L 5 AS 498/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 AS 3656/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 498/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Verfahren L 5 B 498/10 B ER verpflichtet, die Kosten des Antragstellers für einen Einzelunterricht (in der Woche zweimal 90 Minuten) beim Lernstudio M. in Höhe von 160,00 EUR/Monat in die Zeit vom 15. Mai bis 8. Juli 2011 vorläufig in Form eines personalisierten Gutscheins oder einer Direktzahlung an das Lernstudio zu übernehmen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beschwerden im Verfahren L 5 AS 5/11 B ER und L 5 AS 499/10 B werden als unzulässig verworfen.

Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller notwendig entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen für das Verfahren L 5 AS 498/10 B ER zu erstatten.

Dem Antragsteller wird zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens L 5 AS 498/10 B ER Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N ..., M ..., bewilligt. Im Übrigen wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege zweier Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom Antragsgegner die Übernahme der Kosten für einen außerschulischen Nachhilfeunterricht.

Der am. 2000 geborene Antragsteller bezieht zusammen mit seiner Mutter und seinem 1994 geborenen Bruder Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Er leidet an verschiedenen Erkrankungen und Allergien (Polymorphe Lichtdermatose, Histaminallergie, Medikamentenallergie, Insektenallergie, Neurodermitis sowie Asthma bronchiale). Er besucht seit Beginn des Schuljahres 2010/2011 die vierte Klasse der Grundschule.

Am 27. September 2010 stellte seine Mutter einen Antrag auf Übernahme der Kosten für einen Nachhilfeunterricht in Höhe von 160 EUR pro Monat. Dem Antrag fügte sie ein entsprechendes Kostenangebot des Lernstudios M ... für einen neunzigminütigen Einzelunterricht zum Nachholen des Schulstoffes, der zweimal wöchentlich stattfinden sollte, bei. Ebenfalls übersandte sie eine Einschätzung der Grundschule vom 23. September 2010, in der es heißt: "Im zweiten Schuljahr wechselte J F durch ein freiwilliges Wiederholen in unsere Klasse. Im Laufe der Zeit zeigten sich häufige, begründete Krankheitsausfälle. Diese erstrecken sich oft über längere Zeiträume. Daraus ergaben sich zusätzliche Schwierigkeiten im Lernprozess. J fiel es sehr schwer, die entstandenen Lücken aufzuholen. In der Schule erhält er individuelle Hilfen im Unterricht durch Schüler und Lehrer. Zur Förderung besucht J. einmal pro Woche eine Stunde aus dem Kontingent "Pädagogischer Zusatzbedarf". Hier wird gezielt an Problemen und Lernrückständen gearbeitet. Dennoch ist eine Versetzungsgefährdung in diesem Schuljahr nicht auszuschließen. Eine zusätzliche Förderung im privaten Bereich durch ein Lernstudio würden wir befürworten." (Es folgen die Unterschriften des Schulleiters und der Klassenleiterin.) Ergänzend nahm die Grundschule zum Nachhilfebedarf des Antragstellers mit Schreiben vom 9. November 2010 Stellung: " Der Stundenplan in der Schule sieht nur eine Stunde Förderunterricht vor. In dieser Stunde ist es nicht möglich, den fehlenden Stoff auszuholen. Da dieses bei weitem nicht ausreicht, wäre es wünschenswert, wenn für J ein gesonderter Förderunterricht ermöglicht würde. Die Nachhilfe ist dringend notwendig, damit er die 4. Klasse erfolgreich abschließen und in die 5. Klasse überwechseln kann. Im Moment zeichnet sich die Gefährdung der Versetzung ab. " Aus einer ebenfalls beigefügten Bescheinigung der Ergotherapeutin Frau S ... ergab sich, dass der Antragsteller seit längerem in ergotherapeutischer Betreuung zur Verbesserung der Konzentration, Ausdauer und Aufmerksamkeit sei. Es sei eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) diagnostiziert.

Mit Bescheid vom 3. November 2010 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kosten für einen Nachhilfeunterricht ab. Der Antragsteller nehme bereits eine unentgeltliche Förderung in der Schule in Anspruch. Da im neuen Schuljahr erst drei Monate vergangen seien, bleibe abzuwarten, welche Erfolge die sportliche Betätigung und die Förderung durch die Schule zeigen würden. Den hiergegen mit Schreiben vom 8. November 2010 eingelegten Widerspruch begründete die Mutter des Antragstellers damit, eine unentgeltliche Förderung reiche nicht aus. Es müsse eine gezielte Förderung stattfinden, sonst werde das Klassenziel nicht erreicht. Sie selbst könne den Nachhilfeunterricht nicht finanzieren.

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2010 als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen zur Begründung aus, weder die Klassenlehrerin noch der Schulleiter gingen derzeit davon aus, dass unabdingbar eine Versetzungsgefährdung bestehe. Weiterhin gehe die Mutter des Antragstellers keiner Beschäftigung nach, sodass auch im Rahmen familiärer Selbsthilfe eine geeignete Unterstützung möglich erscheine. Gegen die Ablehnung erhob der Antragsteller am 2. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (S 2 AS 4006/10).

Bereits am 11. November 2010 hat der Antragsteller, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung beim Sozialgericht gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten einer Nachhilfe bis zum Ende des Schuljahrs 2010/2011, hilfsweise bis zum Ablauf des Schulhalbjahres vorläufig zu übernehmen sowie ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen (S 10 AS 3656/10 ER).

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2010 hat das Sozialgericht den Antrag zurückgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, die Kosten einer Lernförderung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten zu können. Mit Beschluss vom 2. Dezember 2010 hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Bedürftigkeit nicht nachgewiesen worden sei.

Am 8. Dezember 2010 hat der Antragsteller erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung hinsichtlich des Begehrens der Übernahme der Kosten für eine außerschulische Lernförderung beim Sozialgericht gestellt (S 2 AS 4106/10 ER). Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dieser sei bereits wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig. Dasselbe Begehren verfolge er im Rechtsstreit S 10 AS 3656/10 ER.

Der Antragsteller hat am 16. Dezember 2010 sowohl gegen den Sachbeschluss als auch gegen den Beschluss im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren Beschwerde im Verfahren S 10 AS 3656/10 ER (nunmehr L 5 AS 498/10 B ER und L 5 AS 499/10 B) sowie am 20. Dezember 2010 Beschwerde im Verfahren S 2 AS 4106/10 ER (nunmehr L 5 AS 5/11 B ER) gegen den Sachbeschluss eingelegt. Die Mutter des Antragstellers hat ausgeführt, sie übe regelmäßig mit ihrem Sohn, sei aber Legasthenikerin. Wegen Wohnungs- und Arbeitssuche sei sie ganztägig unterwegs. Sie sei eine allein stehende Mutter mit drei Kindern.

Auf Anforderung des Senats hat der Antragsteller im Verfahren L 5 AS 498/10 B ER die Schulzeugnisse seit der ersten Klasse sowie eine weitere Bescheinigung der Ergotherapeutin Frau S überreicht. Diese hat hinsichtlich der LRS ihre Angaben dahin gehend berichtigt, dass ein Deutsch-Rechtschreibtest in der dritten Klasse auf eine solche hindeute, diese aber nicht diagnostiziert sei. In der Ergotherapie werde versucht, vorhandene Rückstände aufzuarbeiten. Hinsichtlich der weiteren Leistungseinschätzung wird auf Bl. 67 der Gerichtsakte verwiesen.

Die derzeitige Klassenlehrerin Frau K. hat einen Kurzbericht zur Lernsituation des Antragstellers abgegeben. Danach erhält der Antragsteller im Schulunterricht, in Förderstunden oder "Pädagogischen Zusatz-Stunden" zusätzliche Hilfen und Unterstützung beim Lernen durch den Lehrer, den PM oder leistungsstarke Schüler. Die Fehlzeiten lagen in der ersten Klasse bei 16 Tagen, in der zweiten bei 13 bzw. 22 Tagen und in der dritten Klasse bei 47 Tagen, wodurch sich Lücken im Lernstoff ergeben hätten. Es seien bereits mehrfache Gespräche mit der Mutter des Antragstellers geführt worden über Schwerpunkte des Übens und die Verfahrensformen für das Lernen. Der Antragsteller sei oftmals unmotiviert und zeige wenig Interesse am Unterricht. Von einer bestehenden LRS sei nicht bekannt.

Am 28. Februar 2011 hat die Mutter des Antragstellers diesen zu einer Leistungs- und Konzentrationsdiagnostik in der Psychologischen Erziehungs- und Familienberatungsstelle vorgestellt. Aufgrund des durchgeführten HAWIK IV-Tests (Intelligenztest) ist ein der Altersnorm entsprechendes Ergebnis in den Kategorien "Sprachverständnis" und
"Wahrnehmungsgebundenes/Logisches Denken" festgestellt worden. Die Ergebnisse der Kategorien "Arbeitsgedächtnis" und Verarbeitungsgeschwindigkeit" haben unterhalb der Altersnorm gelegen. Im durchgeführten Aufmerksamkeits- und Belastungstest "d2" hat der Antragsteller eine Konzentrationsleistung gezeigt, die unter dem Durchschnitt der Altersnorm liegt. Zusammenfassend hat die Diplom-Psychologin Frau P. festgestellt: " Ausgehend von den testpsychologischen Befunden dürften die Besonderheiten in Bezug auf die Gedächtnisleistung, die Verarbeitungs- und Reaktionsgeschwindigkeit und das Konzentrationsvermögen das schulische Lernen beeinträchtigen, sodass in diesen speziellen Fähigkeitsbereichen eine Förderung sinnvoll erscheint. Aus psychologischer Sicht wäre die Fortsetzung der ergotherapeutischen Behandlung zur weiteren Unterstützung mit empfehlenswert. Inwieweit die krankheitsbedingten Fehltage im letzten Schuljahr zu Lerndefiziten beigetragen haben, kann nur schulischerseits beantwortet werden. "

Auf die seitens des Senats gestellten Fragen, ob auch Teilleistungsstörungen diagnostiziert worden seien, ob eine vorübergehende Nachhilfe geeignet und ausreichend sei, die Voraussetzungen für eine Versetzung in die 5. Klasse herbeizuführen, ob die Grundschule die geeignete Schulform sei und welche Fördermaßnahmen seitens der Schule ggf. ergriffen werden müssten und schließlich, ob andere Fördermaßnahmen geeigneter als eine vorübergehende Nachhilfe seien, hat Frau P ... geantwortet: Es seien keine Tests zur Durchführung von Teilleistungsstörungen durchgeführt worden. Eine Beantwortung der übrigen Fragen ließe sich nach nur einem Diagnostiktermin und ohne schulische Vernetzung nicht vornehmen. Über ein sonderpädagogisches Feststellungsverfahren, welches über die Schule zu beantragen sei, wäre es möglich, konkrete Aussagen zum Förderbedarf des Antragstellers zu treffen.

Im Verfahren L 5 AS 499/10 B ist der Antragsteller auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde hingewiesen worden.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

in den Verfahren L 5 AS 498/10 B ER und L 5 AS 5/11 B ER den Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten für eine außerschulische Lernförderung bis zum Schuljahresende vorläufig zu übernehmen,

im Verfahren L 5 AS 499/10 B ihm rückwirkend unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Dezember 2010 Prozesskostenhilfe zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens zu bewilligen, ihm im Verfahren L 5 AS 498/10 B ER Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat Gelegenheit erhalten, zu den Beschwerden Stellung zu nehmen, jedoch keine eigenen Sachanträge gestellt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

A.1.

Die Beschwerde im Verfahren L 5 AS 498/10 B ER ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für eine außerschulische Lernförderung bis zum Ende des Schuljahres. Nach seinen Recherchen sind dafür 160 EUR im Monat aufzuwenden. Der maßgebliche Berufungs- bzw. Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750 EUR ist mithin überschritten.

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung abgelehnt.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 86b Rn. 16b).

Nach §§ 19 Abs. 2, 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Außerschulische Lernförderung ist nach dem Willen des Gesetzgebers als Mehrbedarf allerdings nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig. In der Regel - so der Gesetzgeber in seiner Begründung weiter - ist sie nur kurzzeitig notwendig, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. Sie soll unmittelbare schulische Angebote lediglich ergänzen. Die unmittelbaren schulischen Angebote haben in jedem Fall Vorrang und nur dann, wenn diese im konkreten Einzelfall nicht ausreichen, kommt außerschulische Lernförderung in Betracht. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung bezieht sich auf das wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau (vgl. Bt-Drs. 17/3404, S. 105).

Es ist eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen. Ist im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung diese Prognose negativ, besteht kein Anspruch auf Lernförderung. Die Lernförderung ist auch dann nicht geeignet, wenn das Lernziel objektiv nicht mehr erreicht werden kann, sondern nach den schulrechtlichen Bestimmungen beispielsweise ein Wechsel der Schulform und eine Wiederholung der Klasse angezeigt sind. Liegt die Ursache für die vorübergehende Lernschwäche in unentschuldigtem Fehlen oder vergleichbaren Ursachen und bestehen keine Anzeichen für eine nachhaltige Verhaltensänderung, ist Lernförderung ebenfalls nicht erforderlich.

Dem Senat ist es in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich, die Erforderlichkeit einer Nachhilfe, gemessen an den o.g. Maßstäben, zu beurteilen. Im Rahmen der Folgenabwägung war daher zu entscheiden, dass der Antragsgegner vorläufig die Kosten der beantragten Nachhilfe zu übernehmen hat.

Die Gerichte müssen in Fällen wie diesem, in dem das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt. Die Gerichte müssen die Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26, Juris).

Eine vollständige Sachaufklärung war dem Senat in diesem Verfahren nicht möglich. Es bedarf weiterer Ermittlungen zur Erforderlichkeit und Geeignetheit einer Nachhilfe. Ausgehend von den Äußerungen der Diplom-Psychologin Frau P. sind weitere Diagnostiktermine Teilleistungsstörungen betreffend und auch ein sonderpädagogisches Feststellungsverfahren notwendig. In Anbetracht der Dringlichkeit des Begehrens musste der Senat hierauf verzichten. Auf Grund der bisherigen Sachlage kann er nicht einschätzen, ob eine vorübergehende Nachhilfe geeignet und erforderlich ist.

Unter Beachtung der Leistungsentwicklung seit der ersten Klasse bestehen Zweifel, dass die Lernförderung benötigt wird, um nur vorübergehende, kurzfristig aufgetretene Lernschwächen zu beseitigen. Bereits in der ersten Klasse hatte der Antragsteller ausweislich der Leistungseinschätzung Schwierigkeiten mit der Konzentration, weswegen er meist das Arbeitspensum nicht schaffte. Anstrengungsbereitschaft ließ er vermissen. So zeichnete sich im Halbjahreszeugnis dieser Klassenstufe ab, dass er nur dann das Ziel der ersten Klasse in ausreichendem Maße erreichen werde, wenn er ausdauernder und zielstrebiger arbeite. Die zweite Klasse wiederholte er, wobei er bei Vergleich der beiden Jahreszeugnisse in den einzelnen Kernfächern eine Steigerung seiner Leistungen erreichen konnte (Deutsch von Notenstufe 5 auf 4, Mathematik von 5 auf 3, Sachkunde von 4 auf 3). In der dritten Klasse erreichte er ausreichende Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik, sowie befriedigende im Fach Sachkunde. Die Konzentrationsschwächen allerdings blieben. So gelang es ihm ausweislich der Leistungseinschätzung im Jahreszeugnis weiterhin nicht, sich kontinuierlich und ausdauernd genug auf die Lerninhalte und Aufgabenstellungen zu konzentrieren. Diese Schwäche wird untermauert durch die Ergebnisse im "d2"-Test. Eine spezielle Förderung in diesem Bereich erscheint notwendig. Eine isolierte Nachhilfe bezogen auf die Unterrichtsinhalte in einzelnen Schulfächern vermag dies wohl nicht zu leisten.

Auf der anderen Seite aber ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten hatte. So lagen diese in den ersten beiden Schuljahren bei 16 und 13 Tagen im Schuljahr. In der dritten Klasse fehlte er 47 Tage, bis zum Halbjahreszeugnis in der vierten Klasse 31 Tage. Die durch die Schule angebotenen und vom Antragsteller auch wahrgenommenen Lernförderungen sind nach Einschätzung der Schule nicht ausreichend, um die vorhandenen Wissenslücken zu schließen. Zwar erhält er auch von seiner Ergotherapeutin entsprechende Hilfe. Diese schätzt aber einen zusätzlichen Nachhilfebedarf für die Fächer Deutsch und Mathematik ein.

Dem Senat erscheint zusammenfassend vor diesem Hintergrund im Rahmen der Folgenabwägung eine zusätzliche, professionelle Lernförderung erforderlich. Diese kann unter Beachtung des Grundrechtsschutzes ggf. helfen, Wissenslücken schließen.

Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es einer umfassenden Diagnostik bedarf, um in Zukunft zum Ergebnis der Erforderlichkeit einer Lernförderung in Form einer Nachhilfe zu gelangen. Die seitens der Diplom-Psychologin Frau P. angeratenen Schritte zur Ermittlung des konkreten Förderbedarfs des Antragstellers müssen zeitnah - am besten bis Schuljahresende - durchgeführt werden. Nur auf diese Weise kann gerade unter Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes ermittelt werden, welche Förderung für den Antragsteller geeignet und erforderlich ist, um eine bestmögliche Bildung für ihn zu erreichen.

2.

Die Beschwerde unterlag im Übrigen der Zurückweisung. Eine Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Übernahme der Kosten einer Nachhilfe war in der vom Antragsteller begehrten Form nur bis zum Ende des Schulunterrichts in diesem Schuljahr zu gewähren. Eine weitergehende Nachhilfe in den Sommerferien bis Schuljahresende am 31. Juli 2011 (§ 23 Abs. 1 Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG LSA)) sieht der Senat gerade aufgrund der o.g. fehlenden Diagnostik nicht für erforderlich an.

3.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens war stattzugeben. Der Antragsteller erfüllt die nach § 73a SGG, § 114 ZPO erforderlichen Voraussetzungen.

B.

Die Beschwerde im Verfahren L 5 AS 5/11 B ER ist unzulässig. In diesem Verfahren hat der Antragsteller im Vergleich zum Verfahren L 5 AS 498/10 B ER identische Anträge verfolgt. Es ist insoweit doppelt rechtshängig. Die vom Antragsteller beantragte Verbindung dieser identischen Verfahren nach § 113 SGG kam für den Senat nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht in Betracht. Es wäre keine bessere Übersichtlichkeit der Verfahren ermöglicht worden. Das Kostenrisiko des Antragstellers hatte außer Betracht zu bleiben.

C.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Dezember 2010 im Verfahren L 5 AS 499/10 B ist unzulässig. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Dies ist vorliegend der Fall. Das Sozialgericht hat die Ablehnung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ausschließlich auf die mangelnde Darlegung und Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit des Antragstellers gestützt. Zu den Erfolgsaussichten des Verfahrens hat es keine Ausführungen gemacht.

D.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG bzw. ergeben sich aus § 127 Abs.4 ZPO. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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