L 29 AS 2314/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 156 AS 17057/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 2314/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2013 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren vor dem
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin , beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1970 geborene Antragsteller zu 1) und die 1972 geborene Antragstellerin zu 2) sind miteinander verheiratet und die Eltern der in den Jahren 1995 bis 2000 geborenen Antragsteller zu 3) bis 5). Die Antragsteller sind rumänische Staatsbürger und leben nach eigenen Angaben seit Juni 2011 in Berlin unter diversen Anschriften.

Der Antragsteller zu 1) hat ausweislich einer Gewerbeanmeldung des Bezirksamts Mitte von Berlin vom 22. Juni 2010 ein Gewerbe mit einer Tätigkeit "Abriß" angemeldet.

Auf ihre Anträge auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II erhielten sie solche von dem Antragsgegner zunächst insbesondere aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Berlin (S 124 AS 11164/ 12 ER) bis einschließlich November 2012.

Einen Weiterbewilligungsantrag vom 12. November 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 30. November 2012 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ab.

Die Antragsteller beantragten daraufhin bei dem Sozialgericht Berlin erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 23. Januar 2013 (S 148 AS 32807/12 ER) verpflichtete das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner (dem Grunde nach) zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 19. Dezember 2012 bis zum 31. März 2013 und führte zur Begründung aus, es sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die hiergegen von dem Antragsgegner bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegte Beschwerde wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 22. Februar 2013 (L 28 AS 266/13 B ER) mit der Maßgabe zurück, dass der Antragsgegner verpflichtet wurde, den Antragstellern für die Zeit vom 19. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013, längstens jedoch bis zum rechts- bzw. bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen in monatlicher Höhe von 1.734,-EUR (ab Januar 2013) bewilligen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden gewichtige Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses. Außerdem könne dahinstehen, ob aus der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ebenfalls ein Aufenthaltsrecht resultiere. In Anbetracht einer festzustellenden "Pattsituation" sei daher im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese falle zu Gunsten der Antragsteller aus, da "allein fiskalische Gesichtspunkte" angesichts der "elementaren Bedürfnissen" der Antragsteller nicht überwiegen.

Am 13. Mai 2013 beantragten die Antragsteller schließlich erneut die Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II; diesen Antrag lehnte der Antragsgegner - erneut unter Hinweis auf § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II - ab (Bescheide vom 13. Juni 2013).

Die Antragsteller haben daraufhin am 12. Juli 2013 bei dem Sozialgericht Berlin erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Antragsteller zu 1) sei selbständig tätig. Der Antragsschrift vom 12. Juli 2013 sind beigefügt worden Kopien von Rechnungen für den Zeitraum von Januar 2013 bis einschließlich Mai 2013. Diese Rechnungen datierten im Einzelnen vom 31. Januar 2013 (über 410 EUR an die S GmbH für "Hilfsarbeiten"), vom 28. Februar 2013 (über 420 EUR an SGmbH für "Hilfsarbeiten"), vom 31. März 2013 (über 435 EUR an die S GmbH für "Hilfsarbeiten"), vom 30. April 2013 (über 400 EUR an die "BR-Gebäudereinigung" für "Reinigungsarbeiten") und vom 31. Mai 2013 (über 470 EUR an die M-G GmbH für
"Reinigungsarbeiten"), denen wiederum jeweils Kopien von Quittungen des Antragstellers zu 1) über Barzahlungen beigefügt worden sind. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 15. Juli 2013 sind der Antragsschrift vom 12. Juli 2013 beigefügt worden Kopien einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes Dr. K vom 1. Juli 2013 sowie eines Überweisungsscheines desselben Arztes ebenfalls vom 1. Juli 2013 an "Augenarzt" wegen der Diagnose/Verdachtsdiagnose "Diabetes mellitus mit Entgleisung (E14.91+G)" mit dem Auftrag "erbitte Augenhintergrundsuntersuchung Pat im DMP"; der Antragsteller zu 1) sei ins Krankenhaus eingeliefert worden und könne derzeit keine weiteren Aufträge annehmen. Die Ablehnungsbescheide vom 13. Juni 2013 hätten sie nicht erhalten.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 16. August 2013 (S 156 AS 17057/13 ER) erneut den Antragsgegner zur Leistungserbringung verpflichtet, nunmehr für den Zeitraum vom 12. Juli 2013 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis
einschließlich zum 30. November 2013 in monatlicher Höhe von 1.012,-EUR. Der Zulässigkeit des Antrages stünde nach summarischer Prüfung nicht die Bestandskraft der Ablehnungsbescheide vom 13. Juni 2013 entgegen, da die Antragsteller vortragen würden, diese Bescheide nicht erhalten zu haben. Aufgrund einer Folgenabwägung sei dem Antrag stattzugeben, da es um existenziell bedeutsame Leistungen gehe und der Anordnungsanspruch nicht abschließend geklärt werden könne.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 23. August 2013 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Nach wie vor sei ein Anordnungsanspruch lediglich behauptet und nicht durch geeignete Beweismittel glaubhaft gemacht oder gar bewiesen. Die vorgelegten Rechnungskopien wiesen nicht einmal Unterschriften aus. Danach ließe sich die tatsächliche Ausübung der behaupteten selbständigen Tätigkeit nicht erkennen. Im Übrigen stünde der ständig wechselnde tatsächliche Aufenthalt des Antragstellers der
tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit entgegen.

Die Antragsteller sind der Ansicht, dass im Zweifel im Wege einer Folgenabwägung zu ihren Gunsten zu entscheiden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behelfsverwaltungsakten des Antragsgegners (Band II- Behelfsakte, ) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten
Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Für den Zeitraum bis zur Entscheidung des erkennenden Senates ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Hierzu sind Tatsachen jedoch weder glaubhaft gemacht worden, noch sonst für das Gericht ersichtlich.

Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zumindest dieser fehlende Anordnungsanspruch steht der begehrten einstweiligen Anordnung auch für die Zukunft entgegen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (§ 7 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB II).

Nach diesen Regelungen ist der begehrte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht überwiegend wahrscheinlich im Sinne der Legaldefinition des § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X und damit nicht glaubhaft gemacht.

Es kann dahinstehen, ob gegen die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches schon die Bestandskraft der ablehnenden Bescheide des Antragsgegners vom 13. Juni 2013 spricht, oder diese Bescheide den Antragstellern tatsächlich nicht zugegangen sind.

Weiter kann dahinstehen, ob die einzelnen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 7 SGB II vorliegen würden, weil die Antragsteller jedenfalls nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen wären, da für sie als Ausländer vorliegend ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allenfalls zum Zweck der Arbeitsuche in Betracht kommt.

Schon am Bestehen eines Aufenthaltsrechts zum Zweck der Arbeitsuche bestehen erhebliche Zweifel. Insoweit ist festzustellen, dass ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche schon deshalb kaum als möglich erscheint, weil die Antragsteller nicht im Besitz einer erforderlichen Arbeitsgenehmigung sind. Zudem haben die Antragsteller eine konkrete Arbeitsuche nicht einmal behauptet. Hierzu verweist der Senat auf den Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. August 2012 (3 B 202/12 m.w.N., zitiert nach juris), wonach für eine Arbeitsuche zwar keine starren Fristen gelten, ein unbeschränktes Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt jedoch auch nicht gewährt wird. Deshalb seien nach Ablauf eines Zeitraums von sechs Monaten sogar aufenthaltsbeendigende Maßnahmen grundsätzlich zulässig, wenn der Unionsbürger nicht nachweisen könne, mit konkreter Aussicht auf Erfolg nach Arbeit gesucht zu haben. Vorliegend sind seit der behaupteten Einreise der Antragsteller im Jahre 2009 weit über sechs Monate vergangen, ohne dass eine Arbeitsuche mit konkreter Aussicht auf Erfolg ersichtlich wäre, so dass deshalb schon ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche kaum als glaubhaft gemacht angesehen werden könnte.

Ob ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche tatsächlich besteht, kann bei einem dann nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greifenden Leistungsausschluss jedoch dahinstehen.

Ein anderes Aufenthaltsrecht der Antragsteller lässt sich jedenfalls nicht erkennen.

Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2004, 1950, 1986) haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.

Gemäß § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU in der seit dem 29. Januar 2013 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 86) sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt: 1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen, 2. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), 3. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, 4. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, 5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4, 6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4, 7. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU bleibt das Recht nach Absatz 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei

1. vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall, 2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit, 3. Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.

Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).

Insbesondere ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU oder ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht, da eine "niedergelassene selbständige Erwerbstätigkeit" im Sinne dieser Regelung nicht glaubhaft gemacht ist.

Insoweit ist zunächst auf den oben genannten Beschluss des 28. Senats des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 22. Februar 2013 hinzuweisen. Dieser konnte schon damals nicht die Glaubhaftmachung eines Aufenthaltsrechts zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit als gelungen ansehen und gelangte daher bei seinen Feststellungen zu einer "Pattsituation" aufgrund derer er sich zu einer Folgenabwägung veranlasst sah.

Auch für den jetzt streitigen Zeitraum kann eine selbständige Tätigkeit bzw. seit der Erkrankung des Antragstellers zu 1) ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus einer selbständigen Tätigkeit nicht festgestellt werden. Soweit hierzu "Rechnungen" und "Quittungen" vorgelegt werden, die eine selbständige Tätigkeit belegen sollen, führt dies nicht zu einer gelungenen Glaubhaftmachung.

Hier ist zunächst festzustellen, dass schon Art und Umfang der behaupteten selbständigen Erwerbstätigkeit nicht glaubhaft gemacht sind.

Ausweislich der Gewerbeanmeldung vom Juni 2010 hat der Antragsteller zu 1) nur eine selbständige Tätigkeit im Bereich "Abriß" angemeldet. Nach den vorgelegten "Rechnungen" hat er aber angeblich im Zeitraum von Januar 2013 bis März 2013 ausschließlich für die SGmbH "Hilfsarbeiten", anschließend im April 2013 ausschließlich für BR-Gebäudereinigung und im Mai 2013 die M-G GmbH "Reinigungsarbeiten" verrichtet. Damit wurden angeblich
Tätigkeiten verrichtet, die dem angemeldeten Gewerbe als "Abriß" nicht zugerechnet werden könnten. Nachdem der Antragsteller zu 1) außerdem ausschließlich immer nur für einen vermeintlichen "Auftraggeber" (zunächst für die S GmbH und später für die BR-Gebäudereinigung und die M-G GmbH) tätig gewesen sein will, bestehen zudem erhebliche Zweifel, ob nicht ungenehmigte abhängige Beschäftigungen vorlagen, so dass von selbständigen Tätigkeiten überhaupt nicht ausgegangen werden könnte.

Außerdem hat der Antragsgegner zu Recht darauf hingewiesen, dass den vorgelegten "Rechnungen" und "Quittungen" kaum ein Beweiswert zugemessen werden kann. Hierbei handelt es sich erkennbar um vermeintliche "Belege", die allein vom Antragsteller zu 1) gefertigt worden sind und die daher kaum als objektiv oder unangreifbar anzusehen sind. Bemerkenswert ist insoweit, dass auf den vermeintlichen Rechnungen nicht einmal eine Kontoverbindung
angegeben ist, obwohl der Antragsteller zu 1) über ein Konto verfügt, auf welches die früheren Überweisungen durch den Antragsgegner erfolgten. Abgesehen davon, dass diese Unterlagen keine Bestätigung einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung enthalten, kann nach diesen
Unterlagen deshalb nicht einmal von einem tatsächlich belegten Geldfluss ausgegangen werden. Denn auch die vermeintlichen "Quittungen" hat der Antragsteller zu 1) ausgestellt.

Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat (vergleiche schon Beschluss vom 21. Juni 2006, L 29 B 314/06 AS ER, zitiert nach juris), ist bei der Prüfung ob von einer gelungenen Glaubhaftmachung eines behaupteten Anspruches auszugehen ist, nicht entscheidend auf die Angaben des Klägers abzustellen. Vielmehr beurteilt sich die Frage nach allen äußeren, objektiv erkennbaren Umständen. Insofern ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Erklärungen der Beteiligten, die mehr und mehr erfahren haben, worauf es ankommt, um die
Voraussetzungen für einen behaupteten Anspruch zu erfüllen, immer weniger glaubhaft werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Januar 1998 - 12 M 345/98 -, FEVS 48, Seite 545 m.w.N.).

Belastbare Beweismittel/Mittel der Glaubhaftmachung, beispielsweise in Form von unbeteiligten Dritten ausgestellte Urkunden oder abgegebenen Erklärungen, haben die Antragsteller nicht vorgelegt.

Schließlich ist auch ein weiteres Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgrund der behaupteten Erkrankung des Antragstellers zu 1) nicht ersichtlich.

Insofern ist zunächst festzustellen, dass eine "vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall" im Sinne dieser Regelung nicht einmal von den Antragstellern behauptet wird; behauptet wird vielmehr lediglich eine Arbeitsunfähigkeit. Dass diese
Arbeitsunfähigkeit zu einer vorübergehenden Erwerbsminderung führen könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Denn nach der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 1. Juli 2013 wurde eine Arbeitsunfähigkeit nur für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 15. Juli 2013 festgestellt. Auch der vorgelegte Überweisungsschein für eine augenärztliche Untersuchung bei der Verdachtsdiagnose Diabetes mellitus mit Entgleisung (E14.91+G) rechtfertigt nicht die Annahme einer Erwerbsminderung im Sinne dieser Regelung. Für den behaupteten Krankenhausaufenthalt ist schließlich der vorgelegte Überweisungsschein nicht aussagekräftig, da hiermit allenfalls eine Überweisung an einen Augenarzt belegt werden kann.

Lässt sich danach aber ein Aufenthaltsrecht allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, so greift der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, der nach Ansicht des Senats anwendbar ist.

Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass er eine Europarechtswidrigkeit dieser Regelung nicht feststellen kann. Im Anschluss an die Entscheidung des 20. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 29. Februar 2012 ( L 20 AS 2347/11 B ER, zitiert nach juris) hat der Senat schon mehrfach darauf hingewiesen (unter anderen in den Beschlüssen vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER, vom 7. Juni 2012, L 29 AS 920/12 B ER, vom 12. Juni 2012, L 29 AS 914/12 B ER, vom 22. Juni 2012, L 29 AS 1252/12 B ER und vom 9. November 2012, L 29 AS 1782/12 B ER, jeweils zitiert nach juris), dass nur eine Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit dieser Regelung ausnahmsweise berechtigen könnte, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Die Nichtanwendung eines in Kraft getretenen Gesetzes (hier § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II) stellt einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar (vgl. zur Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009, 1 BvR 2492/08, zitiert nach juris) und birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG). Nicht zuletzt deshalb ist nach Art. 100 GG ein Gesetz auch nur dann nicht anzuwenden und das Verfassungsgericht anzurufen, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt ist.

Dieser Maßstab gilt nach Ansicht des Senats auch bei einer vermeintlichen Europarechtswidrigkeit der anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelung. Es wäre ein eklatanter
Wertungswiderspruch, wenn lediglich "Zweifel" an der Vereinbarkeit einer einfachgesetzlichen Norm mit der Verfassung noch zur Anwendung des Gesetzes führen, solche Zweifel im Hinblick auf
Europarechtliche Regelungen, die nicht einmal den Rang von Verfassungsrecht haben, aber zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung berechtigen würden. Entsprechend kann eine Nichtanwendung allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das erkennende Gericht zu der Überzeugung eines Verstoßes der anzuwendenden Regelung gegen höherrangiges europäisches Recht kommt. Eine solche Überzeugung von einem Verstoß des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegen Recht der Europäischen Union konnte und kann der Senat aus den in den oben genannten Beschlüssen genannten Gründen nicht gewinnen. Der Senat verweist insoweit auf seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere die oben genannten Beschlüsse, und sieht von einer Wiederholung der Ausführungen hierzu ab.

Schließlich besteht wegen der nicht feststellbaren Europarechts- bzw. Völkerrechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses auch nicht die Möglichkeit einer Entscheidung über eine Folgenabwägung, weil dies letztlich zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und zu einer unzulässigen Durchbrechung des Prinzips der Gewaltenteilung führen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, ausführlich u.a. Beschluss vom 22. August 2013, L 29 AS 1952/13 B ER, m.w.N., zitiert nach juris).

Danach ist abschließend festzustellen, dass jedenfalls zumindest aufgrund des anzuwendenden Leistungsausschlusses § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches nicht gelungen ist.

Den Antragstellern war Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG i.V.m. § 119 Absatz 1 S. 2 ZPO ohne Prüfung zu bewilligen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, weil der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved