L 16 AS 488/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 859/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 488/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine PKH für bereits abgeschlossene Instanz, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidungsgründe über den Antrag auf PKH kein bewilligungsfähiger Antrag vorliegt. Hierzu muss eine vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Frist von einer Woche zur Vorlage der Erklärung angemessen.
I. Die Beschwerde gegen Ziffer III des Beschlusses des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 13.04.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Prozesskostenbeihilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für ein vor dem Sozialgericht München bereits abgeschlossenes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitig.
Der 1966 geborene Beschwerdeführer (Bf) steht im laufenden Leistungsbezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beschwerdegegner (Bg). Zwischen den Beteiligten war im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit dreier Sanktionsbescheide wegen Meldeversäumnissen streitig. Der Bf nahm Meldetermine am 02.01.2012, am 13.01.2012 und am 20.01.2012 nicht wahr.
Nach einer Anhörung gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) wurde mit drei Bescheiden vom 26.01.2012 das Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis zum 31.05.2012 monatlich um je 10 % der maßgebenden Regelleistung (jeweils 37,70 EUR monatlich) abgesenkt, da der Bf zu den Terminen nicht erschienen war.
Der Bf legte gegen alle drei Bescheide Widerspruch ein, über die nach Aktenlage nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vom 29.03.2012, beim Sozialgericht München am 02.04.2012 eingegangen, beantragte der Prozessbevollmächtigte des Bf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Sanktionsbescheide anzuordnen und zugleich Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Sanktionsbescheide seien rechtswidrig, da sie gleichzeitig, ohne zeitliche Abstufung erlassen worden seien. Nur der erste Absenkungsbescheid sei möglicherweise rechtmäßig. Der Prozessbevollmächtigte kündigte an die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf zur Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrags nachzureichen.
Am 02.04.2012 wurde der Prozessbevollmächtigte vom Sozialgericht aufgefordert die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen, insbesondere der Kontoauszüge der letzten drei Monate in Kopie, bis zum 09.04.2012 zu übersenden.
Eine Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgte nicht.
Das Sozialgericht München lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 13.04.2012 ab, da die Sanktionsbescheide vom 26.01.2012 rechtmäßig seien, Erfolgsaussichten in der Hauptsache seien nicht gegeben. Rechtsgrundlage der Sanktionsbescheide sei § 32 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur alten Rechtslage, wonach ein wiederholtes Meldeversäumnis nur dann sanktioniert werden könne, wenn bereits eine Feststellung eines Meldeversäumnisses getroffen worden sei, sei auf die bis zum 01.04.2012 (richtig: 2011) geltende Gesetzeslage nicht mehr anzuwenden. Durch die Formulierung "jeweils" komme klar zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber ein zeitliches Zusammentreffen mehrerer sanktionsbedingter Absenkungen zulassen wollte. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung. Daher sei der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Das Sozialgericht ging in seiner Rechtsbehelfsbelehrung davon aus, dass der Beschluss gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unanfechtbar sei.
Der Bevollmächtigte des Bf hat am 25.06.2012 Beschwerde gegen Ziffer III des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 13.04.2012 eingelegt. Die Beschwerde sei entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung statthaft und nicht verfristet, da die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Ablehnung der Prozesskostenhilfe unrichtig gewesen sei. Damit sei die Beschwerde innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Beschlusses zulässig. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei das Urteil des Bundessozialgerichts vom 09.11.2010, B 4 AS 27/10 R auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Dies ergebe sich aus dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Regelung.
Auf den Hinweis des Senats, dass bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt worden und somit die Bedürftigkeit des Bf nicht nachgewiesen worden sei, führte der Prozessbevollmächtigte des Bf aus, dass sich bereits aus der zeitlichen Abfolge des erstinstanzlichen Schriftwechsel ergeben würde, dass der Bf kaum Zeit hatte die von ihm geforderten Unterlagen beizubringen. Außerdem werde die Ablehnung des Antrags auf die materielle Rechtslage gestützt und nicht darauf, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegen habe. Es sei daher im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht zulässig, einen erkennbar vom Sozialgericht nicht herangezogenen Ablehnungsgrund nunmehr für die mangelnde Erfolgsaussicht der Beschwerde heranzuziehen. Daher werde die Erklärung des Bf über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nunmehr übermittelt.
Der Bg hat beantragt die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Bg sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172,173 SGG) ist unabhängig vom Beschwerdewert und entgegen der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts statthaft.
Die Beschwerde wurde fristgerecht erhoben. Gemäß § 66 Abs. 2 SGG ist bei einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfes innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig. Das Sozialgericht hat eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung verwendet, da es darauf hingewiesen hat, dass gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG die Entscheidung unanfechtbar sei. Diese Rechtsbehelfsbelehrung ist hinsichtlich des Tenors unter Ziffer III unrichtig, da gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nur dann ausgeschlossen ist, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Vorliegend hat das Sozialgericht die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auf die mangelnde Erfolgsaussicht gestützt.
Das Sozialgericht hat jedoch im Ergebnis die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.
Nach § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll es einer Partei ermöglichen, einen Prozess zu führen und soll nicht dazuführen einer Partei nachträglich die Kosten für einen bereits geführten abgeschlossenen Prozess zu beschaffen. Daher kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung einer Instanz grundsätzlich nicht in Betracht, außer die Voraussetzungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe lagen bereits vor Abschluss der Instanz vor.
Regelmäßig muss ein ordnungsgemäß ausgefüllter Antrag auf Prozesskostenhilfe mit allen erforderlichen Unterlagen bis zum Abschluss der Instanz oder des Verfahrens beim zuständigen Gericht vorliegen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 03.01.2011, L 7 AS 782/ 10 B PKH). Ein bewilligungsfähiger Antrag liegt erst dann vor, wenn die antragstellende Partei innerhalb des laufenden Verfahrens die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass das Sozialgericht eine Prüfung über die Berechtigung des gestellten Antrags vornehmen kann. Hierzu muss grundsätzlich eine vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei, d.h. ein vollständig ausgefüllter Antragsvordruck (§ 117 Abs. 3, 4 ZPO) nebst der erforderlichen Anlagen vorliegen (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 117 Rdnr. 2c), denn Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht nur die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung, sondern auch, dass die Partei die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 114 S. 1 ZPO).
Vorliegend lag dem Sozialgericht bis zur Entscheidung im Eilverfahren kein vollständiger Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor, so dass, unabhängig von den Erfolgsaussichten, allein wegen der Unvollständigkeit des Prozesskostenhilfeantrages Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden konnte.
Der Prozessbevollmächtigte des Bf hat im Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 29.03.2012 angekündigt die Formblätter zu Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachzureichen. Dies ist, unabhängig von der Fristsetzung des Sozialgerichts nach § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO, unterblieben. Nach dieser Ankündigung war eine Fristsetzung durch das Sozialgericht nicht mehr notwendig, da sich eine solche in diesen Fällen regelmäßig erübrigt (vgl. Baumbach, Lauterbach, Albers, Hartmann, ZPO, 70. Auflage 2012, § 117 Rn. 35). Somit kommt es hier nicht darauf an, ob die Fristsetzung durch das Sozialgericht angemessen war. Vielmehr war dem Bevollmächtigten des Bf bewusst, dass eine solche Erklärung für die Entscheidung des Sozialgerichts über die Prozesskostenhilfe notwendig ist. Zudem war in einem Eilverfahren auch mit einer zügigen Entscheidung durch das Sozialgericht zu rechnen. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache durch das Sozialgericht, bis ein vollständig ausgefüllter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegt, wäre nicht zu vertreten. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Sozialgericht auch nicht vor Ablauf der von ihm gesetzten Frist über den Antrag auf Prozesskostenhilfe entschieden hat. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist regelmäßig eine Frist zur Stellungnahme von einer Woche angemessen. Von der Möglichkeit der Verlängerung dieser Frist hat der Bevollmächtigte des Bf keinen Gebrauch gemacht.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Erklärung unverschuldet nicht vorgelegt wurde, da diese erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht wurde. Es wurde nicht vorgetragen, dass es dem Bevollmächtigten des Bf nicht möglich gewesen wäre, eine Fristverlängerung zur Einreichung der Formblätter und der Nachweise zu beantragen. Vielmehr musste der Bevollmächtigte des Bf damit rechnen, dass das Sozialgericht, nach Ablauf der gesetzten Frist, über den Antrag des einstweiligen Rechtsschutzes und zugleich auch über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zügig entscheiden wird. Auch verfassungsrechtlich ist es nicht zu beanstanden, dass einem Verfahrensbeteiligten die selbst zu vertretenden Versäumnisse und Unterlassungen bei der Beachtung von Frist- und Formvorschriften zugerechnet werden (Bundesverfassungsgericht - BverfG -, Beschluss vom 30.08.1991, 2 BvR 995/91).
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist im Beschwerdeverfahren voll zu überprüfen und zwar nicht nur hinsichtlich der erforderlichen Erfolgsaussicht sondern auch hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Abzustellen ist hierbei auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags, d.h. vorliegend auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts. Zu diesem Zeitpunkt lag die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vor, so dass die Bedürftigkeit des Bf nicht überprüft werden konnte. Eine Bedürftigkeitsüberprüfung ist auch bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II stets durchzuführen, da die Bestimmungen nach § 115 ZPO und § 12 SGB II unterschiedliche Freigrenzen hinsichtlich des zu berücksichtigenden Vermögens haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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