. 16), also in dem bewilligenden Bescheid deutlich gemacht wurde, dass es sich um eine vorläufige Leistung handelt. Zum anderen muss die vorläufige Leistung auf Grund gesetzlicher Vorschriften des Sozialleistungsrechts erbracht worden sein. Eine freiwillige Vorleistung oder eine vertraglich, ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, begründete Vorleistungspflicht reicht nicht aus (Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Lfg. 2/11, § 102 Rn. 12). Des Weiteren muss die vorläufige Leistungsgewährung rechtmäßig sein. Der Erstattungsanspruch muss darüber hinaus an den für die gewährte Leistung sachlich zuständigen Träger gerichtet sein.

Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats vor. Der Kläger hat ausweislich des Bescheides vom 03. September 2007 Leistungen nach § 43 SGB I vorläufig erbracht, damit dem Betroffenen keine Nachteile entstehen. Voraussetzung ist, dass der vorleistende Träger im Bescheid an den Leistungsberechtigten auf die noch ungeklärte Zuständigkeit und die daraus resultierende Vorläufigkeit der Leistung hinweist. Eine nachträgliche Umdeutung einer erbrachten Leistung in eine vorläufige Sozialleistung scheidet aus; der Charakter der Erbringung einer vorläufigen Sozialleistung muss von Anfang an feststehen (BSG, SozR 1300 § 104 Nr. 7; BSG, SozR 3–1300 § 111 Nr. 8). Der Kläger hat die Vorläufigkeit der Leistungsgewährung in seinem Leistungsbescheid eindeutig zum Ausdruck gebracht. Er gewährte die Leistung als erstangegangener Träger, denn ihm gegenüber wurde vom Betroffenen das Leistungsbegehren angebracht. Er ging jedoch davon aus, dass er sachlich nicht zuständig ist, da es sich um eine Leistung des SGB II-Trägers und damit des Beklagten handelt.

Zudem erbrachte der Kläger die Leistungen rechtmäßig aufgrund gesetzlicher Regelungen. Die allgemeine Systemsubsidiarität der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB XII begründet keine vorläufige Leistungsverpflichtung. § 43 SGB I regelt dagegen die Erbringung vorläufiger Leistungen und kann den Anwendungsbereich des § 102 SGB X eröffnen. Der Kläger stützte sich auf § 43 SGB I.

Der Kläger erfüllte bei Gewährung der Leistung die Voraussetzungen des § 43 SGB I. Voraussetzung der Gewährung vorläufiger Leistungen ist nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I zunächst das Bestehen eines Anspruchs auf Sozialleistungen. Ein Antrag allein reicht damit nicht. Es müssen vielmehr alle Voraussetzungen des Anspruchs vorliegen; einzige Ausnahme ist die Klärung, von welchem Träger die Leistung zu erbringen ist. Da Ansprüche aber in ihrer konkreten Ausgestaltung gerade davon abhängig sein können, welcher Leistungsbereich maßgebend ist, reicht für den Anspruch auf vorläufige Leistungen aus, dass ein Leistungsanspruch nach den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches dem Grunde nach ausgelöst ist, ohne dass der genaue Umfang feststehen müsste (Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, Kommentar, Stand: 7/08, § 43 Rn. 4). Allerdings ist erforderlich, dass der Anspruch nicht nur entstanden (§ 40 SGB I) sondern auch fällig ist; nach § 41 SGB I ist er das aber grundsätzlich sofort. Der Betroffene hatte im vorliegenden Fall einen Anspruch auf Gewährung von Teilhabeleistungen. Er war behinderter Mensch im Sinne des § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), denn er war Suchtmittelabhängiger, der erfolgreich einen selbständigen Entzug absolviert hatte und abstinent lebte. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Er war auch grundsätzlich erwerbsfähig, bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom Beklagten. Es bestand daher unstreitig auch ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Welche konkreten Leistungen dem Betroffenen zustanden, stand grundsätzlich im Ermessen des zuständigen Trägers. Der Betroffene begehrte nach Beratung eine konkrete Maßnahme, nämlich eine außerbetriebliche Ausbildung zum Bürokaufmann mit anerkanntem Abschluss bei dem Träger XY ... Der Kläger vertritt hierzu unter Bezugnahme auf die Beschreibung des XY. die Auffassung, dass der Schwerpunkt dieser Maßnahme in der Eingliederung in Arbeit liegt, es inhaltlich nicht um die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geht. Der Beklagte hat sich hierzu im Klageverfahren und auch im Berufungsverfahren nicht erklärt. Er vertrat im Verwaltungsverfahren die Auffassung, dass es sich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe handelte, da der Betroffene Behinderter im Sinne der §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) sei. Eine Rechtsgrundlage zur Gewährung der konkreten Maßnahme ergab sich daher, je nachdem welcher Schwerpunkt tatsächlich bestand, aus dem SGB II oder SGB XII und bei Ermessensreduzierung auf Null bestand auch ein Anspruch des Betroffenen auf die Gewährung dieser konkreten Maßnahme. Die Frage, welcher Träger dafür sachlich zuständig war – der Kläger oder der Beklagte – richtete sich ausschließlich danach, welchen Schwerpunkt die Maßnahme hatte. Die Abgrenzung erfolgt nicht über eine Vorrang-Nachrang-Regelung. Denn die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfeleistungen und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II erfolgt nach dem Schwerpunkt des Bedarfes und der erforderlichen Maßnahme (siehe auch Beschluss des erkennenden Senats vom 13. März 2008, Az.: L 7 SO 100/07 ER und auch SG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19. März 2007, Az.: S 27 SO 406/08 ER zur Ausbildung als Bürokaufmann beim XY.; siehe im Übrigen LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. März 2007, Az.: L 8 B 41/06 SO ER; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, Az.: B 7 AL 16/04 R – alle juris). Es ist eine Frage der ordnungsgemäßen Bedarfsfeststellung. Der Kläger ist darüber hinaus zu Recht von einer Ermessenreduzierung auf Null hinsichtlich der streitgegenständlichen Maßnahme ausgegangen. Dies war im Anwendungsbereich des § 43 SGB I auch erforderlich, denn lediglich wenn sich das Ermessen in einem konkreten Fall auf Null reduziert hat, d.h. keine andere Entscheidung als die Bewilligung in exakt bestimmtem Umfang ermessensfehlerfrei ist, verdichtet sich der Anspruch auf fehlerfreies Ermessen zu einem Anspruch auf die Leistung. Nur dann kann nach dem eindeutigen Wortlaut ("besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen”) des § 43 SGB I dieser auf Ermessensleistungen Anwendung finden. Der Kläger ging von einer Ermessensreduzierung auf Null aus. Die Maßnahme war für die Bedürfnisse des Betroffenen in jeder Hinsicht passend. Sie begann zu einem Zeitpunkt, als der Betroffene ausreichend stabilisiert war, eine solche Ausbildung im außerbetrieblichen Bereich zu durchlaufen. Sie entsprach zudem den persönlichen Fähigkeiten des Betroffenen zum damaligen Zeitpunkt. Er benötigte insbesondere keine umfangreiche Unterstützung mehr zur Integration in die Gesellschaft und zur Gestaltung des Lebens. Es reichte für ihn aus, dass ein im Hintergrund zur Verfügung stehendes Angebot, welches im Fall einer Krise hätte in Anspruch genommen werden können, zur Verfügung stand, damit die Ausbildung erfolgreich durchlaufen werden konnte. Sie entsprach auch seiner Vorbildung, da er schon zwei Jahre eine kaufmännische Berufsschule besucht hatte.

§ 43 SGB I erfasst alle Leistungsarten i.S.v. § 11 SGB I, also Dienst-, Sach- und Geldleistungen, wie sie in den §§ 18 ff. SGB I aufgeführt sind, so dass die hier in Rede stehende Maßnahme umfasst wird.

Außerdem lag ein Zuständigkeitsstreit vor, wie dies § 43 SGB I voraussetzt. Dies ist der Fall, wenn mindestens zwei Leistungsträger eine Verpflichtung verneinen (negativer Kompetenzkonflikt), was nicht zwangsläufig einen Verwaltungsakt der Leistungsträger voraussetzt. Der Kläger erachtete sich entsprechend der materiell-rechtlichen Regelungen nicht für zuständig und leitete den Antrag an den Beklagten weiter. Dieser lehnte aber im Folgenden seine Leistungsverpflichtung ebenfalls ab.

Vorläufig leistungsverpflichtet ist darüber hinaus der zuerst angegangene Leistungsträger. Dies ist der Träger, bei dem das Leistungsbegehren zum Ausdruck gebracht wurde. Dies war hier beim Kläger der Fall.

Der Kläger war zudem nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I zur Leistungsgewährung verpflichtet. Grundsätzlich steht es gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I im Ermessen des erstangegangenen Trägers, ob er vorläufige Leistungen erbringt. Stellt der Berechtigte einen Antrag auf vorläufige Leistung, verdichtet sich sein Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I zu einem Rechtsanspruch, wenn alle weiteren Voraussetzungen vorliegen. Da das Leistungsbegehren an den Kläger trotz der Mitteilung von der Weiterleitung an den Beklagten erneuert wurde, handelte es sich nicht mehr um eine Ermessensentscheidung des Klägers.

Auch die Regelung des § 14 SGB IX steht einer Anwendung des § 43 SGB I nicht entgegen. Der Kläger hat, nachdem er zu dem Ergebnis gekommen war, dass er seit Einführung des SGB II sachlich nicht (mehr) zuständig ist für diese Maßnahme, den Antrag an den Beklagten weitergeleitet gemäß § 14 SGB IX. Nach § 14 Abs. 1 SGB IX stellt, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. § 14 Abs. 2 SGB IX regelt sodann, dass wenn der Antrag nicht weitergeleitet wird, der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich feststellt. Wird der Antrag weitergeleitet, gilt § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend. Durch die vom Kläger durchgeführte fristgemäße Weiterleitung wurde die (vorläufige) sachliche Zuständigkeit des Beklagten begründet. Der Beklagte ist zwar kein Rehabilitationsträger nach § 6 SGB IX, jedoch findet diese Regelung gemäß § 6a SGB IX insofern auf ihn Anwendung als der Beklagte selbständig über die berufliche Rehabilitation unter Beachtung der anzuwendenden gesetzlichen Regelungen entscheidet. Der Beklagte war nicht berechtigt, eine Entscheidung über die Leistung gegenüber dem Betroffenen zu verweigern, er hätte allenfalls einen Erstattungsanspruch gegenüber den aus seiner Sicht nach den materiell-rechtlichen Regelungen zuständigen Träger geltend machen können. Der Beklagte hat jedoch zunächst selbst den Antrag an die Bundesagentur für Arbeit weitergeleitet, sodann gegenüber dem Kläger seine Zuständigkeit in sachlicher Hinsicht bestritten. Dies war beides jedoch nicht zulässig. Eine erneute Weiterleitung ist nicht möglich (Götz, in: Kossens/von der Heide/Maß, SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Kommentar, 3. Aufl. 2009, § 14 Rn. 17). Der Beklagte handelte in vollständiger Missachtung der Regelung des § 14 SGB IX. Der Kläger konnte damit nur feststellen, dass die Maßnahme begonnen hatte, ohne dass der Antrag des Betroffenen in sachlicher Hinsicht vom nach § 14 Abs. 1, 2 SGB IX für die Entscheidung zuständigen Träger beschieden worden wäre. Er sah sich daher – zu Recht – in der Pflicht, als erstangegangener Träger, für den Betroffenen Rechtssicherheit herzustellen. Allerdings wird vertreten, dass im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX § 43 SGB I keine Anwendung mehr findet (Joussen, in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage 2011, § 14 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen, auch zu den bisher in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefällen). Dies macht Sinn unter der Prämisse, dass § 43 SGB I über einen Kompetenzstreit hinweghilft, damit der Betroffene wenigstens vorläufig eine Leistung erhält und die Träger die Frage der Zuständigkeit untereinander klären. Einen solchen Kompetenzstreit kann es, wenn § 14 SGB IX rechtmäßig von allen beteiligten Trägern angewendet wird, nicht mehr geben. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn – wie hier – einer der beteiligten Träger, nämlich der Beklagte, die Regelung des § 14 SGB IX missachtet. Nach Auffassung des Senats entfällt nämlich ein Streit im Sinne des § 43 SGB I über die Zuständigkeit nicht endgültig, wenn die Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX eingreift. Letztere entspricht nämlich inhaltlich nicht zwingend der materiell-rechtlichen Regelung. Maßgeblich bleibt nach Auffassung des Senats im Rahmen von § 43 SGB I die Abgrenzung der Zuständigkeiten nach dem materiellen Recht der jeweiligen Bücher des SGB, wenn – wie hier – ein Träger die Regelung des § 14 SGB IX missachtet. Materiell-rechtlich ist nämlich auch weiterhin der Streit zwischen den Beteiligten nicht beseitigt, da der Beklagte, wenn er dies auch bisher weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren vorgetragen hat, sich sachlich augenscheinlich - unter Außerachtlassung der Regelung des § 14 SGB IX - nicht für zuständig erachtet. Für die alleinige Anwendung des § 14 SGB IX spricht zwar, dass der Gesetzgeber mit § 14 SGB IX ein in sich geschlossenes Zuständigkeitssystem mit eigenem Erstattungsanspruch geregelt hat, das der beschleunigten Antragsbearbeitung und Leistungsgewährung dienen soll. Lässt man die Anwendung des § 43 SGB I und sich daran anschließende Erstattungsstreite zu, so hindert dies eventuell – wie im vorliegenden Fall – die vom Gesetzgeber gewollte beschleunigte und für den Bürger transparente Bearbeitung des Antrags, da Leistungsträger, an die der Antrag weitergeleitet wurde, dann doch einen Ausweg aus ihrer Zuständigkeit finden könnten. Gegen die alleinige Anwendung des § 14 SGB IX spricht aber aus Sicht des Senats, dass für die Klärung des Verhältnisses zwischen zwei Trägern zu einem Zeitpunkt, zu dem die Leistung schon erbracht wird oder wurde – also im Fall des Erstattungsstreits, wie in der vorliegenden Konstellation – es unsinnig ist, ausschließlich mit der Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX zu operieren, wenn diese der materiellen Rechtslage nicht entspricht. Im Rahmen des Erstattungsanspruchs nach § 102 SGB X ist wiederum zu klären, wer materiell-rechtlich zur Leistung verpflichtet ist, denn § 102 SGB X stellt darauf ab, dass zur Erstattung derjenige Träger verpflichtet ist, der zur Leistung nach den materiell-rechtlichen Vorschriften verpflichtet ist. Das ist nicht gleichbedeutend mit der Frage, welcher Träger zur Leistungsgewährung gegenüber dem Betroffenen zuständig ist. Auch das BSG hat schon festgestellt (Urteil vom 26. Juni 2007, Az.: B 1 KR 34/06 R, SozR 4-3250, § 14 Nr. 4, siehe auch Löschau, in: GK-SGB IX, Stand: Oktober 2011, § 14 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen), dass die sich aus § 14 SGB IX ergebende Zuständigkeit gegenüber dem Betroffenen eine endgültige ist, jedoch an sich nur eine formale und vorläufige Zuständigkeit und damit zwischen Trägern keine endgültige Kostentragungspflicht begründet. Der Kläger hat somit als erstangegangener Träger aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine vorläufige Leistung rechtmäßig erbracht.

Der Beklagte ist auch sachlich für die Leistung zuständig und zwar nach materiell-rechtlichen Vorschriften. Es handelte sich um eine Leistung, die nach dem SGB II zu gewähren war. Der Unterschied zwischen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II bestimmt sich in der Umkehr der Bedeutung der Arbeit bei der Bedarfsbefriedung (siehe schon oben mit Nachweisen). Maßgeblich ist, ob die Eingliederung in Arbeit nur Nebensache bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist, oder ob es schwerpunktmäßig um die Eingliederung in Arbeit geht. Eingliederungsleistungen nach dem SGB II können gewährt werden, wenn der Schwerpunkt auf der Eingliederung in das Erwerbsleben und nicht auf der Beseitigung anderer Defizite, z. B. bei der Strukturierung des Tagesablaufs dient. Maßnahmen, die ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zum Bestandteil der persönlichen Lebensführung gehören, die eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken sowie elementare Grundbedürfnisse befriedigen und sich so nur mittelbar auf eine Arbeitsaufnahme auswirken, fallen wiederum in den Zuständigkeitsbereich des SGB XII. Der Schwerpunkt der Maßnahme lag bei der Eingliederung in Arbeit. Nach der Beschreibung der Leistung des XY. diente die Maßnahme dazu, eine Berufsausbildung zu durchlaufen. Sie diente nicht der Tagesstrukturierung und Eingliederung in die Gemeinschaft. Es handelte sich um eine teilstationäre Maßnahme, die voraussetzte, dass der Teilnehmer in der Lage ist, die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens selbst zu organisieren. Es wurde nur Unterstützung bei der Durchführung der Ausbildung geboten. Die Ausbildung setzte voraus, dass der Betroffene selbständig am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen kann. Es bestand zwar im Rahmen der Ausbildung die Möglichkeit, eine Krisenintervention zu nutzen und ggf. die Ausbildung für einen gewissen Zeitraum zu unterbrechen. Daran erschöpften sich aber die Maßnahmen, die sich auf die Behinderung des Klägers bezogen. Alle weiteren spezifischen Elemente der außerbetrieblichen Ausbildung bezogen sich ausschließlich auf die erfolgreiche Durchführung der Ausbildung nebst Abschluss.

Der Beklagte vermochte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er ggf. eine andere Ermessensleistung ausgewählt hätte. Der Erstattungsanspruch des § 102 SGB X umfasst auch Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sondern die - wie im vorliegenden Fall - vom Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen erbracht werden können. Im Erstattungsverfahren ist eine Überprüfung der Ermessenserwägungen durch den erstattungspflichtigen Träger nur eingeschränkt zulässig. Der vorläufig leistende Träger soll nämlich auch bei Ermessensentscheidungen nicht befürchten müssen, dass die aus seiner Sicht zweckmäßige Entscheidung nachträglich vom Erstattungspflichtigen als unzweckmäßig angesehen und eine Erstattung deshalb abgelehnt wird (Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Lfg. 2/11, § 102 Rn. 23). Es verbleibt die Überprüfung der Ermessensentscheidung auf offensichtliche Fehlerhaftigkeit. Es kommt keine erneute Ermessensausübung durch den erstattungspflichtigen Träger in Betracht (BSGE 45, 290). Da keine offensichtlichen Fehler der Ermessensentscheidung des Klägers erkennbar sind (siehe hierzu auch schon oben), werden auch die hier gewährten Ermessensleistungen vom Erstattungsanspruch erfasst.

Die mit der Klage geltend gemachten Forderungen umfassen die Kosten der Maßnahme und Sozialversicherungsbeiträge. Sie umfassen damit keine Kosten, die nicht erstattungsfähig wären.

Der Erstattungsanspruch war bei Klageerhebung nicht verjährt und wurde seitens des Klägers rechtzeitig gemäß § 111 SGB X geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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