L 12 AS 1858/12 B ER und L 12 AS 1859/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 40 AS 2105/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1858/12 B ER und L 12 AS 1859/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.09.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab 25.02.2013 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von 6 Monaten Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Ferner wird auf die Beschwerde der Antragsteller der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.09.2012 dahingehend abgeändert, dass den Antragstellern für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, H, gewährt wird. Den Antragstellern wird darüber hinaus auch für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, H, bewilligt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II in Form der Regelleistung.

Der 1987 geborene Antragsteller zu 1) und die 1988 geborene und im Zeitpunkt der Antragstellung schwangere Antragstellerin zu 2) sind die Eltern des im Jahre 2007 geborenen Antragstellers zu 3). Sie sind bulgarische Staatsangehörige und reisten Ende 2009 in die Bundesrepublik ein. Der Antragsteller zu 1) und der Antragsteller zu 3) sind seit dem 10.11.2009 unter der Anschrift C-straße 00, H, gemeldet. Die Antragstellerin zu 2) ist dort seit dem 10.12.2009 gemeldet. Am 25.05.2012 wurde ihnen von der Stadt H eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 des Freizügigkeitsgesetzes der Europäischen Union (FreizügG/EU) ausgestellt mit dem Hinweis, dass zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU benötigt werde.

Am 21.08.2012 beantragten die Antragsteller die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dies lehnte der Antragsgegner mündlich ab und händigte den Antragstellern eine über die Vorsprache und die Ablehnung angefertigtes Protokoll aus. Gegen die Ablehnung der beantragten Leistung legten die Antragsteller am 30.08.2012 schriftlich Widerspruch ein.

Am 04.09.2012 ersuchten die Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Regelleistungen einschließlich des Krankenversicherungsschutzes für den Antragsteller zu 1). Sie trugen vor, mietkostenfrei bei den Eltern des Antragstellers zu 1) zu wohnen und von dessen Vater auch bis zum Verlust seiner Erwerbstätigkeit Nahrungsmittel erhalten zu haben. Nach der Einreise habe der Antragsteller zu 1) ein Gewerbe im Bereich des Trockenbaus angemeldet, daraus jedoch keinerlei Einkünfte erzielt. Sie verfügten demzufolge über keinerlei Einkommen und Vermögen mit Ausnahme des Kindergeldes in Höhe von 184,00 EUR monatlich. Aus diesem Grunde seien sie nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Antragsteller könnten sich als Staatsangehörige der EU auf sämtliche Rechte, die aus ihrer EU-Zugehörigkeit folgten, berufen. Unerheblich sei, dass keine Genehmigung nach § 284 SGB III vorliege. Auch greife der Leistungsausschluss im § 7 Abs. 1 SGB II nicht ein.

Der Antragsgegner vertrat demgegenüber die Auffassung, die Antragsteller hielten sich in Deutschland ausschließlich zur Arbeitssuche auf. Sie seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Außerdem habe die Bundesregierung zwischenzeitlich nach § 16 lit b) des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) bezüglich der Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt erklärt.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 20.09.2012 den Antrag abgelehnt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt.

Rechtsgrundlage für die zu treffende Entscheidung sei § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Voraussetzung dafür sei, dass sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien.

Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, denn es mangele an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Als bulgarische Staatsbürger seien die Antragsteller von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhielten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht hätten, erwerbsfähig seien, hilfebedürftig seien und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II erhielten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, Leistungen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehörten nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten und die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen könnten.

Die Antragsteller seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Berechtigung, Leistungen nach diesem Gesetz zu beziehen, ausgenommen, denn ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik ergebe sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Ein sonstiges Freizügigkeitsrecht neben dem nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 FreizügG/EU hätten sie nicht glaubhaft gemacht. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU hätten freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe des FreizügG/EU. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt seien u.a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer zur Arbeitsuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU), Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt seien (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) oder Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätigte Dienstleistungen im Sinne des Artikel 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollten (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt seien (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU).

Die Antragsteller zu 1) und 2) hielten sich nicht zur Berufsausbildung auf und seien keine Arbeitnehmer. Sie erbrachten keine Dienstleistung, die iSd Artikel 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Auch habe der Antragsteller zu 1) die tatsächliche Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht glaubhaft gemacht. Zwar habe der Antragsteller zu 1) nach eigenen Angaben nach seiner Einreise ein Gewerbe im Bereich des Trockenbaus angemeldet. Selbst wenn ein solches Gewerbe vorläge, übe er diese Tätigkeit wegen fehlender Aufträge faktisch nicht aus. Allenfalls könne es sich dabei um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit handeln. Die Antragsteller hätten aus diesem Grunde auch kein Fortwirken des Aufenthaltsrechts aus einer früheren Tätigkeit aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Danach bleibe das Recht nach Abs. 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer mehr als ein Jahr dauernden selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss gehabt habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Damit sei nach alledem nur von einem Aufenthaltszweck der Arbeitsuche auszugehen, so dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfüllt sei.

Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Europarechtswidrigkeit dieses Leistungsausschlusses bestünde nach vorläufiger Prüfung aus Sicht des Gerichts nicht (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012 - L 20 AS 2347/11 BER -; LSG NRW, Beschluss vom 30.05.2011 - L 19 AS 388/11 B ER - und Beschluss vom 28.06.2011 - L 19 AS 317/11 B ER -). Dem stehe auch nicht das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 1 EFA entgegen. Die Antragsteller fielen nicht unter den Schutzbereich des EFA, weil Bulgarien das Fürsorgeabkommen nicht unterzeichnet habe. Selbst wenn die Antragsteller unter den Schutzbereich des EFA fallen würden, bliebe es beim Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die BRD habe mit Wirkung zum 19.12.2011 für Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt i. S. d. Artikel 16 lit b EFA erklärt, so dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch auf Angehörige der EFA-Staaten Anwendung finde. Daraus ergebe sich auch kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 18 AEUV (ex-Artikel 12 EGV). Die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 29.04.2004 ermöglichten Ausnahmen vom Grundsatz des Diskriminierungsverbotes. Der deutsche Gesetzgeber habe von der in Artikel 24 Abs. 2 i.V.m. Artikel 14 Abs. 4 lit b Richtlinie enthaltenen Möglichkeit, Ansprüche von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen auf soziale Leistungen auszuschließen, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein auf den Zweck der Arbeitsuche gründe, Gebrauch gemacht (vgl. BT-Drs. 16/688, Seite 13).

Aus diesem Grunde scheide auch ein Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Anmeldung zur Krankenversicherung durch den Antragsgegner aus, denn versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V seien Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen würden. Ohne ein originäres Leistungsrecht der Antragsteller zu 1 und der Antragstellerin zu 2) könne der Antragsteller zu 3) für sich keinen Anspruch auf Sozialgeld geltend machen, denn dieser leite sich aus dem originären Leistungsanspruch eines Leistungsberechtigten i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB II ab.

Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg des Verfahrens sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen gewesen.

Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 24.09.2012. Die Auffassung des Sozialgerichts Gelsenkirchen halte einer Überprüfung nicht stand. In der Rechtsprechung des EuGH werde das Recht auf Inländergleichbehandlung von Unionsbürgern in dem Mitgliedsstaat ihres Wohnsitzes auf das Diskriminierungsverbot nach Artikel 18 AEUV im Zusammenhang mit der Freizügigkeit als Unionsbürger nach Artikel 21 AEUV gestützt, ohne dass es auf die Teilnahme am Erwerbsleben ankomme. Im Mittelpunkt stehe auch das Problem des Diskriminierungsverbotes der VO 883/2004. Im Übrigen fielen SGB II - Leistungen als besondere beitragsunabhängige Leistungen nach Artikel 70 unter diese Verordnung (so ausdrücklich Artikel 3 Abs. 3 der VO). Für eine Prüfung anhand der in Artikel 70 aufgestellten Kriterien sein kein Raum, da das SGB II als beitragsunabhängige Sonderleistung im Anhang X der VO aufgenommen worden sei. Das Diskriminierungsverbot des Artikels 4 VO 883/2004 sei als lex specialis zu Artikel 18 AEUV anzusehen. Die Definition des Wohnortes in Artikel 1 Abs. 1 VO 883/2004 und Artikel 11 VO 897/2009 knüpfe an faktische Verhältnisse an, weshalb der Gleichbehandlungsanspruch der VO im Hinblick auch auf die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen völlig unabhängig von der Legalität des Aufenthaltes bestehe. Daher leite sich im Ergebnis aus dieser VO ein Anspruch auf ALG II für alle Unionsbürger nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ab. Dies entspreche auch der Argumentation der überwiegenden Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte (z. B. LSG Berlin-Brandenburg vom 30.09.2011 - L 14 AS 1148/11 B ER -).

Der Antragsgegner hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Eine abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R -; vgl. hierzu Terminbericht 2/13 Nr. 1 vom 13.01.2013). In dem vorgenannten Verfahren sei der Kläger insbesondere nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen, da ein Ausschlussgrund nicht in einer Fallkonstellation greife, in der ein nicht erwerbstätiger Ausländer zwecks Familienzusammenführung zu seinem deutschen Ehepartner ziehe. Sämtliche Antragsteller des anhängigen Verfahrens seien nicht erwerbstätige Ausländer. Ein Zuzug eines nicht erwerbstätigen Ausländers zwecks Familienzusammenführung zu seinem deutschen Ehepartner liege hier nicht vor. Im Übrigen handele es sich bei der Entscheidung des BSG um eine Einzelfallentscheidung.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht es abgelehnt, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem SGB II im begehrten Umfang zu bewilligen, denn die Antragsteller haben sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat im Zusammenhang mit der Darstellung der rechtlichen Grundlagen sowohl in verfahrens- als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht - auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich insoweit zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Nicht zu folgen vermag der Senat hingegen der Ansicht des Sozialgerichts, die Antragsteller würden vom Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst. Hierbei stützt der Senat sich auf die Ausführungen des BSG in seiner Entscheidung vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R -. Klägerin des dortigen Verfahrens war auch eine im Zeitpunkt der Antragstellung schwangere bulgarische Staatsangehörige, der der Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II versagt worden war, da sie im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 30.01.2013 (a.a.O.) hierzu ausgeführt, dass im zugrunde liegenden Fall der Leistungsausschluss nicht greife. Unabhängig von der Frage, ob der gesetzlich festgeschriebene unbegrenzte Ausschluss von Unionsbürgern gegen EU-Recht - insbesondere die VO(EG) Nr. 883/2004 - verstoße und diese VO hier überhaupt Anwendung finden könne, fehle es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm. Es könne nicht positiv festgestellt werden, dass sich die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Aufgrund der Vorwirkungen der Geburt ihres Kindes habe bereits vor dem hier streitigen Zeitraum ein anderer Aufenthaltszweck als der vom LSG ausschließlich für möglich gehaltene Aufenthaltszweck der Arbeitsuche bestanden. Aus § 11 Abs. 1 Satz 5 FreizügG/EU i. V. m. der Auffangregelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz könnten sich in begründeten Fällen Aufenthaltserlaubnisse auch für nicht ausdrücklich erfasste Aufenthaltszwecke ergeben. Dies betreffe insbesondere Aufenthaltsrecht aus dem Zusammenleben von Partnern mit einem gemeinsamen Kind und bevorstehenden Familiengründungen. Der zu erwartenden Geburt des Kindes, das einen aus Artikel 6 GG geschützten Anspruch auf Ermöglichung und Aufrechterhaltung eines familiären Bezug zu beiden Elternteilen von Geburt an habe, kämen aufenthaltsrechtliche Vor- und Schutzwirkungen für das Aufenthaltsrecht seiner Eltern zu. Dabei komme es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse und besonderen Einzelfallumstände an. Insofern wäre es der bereits seit Januar 2010 schwangeren Klägerin, die bis zur SGB II - Antragstellung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten habe, nicht zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes zu trennen und das Bundesgebiet zu verlassen. Es bestand daher bereits vor Anerkennung der Vaterschaft durch den Lebensgefährten der Klägerin am 20. Juli 2010 und SGB II - Antragstellung ein von der Arbeitsuche unabhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. hierzu Terminbericht 2/13 vom 30.01.2013 Nr. 1).

Diese besonderen Umstände des Einzelfalls sieht der Senat auch vorliegend als gegeben an. Auch der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) leben in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft. Sie haben ein bereits im Jahre 2007 geborenes Kind und erwarteten im Zeitpunkt der Antragstellung im August 2012 ihr zweites Kind. Angesichts dessen vermag der Senat keine grundlegenden Abweichungen im hier zu entscheidenden Sachverhalt von der Entscheidung des BSG zu erkennen, die es rechtfertigen würden, von der Entscheidung des BSG abzuweichen. Die Antragsteller haben mit ihrem Sachvortrag den Anordnungsanspruch des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinreichend glaubhaft gemacht.

Der vom Antragsgegner gehaltene Sachvortrag, der dem entgegenstehen solle, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Zum Einen ist die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ausweislich der Terminvorschau 2/13 Nr. 1 vom 24.01.2013 und des Terminberichtes 2/13 Nr. 1 vom 30.01.2013 nicht thematisiert worden in dem zur Entscheidung herangezogenen Verfahren des BSG, zum Anderen greift dieser Ausschlussgrund im vorliegenden Verfahren schon allein deshalb nicht ein, weil er expressis verbis den Ausschluss der Leistungen begrenzt auf die ersten 3 Monate des Aufenthalts der dort genannten Personen. Im zugrunde liegenden Verfahren hatten die Antragsteller sich jedoch bereits im Zeitpunkt der Antragstellung im August 2012 knapp 3 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten. Darüber hinaus liegt weder im zugrunde liegenden Verfahren noch im Verfahren des BSG vom 30.01.2013 eine Fallkonstellation zugrunde, in der ein erwerbstätiger Ausländer zwecks Familienzusammenführung zu seinem deutschen Ehepartner zieht.

Den Antragstellern sind daher Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, nach denen sich auch der Krankenversicherungsschutz richtet (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V) zu gewähren. Kosten der Unterkunft (KdU) sind nicht zu gewähren, da die Antragsteller nach ihrem eigenen Vortrag mietfrei bei den Eltern des Antragstellers zu 1) wohnen.

Die zeitliche Begrenzung entspricht dem Begehren der Antragsteller hinsichtlich des Beginns der Leistung und war auf einen 6-monatigen Bewilligungszeitraum zu begrenzen, um im Rahmen einer erneuten Überprüfung etwaigen Veränderungen Rechnung zu tragen.

Angesichts der Mittellosigkeit der Antragsteller bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken gegen das Vorliegen der Voraussetzungen des Anordnungsgrundes.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Da das Verfahren aus den vorgenannten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war auch der Beschwerde gegen die Versagung der Gewährung von PKH stattzugeben (§§ 73 a SGG, 114 ff der Zivilprozessordnung (ZPO)). Insoweit folgt die Kostenentscheidung aus §§ 73 a SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Aus den gleichen Gründen war dem Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren stattzugeben (§§ 73 a SGG, 114 ff ZPO).
Rechtskraft
Aus
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