L 9 SO 18/13 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 358/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 18/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Übergang vom SGB II-Leistungsbezug zum Bezug von Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.12.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde vom 10.01.2013 gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 03.12.2012 ist gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt und nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Das ist hier der Fall. Die Klage betrifft eine Geldleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, denn die Kläger begehren wie schon vor dem SG die Gewährung von um 200,48 Euro höheren Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) für Februar 2011.

Die Kläger haben die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG auch fristgemäß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils am 10.12.2012 eingelegt (vgl. § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die Beschwerde ist indes nicht begründet. Die Berufung ist nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit), und deren Klärung auch durch das Berufungsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 144 Rn. 28 f. mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG, Beschl. vom 15.05.1997 - 9 BVg 6/97 - zum gleichlautenden § 160 SGG; zum Ganzen LSG NRW, Beschl. v. 07.10.2011 - L 19 AS 937/11 NZB -, juris Rn. 17). Zudem kann eine außer Kraft getretene Rechtsvorschrift in aller Regel keine grundsätzliche Rechtsfrage aufwerfen, es sei denn, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen der Entscheidung harrt und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache liegt (vgl. BSG, Beschl. v. 22.04.2010 - B 11 AL 22/09 BH -, juris Rn. 5 m.w.N.) oder besondere Umstände, wie etwa eine inhaltsgleiche Folgevorschrift, vorliegen (vgl. BSG, Beschl. v. 17.08.2012 - B 11 AL 40/12 B -, juris Rn. 5 m.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist keine grundsätzliche Bedeutung erkennbar. Klärungsbedürftige Rechtsfragen wirft der Rechtsstreit nicht auf.

Nach dem hier einschlägigen, bis zum 31.03.2011 geltenden Recht war allerdings nicht höchstrichterlich geklärt, wie sich der Übergang von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu den Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bei Erreichung der Altersgrenze nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7a SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung (SGB II) und § 41 Abs. 2 SGB XII genau vollzog, insbesondere wie die Grundsicherungsleistungen in dem Monat, in dem die Altersgrenze erreicht wurde, im Einzelnen zu berechnen waren. Ohne Zweifel hatte die Klägerin zu 2) nach Maßgabe von § 7a SGB II SGB II a.F. bis zum 21.02.2011, dem Tag der Vollendung ihres 65. Lebensjahres (vgl. zur Berechnung des Alters Blüggel, in: jurisPK-SGB XII, § 41 Rn. 23), Anspruch auf Arbeitslosengeld II, mit Folge dass ihr nach § 41 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB II anteilig Arbeitslosengeld II für 21 Tage, d.h. in Höhe von 21/30 = 7/10 der monatlichen Leistung, zu gewähren war. Ebenso ergibt sich eindeutig aus § 41 Abs. 2 SGB XII, dass die Klägerin zu 2) erst ab dem 22.02.2011 leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII war. Schwierigkeiten ergaben sich jedoch wegen des in § 44 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung (SGB XII a.F.) geregelten Beginns der Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Für eine Erstbewilligung, wie sie hier vorlag, enthielt allein § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F., der als solcher in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung unverändert blieb, eine Regelung. Danach beginnt bei der Erstbewilligung oder bei einer Änderung der Leistung der Bewilligungszeitraum am Ersten des Monats, in dem der Antrag gestellt worden ist oder die Voraussetzungen für die Änderung eingetreten und mitgeteilt worden sind. Nach dieser Regelung war eine Überschneidung der Leistungszeiträume der Leistungen nach dem SGB II einerseits und der Leistungen nach dem SGB XII andererseits denkbar, was im Übrigen auch das SG angenommen hat. In der Literatur wurde zwar vertreten, dass § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. nichts daran ändere, dass die monatliche Zahlung der Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII erst mit dem Tag des Erreichens der Altersgrenze beginnen könne, da § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht fehlende Anspruchsvoraussetzungen ersetzen könne (vgl. Bieback, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 5 SGB II Rn. 76). Das BSG hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob in dem Monat des Erreichens der Altersgrenze für die Tage vor dem Erreichen der Altersgrenze ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bestehen kann (vgl. BSG, Urt. v. 19.05.2009 - B 8 SO 8/08 R -, juris Rn. 14 m.w.N.).

Es dürfte sich jedoch auch nach dem bis zum 31.03.2011 geltenden Recht ohne weiteres aus dem Gesetz und der höchstrichterlichen Rechtsprechung eindeutig ergeben, dass, selbst wenn man von einer Überschneidung der Leistungszeiträume der Leistungen nach dem SGB II einerseits und der Leistungen nach dem SGB XII andererseits ausginge, die der Klägerin zu 2) für Februar 2011 rechtmäßig gewährten Leistungen nach dem SGB II bei den Leistungen nach dem SGB XII leistungsmindernd zu berücksichtigen sind. Nach der - vom SG zutreffend zitierten - Rechtsprechung des BSG sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zwar nicht als Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 20/09 R -, juris Rn. 16 ff.; anders bis dahin noch die Annahmen des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks 17/3404 S. 128). Das BSG vertritt jedoch in mittlerweile ständiger Rechtsprechung auch die Auffassung, dass Sozialhilfeleistungen, die nach § 82 Abs. 1 SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, zur Vermeidung von Doppelleistungen zu einer Minderung des Regelsatz nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F., § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII n.F. führen (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2010 - B 8 SO 17/09 R -, juris Rn. 36; Urt. v. 20.09.2012 - B 8 SO 4/11 R -, juris Rn. 22). Dies muss nach dem Sinn und Zweck des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F., § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII n.F. (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 20.09.2012 - B 8 SO 4/11 R -, juris Rn. 22) ebenso gelten, soweit es um Leistungen nach dem SGB II geht, die ebenfalls nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. In entsprechender Anwendung dieser Grundsätze dürfte auch davon auszugehen sein, dass es an einem sozialhilferechtlich zu berücksichtigenden Bedarf für Unterkunft und Heizung fehlt, soweit für den betreffenden Leistungsmonat Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II erbracht worden sind. Andernfalls käme es insoweit zu einer unzulässigen Doppelleistung, die nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu vermeiden ist.

In jedem Fall fehlt es deshalb an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage und damit auch an der grundsätzlichen Bedeutung, weil die im vorliegenden Fall einschlägigen Rechtsvorschriften zum 31.03.2011 außer Kraft getreten sind und sich nunmehr eindeutig aus dem Gesetz ergibt, wie zu verfahren ist, wenn die leistungsberechtigte Person innerhalb eines Monats die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht und bis zum Erreichen der Altersgrenze Leistungen nach dem SGB II bezogen hat. Dass noch eine Vielzahl vergleichbarer Fälle zu dem bis zum 31.03.2011 geltenden Recht zur Entscheidung anstehen, ist nicht ersichtlich.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 7a SGB II in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung (Art. 2 Ziffer 11 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011, BGBl I 453) besteht nunmehr Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bis zum Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr bzw. das stufenweise heraufgesetzte Lebensalter vollendet wird. Leistungen nach dem Vierten Buch des SGB XII werden ab dem 01.04.2011 frühestens ab dem Folgemonat geleistet. Dies ergibt sich aus dem ebenfalls zum 01.04.2011 in Kraft getretenen § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Art. 3 Ziffer 25 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011, BGBl I 453). Danach beginnt bei einer Erstbewilligung nach dem Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II, der mit Erreichen der Altersgrenze nach § 7a SGB II endet, der Bewilligungszeitraum mit dem Ersten des Monats, der auf den sich nach § 7a SGB II ergebenden Monat folgt. Nach dem nunmehr geltenden Recht stellt sich deshalb die Frage, ob und in welcher Weise Leistungen nach dem SGB II, die für den Monat, in dem die Altersgrenze erreicht wird, bewilligt und gezahlt wurden, leistungsmindernd bei den Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu gerade auch BT-Drucks 17/3404 S. 128), nicht mehr. Ausgehend von dem neuen Recht besteht für und in dem Monat, in dem die Altersgrenze erreicht wird, kein Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.

b) Auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.

Eine Divergenz i.S.v. 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung eines Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die obersten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (vgl. BSG, Beschl. vom 05.10.2010 - B 8 SO 61/10 B -, juris Rn 11 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Nach diesen Grundsätzen liegt keine Divergenz vor. Das SG hat keinen von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts oder der obersten Gerichte abweichenden abstrakten Rechtsgrundsatz aufgestellt. Es hat sich sogar ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BSG im Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 20/09 R -, juris Rn. 16 ff., berufen. Ob das SG die höchstrichterlich aufgestellten Rechtssätze zutreffend angewandt hat, ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu entscheiden.

c) Einen Verfahrensmangel im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG haben die Kläger nicht geltend gemacht (vgl. insoweit Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 144 Rn. 36 m.w.N., § 145 Rn. 4). Ein solcher ist auch nicht ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

4. Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 S. 4 SGG wird das Urteil des SG mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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