L 9 AS 395/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 6 AS 2236/10
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 395/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) wird Prozesskostenhilfe gewährt, wenn ein Beteiligter nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 1. März 2010 bis 31. Juli 2010 wegen der Anrechnung von überschießendem Kindergeld in voller Höhe auf den Bedarf der Klägerin. Die Klägerin meint, das (hälftige) Kindergeld für ihre Tochter dürfe nicht einerseits den Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kindsvater mindern und andererseits nochmals voll auf den ALG II-Anspruch angerechnet werden. Es bestehe ein Wertungswiderspruch zu § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und es werde gegen Artikel 6 und Artikel 3 Grundgesetz (GG) verstoßen. Die Berufung bietet keine hinreichende Erfolgsaussicht. Bezüglich des Individualanspruchs der Klägerin ist unter dem Gesichtspunkt der Kindergeldanrechnung eine Rechtswidrigkeit der Beklagtenbescheide schon deswegen nicht erkennbar, weil die Klägerin den ihr gesetzlich zustehenden Bedarf in voller Höhe erhält. Die gesetzliche Unterhaltsregelung des § 1612b BGB führt lediglich dazu, dass dem unterhaltsberechtigten Kind, das nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehört und für das keine Klage erhoben worden ist, ein Teil seines Unterhaltsanspruchs verloren geht. Die Anrechnung des gesamten überschießenden, d.h. nicht zur Bedarfsdeckung des Kindes notwendigen Anteils des Kindergelds als Einkommen der Klägerin ist rechtmäßig. Gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als bedarfsminderndes Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen. Hierzu gehört grundsätzlich auch das Kindergeld, das gem. § 1 Abs. 1 BKGG ein eigener Anspruch der kindergeldberechtigten Person ist. Abweichend von der kindergeldrechtlichen Zurechnung bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 4, Satz 3 SGB II, das für die Bestimmung des zu berücksichtigenden Einkommens nach dem SGB II das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen ist, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Das Kindergeld soll damit vorrangig zur Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes verwendet werden. Es nimmt insoweit nicht an der Einkommensverteilung innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II teil. Verfügt das Kind indes über hinreichendes Einkommen, um seinen Bedarf nach dem SGB II zu decken, scheidet es aus der Bedarfsgemeinschaft aus. Der nicht zur Bedarfsdeckung des Kindes benötigte Teil des Kindergeldes wird sodann dem Kindergeldberechtigten entsprechend den Regeln des BKGG zugerechnet und als dessen Einkommen nach den Regeln des SGB II verteilt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 18. Juni 2008, B 14 AS 55/07 R; Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R; Urteil 07. Juli 2011 - B 14 KG 2/09 R). Im Übrigen liegt nach Auffassung des Senats auch nicht der von der Klägerin gerügte Wertungswiderspruch zwischen der zivilrechtlichen Unterhaltsregelung und den Regelungen des SGB II vor. Bei Kindern, die von einem Elternteil Barunterhalt erhalten, mindert § 1612b BGB im Ergebnis die Unterhaltszahlung des barunterhaltspflichtigen Elternteils um das hälftige Kindergeld. § 1612b Abs. 1 BGB in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung bestimmt, dass das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden ist und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt, in allen anderen Fällen in voller Höhe. Diese Regelung beinhaltet gegenüber der Vorgängernorm eine Neukonzipierung der Berücksichtigung von Kindergeld im Unterhaltsrecht. Während bis zum Inkrafttreten der Neuregelung das Kindergeld auf den Barunterhaltsanspruch des Kindes angerechnet wurde, erfolgt seit dem 01.01.2008 eine Berücksichtigung des Kindergeldes bereits bei der Bestimmung des Bedarfs des Kindes. Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber ausdrücklich eine Harmonisierung der unterhaltsrechtlichen und der sozialrechtlichen Rechtslage durch Anpassung des Unterhaltsrechts an die sozialrechtliche Rechtslage erreichen (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Unterhaltsrechts, BT-Drucks. 16/1830 S. 29). Damit besteht gerade kein Widerspruch zwischen der zivilrechtlichen und der sozialrechtlichen Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen. Sowohl § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II als auch nunmehr § 1612b BGB ordnen - abweichend von der grundsätzlichen kindergeldrechtlichen Zuordnung - jeweils an, dass das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung des sozialrechtlichen bzw. unterhaltsrechtlichen Bedarfs des Kindes zu verwenden ist (LSG NRW, Beschluss vom 13. April 2013, L 6 AS 2234/12 NZB). Der Abzug vom Einkommen der Klägerin um den Betrag, um den die Unterhaltsleistungen des Vaters gemäß § 1612b BGB gemindert wurden, lässt sich auch nicht aus § 11 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II herleiten. Angesichts des klaren Wortlauts ist für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf das Kindergeld etwa in dem Sinn kein Raum, dass der Anteil des Kindergeldes, der gemäß § 1612b BGB den Unterhaltsanspruch gemindert hat, nicht als Einkommen anzurechnen ist. Eine (teilweise) Nichtberücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen kann auch nicht aus einem verallgemeinerungsfähigen Grundsatz des Inhalts abgeleitet werden, dass ein Betrag in Höhe des beim Unterhaltsanspruch angerechneten Anteils des Kindergeldes ausgeschlossen sein müsse. Ein derartiger Grundsatz kann auf Grund des eindeutigen Wortlautes des Gesetzes nicht hergeleitet werden (Bayerisches LSG, Urteil vom 15. November 2007, L 7 AS 320/06). Eine Verletzung von Artikel 3 und 6 GG ist für die Klägerin schon deswegen nicht gegeben, weil sie ihren Bedarf voll erhält. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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