S 149 AS 414/11 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
149
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 414/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab 6. Januar 2011 bis zum 6. Juni 2011 (längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache) vorläufig darlehensweise Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren. 2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen. 3. Der Antragsgegner hat den Antragstellern 90 % von deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die am ... 1959 geborene Antragstellerin zu 1) und ihr am ...1997 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2), sind bulgarische Staatsbürger. Seit dem 18. Oktober 2007 sind sie nach dem Berliner Meldegesetz in Berlin gemeldet. Am 28. Februar 2009 erhielt die Antragstellerin zu 1) eine Bescheinigung gem. § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Am 23. April 2009 erhielt der Antragsteller zu 2) ebenfalls eine solche Bescheinigung. Am 25. Oktober 2010 erhielt die Antragstellerin zu 1) eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU für berufliche Tätigkeiten jeder Art. Die Antragsteller stellten am 8. November 2010 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner. Die Antragstellerin zu 1) gab bei Antragstellung an, bislang privat Wohnungen gegen Spenden in Form von Geld, Essen und Kleidung geputzt zu haben und ansonsten von dem Kindergeld und der Halbwaisenrente des Antragstellers zu 2) gelebt zu haben. Der Antragsteller zu 2) besucht derzeit die A-R-Schule in B-N. Kosten der Unterkunft machten die Antragsteller bislang nicht geltend, weil sie bei Bekannten untergekommen waren. Mit Bescheid vom 23. November 2010 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Antragsteller gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen seien.

Mit ihrem am 6. Januar 2011 beim Sozialgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Antragsteller ihr Anliegen weiter verfolgt.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner durch Beschluss zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig darlehensweise ungekürzte Leistungen gemäß dem SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt er an, dass die Antragsteller gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien, weil die Antragstellerin zu 1) sich alleine zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte. Andere Gründe, die ein Aufenthaltsrecht vermitteln könnten, seien nicht ersichtlich. Es bestünden auch keine europarechtlichen Bedenken gegen die Anwendung dieser Vorschrift.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II. Der zulässige Antrag ist größtenteils begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet entsprechende Anwendung. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist danach zunächst ein Anordnungsgrund. Dieser liegt in der Notwendigkeit der Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, die sich regelmäßig aus der Eilbedürftigkeit ergibt. Es soll verhindert werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Außerdem muss ein Anordnungsanspruch bestehen. Dieser bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers auf den begehrten Ausspruch. Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 - L 7 KA 139/09 B ER). Je gewichtiger der Anordnungsgrund, d.h. je größer die Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils, desto geringere Anforderungen sind an den Nachweis des Vorliegens des Anordnungsanspruchs zu stellen und umgekehrt. Gleichzeitig ersetzt auch ein klar vorliegender Anordnungsanspruch nicht vollständig das erforderliche Vorliegen eines Anordnungsgrundes.

Nach den dargestellten Maßstäben haben die Antragsteller einen Anspruch darauf, Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach ab dem 6. Januar 2010 vorläufig darlehensweise zu erhalten.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 7 SGB II. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nach den hier anwendbaren Maßstäben für eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor. Die Antragstellerin zu 1) gehört zu dem grundsätzlich leistungs¬berechtigten Personenkreis gem. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es sind erstens keine Anhalts¬punkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1) nicht erwerbsfähig ist. Die Antragstellerin zu 1) hat zweitens die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, hat drittens nach den vorliegenden Informationen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, da sie in Berlin gemeldet ist, und viertens bestehen keine Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit gem. § 9 SGB II. Der Antragsteller zu 2) lebt gem. § 7 Abs. 2 SGB II mit ihr in Bedarfsgemeinschaft.

Nach den hier anwendbaren Maßstäben für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz ist zugunsten der Antragsteller davon auszugehen, dass sie nicht gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgenommen sind. Nach Ansicht der Kammer ist die Sach- und Rechtslage hinsichtlich eines möglichen Leistungsausschlusses im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht hinreichend aufklärbar, so dass die Kammer nach den geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben keine abschließende Prüfung vornehmen kann, sondern anhand einer Folgenabwägung entscheiden muss (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927, 928).

Als Ausschlussgrund käme hier allenfalls § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift bestehen in der Rechtsprechung europarechtliche Bedenken (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Dezember 2010, Az. L 34 AS 1501/10 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. November 2010, Az. L 34 AS 1001/10 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. September 2010, Az. L 10 AS 1023/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2010, Az. L 7 AS 3769/10 ER-B). § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II dient der Umsetzung europäischer Richtlinien. Nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familien¬angehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewesen (Unionsbürger-RL), genießen Unionsbürger, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhalten, grundsätzlich das Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen dieser Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten dürfen von diesem Recht gem. Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL iVm. Art. 14 Abs. 4 Nr. b Unionsbürger-RL jedoch Ausnahmen vorsehen in Bezug auf Ansprüche auf Sozialhilfe, wenn Unionsbürger eingereist sind, um Arbeit zu suchen.

Zweifel bestehen schon daran, ob die Leistungen nach dem SGB II von dieser Ausnahmeregel erfasst sind. Möglicherweise handelt es sich nicht um Leistungen der Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL. Dafür kommt es nicht auf die Terminologie des deutschen Gesetzgebers bei der Abgrenzung des Zweiten und Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch, sondern auf die europarechtliche Auslegung des Begriffs der Sozialhilfe an. Nach dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) stellen finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, keine Sozialhilfeleistungen gem. Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL dar (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - Vatsouras, Koupatanze, Rs. C-22/08, Rdnr. 45). Dies könnte auch auf SGB II-Leistungen zutreffen. Ziel der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist gem. § 1 Abs. 1 SGB II die Aufnahme und Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit. Außerdem gehört zu den Voraussetzungen für den Leistungsbezug gem. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II unter anderem auch die Erwerbsfähigkeit. Dies könnte auch nach dem EuGH ein Hinweis darauf sein, dass die Leistungen den Zugang zur Beschäftigung erleichtern sollen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - Vatsouras, Koupatanze, Rs. C-22/08, Rdnr. 43). Andererseits unterscheidet § 1 Abs. 2 SGB II zwischen Eingliederungsleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebens¬unterhalts. Diese Unterscheidung könnte nahe legen, dass nur erstere keine Sozialhilfe im europäischen Sinn darstellen. Dies wird möglicherweise auch durch Art. 70 Abs. 1 der Verordnung 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) iVm. Anhang X zu dieser Verordnung gestützt, wonach Leistungen der Grundsicherung für Arbeits¬suchende besondere beitragsunabhängige Leistungen darstellen, die sowohl Merkmale der Sozialhilfe als auch der sozialen Sicherheit aufweisen, d.h. eine Form von Hybridleistungen darstellen.

Weiterhin ist allerdings zweifelhaft, ob die Regelung des Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL einen zeitlich unbegrenzten Ausschluss vom Leistungsbezug – wie er in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vorgesehen ist – deckt. Die in dieser Vorschrift in Bezug genommene Regelung des Art. 14 Abs. 4 Nr. b Unionsbürger-RL sieht für den Fall der Einreise zur Arbeitssuche einen Abschiebeschutz vor, solange Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Dies ist zunächst eine Schutzvorschrift zugunsten der arbeitsuchenden Unionsbürger, welche der Verwirklichung der Arbeitnehmergrundfreiheit gem. Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dient. Gem. Art. 45 Abs. 3 AEUV haben Arbeitnehmer das Recht, sich zum Zweck der Bewerbung in dem Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten frei zu bewegen. Der zeitlich unbegrenzte Leistungsausschluss während der Arbeitssuche gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II könnte gegen diese Grundfreiheit verstoßen. Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL müsste möglicherweise primärrechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass ein Leistungsausschluss nicht zeitlich unbegrenzt möglich ist.

Darüber hinaus betrifft Art. 14 Abs. 4 Nr. 6 Unionsbürger-RL nach seinem Wortlaut nur "Unionsbürger [die] in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen." Ein Leistungsausschluss unabhängig davon, ob die Arbeitssuche bereits zum Zeitpunkt der Einreise Zweck des Aufenthalts war oder erst nach einer Einreise aus anderen Gründen später zum Aufenthaltszweck geworden ist, könnte gegen die unionsrechtliche Ermächtigung für Leistungsausschlüsse gem. Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL verstoßen. Eventuell muss Art. 24 Abs. 2 Unionsbürger-RL auch in dieser Hinsicht einschränkend ausgelegt werden.

Die Auslegung der Vorschriften des europäischen Unionsrechts ist allerdings grundsätzlich dem EuGH vorbehalten. Zwar sind die mitgliedstaatlichen Gerichte befugt, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ggf. sogar Unionsrecht unangewendet zu lassen (EuGH, Urteil vom 22. Februar 1991 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Rs. C-143/88). Hier können die europarechtlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II allerdings im Ergebnis offen gelassen werden. Es ist im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schon nicht aufklärbar, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift überhaupt vorliegen.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist nicht aufklärbar, ob sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) aus anderen Gründen als zum Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Antragstellerin zu 1) ist möglicherweise als aktuelle oder ehemalige Arbeitnehmerin gem. § 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein Begriff des Unionsrechts, "der nicht eng auszulegen ist. Als "Arbeitnehmer" ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. [ ] Weder die begrenzte Höhe der Vergütung noch die Herkunft der Mittel für diese Vergütung kann irgendeine Auswirkung auf die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts haben." EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - Vatsouras, Koupatanze, Rs. C-22/08, Rdnr. 26 f m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind für die Antragstellerin zu 1) möglicherweise erfüllt. Sie hat bei der Antragstellung angegeben, privat gegen Spenden geputzt zu haben. Überdies lebt sie seit über drei Jahren in Deutschland, ohne bislang – soweit erkennbar – Sozialleistungen in Anspruch genommen zu haben. Möglicherweise war die Antragstellerin zu 1) während dieser Zeit Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts.

Nicht aufklärbar im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist außerdem, ob die Antragstellerin zu 1) möglicherweise ein Aufenthaltsrecht von dem Antragsteller zu 2) ableiten kann. Dieser hält sich selbst jedenfalls nicht zur Arbeitssuche in Deutschland auf, sondern befindet sich noch in der Schulausbildung. Nach den Urteilen des EuGH vom 23. Februar 2010 in den Rechtssachen Teixeira und Ibrahim steht der Antragstellerin zu 1) als Elternteil, welches die elterliche Sorge für ein freizügigkeitsberechtigtes minderjähriges Kind ausübt, unter Umständen ein von diesem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht unmittelbar aus Art. 12 der Verordnung 1612/68 vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu, welches unabhängig davon ist, ob sie selbst über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH, Urteile vom 23. Februar 2010 - Teixeira, Rs. C-480/08 und Ibrahim, Rs. C-310/08).

Die aufgrund dieser Umstände erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten der Antragsteller aus. Für die Antragsteller droht als Folge zu Unrecht verweigerter Leistungen eine Bedarfs¬unterdeckung. Angesichts der Tatsache, dass Leistungen nach dem SGB II laufend die Gewähr¬leistung eines menschen¬würdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichern, ist den Antragstellern das Abwarten des Ergebnisses des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten. Der Antragsgegner ist demgegenüber durch die Vorläufigkeit und nur darlehensweise Bewilligung hinreichend geschützt.

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller. Hilfebedürftige haben einen auch verfassungsrechtlich geprägten Anspruch auf Sicherung derjenigen materiellen Voraussetzungen, die für ihre physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dies ergibt sich aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (siehe BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Gegen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sprechen auch das Kindergeld und die Halbwaisenrente des Antragstellers zu 2) nicht. Diese Leistungen sind jedenfalls für die beiden Antragsteller zusammen nicht bedarfsdeckend.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war jedoch insofern abzuweisen, als er zeitlich nicht auf den Zeitraum ab Antragstellung begrenzt war und keine zeitliche Obergrenze beinhaltete. Im Wege der einstweiligen Anordnung können nur Leistungen für Zeiträume ab Eingang des Antrags bei Gericht geltend gemacht werden. Hinsichtlich der Dauer der Anordnung ist die Leistungsgewährung zunächst angelehnt an den Bewilligungszeitraum nach § 41 SGB II auf längstens ein halbes Jahr zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG; dabei hat die Kammer dem überwiegenden Obsiegen der Antragsteller bei der Kostenquotelung angemessen Rechnung getragen.
Rechtskraft
Aus
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