L 11 AS 212/13 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 14 AS 171/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 212/13 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Hinreichende Erfolgsaussichten bei Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird die Ziffer II. des Beschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.03.2013 aufgehoben. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth bewilligt und Rechtsanwältin B., A-Stadt, beigeordnet.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig war die darlehensweise Übernahme von Mietschulden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die Antragstellerin (ASt), die nach dem Betreuerausweis vom 04.03.2013 hinsichtlich der Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie bei Wohnungsangelegenheiten unter Betreuung steht, bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner (Ag). Zusammen mit ihrem Lebensgefährten H. G. (G) wohnte sie in einer von ihm angemieteten Wohnung. Die Miete betrug bis 31.12.2011 monatlich 227,16 EUR bzw ab 01.01.2012 monatlich 249,88 EUR zzgl Betriebskostenvorauszahlung iHv monatlich 80,50 EUR bzw ab 01.07.2012 iHv monatlich 105,50 EUR. Die Höhe der monatlichen Heizkostenvorauszahlungen ergibt sich nicht aus den Akten. Am 23.08.2012 musste G in ein Pflegeheim begeben. Dort blieb er bis zu seinem Tod am 19.04.2013. Er bezog Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Grundsicherung sowie der Hilfe zur Pflege. Der zuständige Träger, der Bezirk Oberfranken, beließ vom Renteneinkommen des G ab dem 01.08.2012 einen Betrag iHv 764,38 EUR und ab dem 01.01.2013 einen Betrag iHv 772,38 EUR für die außerhalb des Heimes wohnende Antragstellerin.

Der Ag hatte der ASt mit Bescheid vom 10.10.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.04.2012 für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.03.2012 Alg II iHv monatliche 189,52 EUR bzw ab 01.01.2012 iHv 275,60 EUR (Anteil der Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 160,96 EUR bzw ab 01.01.2012 iHv 195 EUR) bewilligt. Mit Bescheid vom 25.04.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.09.2012 wurde der ASt weiterhin Alg II für die Zeit vom 01.04.2012 bis 30.09.2012 iHv monatlich 275,60 EUR bzw ab 01.07.2012 iHv monatlich 257,73 EUR (Anteil Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 195 EUR). Für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.03.2013 bewilligte der Ag mit Bescheid vom 27.09.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.11.2012 Alg II für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.03.2013 iHv monatlich 257,73 EUR bzw ab 01.01.2013 iHv monatlich 265,73 EUR (Anteil Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 195 EUR). Bis 30.09.2012 wurden die Leistungen auf das Konto von G überwiesen, ab 01.10.2012 erhielt die ASt sie per Schecks, die auf G ausgestellt waren. Mit dem Verweis auf fehlende Hilfebedürftigkeit im Hinblick auf das von G anzurechnende Einkommen hob der Ag mit Bescheid vom 16.01.2013 die Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2013 auf. Der Bescheid wurde an Frau C. (K) als "Betreuerin" der ASt geschickt. K teilte am 25.01.2013 dazu mit, dass sie zur Entgegennahme nicht legitimiert sei, da eine Betreuung bislang nur beantragt worden sei. Die ASt hat am 20.02.2013 beim Ag die Aufhebung des Bescheides beantragt und dabei auf einen "Widerspruch" Bezug genommen. Mit Bescheid vom 16.05.2013 hob der Ag die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 23.08.2012 bis 31.08.2012 teilweise und ab 01.09.2012 bis 31.01.2013 ganz auf. Ab 01.05.2013 bis 31.10.2013 wurde der ASt mit weiterem Bescheid vom 16.05.2013 wieder vorläufig Alg II bewilligt.

Mit Schreiben vom 15.11.2012 kündigte die Vermieterin die Wohnung des G wegen Mietrückständen iHv 1.748,32 EUR fristlos. Die auf frühere Zahlungsrückstände geleisteten Ratenzahlungen iHv monatlich 150 EUR seien seit Dezember 2011 nicht mehr erbracht worden. Zudem stünde die Miete für September, Oktober und November 2012 noch aus. Anschließend erhob die Vermieterin Räumungsklage beim Amtsgericht A-Stadt. Einen Antrag der ASt vom 14.01.2013, ein Darlehen iHv 1.300 EUR zur Begleichung der bestehenden Mietschulden zu erbringen, lehnte der Ag mit Bescheid vom 17.01.2013 ab. Auch dieser Bescheid wurde an K für ihre "Betreute" verschickt. Am 20.02.2013 zeigte sich die Bevollmächtigte der ASt beim Ag an und verwies auf den "Widerspruch gegen den Ablehungsbescheid vom 17.01.2013".

Am 20.02.2013 beantragte die ASt beim Sozialgericht Bayreuth den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Ihr stehe ein Anspruch auf Übernahme der Mietschulden aus § 22 Abs 8 SGB II zu. Bedürftigkeit sei nach wie vor gegeben. Aufgrund der Räumungsklage drohe Wohnungslosigkeit. Die Vermieterin habe die Fortsetzung des Mietverhältnisses bei vollständigem Ausgleich der Mietforderung zugesichert. Die Kosten für die Unterkunft und Heizung der Wohnung seien angemessen. Der Ag habe kein schlüssiges Konzept für die Ermittlung der aktuellen Mietobergrenzen erstellt und eine wirksame Kostensenkungsaufforderung sei bis heute nicht ergangen. Da die Kosten für die Unterkunft und Heizung im Bereich des SGB II grundsätzlich kopfanteilig aufgeteilt würden, sei es ohne Belang, dass die ASt rein zivilrechtlich gar nicht verpflichtet ist, die Kosten für die Unterkunft und Heizung zu tragen. Dieses müsse auch für eine Forderung aus Schulden gelten. G habe seinen Schuldenanteil bereits nahezu beglichen. Auch ein erforderliches Ermessen habe der Ag nicht ausgeübt. Um eine neue Wohnung habe sie sich bis heute noch nicht bemüht. Die Mietschulden resultierten aus dem Umstand, dass die vom Ag überwiesenen Leistungen auf das gemeinsame Konto mit G gegangen seien. Wegen der Überziehung des Kontos habe die Bank den eingerichteten Dauerauftrag zur Überweisung der Miete nicht ausgeführt. Dies habe die ASt erst im November 2012 erfahren. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der ASt ist beim SG am 27.02.2013 eingegangen.

Mit Beschluss vom 01.03.2013 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Ziffern I. und III.) und die Bewilligung von PKH (Ziffer II.) abgelehnt. Die ASt habe keine drohende Wohnungslosigkeit glaubhaft gemacht. Sie habe sich bislang nicht um eine neue Wohnung bemüht. Darüber hinaus sei die Übernahme der Mietschulden nicht gerechtfertigt, da die ASt die Rückstände verschuldet habe. Unabhängig davon, dass die von ihr vorgetragene späte Kenntniserlangung von der fehlenden Weiterleitung der Miete an den Vermieter wenig glaubhaft erscheine, obliege ihr jedenfalls eine Prüfungspflicht dahingehend, ob die auf dem gemeinsamen Konto vom Ag eingegangenen Beträge im Falle bestehender Zahlungsverpflichtungen auch tatsächlich an den jeweiligen Empfänger weitergeleitet werden, insbesondere wenn sich das Konto ohnehin schon im Soll befinde.

Dagegen hat die ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und im Wege der einstweiligen Anordnung die Übernahme von noch offenen Mietschulden iHv 892,69 EUR als Darlehen beantragt. Nach dem Tod von G hat sie die Beschwerde gegen Ziffern I. und III. des Beschlusses des SG zurückgenommen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt.

Nach der beim SG rechtzeitig vorgelegten Erklärung erfüllt die ASt die notwendigen persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzung iSv § 73a SGG iVm §§ 114 f. Zivilprozessordnung (ZPO) für eine PKH-Bewilligung. Es lagen auch im Zeitpunkt der Vorlage der Erklärung am 27.02.2013 (zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 73a Rn 7d mwN) hinreichende Erfolgsaussichten des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 73a Rn.7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH- Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKH-Verfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 - 1 BvR 1523/92 - NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens PKH vorzuenthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - NJW 2008, 1060ff).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war der ASt PKH für sein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim SG zu bewilligen. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg des Antrages iSv § 73a SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO war jedenfalls am 27.02.2013 nicht auszuschließen, da das Vorliegen von Anordnungsanspruch und -grund als offen angesehen werden mussten.

Die mit Bescheid vom 17.01.2013 erfolgte Ablehnung des Antrages auf Gewährung eines Darlehens im Hinblick auf die Mietschulden ist wohl noch nicht bestandskräftig gewesen. Im Hinblick auf die fehlerhafte Übersendung des Bescheides an die seinerzeit noch nicht bestellte Betreuerin der ASt dürfte am 27.02.2013 der Bescheid noch nicht bestandskräftig geworden sein. Ggf wäre auch das am 20.02.2013 eingegangene Schreiben, mit dem auf einen angeblich bereits eingelegten Widerspruch Bezug genommen worden ist, als Widerspruch zu werten.

Nach § 22 Abs 8 Satz 1 SGB II können, sofern Alg II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 22 Abs 8 Satz 2 SGB II). Dabei hätte das SG zunächst klären müssen, inwieweit es sich bei den Rückständen tatsächlich um Mietschulden iSv § 22 Abs 8 SGB II gehandelt hat. Die Abgrenzung von Schulden nach § 22 Abs 8 SGB II von den übrigen Kosten der Unterkunft und Heizung, die nach § 22 Abs 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind, ist unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung zu treffen. Ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II ist danach zu unterscheiden, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem SGB II-Träger gedeckten Bedarf handelt oder nicht (vgl Beschluss des Senats vom 17.07.2012 - L 11 AS 406/12 B ER mit Verweis auf BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 190-199 - und Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 38). Die Akten des Ag und dessen Bescheide lassen nicht erkennen, in welcher Höhe tatsächlich Kosten der Unterkunft und Heizung bei der ASt angefallen sind. Ganz offensichtlich sind aber nicht über den gesamten Zeitraum die vollen Kosten in Ansatz gebracht worden.

Ob der ASt eine angemessene Ersatzwohnung zugänglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich und wäre zu prüfen gewesen. Alleine, dass sie sich bislang nicht um eine neue Wohnung gekümmert hat, führt nicht zu dem Rückschluss, die Gefahr einer Wohnungslosigkeit (vgl zum Begriff Luik in: Eicher, SGB II, 3. Aufl, § 22 Rn 241) würde nicht drohen. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, die ASt habe tatsächlich die Mietrückstände verschuldet. Hierzu fehlten jedenfalls bei Entscheidungsreife des PKH-Antrages hinreichende Anhaltspunkte. Zu beachten ist insofern auch, dass eine Betreuung angeregt gewesen ist, und die ASt zumindest seit dem 04.03.2013 hinsichtlich der Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie bei Wohnungsangelegenheiten unter Betreuung steht. Es ist durchaus möglich, dass sie in der Zeit zuvor bereits nicht in der Lage gewesen ist, finanzielle Dinge im Zusammenhang mit der Wohnung uneingeschränkt selbst zu überblicken und zu regeln. Ein Wiederholungsfall oder ein anderweitiger akzentuierter Missbrauchsfall ist schon gar nicht zu erkennen (vgl dazu Luik aaO Rn 249 mwN).

Da das Konzept des Ag zur Ermittlung des angemessenen Miete weder den Akten des Ag noch denen des SG zu entnehmen ist, kann nicht erkannt werden, ob die Wohnung der ASt angemessen gewesen ist und insofern die Übernahme der Mietschulden gerechtfertigt gewesen wäre. Es ist insofern nicht ersichtlich, dass bei Bewilligungsreife des PKH-Antrages davon auszugehen gewesen wäre, G werde nicht mehr in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Schließlich hat die ASt zum Zeitpunkt der Antragstellung in Bezug auf die Schuldenübernahme tatsächlich noch Alg II bezogen. Die Leistungsbewilligung wurde erst rückwirkend mit Bescheid vom 16.05.2013 aufgehoben.

Im Hinblick auf die drohende Zwangsräumung war auch ein Anordnungsgrund gegeben. Hinreichende Erfolgsaussichten des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung waren demnach am 27.02.2013 nicht auszuschließen.

Die Beschwerde hatte damit Erfolg.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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