L 2 AS 87/11 ER (L 2 AS 484/10)

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 AS 2789/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 87/11 ER (L 2 AS 484/10)
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Erstattungsbescheides der Arbeitsgemeinschaft SGB II Halle GmbH vom 7. September 2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2007 für die Dauer des Berufungsverfahrens wird festgestellt.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in diesem Antragsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit einer in der Berufungsinstanz anhängigen Anfechtungsklage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.

Der Kläger und seine Ehefrau bezogen als Bedarfsgemeinschaft ab Anfang des Jahres 2005 als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) aufgrund von Bewilligungen durch die Arbeitsgemeinschaft SGB II Halle GmbH (Arge). Ab dem 1. Januar 2011 ist das Jobcenter Halle der Rechtsnachfolger der Arge.

Mit dem angefochtenen Leistungsbescheid hob die Arge die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 teilweise auf und forderte gezahlte Leistungen in Höhe von 3130,44 EUR zurück, wobei 1788,00 EUR auf die Regelleistungen entfallen. Zur Begründung führte die Arge aus: Eine der Ehefrau des Klägers im Juli und August 2005 zugeflossene Erbschaft sei anspruchsmindernd ab dem Zufluss zu berücksichtigen. Der Kläger habe die Erbschaft zumindest grob fahrlässig nicht angezeigt. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 8. August 2007 beim Sozialgericht Halle (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 20. Oktober 2010 als unbegründet abgewiesen.

Gegen das ihm am 17. November 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Mit Antrag vom 28. Februar 2011 hat er begehrt, die aufschiebende Wirkung der Berufung festzustellen.

Zur Begründung hat der vorgetragen: Seine Berufung habe Kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Es sei aber zu befürchten, dass diese nicht beachtet werde. Hierzu hat er ein als "Mahnung" bezeichnetes Schreiben der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2011 vorgelegt. Hierin wird bezüglich des auf die gezahlten Grundsicherungsleistungen entfallenden Forderungsteils vom 1788,00 EUR festgestellt, der Betrag sei noch offen. Sofern der Betrag nicht binnen einer Woche überwiesen werde, würden "unverzügliche Maßnahmen der Zwangsvollstreckung" veranlasst werden, durch die weitere Kosten entstünden.

Der Berichterstatter hat dem Antragsgegner die Antragsschrift nebst Anlage mit der Möglichkeit "zur kurzfristigen Stellungnahme" übersandt (mit Telefax vom 1. März 2011, zugegangen laut Sendebericht an diesem Tage um 9.02 Uhr). Eine Reaktion darauf ist gegenüber dem Gericht bis zur Beschlussfassung nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Der Antrag des Klägers auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und begründet.

In den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels umstritten ist oder in denen eine Vollziehung durch die Behörde trotz der aufschiebenden Wirkung zu erwarten ist, kann das Gericht, bei dem die Klage oder die Berufung anhängig ist, die aufschiebende Wirkung analog § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) deklaratorisch feststellen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 15). Eine solche Feststellung setzt allerdings voraus, dass dafür ein aktuelles Rechtsschutzinteresse besteht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Behörde zu erkennen gibt, dass sie die aufschiebende Wirkung für nicht gegeben erachtet (etwa, weil sie von einem Ausschluss kraft Gesetzes ausgeht) oder wenn sie sich auf eine ausdrückliche Aufforderung, ihre Auffassung zum Bestehen der aufschiebenden Wirkung deutlich zu machen, innerhalb einer angemessenen Frist nicht erklärt (Keller, a.a.O., § 86bn Rdnr 15). Einer dieser Fälle liegt hier nicht vor. Aus dem vom Antragsteller vorgelegten Mahnschreiben kann nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass der Grundsicherungsträger sich mit der Frage der aufschiebenden Wirkung der Berufung bewusst auseinandergesetzt und diese verneint hat. Er ist auch von dem Antragsteller bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigen nicht zu einer Klarstellung aufgefordert worden. Ob ein Feststellungsinteresse auch dann bejaht werden kann, wenn der Grundsicherungsträger eine aufschiebende Wirkung zwar grundsätzlich anerkennt, aber davon ausgeht, die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen einer mit der Vollstreckung beauftragten Stelle faktisch (zum Beispiel aufgrund von Besonderheiten des genutzten Datenverarbeitungsprogramms) nicht beeinflussen zu können, hält der Senat für äußerst fraglich. In solchen Fällen wäre eine gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung wohl eher wirkungslos und die Betroffenen auf Rechtsbehelfe im Vollstreckungsverfahren und mögliche Amtshaftungsansprüche zu verweisen. Im Ergebnis kann der Senat dies hier offenlassen. Der Senat sieht aufgrund des konkreten Ablaufs des Verfahrens hier ein Feststellungsinteresse im Einzelfall für gegeben an.

Dem Grundsicherungsträger ist spätestens durch das gerichtliche Schreiben, dass ihm am 1. März 2011 per Telefax zugegangen ist, bekannt geworden, dass von einer Stelle der Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 23. Februar 2002 vom Antragsteller die Überweisung eines Teilbetrages (der im Streit stehenden Erstattungsforderung) binnen einer Woche, verbunden mit dem Hinweis auf unverzügliche Maßnahmen der Zwangsvollstreckung im Falle der Nichtzahlung, eingefordert wird. Dass daraufhin nicht binnen Wochenfrist von Grundsicherungsträger gegenüber dem Gericht erklärt worden ist, die aufschiebende Wirkung der Berufung werde beachtet, reicht für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Feststellung der aufschiebenden Wirkung aus. Dagegen spricht auch nicht, dass das Gericht dem Antragsgegner keine ausdrückliche Erklärungs- oder Stellungnahmefrist gesetzt hat. Die Dringlichkeit der Sache war für die sachkundige Behörde hier ohne weiteres erkennbar. Unter diesen besonderen Umständen spricht es auch nicht gegen das Rechtsschutzbedürfnis, dass der Betroffene die Behörde nicht selbst unmittelbar nach Zugang des Schreibens vom 23. Februar 2002 zur kurzfristigen Klarstellung aufgefordert hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner einem solchen Begehren mehr Bedeutung zugemessen hätte, als der Möglichkeit zur Klarstellung im gerichtlichen Verfahren.

In der Sache ist hier eine aufschiebende Wirkung der anhängigen Berufung gegeben, so dass für die Dauer des Berufungsverfahrens Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unzulässig sind. Die Berufung gegen den angefochtenen Bescheid hat aufschiebende Wirkung, soweit in diesem eine Erstattungspflicht festgesetzt wird. Alleine diese Festsetzung der Erstattungspflicht kommt als Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht. Gemäß § 154 Abs. 1 SGG hat die Berufung aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86a SGG Aufschub bewirkt. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ergibt sich aus § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG. Eine Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach Aktenlage nicht getroffen worden. Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht durch Gesetz ausgeschlossen. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt keine aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Bescheid der (im Anschluss an eine Aufhebung der Leistungsbewilligung) eine Regelung über die Erstattungspflicht des Leistungsempfängers trifft, wird aber nicht ausgeschlossen. Auch eine entsprechende Anwendung scheidet angesichts der eindeutigen Regelung des § 39 Abs. 1 SGB II in der ab Anfang 2009 (übergangslos) maßgeblichen Neufassung aus (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 3. Auflage, § 39 Rdnr. 4 und 11).

Die Kostenregelung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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