L 9 SO 52/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 14 SO 77/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 52/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 11/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 71 SGB XII umfasst nur Leistungen zur Abmilderung spezifischer Probleme des Alters. Die Tatbestandsvoraussetzungen der übrigen Bestimmungen des SGB XII dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass im Rahmen der "Altenhilfe" Leistungen erbracht werden, mit denen die im Sinne eines soziokulturellen Existenzminimums begrenzten Leistungen zum Lebensunterhalt umgangen werden.

2. Die Anordnung intendierten Ermessens in § 71 SGB XII bezieht sich nur auf die Entschließungsentscheidung. Sie ändert nichts an der Regelung des § 17 Abs. 2 SGB XII, wonach über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden ist, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen der Altenhilfe streitig.

Der Kläger ist 1940 geboren und erhält von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Am 31. August 2008 beantragte er bei der Beklagten Leistungen der Altenhilfe nach § 71 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Sozialhilfe - SGB XII) zum regelmäßigen Besuch seines Elterngrabes in X-Stadt sowie von Verwandten in Y-Stadt und Z-Stadt und für den monatlichen Besuch von kulturellen Veranstaltungen. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 forderte die Beklagte ihn auf, den Bedarf zu beziffern. Gleichzeitig übersandte sie ihm das Freizeit- und Kulturprogramm der Beklagten. Daraufhin gab der Kläger am 17. Oktober 2007 an, sein Elterngrab in X Stadt monatlich besuchen zu wollen. Auf dem Rückweg wolle er bei seiner Nichte, die seit 30 Jahren an Multipler Sklerose leide, vorbeifahren. Auch seinen Bruder in Y-Stadt wolle er monatlich besuchen. Insgesamt benötige er, auch für Veranstaltungsbesuche, 200,00 Euro monatlich.

Durch Bescheid vom 26. November 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach § 71 SGB XII ab. Dabei verwies sie darauf, dass die geltend gemachten Bedarfe bereits von den Regelleistungen umfasst seien, zumal die Bezifferung des Bedarfs überzogen sei. Weder wegen der Grabpflege noch wegen monatlicher Fahrten für Verwandtenbesuche könnten Leistungen über den Regelbedarf hinaus gewährt werden. Persönliche Besuche des Klägers bei den Verwandten seien wegen moderner Telekommunikationsmittel nicht unbedingt notwendig. Der Zweck der Leistung nach § 71 SGB XII bestehe in der Verhinderung der Vereinsamung von Sozialhilfeempfängern. Diese Gefahr bestehe beim Kläger nicht, da er in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau lebe. Leistungen für kulturelle Veranstaltungen seien vom Regelsatz abgedeckt. Im Übrigen erhalte der Kläger einen Mehrbedarf nach § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII, wodurch sein finanzieller Spielraum erweitert sei. Eine andere Entscheidung könne nach pflichtgemäßem Ermessen nicht getroffen werden.

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 12. Dezember 2007, den der Kläger vor allem mit seinem dringendem Bedürfnis, sein Elterngrab zu besuchen, begründete sowie damit, dass seine Nichte nicht mehr sprechen könne, nahm die Beklagte durch Bescheid vom 2. Januar 2008 den Bescheid vom 26. November 2007 teilweise zurück und erklärte die Bereitschaft zur Übernahme von Kosten für zwei bis drei Besuchsfahrten zur Nichte des Klägers, da mit dieser eine Kommunikation ohne einen persönlichen Besuch nicht möglich sei. Im Übrigen bleibe es bei der Ablehnung von Leistungen für Besuchsfahrten. Es müsse vermieden werden, dass Leistungsempfänger durch Kannleistungen besser stünden, als Bürger der unteren Einkommensschicht. Die Interessenabwägung ergebe beim Kläger, dass Leistungen der Altenhilfe teilweise gewährt und teilweise versagt würden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 21. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. November 2007 in der Gestalt des Bescheides vom 2. Januar 2008 als unbegründet zurück und wies darauf hin, dass Leistungen nach § 71 Nr. 5 SGB XII in der Regel keine finanziellen Leistungen darstellten, sondern in der Organisation von Aufführungen und Unterhaltungsnachmittagen ohne das Angebot verbilligter Karten bestünden. Die Verbindung zum Bruder könne schriftlich und fernmündlich aufrecht erhalten werden. Für die Finanzierung von Besuchen am Elterngrab bestehe keine Rechtsgrundlage.

Dagegen richtet sich die am 15. Mai 2008 zum Sozialgericht erhobene Klage, welches dieses durch Urteil vom 8. März 2010 als unbegründet abgewiesen hat. Die Entscheidung, welche Leistungen der Altenhilfe gewährt würden, stünde im Ermessen der Behörde. Die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der gewährten Leistungen weise keine Ermessensfehler auf. Zutreffend habe die Beklagte auf die persönliche Situation des Klägers, der mit seiner Ehefrau in einem Haushalt lebe, abgestellt und daraus abgeleitet, dass lediglich ein Bedarf für Besuche bei der Nichte bestehe, jedoch Kontakte zu anderen Verwandten durch andere Kommunikationsmittel möglich seien. Auch sei es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte auf ihr Kulturprogramm mit Veranstaltungen speziell für Senioren verweise, denn dem Kläger müsse nicht durch die Altenhilfe allgemein der Besuch von kulturellen Veranstaltungen finanziert werden. Hierbei sei es auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte auf den erweiterten finanziellen Spielraum des Klägers aufgrund des geleisteten Mehrbedarfs nach § 42 Nr. 3 SGB XII mit der Möglichkeit, diesen für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen einzusetzen, verweise.

Gegen das am 22. März 2010 der Bevollmächtigten des Klägers zugestellte Urteil richtet sich die ebenfalls durch seinen Prozessbevollmächtigten zum Hessischen Landessozialgericht am 22. April 2010 eingelegte Berufung.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass die Entscheidung hinsichtlich der Nichtübernahme von Besuchsfahrten zu seinem Bruder bereits deshalb ermessensfehlerhaft sei, weil die Beklagte davon ausgehe, dass bereits im Regelsatz Mittel für die Bestreitung entsprechender Fahrtkosten enthalten seien. Altenhilfe werde jedoch zusätzlich zu den Leistungen aus den übrigen Bestimmungen des SGB XII gewährt, was die Beklagte nicht erkannt habe. Sie habe sachfremde Erwägungen angestellt und damit die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten. Ebenso ermessensfehlerhaft sei der Verweis auf die Möglichkeit durch die Mittel der Telekommunikation Kontakt zu den Verwandten aufzunehmen, da alte Menschen in besonderer Weise auf menschliche Nähe zu Vertrauten, auf Freundschaft und Zuwendung angewiesen seien, weshalb der telefonische Kontakt nicht ausreiche. Auch der Verweis auf den bereits geleisteten Mehrbedarf nach § 42 Nr. 3 SGB XII sei ermessensfehlerhaft, da dieser anderen Zwecken als die Altenhilfe diene. Der Mehrbedarf nach dieser Norm solle die Aufwendungen abdecken, die dem Kläger durch seine Behinderungen entstehen, hierfür reiche der Mehrbedarf nicht vollständig aus. Des Weiteren habe die Beklagte nicht erkannt, dass es sich vorliegend nicht um Kannleistungen, sondern um Sollleistungen handele, die dann zu gewähren seien, wenn kein a-typischer Ausnahmefall vorliegt. Eine angespannte Finanzsituation der Kommunen sei kein entsprechender Ausnahmefall. Hinsichtlich der Übernahme von Fahrten zum Grab seiner Eltern habe die Beklagte verkannt, dass § 71 Abs. 2 Nr. 6 SGB XII nicht abschließend sei; aus dem Wörtchen "insbesondere" folge, dass auch andere Leistungen übernommen werden könnten. Gerade für ältere Menschen sei die Konfrontation mit den Gräbern von Angehörigen sehr wichtig, weil sie dazu diene, sich selbst mit dem immer näher rückenden Tod zu beschäftigen. Ebenso ermessensfehlerhaft seien die Ausführungen zum Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Beihilfe für den Besuch von öffentlichen Veranstaltungen; es finde sich im Gesetz nämlich keine Beschränkung auf Beratung und allgemeine Hilfe, sondern dort sei allgemein von Leistungen die Rede.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. März 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26. November 2007 in der Gestalt des Bescheids vom 2. Januar 2008 sowie des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2008 zu verurteilen, dem Kläger weitergehende Beihilfen für regelmäßige Fahrten zu seinem Bruder nach Y-Stadt und zum Besuch der Grabstätte seiner Eltern sowie für den regelmäßigen Besuch öffentlicher Veranstaltungen zu gewähren,
hilfsweise,
den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass sie ihr Ermessen bei der Gewährung von Leistungen der Altenhilfe nicht ermessensfehlerhaft ausgeübt habe. Ansonsten pflege der Kläger intensive Kontakte zu verschiedenen Personen, u. a. lebe auch sein Enkel in seinem Haushalt, weshalb beim Kläger nicht die Gefahr der Vereinsamung bestehe. Deshalb stünden ihm keine höheren Leistungen zu.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der sogenannten "Verpflichtungsbescheidungsklage" (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil der Leistungsträger zwar kein Entschließungsermessen hat, die Auswahl der Leistung aber in seinem Ermessen steht, das er entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben hat.

Maßgebende Vorschrift für die Leistungspflicht der Beklagten im Bereich Altenhilfe ist § 71 SGB XII. Nach § 71 Abs 1 SGB XII soll alten Menschen außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen des SGB XII Altenhilfe gewährt werden. Die Entscheidung der Beklagten kann somit gerichtlich nur auf Ermessensfehler und -fehlgebrauch hin überprüft werden (vgl. §§ 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch: Allgemeiner Teil (SGB I,) 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wobei es den Gerichten verwehrt ist, eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54, Rdn. 28). Hieran ändert nichts, dass die Vorschrift als "Soll"-Regelung ausgestattet ist. Das Wort "soll" impliziert gegenüber Mussvorschriften ebenfalls die Kompetenz zur Ausübung von Ermessen der Verwaltung, beinhaltet aber nach allgemeinem Sprachgebrauch weniger Entscheidungsfreiheit als "kann" oder "darf". Nach gefestigter Rechtsprechung ist vielmehr bei Sollvorschriften im Regelfall gar kein Ermessen auszuüben (BSG v. 6. November 1985 - 10 RKg 3/84 - SozR 1300 § 48 Nr. 19), in so genannten atypischen Fällen hingegen volles Ermessen. Jedoch bezieht sich diese Anordnung intendierten Ermessens in § 71 SGB XII nur auf die Entschließungsentscheidung (Michalla-Munsche in: jurisPK-SGB XII, § 71 SGB XII Rdnr. 50). Sie ändert nichts an der Regelung des § 17 Abs. 2 SGB XII, wonach über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird.

Auch die im intendierten Ermessen stehende Entscheidung über das Ob der Bewilligung von Leistungen der Altenhilfe setzt tatbestandlich voraus, dass die Leistungen, die beantragt werden, dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern, um alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Dies ergibt sich zwingend aus § 71 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, der im Anschluss an die Rechtsfolgenanordnung des Satzes 1 eine Legaldefinition der "Altenhilfe" enthält. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Altenhilfe, dessen Auslegung durch das Gericht voll überprüfbar ist und nicht die auf der Rechtsfolgenseite stattfindende Ermessensausübung betrifft. Ferner muss es sich ebenfalls als tatbestandliche Voraussetzung - um Leistungen handeln, die "außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen" des SGB XII gewährt werden, und damit um solche, die von den sonstigen Leistungsnormen der Sozialhilfe i. S. des § 31 SGB I nicht bereits erfasst und bei entsprechender Bewilligung abgegolten werden. Damit kommt in systematischer Auslegung zum Ausdruck, dass vorrangig die übrigen Bestimmungen des SGB XII eingreifen. Deren Tatbestandsvoraussetzungen dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 SGB XII Leistungen erbracht werden, die sonst rechtlich nicht möglich wären. Insbesondere darf keine Umgehung der im Sinne eines soziokulturellen Existenzminimums begrenzten Leistungen zum Lebensunterhalt erfolgen. Erst im Falle eines darüber hinausgehenden altersbedingten Bedarfes können Leistungen nach § 71 SGB XII überhaupt in Betracht kommen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger im Rahmen der Altenhilfe keine zusätzlichen Leistungen zur Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen zu bewilligen, nicht zu beanstanden. Die Begründung, dass das kulturelle Existenzminimum grundsätzlich bereits durch die Regelsätze abgedeckt werde sowie ein bereits bewilligter Mehrbedarf nach § 42 Nr. 3 SGB XII auch hierfür eingesetzt werden könne, ist keine sachfremde Überlegung, da § 71 SGB XII nur Leistungen zur Abmilderung spezifischer Probleme des Alters vorsieht und Normadressat der Vorschrift in erster Linie die Kommunen sind, welche im Rahmen der kommunalen Altenpolitik Konzept und Angebote zu entwickeln haben, um es Bürgern im Alter zu ermöglichen, am Gemeinschaftsleben möglichst selbständig teilzunehmen und pflegende Angehörige zu entlasten (Wollenschläger in: Löcher, Sozialhilferecht, 1. Aufl. 2013 S. 21 m. w. N.). § 71 Abs. 2 SGB XII zählt daher auch nur beispielhaft Leistungen der Altenhilfe auf; als Individualanspruch beinhaltet er in erster Linie die entsprechende Beratung und einschlägige Angebote, zwingend jedoch seltener materielle Hilfe (Wollenschläger a. a. O.).

Nach § 27 Abs. 1 SGB XII umfasst der notwendige Lebensunterhalt insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben (§ 27 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme der zusätzlichen Leistung für die Schule nach § 28a SGB XII sowie von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 29 SGB XII und der Sonderbedarfe nach den §§ 30 bis 34 SGB XII wird nach Regelsätzen erbracht (§ 28 Abs. 1 SGB XII).

Zwar sind gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII die Bedarfe abweichend festzulegen, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Bedarf des Klägers unabweisbar seiner Höhe nach erheblich vom üblichen Bedarf abweicht. An die abweichende Bemessung zugunsten des Hilfesuchenden werden hohe Anforderungen gestellt. Es reicht nicht die pauschale Behauptung, dass Mehrkosten entstehen würden. Der Hilfesuchende muss darlegen, dass der geltend gemachte zusätzliche Bedarf durch die Bedarfsgruppen nicht erfasst wird. Den vom Kläger geltend gemachten kulturellen Belangen kommt ein solches Gewicht nicht zu. Er muss sich auf die Bedürfnisse der übrigen Bevölkerung verweisen lassen, die durch Zugang über die Medien oder gelegentliche Theaterbesuche, auch unter Inanspruchnahme von Vergünstigungen, befriedigt werden. Schließlich scheitert die Anwendung von § 71 Abs. 1 S. 2 SGB XII aber auch daran, dass der Kläger mit seinen Ansprüchen keinen spezifisch altersbedingten Bedarf geltend macht. Sein Defizit an kultureller Erbauung beruht nicht unmittelbar auf seinem Lebensalter, sondern auf seiner gleichzeitig im Alter eintretenden wirtschaftlichen Notlage. Dazu hat der Gesetzgeber die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit geschaffen, die der Kläger auch bezieht (so auch LSG Bayern, Urteil vom 26. Februar 2010 - L 8 SO 129/09 - juris).

Auch die vom Kläger beantragten Kosten für Besuchsfahrten zum Grab seiner verstorbenen Eltern vermochte der Senat nicht als zwingend altersbedingt und dementsprechend auch nicht von der Norm der Altenhilfe umfasst anzusehen. Zutreffend hat die Beklagte in den angefochtenen Entscheidungen ausgeführt, dass der Grabbesuch nicht von der Besuchshilfe gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 6 SGB XII erfasst wird, weil "nahestehende Personen" nur lebende Personen sein können (Wollenschläger in: Löcher Sozialhilferecht SGB XII S. 20 sowie S. 55). Indes enthält § 71 SGB XII gerade keine abschließende Regelung in Abs. 2, sondern aus dem Attribut "insbesondere" folgt, dass auch über die genannten Fördermöglichkeiten hinaus auch solche in Betracht kommen, die geeignet sind, den Zweck der Norm im Abs. 1 Satz 2 zu erfüllen (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 24. Februar 2005 - 2 A 266/04 zu § 75 BSHG; siehe auch Michalla-Munche in: jurisPK SGB XII § 71 SGB XII Rdnr. 16). Unabhängig von der Frage, ob der Normzweck des § 71 SGB XII allein darin besteht, der Vereinsamung von alten Menschen vorzubeugen, und deshalb nur Leistungen zur Kontaktaufnahme zu lebenden Personen in Betracht kommt, dient die Vorschrift jedenfalls der allgemeinen Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens und damit der Verhütung altersbedingter Schwierigkeiten und somit der Gewährung ergänzender Leistung zur Deckung besonderer Bedarfe alter Menschen. Darunter wird als ein Element die Förderung gesellschaftlicher Aktivitäten und sozialer Integration beispielsweise durch Einrichtung von Altenbegegnungsstätten, Selbsthilfegruppen, Vernetzung mit ehrenamtlichem Engagement und der Förderung psychischer und physischer Kompetenzen erfasst. Entscheidend sind insoweit die einzelfallbezogen zu ermittelnden Hilfebedarfe, die auf jeden Fall altersbedingt sein müssen. Sofern der Kläger geltend macht, dass mit zunehmendem Alter der eigene Tod näher rücke und demgemäß eine Beschäftigung mit dem Andenken sowie der letzten Ruhestätte naher Angehöriger vonnöten sei, verkennt er, dass ein individueller Bedarf nicht dazu führen darf, dass eine gesetzlich normierte Voraussetzung, wie sie in § 71 Abs. 1 Satz und 2 SGB XII genannt wird, durch die für notwendig erachtete Leistungen definiert wird. Diese müssen vielmehr auch abstrakt im Zusammenhang mit dem Altern auftreten, wodurch ausgeschlossen werden soll, dass z.B. jemand Leistungen der Altenhilfe erhält, der vereinsamt, aber bei dem dieser Zustand nicht altersbedingt ist (Michalla-Munche in: jurisPK SGB XII § 71 SGB XII Rdnr.10). Daher erscheint es entgegen der Ansicht der Beklagten zwar nicht von vornherein aufgrund des Wortlautes des § 71 SGB XII ausgeschlossen, auch das Aufsuchen der Gräber von nahen Angehörigen im Rahmen der Altenhilfe zu fördern, jedoch ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, dass es sich bei dem Aufsuchen des Elterngrabes um einen altersbedingten Bedarf handelt, da auch junge Menschen, deren Eltern früh verstorben sind, ein diesbezügliches Bedürfnis haben können. Dass sich ein solches zwangsläufig mit der Zunahme des eigenen Lebensalters erhöht, vermag der Senat als allgemeinen Erfahrungssatz nicht zu teilen und dürfte nicht so sehr vom Alter als vielmehr von altersunabhängigen Faktoren wie Glaube, Religion sowie Einstellung zum geeigneten Andenken an verstorbene Angehörige abhängen.

Gleiches gilt für den Antrag des Klägers auf Leistungen für Besuchsfahrten zu seinem Bruder. Auch hier vermag der Senat dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, dass es sich um einen sich zwangsläufig aus dem Alter des Klägers ergebenden Bedarf handelt, da auch jüngere Menschen das Bedürfnis haben können, nahe Angehörige zu besuchen. Der Kläger vermochte bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung nicht darzulegen, warum in seinem Fall aufgrund seines Alters ein zusätzlicher Bedarf für die Finanzierung von Besuchen bei seinem Bruder vorhanden ist. Dieser kann auch nicht aus dem Alter des Bruders abgeleitet werden, da alleine die Bedarfe des Antragstellers ausschlaggebend sind. Sofern der Kläger geltend macht, er könne aufgrund seiner Behinderung seinen Bruder nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen, handelt es sich um einem behinderungsbedingten Mehrbedarf, der nicht zwangsweise aus dem Alter resultiert, zumal der Kläger einen Mehrbedarf gem. § 42 SGB XII erhält. Daher kann es dahinstehen, ob die Beklagte den Kläger zulässigerweise auf die Benutzung moderner Telekommunikationsmittel verweisen durfte. Selbst wenn man Kosten für den Kontakt zum Bruder als altersbedingten Bedarf ansähe, würde dies allein jedenfalls keine fehlerhafte Anwendung des § 71 SGB XII bedeuten, da die Aufzählung in der Norm - wie bereits ausgeführt - zum einen nicht abschließend ist, zum anderen § 71 Abs. 2 Nr. 6 SGB XII zur Ermöglichung der "Verbindung mit nahestehenden Personen" nicht zwingend eine Besuchshilfe beinhaltet, sondern zwecks Stärkung der sozialen Kontakte sämtliche Möglichkeiten der Kommunikation umfasst. Unschädlich ist daher, dass die Übernahme der Kosten für einen Telefonanschluss und die Zahlung der laufenden Grundgebühr im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt wird, da eine Telekommunikationshilfe als taugliches Mittel der Altenhilfe grundsätzlich in Betracht kommt (vgl. Michalla-Munsche in: jurisPK - SGB XII § 71 SGB XII; s. auch bereits VGH Hessen, Urteil vom 15. Dezember 1969 VOE 55/69 - FEVS 17, 136 - 140). Insofern hätte es vom Rechtsstandpunkt der Beklagten allerdings nahegelegen, in die Entscheidung die Prüfung mit einfließen zu lassen, ob dem Kläger nicht statt der Besuchshilfe eine teilweise Übernahme der Telefonkosten als kostenneutralere (Minus-)Maßnahme (siehe dazu auch Michalla-Munche in: jurisPK - SGB XII § 71 SGB XII Nr. 26) hätte gewährt werden müssen, was sich aber im vorliegenden Fall mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 71 SGB XII nicht auswirkt.

Dementsprechend war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved