L 2 SO 1510/13 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 6750/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1510/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Rechtsfrage, ob die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II anhand des dort normierten unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ dem Parlamentsvorbehalt genügt, hat keine grundsätzliche Bedeutung, da eine Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zu erwarten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage - wenn auch nicht ausdrücklich - in seinen Entscheidungen vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09) und vom 27. September 2011 (1 BvR 232/11) bereits auseinandergesetzt und die Vorgehensweise des Bundessozialgerichts gebilligt, weshalb davon auszugehen ist, dass § 22 Abs.1 SGB II vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen wird.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Februar 2013 wird zurück-gewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwer-deverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 26. Februar 2013 ist zulässig (vgl. § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor. I.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (in der seit 1. April 2008 geltenden Fassung) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt.

Im Streit steht hier ein Anspruch des Klägers auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form der Übernahme der Kosten der Unterkunft nach dem Sozialgesetz-buch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende -SGB II für die Zeit vom 01. Dezem-ber 2010 bis 31. Mai 2011. Statt des vom Beklagten gewährten Betrages in Höhe von 408,- EUR monatlich möchte der Kläger monatlich 471,47 EUR bekommen, was dem tatsächlich von ihm zu zahlenden Betrag entsprechen würde. Insgesamt sind mithin 380,82 EUR im Streit, so dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt.

II.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des LSG, Bundessozialgerichts (BSG), des Gemein-samen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend ge-macht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keine dieser Voraussetzungen liegt vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil des SG vom 26. Februar 2013 von Entscheidungen des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab, noch liegt ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

III.

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine oder mehrere Rechtsfragen aufwirft, die - über den Einzel-fall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interes-se einer Klärung durch das Berufungsgericht bedürftig und fähig sind. Der Beschwerdeführer müssen daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung, gegebenenfalls sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist, und dass das angestrebte Berufungsverfahren eine Klärung erwarten lässt (s. hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rdnr. 28 u. § 160 Rdnr. 6; s. u.a. BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 60 und SozR 3-1500 § 160 a Nr. 16). Geht es um bereits geklärte Rechtsfragen, so ist darzulegen, aus welchen erheblichen Gründen sich die Notwendigkeit einer Überprüfung der bereits vorliegenden Rechtsprechung ergibt; dies ist etwa dann der Fall, wenn dieser Recht-sprechung in nicht nur geringfügigen Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vorn-herein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 13). Der Be-schwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, aufzeigen: (1) eine kon-krete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähig-keit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung).

Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinne wirft die Streitsache jedoch nicht auf. Klä-rungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht, wenn die Frage bereits höchstrichterlich ent-schieden ist. Gleiches gilt, wenn zwar eine ausdrückliche höchstrichterliche Auseinandersetzung mit der Frage bislang fehlt, die Beantwortung der Frage aber so gut wie unbestritten ist bzw. die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel steht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rdnr. 28 u. § 160 Rdnr. 8f). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der Kläger beruft sich zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde darauf, die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II verstoße ge-gen die Verfassung bzw. die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, juris) aufgestellten Anforderungen. Den Grund hierfür benennt er nicht, son-dern beruft sich zur Begründung u.a. auf die Urteile des SG Mainz vom 8. Juni 2012 (S 17 AS 1452/09, juris) und des SG Leipzig vom 15. Februar 2013 (S 20 AS 2707/12, juris). Diskutiert wird dort die Frage, ob die Begrenzung der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft anhand des Rechtsbegriffs der Angemessenheit dem Parlamentsvorbehalt genügt oder ob insoweit eine konkretere Ausgestaltung unmittelbar durch den Gesetzgeber notwendig gewesen wäre (so das SG Leipzig). Das SG Mainz konkretisiert dies weiter dahingehend, für die vom Bundessozialge-richt vorgenommene Auslegung der Norm, bei der zur Bestimmung der Grenze der Angemes-senheit eine Orientierung am einfachen Wohnstandard erfolgt, fehle es an einer den Anforderun-gen des Bundesverfassungsgerichts genügenden und hinreichend bestimmten parlamentsgesetz-lichen Grundlage (SG Mainz aaO Rdnr. 50).

Indes hat das Bundessozialgericht (BSG) zu diesen Fragen - wenn auch nicht ausdrücklich - be-reits Stellung genommen. Das BSG hat bereits im Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 10/06 R, juris Rdnrn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe "nur eine Wohnung mit be-scheidenem Zuschnitt" sowie einen "einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungs-grad" zu. Diese Rechtsprechung wurde fortan fortgeführt (vgl. nur BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R - juris Rdnr. 20), so dass davon ausgegangen werden muss, dass die Ver-einbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen An-forderungen bereits geprüft wurde. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen wird, ist aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (aaO.) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiert, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiert als das BSG. Insoweit beruhen die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert wird die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lässt dies nicht erwarten. Darüber hinaus lassen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen.

Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 darstellt, mit welchen Leistungen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch "der Ge-setzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen hat" (BVerfG, aaO., juris Rdnr. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweist es unmittelbar anschließend auch darauf, "§ 22 Abs. 1 SGB II stellt die Übernahme angemesse-ner Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, aaO., juris Rdnr. 148). Damit bezieht es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Nor-men des SGB II gewährt.

Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" im § 22 Abs. 1 SGB II durch das Bundessozialgericht Stel-lung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (vgl. BVerfG, Be-schluss v. 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 - juris Rdnr. 23ff). In diesem Zusammenhang wird an keiner Stelle darauf hingewiesen, es könnte Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der "Angemessenheit" geben, woraus nur geschlossen werden kann, dass das Ge-richt schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausging (vgl. hierzu Luik in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 22 Rdnr. 72).

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht steht damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Be-deutung hat.

2. Eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt ebenfalls nicht vor. Eine solche Di-vergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt. Dies ist nicht der Fall und wird vom Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht geltend gemacht.

3. Zuletzt liegt auch kein Verfahrensmangel vor. Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG muss geltend gemacht werden und die Entscheidung muss auf ihm beruhen können. Der Verfahrensmangel muss außerdem der Beurteilung des LSG unterliegen, das bedeutet, das LSG muss ihn prüfen können. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren (nicht das Widerspruchsverfahren und nicht das Verwaltungs-verfahren) regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt, es geht insoweit nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Wege zum Urteil oder die Zulässigkeit des Urteils (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 32 m. w. N.). Mängel dieser Art sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Die Beschwerde des Klägers war daher zurückzuweisen.

IV.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war daher mangels Erfolgsaussichten nicht zu gewähren (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).

Das angefochtene Urteil des SG vom 26. Februar 2013 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).
Rechtskraft
Aus
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