L 14 AS 1705/09 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 46 AS 2148/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1705/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Rechtsfrage, ob (monatliche) Kosten der Unterkunft nach § 41 Abs. 2 SGB 2 in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung zu runden sind, hat keine grundsätzliche Bedeutung, nachdem § 41 Abs. 2 SGB 2 in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung in Kraft getreten ist.
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 09. September 2009 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

Wenn der Beklagte einen Verfahrensfehler iSd § 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Begründung rügt, das Vordergericht habe einen Klageanspruch (Rundung der Kosten der Unterkunft und Heizung – KdU/KdH – für Juli 2009 nach § 41 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – SGB II – in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) verfahrensfehlerhaft übergangen, fehlt ihm bereits das allgemeine Rechtschutzbedürfnis und damit eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtzulassungsbeschwerde, weil dies ihn nicht in seinen Rechten verletzt. Aber selbst wenn dieses zu bejahen gewesen wäre, übersieht er, dass die rechtskundig vertretende Klägerin auch nur einen Prozessantrag gestellt hatte, "für den Zeitraum Februar bis Juni 2009 einen weiteren Betrag von 2,40 Euro zu gewähren." Das Sozialgericht hat insoweit über den von der Klägerin erhoben Anspruch iSd § 123 SGG entschieden; es darf im Übrigen auch nicht mehr zusprechen als gewollt ist und nichts anderes (wohl aber weniger); vgl. Keller, in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage, 2008, zu § 123 Rdnr. 4. Ein Verfahrensfehler ist hierin nicht zu erblicken, wenn sich das Vordergericht gerade an die Verfahrensordnung gehalten hat.

Die nach § 145 Abs. 1 SGG ansonsten zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung bleibt erfolglos, weil keiner der in § 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten weiteren Zulassungsgründe vorliegt.

Grundsätzliche Bedeutung iSd Nr. 1 der genannten Vorschrift hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist und zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheitlichkeit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., zu § 160 Rdnr. 6). Für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 61/06 B - zitiert nach juris; Meyer-Ladewig, a.a.O., zu § 160a Rdnr. 19 b m.w.N.). Zum Zeitpunkt der Entscheidung ist jedoch die Klärungsbedürftigkeit nicht mehr gegeben. Der Beklagte sieht die "Rechtsfrage, wie genau gemäß § 41 Abs. 2 SGB II zu runden ist", als grundsätzlich klärungsbedürftig an.

Dieses Vorbringen führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Denn die aufgeworfene Frage betrifft die Auslegung ausgelaufenen Rechts. § 41 Abs. 2 SGB II in der von der Beklagten hier zum Gegenstand gemachten Fassung (alter Fassung – a.F.) ist aufgrund des in der Zwischenzeit rückwirkend zum 01. Januar 2011 in Kraft (vgl. Art. 14 Abs. 1) getretenen Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) nicht mehr anwendbar und durch § 41 Abs. 2 SGB II (neuer Fassung – n.F.) ersetzt worden. Die Vorschrift lautete: "Beträge, die nicht volle Euro ergeben, sind bis zu 0,49 Euro abzurunden und von 0,50 Euro an aufzurunden" und lautet jetzt: "Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde". Soweit sich aus dem Wortlaut allein noch nicht die fehlende Klärungsbedürftigkeit ergibt, so erhellt die Gesetzesbegründung diese Zweifel. Hierzu heißt es zu § 41 Abs. 2 SGB II (BT-Drucks. 17/3404 S. 115), der auch durch den Vermittlungsausschuss keine Änderungen mehr erfahren hat (vgl. BT-Drucks. 17/4719 und 17/4830):

" Die bislang in Absatz 2 enthaltene Rundungsvorschrift hat zu Unklarheiten geführt und wird deshalb aufgehoben. Zunächst war in der Vorschrift nicht geregelt, wie zu verfahren ist, wenn sich der zu rundende Betrag zwischen 0,49 und 0,50 Euro beläuft. Weiter war unklar, ob von der Rundungsregel nur die Ausgangsbeträge, die Beträge bei jedem Rechenschritt, die Beträge vor der Einkommensanrechnung, die individuellen Gesamtansprüche, die jeweiligen Ansprüche auf die Regelleistung, Zuschläge und die Kosten der Unterkunft oder nur die allgemeinen Leistungen nicht jedoch der Betrag für die Kosten der Unterkunft erfasst sind. Die Vorschrift hat deshalb insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten, bei denen häufig konkrete Beträge auszuurteilen sind, zu erheblichem Mehraufwand geführt. Besonders streitig war die Rechtsfrage, ob die Leistungen für Unterkunft und Heizung zu runden sind. Diese wurden teilweise unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 22 Absatz 1 Satz 1 nicht gerundet ("tatsächlicher Aufwendungen"). Das Bundessozialgericht hat dies in ständiger Rechtsprechung beanstandet. Dies hat zu Rechtsstreitigkeiten geführt, die nur die fehlerhafte Rundung zum Gegenstand hatten, ohne dass dies bei den Leistungsberechtigten zu einer nennenswerten Leistungserhöhung geführt hätte. Die Rundungsregel ist entbehrlich und deshalb zu streichen. Künftig sollen nur noch die Regelbedarfe bei ihrer Ermittlung oder Fortschreibung gerundet werden. Erforderlich ist eine Regelung zur Behandlung der dritten Dezimalstelle in Fällen, in denen zum Beispiel die kopfteilige Aufteilung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung eine dritte Dezimalstelle ergibt."

Damit kann sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach dem jetzigen Recht nicht mehr stellen. Entsprechend dem Zweck der Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, eine für die Zukunft richtungweisende Klärung des geltenden Rechts herbeizuführen, rechtfertigen Rechtsfragen zu ausgelaufenem oder auslaufendem Recht regelmäßig nicht die Zulassung (BSG, Beschluss vom 13. August 2002 – B 2 U 104/02 B – m.w.N. zitiert nach juris).

Soweit an eine Ausnahme zu denken ist, weil die Klärung der Rechtsfragen für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin von Bedeutung ist, werden zusätzlich Anhaltspunkte für eine erhebliche Anzahl von Altfällen nicht ausreichend von dem Beklagten dargetan und sind auch sonst dem Senat nicht ersichtlich (vgl. z.B. auch BSG SozR 1500 § 160a Nr. 19). Eine Klärung "im individuellen Interesse" der Klägerin – soweit diese überhaupt von Seiten der Beklagten berechtigt angeführt werden können und auch hier an ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten denken lässt – ist im Verfahren nicht konkret dargelegt worden. In Hinblick auf den hier streitigen Bewilligungsabschnitt von Februar 2009 bis Juni 2009 hätte es dem Beklagten oblegen, konkret vorzutragen, auch fernerhin würden Rechtsstreite um die Rundung bei den KdU/KdH iSd § 41 Abs. 2 (a.F.) geführt werden. Das wird aber nicht gemacht. Allein der Umstand, dass dies in Betracht zu ziehen sei ("drohen"), rechtfertigt nicht die Annahme, hier von einer Ausnahme ausgehen zu müssen. Auch die weiteren Erwägungen des Beklagten, ein "allgemeines Interesse" an einer Klärung bestünde, weil sich das "individuelle Interesse grundsätzlich auf jeden einzelnen der ca. 10 Millionen SGB II-Leistungsempfänger übertragen" lasse und eine "Klageflut" "ihren Höhepunkt noch nicht erreicht habe", sind nicht derart konkretisiert (ggf. durch Benennung, wie viele derartiger Verfahren beim Beklagten in Widerspruchs-, Klage- oder Berufungsverfahren zu führen sind), dass sich der Senat deswegen hier im Verfahren gedrängt gesehen hätte, die grundsätzliche Bedeutung anzunehmen. Auch der Umstand, dass es – soweit ersichtlich – "nur" eine Entscheidungen von für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senaten des Hauses (Urteil vom 20. Januar 2009 - L 28 AS 1072/07) gibt, die sich mit der Frage der Rundungen nach § 41 Abs. 2 SGB II (a.F.) bei KdU/KdH befasst hat, spricht nicht für eine erhebliche Zahl dieser Rechtsstreite und damit für eine – ausnahmsweise – anzunehmende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Voraussetzungen von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegen gleichfalls nicht vor. Im Ergebnis kann offen bleiben, ob es dem Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde gelungen (§ 145 Abs. 2 SGG) ist, die Entscheidung tragende, abstrakte Rechtssätze im Urteil des Sozialgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberzustellen und zu begründen, weswegen diese unvereinbar sind (vgl. u. a. BSG, Beschlüsse vom 27. Juni 2005 – B 1 KR 43/04 B; vom 18. Juli 2005 – B 1 KR 110/04 B m.w.N.) sowie weiter darzutun, dass das Sozialgericht bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa nur das Recht fehlerhaft angewendet hat (vgl. u. a. BSG, Beschluss vom 27. Januar 1999 – B 4 RA 131/98 B – zitiert nach juris), denn "nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Berufung wegen einer Divergenz" (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nrn. 14, 21, 67; BSG vom 24. Mai 2007 – B 3 P 7/07 B – zitiert nach juris). Schließlich sind auch Ausführungen zu verlangen, denen hinreichend klar entnommen werden kann, dass das angegriffene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 39).

Selbst wenn zugunsten der Beklagten eine Abweichung mit Blick auf die Entscheidung des 28. Senats des Hauses (a.a.O.) angenommen wird, liegen die Zulassungsvoraussetzungen nicht vor. Die Zulassung der Revision wegen Divergenz dient dazu, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten, und ist deshalb ein Unterfall der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG (vgl. zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO: Beschlüsse vom 24. Mai 1965 - BVerwG III B 10.65 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 49 und vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87 (93)). Für die Grundsatzbeschwerde ist - wie oben dargelegt - anerkannt, dass Rechtsfragen, die auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung besitzen. Dieser Gedanke gilt entsprechend für die Divergenzbeschwerde, wenn die behauptete Abweichung eine Rechtsvorschrift betrifft, die nicht mehr in Kraft ist oder deren Außerkrafttreten bevorsteht (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 58; Leitherer, a.a.O., zu § 160a Rnr. 15 d m.w.N.). Soweit dies jedenfalls dann gilt, wenn in einem Revisionsverfahren über die vom Beschwerdeführer behauptete Divergenz aufgrund der inzwischen eingetretenen Rechtsänderung nicht mehr zu befinden wäre (vgl. Beschluss vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 B 94.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 5), so muss dies auch für eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Landessozialgericht aus denselben Erwägungen Anwendung finden.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Hierdurch wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 08. September 2009 rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).
Rechtskraft
Aus
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