L 7 AS 579/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 52 AS 1902/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 579/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Herstellen und Abheften von Kopien von Unterlagen in der Verwaltungsakte ist eine Form der Datenspeicherung.
Das Speichern von Sozialdaten ist gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB X zulässig, wenn es zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Behörde erforderlich ist. Zu diesen Aufgaben gehören nicht nur Leistungsbewilligungen, sondern auch die Umsetzung späterer Entwicklungen durch Korrektur der ursprünglichen Entscheidung. Hinzu kommen gerichtliche Verfahren und verwaltungsinterne Maßnahmen nach § 67c Abs. 3 SGB X.
Die längerfristige Speicherung von Daten zum Einkommen von Leistungsempfängern nach SGB II, insbesondere von Kontoauszügen und Lohnabrechnungen, ist durch § 67c SGB X legitimiert.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 26.08.2013, Az. S 52 AS 1902/13 ER, wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Die Antragsteller wenden sich im Eilverfahren dagegen, dass der Antragsgegner im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosengeld II Kopien einer Lohnabrechung und von Kontoauszügen erstellt und zur Verwaltungsakte nimmt. Einer bloßen Vorlage dieser Unterlagen zur Einsicht wird nicht widersprochen.

Der 1960 geborene Antragsteller bezieht zusammen mit seiner Ehefrau (Antragstellerin zu 1) und seiner Tochter (Antragstellerin zu 2) seit Ende 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Die Antragstellerin zu 2 erzielt Erwerbseinkommen als Auszubildende.

Mit Bewilligungsbescheid vom 29.07.2013 wurde den Antragstellern Arbeitslosengeld II für die Monate September, Oktober und November 2013 in Höhe von insgesamt 1128,- Euro bewilligt. In der Begründung ist ausgeführt, dass, um das Einkommen der Tochter anrechnen zu können, die Lohnabrechnung und der Kontoauszug mit dem Gehaltseingang benötigt werde. Diese Unterlagen seien bei Erhalt beim Antragsgegner einzureichen. Mit Schreiben vom 30.07.2013 machte der Antragsteller geltend, dass es keine gesetzliche Grundlage dafür gebe, dem Antragsgegner die Gehaltsabrechnung oder Kontoauszüge zu überlassen. Es sei lediglich eine Einsichtnahme in diese Unterlagen erforderlich. Hierzu antwortete der Antragsgegner mit Schreiben vom 01.08.2013, dass alternativ eine Einkommensbescheinigung des Arbeitgebers gemäß § 58 SGB II vorgelegt werden könne.

Am 05.08.2013 stellten die Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München. Der Antragsgegner handele vorsätzlich, voller krimineller Energie, begehe Rechtsbeugung, Amtsmissbrauch, Willkür und Schikane sowie Prozessbetrug. Die Antragsteller seien bereit, die gewünschten Unterlagen zur Einsicht vorzulegen, falls die anfallenden Reisekosten erstattet würden. Sie seien jedoch nicht bereit, die Unterlagen oder Kopien davon dem Jobcenter zu überlassen. Es gehe um Datenschutz.

Das Sozialgericht München lehnte den Antrag mit Beschluss vom 05.08.2013 ab. Es fehle an einem Anordnungsgrund, weil eine gerichtliche Entscheidung darüber, ob Kopien zu den Akten genommen werden können, nicht erforderlich sei. Aus der maßgeblichen und ungeklärten Rechtsfrage entstünden den Antragstellern angesichts der vorhandenen Bewilligung unmittelbar keine nachteiligen Auswirkungen.

Die Antragsteller haben am 28.08.2013 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Es gehe darum, zu verhindern, dass Kopien der Kontoauszüge zu den Akten genommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien Kontoauszüge lediglich vorzulegen. Das Sozialgericht habe Rechtsbeugung und Missachtung höchstrichterliche Rechtsprechung begangen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 05.08.2012 aufzuheben und vorläufig festzustellen, dass eine Vorlage der Kontoauszüge und Lohnabrechnung der Antragstellerin zu 2 ausreichend ist und der Antragsgegner von diesen Unterlagen keine Kopien zur Verwaltungsakte nehmen darf.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1. Wie das Sozialgericht zutreffend feststellt, begehren die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung. Da sie keine Erweiterung ihrer bestehenden Rechtspositionen anstreben, sondern einen angenommenen künftigen Eingriff in eine bestehende Rechtsposition abwenden wollen, ist eine Sicherungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG statthaft. Danach kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

2. Der Antrag der Antragstellerin zu 1 und des Antragstellers auf Erlass einer Sicherungsanordnung war schon unzulässig, weil es an einer Antragsbefugnis fehlt. Sie können ein Recht auf Schutz der Daten der Antragstellerin zu 2 nicht geltend machen, da es sich dabei als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts um das individuelle Recht der Antragstellerin zu 2 handelt.

3. Der Antrag der Antragstellerin zu 2 ist unbegründet, weil eine Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes ein Recht der Antragstellerin zu 2 vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, nicht erkennbar ist. Der Antragsgegner ist gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB X berechtigt, Kopien von Lohnunterlagen und Kontoauszügen zu fertigen und zur Verwaltungsakte zu nehmen.

Die Antragsteller sind gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Sie sind deshalb auch verpflichtet, Lohnabrechnungen und Kontoauszüge zu Lohnzahlungen vorzulegen. Dieser Pflicht widersprechen die Antragsteller nicht. Sie wollen aber erreichen, dass von diesen Unterlagen keine Kopien gefertigt werden. Angemerkt sei, dass § 65a SGB I der Erstattung von Fahrtkosten anlässlich der Vorlage der Urkunden entgegensteht.

Der Antragsgegner ist gemäß § 35 Abs. 1 SGB I verpflichtet, Sozialdaten von Leistungsempfängern und Antragstellern nicht unbefugt zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen - kurz das Sozialgeheimnis zu wahren. Nach § 35 Abs. 2 SGB I ist eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Zehnten Buches (§§ 67 ff SGB X) zulässig. Hinzu kommen Befugnisse aus den besonderen Büchern des Sozialgesetzbuchs, etwa gemäß §§ 56 ff SGB II.

Die angeforderten Unterlagen enthalten Sozialdaten nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Als Erheben von Sozialdaten wird das Beschaffen von Daten über den Betroffenen bezeichnet (§ 67 Abs. 5 SGB X). Das Speichern von Daten ist ein Unterfall der Datenverarbeitung; unter Speichern fällt das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren von Sozialdaten auf einem Datenträger zum Zwecke ihrer Weiterverarbeitung oder Nutzung (§ 67 Absatz Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Das hier streitige Herstellen von Kopien vorgelegter Unterlagen und das Abheften dieser Kopien in der Verwaltungsakte ist eine Form der Datenspeicherung (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.03.2011, L 15 SB 80/06).

Das Speichern von Sozialdaten durch den Antragsgegner ist gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stelle liegenden gesetzlichen Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind. Nach § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X ist eine Speicherung für andere Zwecke zulässig, wenn die Daten für die Erfüllung von Aufgaben nach anderen Rechtsvorschriften dieses Gesetzbuchs als diejenigen, für die sie erhoben wurden, erforderlich sind.

Das Einkommen der Antragstellerin zu 2 muss erhoben und gespeichert werden, weil es gemäß §§ 11 ff SGB II für die Berechung der Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II erforderlich ist.

Dabei erschöpft sich die Erforderlichkeit der Datenerhebung und -speicherung zur Aufgabenerfüllung nicht in einer Momentaufnahme anlässlich der Vorlage der Unterlagen und der erstmaligen Bewilligung.

Gesetzliche Aufgaben sind in § 67 Abs. 1 und 2 SGB X als Aufgaben nach den Büchern des Sozialgesetzbuchs, darauf beruhenden Verordnungen und weiteren dort genannten Vorschriften definiert. Zu den Aufgaben gehört damit zumindest das Verwaltungsverfahren zur Bewilligung von Leistungen, die Korrektur von Leistungsbescheiden nach § 44 ff SGB X, die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach §§ 34, 34a SGB II, die Erbenhaftung nach § 35 SGB II, Erstattungsverfahren gegenüber anderen Leistungsträgern nach §§ 102 ff SGB X und damit zusammenhängende gerichtliche Verfahren. Hinzu kommen, wie § 67c Abs. 3 SGB X zeigt, Aufsichts-, Kontroll- und Disziplinarverfahren, Rechnungsprüfung und Organisationsuntersuchungen. Auch diese sind als der gesetzlich erlaubten Datenspeicherung gleiche Zwecke definiert.

Eine Unterscheidung in Zwecke, die der Datenerhebung zugrunde liegen, und andere Zwecke im Aufgabenbereich der Behörde ist nicht erforderlich, weil § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X für die anderen Zwecke dieselben Voraussetzungen (Erforderlichkeit für die Aufgabenerfüllung) verlangt wie § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Erhebungszwecke.

Eine Datenspeicherung ist erforderlich, wenn der Leistungsträger die Kenntnis der Daten benötigt, um seine Aufgaben zu erfüllen. Zu berücksichtigen ist dabei unter anderem, dass die Verwaltung zur umfassenden und zügigen Leistungsgewährung verpflichtet ist (§ 17 Abs. 1 SGB I), den Sachverhalt umfassend zu ermitteln hat (§ 20 SGB X) und, wie oben bei den Aufgaben ausgeführt, spätere Entwicklungen in Verwaltungsentscheidungen umzusetzen hat. Das Gegenteil der Erforderlichkeit wäre eine Datenerhebung auf Vorrat für unvorhersehbare Verwaltungsaufgaben.

Die Prüfung der Leistungsvoraussetzungen und die längerfristige Notwendigkeit der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung sind nach dem dargelegten Aufgabenspektrum offenkundig notwendiger Teil der Verwaltungsaufgaben. Die Höhe des Erwerbseinkommens, die Aufgliederung der Lohnbestandteile und der Zuflusszeitpunkt bestimmen unmittelbar die Höhe des Anspruchs auf Leistungen nach SGB II. Aus diesem Grund sind nach der Rechtsprechung des BSG gemäß § 60 Abs. 1 SGB I grundsätzlich auch Kontoauszüge für mehrere Monate vorzulegen (BSG, Urteil vom 19.09.2008, B 14 AS 45/07 R, und Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R). Wie dargelegt kann diese Rechtsprechung nicht so verstanden werden, dass die Verwaltung nur einen Blick darauf werfen darf.

Die längerfristige Speicherung der angeforderten Lohnunterlagen und Kontoauszüge ist für die Aufgabenerfüllung des Antragsgegners erforderlich. Die Befugnis hierzu ergibt sich aus § 67c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB X. Der Eilantrag der Antragstellerin zu 2 ist daher unbegründet, weil keine Gefahr besteht, dass gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ein Recht der Antragstellerin zu 2 vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved