S 16 SO 204/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 204/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme der Miete während der Zeit seiner Unterbringung.

Der 19xx geborene Kläger erhielt bis zur Anordnung seiner Sicherungsverwahrung zum 28.05.2010 Arbeitslosengeld II. Er bewohnte eine 30 qm große Mietwohnung mit einer Warmmiete von 260,00 Euro (180,00 Euro Kaltmiete zuzüglich Betriebs- und Heizkosten von jeweils 40,00 Euro).

Am 07.06.2010 beantragte der Kläger über seinen Betreuer bei der Beklagten die Übernahme der Miete bis zu seiner Entlassung. Er gab hierbei an, dass offen sei, wann er aus der Sicherungsverwahrung entlassen werde. Bereits unter dem 26.09.2010 hat der Vermieter das Mietverhältnis wegen Mietrückständen von drei Monaten fristlos gekündigt. Ende März 2011 ist der Kläger aus der Wohnung ausgezogen.

Mit Bescheid vom 09.11.2010 und Widerspruchsbescheid vom 08.02.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Miete ab.

Mit seiner hiergegen am 08.03.2011 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass es aufgrund seiner psychischen Erkrankung für ihn wichtig sein, nach seiner Entlassung wieder in seine Wohnung zurückzukehren, um eine Destabilisierung seines Zustandes zu vermeiden. Darüber hinaus sei es bei einer Wohnungssuche so, dass eventuell die Sicherungsverwahrung offenbart werden müsse und er dann keine Wohnung erhalte, so dass Obdachlosigkeit drohe. Der BGH habe mittlerweile entschieden, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung in seinem Fall unrechtmäßig gewesen sei. Er habe das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Dort sei nunmehr mit Beschluss vom 05.05.2011 der Unterbringungsbefehl aufgehoben und mit Urteil vom 25.08.2011 der Antrag auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zurückgewiesen worden. Seine Wohnung habe er mittlerweile Ende März 2011 aufgeben müssen. Da die Sicherungsverwahrung jedoch unrechtmäßig gewesen sei, habe er einen Anspruch auf Freistellung von den Mietzinszahlungen in Höhe von 2.600,00 Euro. Die Ansicht der Beklagten führe außerdem zu einer Diskriminierung psychisch kranker Personen. Schließlich bestehe die besondere soziale Schwierigkeit in der unrechtmäßigen Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Außerdem liege ausgrenzendes Verhalten vor, was daran ersichtlich werde, dass er Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leistete und sodann zunächst zur Heilbehandlung untergebracht worden war. Er sei auch psychisch sehr schwer krank und habe sich aus dieser Situation nicht selbst befreien können. Mittlerweile bewohne er wieder eine eigene Wohnung. Er befinde sich aktuell in Therapie und lebe völlig unauffällig.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2011 zu verurteilen, die noch offenen Mietkosten in Höhe von 2.600,00 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig. Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, die Miete für eine auf unbestimmte Zeit leer stehende Wohnung zu übernehmen. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass im Falle des Klägers besondere soziale Schwierigkeiten im Sinne der §§ 67 ff. SGB XII vorliegen. Unerheblich sei auch, dass der Kläger zu Unrecht untergebracht worden sei.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Miete für seine Wohnung während der Zeit seiner Sicherungsverwahrung. Streitig ist dabei die Zeit ab Antragstellerung bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses, mithin die Zeit vom 01.06.2010 bis 31.03.2011.

Soweit als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt auf den Tag der Antragstellung bei der Beklagten (Juni 2010) abgestellt wird, ist das Begehren des Klägers so zu verstehen, dass er die Übernahme der aktuell und zukünftig fällig werdenden Miete begehrt.

Die §§ 19, 27 Abs. 1 und 29 (bzw. ab 01.01.2011 § 35) Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII; Hilfe zum Lebensunterhalt) sind für die zum Zeitpunkt der Antragstellung fällige und die zukünftigen Mieten als Anspruchsgrundlage nicht einschlägig, denn der Lebensunterhalt des Klägers im Sinne dieser Bestimmungen wurde im streitigen Zeitraum dadurch sichergestellt, dass er sich in Untersuchungshaft befand. Die streitigen Unterkunftskosten dienen damit nicht dem aktuellen Bedarf des Klägers an einer Wohnung, sondern vielmehr der Erhaltung dieser Wohnung bis zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der Haft. Damit gehören die Kosten der Unterkunft aber nicht zum gegenwärtigen Bedarf des Klägers an Hilfe zum Lebensunterhalt (ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.2011, Az: L 20 SO 76/08 sowie SG Münster, Beschluss vom 02.05.2005, Az: S 12 SO 31/05 ER).

Auch die §§ 67ff. SGB XII scheiden als Anspruchsgrundlage ebenfalls aus. Diese Vorschriften kommen zwar grundsätzlich als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Übernahme von Unterkunftskosten von Häftlingen in Betracht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.06.2005, Az: L 20 B 2/05 SO ER und Urteil vom 20.06.2011, Az: L 20 SO 76/08). Nach Ansicht des Gerichts gehört der Kläger auch grundsätzlich zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Allerdings muss die Hilfe nach § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII notwendig sein. Hierbei kommt es im Wesentlichen darauf an, ob es wirtschaftlich sinnvoll und vertretbar ist, die Wohnung während der Dauer der Unterbringung beizubehalten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.2011, Az: L 20 SO 76/08 sowie Scheider, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage, § 68 Rn. 11). Auf dieser Grundlage ist ein Zeitraum von etwa sechs Monaten angemessen, für den die Miete übernommen werden kann (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 20.06.2011, Az: L 20 SO 76/08 sowie Beschluss vom 30.06.2005, Az. L 20 B 2/05 SO ER sowie LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.08.2007, Az: L 8 SO 87/06 und SG Lüneburg, Urteil vom 01.07.2008, Az: S 28 AS 883/07). Vorliegend war zum Zeitpunkt der Antragstellung völlig unklar, wie lange die Unterbringung dauern wird. Schlussendlich dauerte sie fast ein Jahr und übersteigt damit die Angemessenheitsgrenze von 6 Monaten um das annähernd doppelte. Selbst unter Berücksichtigung der Art der Erkrankung des Klägers war es wegen der unbestimmten Zeitdauer der Unterbringung nicht gerechtfertigt, die Miete zu übernehmen. Schließlich ergibt sich aus der vom Betreuer dargestellten Situation des Klägers nach seiner Entlassung aus der Sicherungsverwahrung, dass dieser in der Lage war, sich mit Hilfe seines Betreuers eine neue Wohnung zu suchen. Auch war er in der Lage, sich in ein neues Wohnumfeld einzuleben, denn nach Mitteilung des Betreuers lebt der Kläger in seiner neuen Wohnung völlig unauffällig.

Eine Übernahme der Mietkosten kommt – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht deshalb in Betracht, weil er zu Unrecht untergebracht worden ist. Zum einen besteht diese Gefahr bei jeder Unterbringung bzw. Untersuchungshaft, denn erst im nachfolgenden Strafverfahren wird darüber entschieden, ob die strafrechtliche Verantwortung gegeben ist oder nicht. Zum anderen handelt es sich bei der beantragten Sozialhilfe nicht um eine Art von Schadenskompensation wegen erlittenem Unrecht. Insoweit hat der Gesetzgeber vielmehr mit dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen – StrEG (vgl. §§ 2 und 7 StrEG) ein eigenes Regelungssystem geschaffen. Gegenstand der Entschädigung ist danach der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden.

Soweit der Kläger geltend macht, dass mit der Ablehnung seines Antrages eine Diskriminierung psychisch Kranker einhergeht, folgt dem das Gericht nicht. Der Ansatz, die Notwendigkeit der Übernahme der Mietkosten in der Regel zu verneinen, wenn die Unterbringung bzw. Haft länger als sechs Monate dauert, stellt nach Ansicht des Gerichts vielmehr eine einheitliche Handhabung sicher. Sie lässt außerdem noch Raum für Einzelfallentscheidungen. Darüber hinaus wurde der Antrag des Klägers nicht wegen seiner Erkrankung abgelehnt, sondern es wurde – wie in allen anderen Fällen auch – die Notwendigkeit der Übernehme der Mietkosten geprüft und vorliegend zu Recht verneint.

Soweit für die Beurteilung des Sachverhalts auf die letzte mündliche Verhandlung abgestellt wird, handelt es sich bei der rückständigen Miete in Höhe von 2.600,00 Euro nunmehr insgesamt um Schulden, die lediglich unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB XII bzw. seit dem 01.01.2011 des § 36 Abs. 1 SGB XII übernommen werden können. Nach dieser Vorschrift können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Dessen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor, denn dem Kläger steht die Wohnung nicht mehr zur Verfügung, so dass aktuell diese Unterkunft nicht mehr gesichert werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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