L 5 AS 365/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 21 AS 1519/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 365/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist mit einem erstinstanzlichen Urteil ein beigeladener Leistungsträger dem Grunde nach zur Leistungserbringung verpflichtet worden, der daraufhin seine Zuständigkeit ausdrücklich anerkannt hat, fehlt einer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung das Rechtsschutzbedürfnis, wenn damit nur erreicht werden soll, dass anstelle des beigeladenen Leistungsträgers der ursprünglich beklagte Leistungsträger dem Grunde nach zur Erbringung derselben Leistungen verpflichtet werden soll.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. August 2007 wird als unzulässig verworfen. Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, welcher Leistungsträger örtlich dafür zuständig ist, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu erbringen.

Der schwerbehinderte und auf einen Rollstuhl angewiesene Kläger, dem mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 6. Januar 2006 mit Wirkung ab dem 20. Juli 2005 ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G und aG zuerkannt wurden, ist seit dem Jahr 2003 Eigentümer eines behindertengerecht umgebauten Zweifamilienhauses in S. Eine der beiden Wohnungen mit einer Wohnfläche von 138,11 Quadratmetern wird von dem Kläger, die andere von seiner Mutter genutzt. Seine Schwester bewohnt mit ihrer Familie ein benachbartes Haus.

Der 1965 geborene Kläger bezog seit dem 1. Juli 2005 von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Am 1. August 2005 nahm der Kläger eine zunächst bis zum 31. Dezember 2005 befristete Arbeit als vollbeschäftigter Angestellter der B f A in D auf. Das Arbeitsverhältnis wurde mit Änderungsverträgen vom 19. Oktober 2005 und vom 8. Juni 2006 bis zum 31. März 2007 verlängert und mit Änderungsvertrag vom 14. März 2007 ab dem 1. April 2007 ohne Befristung fortgesetzt. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt des Klägers betrug 1.755,- EUR, das Nettoarbeitsentgelt 1.252,58 EUR. In der Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2006 wohnte der Kläger bei einem Bekannten in D. Nachdem der Kläger zum Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft in D geworden war, schloss er unter Einzahlung eines vollen Genossenschaftsanteiles mit Wirkung ab dem 1. Februar 2006 einen unbefristeten Nutzungsvertrag über eine rollstuhlgerechte 45,59 Quadratmeter große Genossenschaftswohnung in D ab, für die er ein monatliches Bruttonutzungsentgelt in Höhe von 288,60 EUR zu entrichten hatte, das sich ab dem 1. April 2006 auf 306,60 EUR erhöhte. Die Wohnung in S behielt der Kläger als melderechtlichen Erstwohnsitz bei. Während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses hielt sich der Kläger überwiegend in D auf und fuhr lediglich einmal monatlich nach S. Die Beklagte berücksichtigte mit Bescheid vom 6. März 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. März 2006 für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 30. Juni 2006 zuletzt Regelleistungen in Höhe von 331,- EUR, einen Mehrbedarf wegen Behinderung in Höhe von 116,- EUR sowie Kosten für das Zweifamilienhaus in S und das Nutzungsentgelt für die Wohnung in D als Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, und zwar in Höhe von 637,45 EUR, während sie Kosten für eine Heimfahrt im Monat in Höhe von 222,- EUR als Werbungskosten von dem Einkommen des Klägers absetzte.

Den Fortzahlungsantrag des Klägers vom 26. Juni 2006 hinsichtlich der Zeit ab dem 1. Juli 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 mit der Begründung ab, der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in D, so dass die Beigeladene örtlich zuständig sei. Die Beigeladene lehnte den dort gestellten Leistungsantrag mit Bescheid vom 17. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2006 ebenfalls wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit ab.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 31. August 2006 die Leistungsbewilligung durch die Beklagte als erstangegangene Trägerin beantragt hatte, bewilligte diese mit Bescheid vom 8. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2007 Leistungen für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 30. September 2006. Die hiergegen am 12. Oktober 2007 erhobene Klage, mit der eine Leistungsgewährung auch für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. August 2006 durchgesetzt werden soll, wird beim Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 24 AS 3954/07 geführt, wobei mit Beschluss vom 12. Juni 2008 das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf den Ausgang des vorliegenden Berufungsverfahrens angeordnet worden ist.

Den neuerlichen Antrag des Klägers vom 10. Oktober 2006 bezog die Beklagte auf die Zeit seit dem 1. Oktober 2006 und lehnte ihn mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit ab. Dem am 25. September 2006 gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, der auf die vorläufige Leistungsgewährung für den Monat Oktober 2006 gerichtet war, gab das Sozialgericht Potsdam mit Beschluss vom 23. Oktober 2006 (S 21 AS 1601/06 ER) statt. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beklagten wurde auf gerichtlichten Vorschlag ein Vergleich geschlossen, wonach die Beklagte für den Monat Oktober 2006 vorläufig Leistungen als Darlehen gewähren sollte. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 gewährte die Beklagte monatliche Leistungen in Höhe von 582,62 EUR für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. März 2007, für den Monat Oktober 2006 als Darlehen. Nachdem der Kläger einen Beleg über das Arbeitsentgelt für den Monat November 2006 übersandt hatte, aus dem sich ergab, dass das Nettoarbeitsentgelt 2.255,33 EUR betrug, hob die Beklagte die vorherige Bewilligung mit Bescheid vom 18. Dezember 2006 mit Wirkung ab dem 1. November 2006 auf und setzte die monatlichen Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. März 2007 mit Änderungsbescheid vom 19. Dezember 2006 auf 545,87 EUR fest.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger am 13. September 2006 beim Sozialgericht Potsdam Klage gegen die Leistungsversagung durch den Bescheid vom 17. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Beklagte sei örtlich zuständig, weil er seinen Lebensmittelpunkt und damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in S habe. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 28. August 2007 insoweit stattgegeben, als es die Beigeladene dem Grunde nach verurteilt hat, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 die begehrten Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Kläger sei hilfebedürftig. Die Beigeladene sei örtlich zuständig, weil der Kläger nach den objektiven Umständen in D seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Gegen die ihm am 16. Oktober 2008 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 16. November 2008 Berufung eingelegt, weil er weiterhin meint, dass die Beklagte örtlich zuständig sei. Die Beigeladene hat die erstinstanzliche Entscheidung nicht angefochten und ihre örtliche Zuständigkeit ausdrücklich anerkannt. Sie hat jedoch die begehrten Leistungen wegen fehlender Hilfebedürftigkeit versagt. Hiergegen richtet sich das beim Sozialgericht Danhängige Klageverfahren S 28 AS 541/07. Der Kläger hat am 14. Januar 2008 einen Antrag auf Versetzung in den Raum Berlin-Brandenburg gestellt, dem mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 stattgegeben worden ist.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. August 2007 zu ändern und die Beklagte anstelle der Beigeladenen unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 dem Grunde nach zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Leistungsakten des Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß § 158 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Das Sozialgericht hat die Beigeladene im Sinne des § 130 Abs. 1 SGG dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu erbringen. Die Beigeladene hat gegen das Urteil keine Berufung eingelegt. Das Berufungsbegehren des Klägers ist lediglich darauf gerichtet, von einem anderen Leistungsträger dem Grunde nach dieselben Leistungen zu erhalten, die ihm mit dem angefochtenen Urteil bereits zugesprochen worden sind. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass im Rahmen eines Leistungsbegehrens ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Feststellung besteht, welche von zwei unterschiedlichen, aber möglicherweise gleich hohen Leistungen der Betroffene zu bekommen hat, wenn an eine solche Feststellung rechtlich vorteilhafte Fernwirkungen geknüpft sind (Urteil vom 19. September 2002, B 1 KR 11/02 R; Urteil vom 6. September 2009, B 14/7b AS 16/07 R). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Durch die begehrte Feststellung, dass die Beklagte örtlich zuständig ist, erwirbt der Kläger keinen rechtlichen Vorteil. Insbesondere ergeben sich hierdurch keine Auswirkungen auf die Frage, ob die Aufwendungen für die Wohnung in S weiterhin nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen sind und ob die Aufwendungen für die Wohnung in D nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II von dem zu berücksichtigenden Einkommen als mit dessen Erzielung verbundene notwendige Ausgaben abzusetzen sind. Der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne des § 36 SGB II ist hierfür nicht ausschlaggebend. Welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen sind, ist nach dem tatsächlichen Wohnbedarf zu beurteilen (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Juni 2010, B 14 AS 79/09 R). Ob eine doppelte Haushaltsführung anzuerkennen ist, richtet sich danach, ob der Hilfesuchende außerhalb des Ortes beschäftigt ist, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, und ihm weder der Umzug noch die tägliche Heimfahrt zuzumuten sind (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 11 Rn 118). Der Kläger ist somit darauf zu verweisen, seinen konkreten Leistungsanspruch im Rahmen des beim Sozialgericht D bereits anhängigen Betragsverfahrens (S 28 AS 541/07) durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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