S 9 SO 771/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 771/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Werden Sozialhifeleistungen als Darlehen gemäß 91 SGB XII in der Rechtsform eines Verwaltungsakts gewährt, hat der Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen über die Darlehensmodalitäten (insbesondere Höhe, Fälligkeit und Rückzahlung, Sicherung, ggf. Verzinsung) zu entscheiden.
2. Bei einem Darlehen wegen nicht sofort verwertbaren Vermögens in Form einer Kapitallebensversicherung ist es in der Regel geboten, dem Leistungsempfänger den auf eigenen Beitragsleistungen nach Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit beruhenden Teil der Ablaufleistung zu belassen.
3. In diesem Falle ist es in der Regel ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde Zinsen auf die Darlehenssumme und zusätzlich eine Beteiligung an der vertragsgemäßen Wertsteigerung der Lebensversicherung verlangt.
4. Bei einer kombinierten Kapitallebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung bleiben bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit einer Kündigung durch Vergleich von gezahlten Beiträgen und Rückkaufswert die zur Berufsunfähigkeitsversicherung geleisteten Beitragsteile unberücksichtigt.
• Der Bescheid der Beklagten vom 19.07.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2007 wird hinsichtlich der Regelungen zur Darlehenshöhe und zur Verzinsung aufgehoben. • Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. • Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu einem Drittel zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Sozialhilfeleistungen als Zuschuss oder - im Hinblick auf Vermögen in Form einer Lebensversicherung - lediglich als Darlehen zu gewähren hat.

Die Klägerin, geboren am XXX, unterhält bei einem privaten Versicherungsunternehmen eine Kapitallebensversicherung unter Mitversicherung einer Berufsunfähigkeitsrente (Versicherungssumme 90.000 DM bis 103.958 DM je nach Ablaufdatum, ursprünglicher monatlich zu zahlender Beitrag 452,84 DM (231,53 EUR)). Im Dezember 2002 gab sie ihre bis dahin ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen endgültig auf und beantragte sowohl Leistungen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung als auch Sozialhilfe. Die private Berufsunfähigkeitsrente wird der Klägerin aufgrund eines am 2.9.2005 geschlossenen und am 22.9.2005 wirksam gewordenen Widerrufsvergleichs (Landgericht F, Az. XXX) rückwirkend seit 1.1.2004 in Höhe von 70% gezahlt. Nach dem Vergleich ist die Klägerin verpflichtet, 30% des vereinbarten Versicherungsbeitrags für die Lebensversicherung weiter zu bezahlen. Versicherungsablauf und damit Ende der Renten- und Beitragszahlung ist frühestens der 1.12.2013, spätestens der 1.12.2018. Die Beklagte hatte der Klägerin darlehensweise ergänzende Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von September 2003 bis Dezember 2004 gewährt. In einem am 15.9.2005 vor dem Verwaltungsgericht F geschlossenen Vergleich (Az. XXX) verpflichtete sich die Beklagte, von der Klägerin nicht die Auflösung ihrer Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung für die ihr bewilligten Leistungen nach dem BSHG zu verlangen; die Klägerin verpflichtete sich im Gegenzug, ihr zufließende Leistungen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung für Zeiträume bis Dezember 2004 an die Beklagte weiterzuleiten.

Von Januar 2005 bis März 2006 bezog die Klägerin ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Nach Feststellung ihrer Erwerbsunfähigkeit durch den SGB II-Leistungsträger beantragte sie am 22.3.2006 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Dies lehnte die Beklagte zunächst im Hinblick auf den Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung (16.356,97 EUR zuzüglich Überschussbeteiligung und Schlussüberschussanteile, insgesamt 19.561,19 EUR am 31.12.2005) ab (Bescheid vom 29.3.2006). Auf den Widerspruch der Klägerin vom 7.4.2006 und ihren Hinweis, dass die Kündigung der Versicherung wegen des laufenden Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente nicht möglich sei, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 17.5.2006 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 639,01 EUR vom 1.4.2006 an bis auf weiteres. Mit weiterem Bescheid vom 30.5.2006 nahm die Beklagte den Bescheid vom 17.5.2006 zurück und verfügte, die Leistungen würden stattdessen in Form eines Darlehens nach § 91 SGB XII erbracht. Die Klägerin verfüge zwar über verwertbares Vermögen in Form der Kapitallebensversicherung, deren sofortiger Einsatz sei aber wegen des drohenden Verlustes der Berufsunfähigkeitsrente nicht möglich.

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin mit Schreiben 22.6.2006 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.9.2006 als unbegründet zurückwies. Dagegen erhob die Klägerin am 27.9.2006 eine erste Klage zum Sozialgericht Freiburg (Az. XXX), die am 28.6.2007 durch ein Anerkenntnis der Beklagten (Rücknahme des angefochtenen Bescheides) erledigt wurde. Das Anerkenntnis war vom Gericht im Hinblick darauf empfohlen worden, dass der Bescheid den Anforderungen von § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) nicht genügt haben dürfte.

Mit weiterem Bescheid vom 19.7.2007 bewilligte die Beklagte unter teilweiser Zurücknahme ihres Bescheides vom 17.5.2006 gem. § 45 SGB X Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 640,02 EUR monatlich in Form eines Darlehens nach § 91 SGB XII vom 1.8.2007 an bis auf weiteres. Die Höhe des Darlehens richte sich nach der tatsächlich ausgezahlten Sozialhilfe, maximal nach der Höhe des Rückkaufswertes und der Gewinnanteile der Lebensversicherung zum Zeitpunkt des Vertragsendes, spätestens bei Hilfeeinstellung. Der gesetzliche Vermögensfreibetrag (1600 EUR) bleibe frei. Das Darlehen sei mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Der dagegen wiederum erhobene Widerspruch der Klägerin (Rechtsanwaltsschreiben vom 1.8.2007) wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2007 zurückgewiesen.

Am 18.10.2007 erhob die Klägerin die vorliegende Klage, die zunächst unter dem Az. XXX geführt wurde und nach vorübergehendem Ruhen des Verfahrens (Beschluss vom 9.1.2008) nunmehr das Az. S 9 SO 771/09 trägt.

Die Klägerin trägt vor, sie verfüge als frühere Selbstständige, die lediglich etwa 20 Jahre lang abhängig beschäftigt gewesen sei, über keine adäquate Altersvorsorge außerhalb der bestehenden Kapitallebensversicherung. Sie könne allenfalls mit einer minimalen Rente rechnen. Die Lebensversicherung werde mit Erreichen des 65. Lebensjahres ausgezahlt, hierdurch werde wiederum der Sozialhilfeträger entlastet, der andernfalls korrespondierende ergänzende Grundsicherungsleistungen würde erbringen müssen. Sie bringe etwa 58 EUR monatlich auf, um die Lebensversicherung aufrechtzuerhalten. Hierzu sei sie nach den Versicherungsbedingungen verpflichtet, da lediglich eine Berufsunfähigkeit von 70% anerkannt sei und dementsprechend auch lediglich eine Beitragsfreistellung in diesem Umfang erfolge.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19.7.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 4.10.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auch über den 1.8.2007 hinaus bis auf weiteres Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die den verfahrensgegenständlichen Bescheid der Beklagten betreffenden Teile der Verwaltungsakte lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die genannte Verwaltungsakte sowie die Akten des Gerichts, Az. S 9 SO 5436/07 und S 9 SO 771/09 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft.

Die Klage ist teilweise, nämlich in dem Umfang wie erkannt, auch begründet; im übrigen ist sie unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtlich insoweit nicht zu beanstanden, wie darin die vorangegangene, zuschussweise Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben und durch eine darlehensweise Leistungsbewilligung ersetzt wurde. Die in ihm getroffenen Regelungen zur Höhe des Darlehens sowie zur Verzinsung sind jedoch ermessensfehlerhaft und konnten daher keinen Bestand haben.

Da mit dem angefochtenen Bescheid die durch den unbefristeten Bescheid vom 17.5.2006 verfügte zuschussweise Bewilligung von Leistungen zurückgenommen wurde, ist die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides zunächst an § 45 SGB X zu messen (vgl. zur Auslegung eines Sozialhilfeleistungen "bis auf weiteres" bewilligenden Bescheids als begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.10.2006, Az. L 7 SO 3313/06 ER-B; Hessisches LSG, Beschl. v. 18.4.2007, Az. L 7 SO 85/06 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2006, Az. L 15 B 1105/05 SO ER, alle in (juris)). Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung für die Zukunft setzt - sofern sie nicht auf eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse gestützt wird, wie sie hier nicht vorliegt - nach dieser Vorschrift voraus:

• die anfängliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (Abs. 1 a. a. O.),

• die Einhaltung der in Absatz 3 a. a. O. geregelten Rücknahmefrist (bei Gutgläubigkeit des Empfängers wie hier i. d. R. 2 Jahre),

• dass der Bescheidempfänger sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen nach Abs. 2 a. a. O. berufen kann,

• dass die den Bescheid erlassende Behörde ihr Ermessen richtig ausgeübt hat (Abs. 1 a. a. O, "darf").

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, insbesondere auch die nach Ziff. 1. Die anfängliche Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids vom 17.5.2006 ergibt sich daraus, dass die Klägerin über grundsätzlich verwertbares Vermögen in Form ihrer Kapitallebensversicherung verfügt, dessen Wert bereits bei Antragstellung die Vermögensfreigrenze von 1600 EUR (vgl. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 15.2.1988) überstieg. Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss war daher rechtlich nicht zulässig. Denn gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII setzt Hilfe zum Lebensunterhalt voraus, dass der notwendige Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem Einkommen und Vermögen, beschafft werden kann. Einzusetzen ist gem. 90 Abs. 1 SGB XII das gesamte verwertbare Vermögen. Hierzu gehören grundsätzlich die bei Antragstellung vorhandenen Ansprüche aus der Kapitallebensversicherung (vgl. Hessisches LSG, Urt. v. 21.5.2010, Az. L 7 SO 78/06, (juris)).

Diese Lebensversicherung ist weiter nicht nach § 90 Abs. 2 SGB XII von der Verwertbarkeit ausgenommen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen von § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII nicht vor (diese Vorschrift privilegiert nur sog. "Riester-Anlageformen" und ggf. andere nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge geförderte Vermögen, vgl. näher Hessisches LSG a. a. O.; um solches handelt es sich bei der hier zu beurteilenden Versicherung nicht). Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt ihre Lebensversicherung auch kein härtefallgeschütztes Vermögen i. S. v. § 90 Abs. 3 SGB XII dar. Danach darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies u. a. für den, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde (Satz 1 a. a. O.). Gem. Satz 2 a. a. O. ist dies bei Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Satz 2 ist hier nicht einschlägig, weil es um Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII geht. Es liegt aber auch keine allgemeine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vor. Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Sätzen des § 90 Abs. 3 SGB XII ist zu schließen, dass die von der Klägerin dargelegte Zweckbestimmung zur Alterssicherung für sich genommen keine Härte begründet. Von einer Härte kann daher nicht schon dann ausgegangen werden, wenn eine angemessene Lebensführung oder eine angemessene Alterssicherung gefährdet ist, sondern erst, wenn nach Lage des Einzelfalls der Vermögenseinsatz unzumutbar erscheint, wobei auf den aktuellen und künftigen sozialhilferechtlichen Bedarf und nicht auf die bisherige Lebensführung abzustellen ist. Vorausgesetzt wird ein atypischer Lebenssachverhalt, dem der Gesetzgeber mit den Regelvorschriften des § 90 Abs. 1 und 2 SGB XII nicht gerecht werden konnte (Hessisches LSG, a. a. O., m. w. N.).

Eine Härte kann auch auf einer atypischen Kumulation von Faktoren beruhen, die jeweils allein eine solche nicht begründen würden, in ihrem Zusammenspiel aber eine unzumutbare Versorgungslücke entstehen lassen (BSG-Urt. v. 7.5.2009, Az. B 14 AS 35/08 R, (juris), zu § 12 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II). Zum Verhältnis der Härtebegriffe des SGB II und des SGB XII vgl. Mecke, in: jurisPK-SGB XII, § 90, Rnr. 94 m. w. N.). Zwar liegt hier ein insoweit atypischer Lebenssachverhalt vor, als es sich bei der zu beurteilenden Versicherung um eine kombinierte Kapitallebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung handelt (dies allein ist freilich eine übliche Gestaltung und würde noch keine Atypik begründen), bei der die Klägerin bereits Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bezieht. Dies begründet aber weder für sich genommen noch im Zusammenspiel mit dem von der Klägerin dargelegten Alterssicherungszweck eine Härte. Denn soweit die Klägerin bereits Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bezieht, also im Umfang von 70%, entstünde auch durch deren Wegfall wegen Kündigung der Versicherung keine Versorgungslücke, weil die Berufsunfähigkeitsrente bei der Berechnung der Sozialhilfeleistungen in vollem Umfang als Einkommen angerechnet wird. Für die (noch) nicht in Anspruch genommenen 30% gilt dies entsprechend, denn eine hieraus der Klägerin etwa noch zufließende weitere Berufsunfähigkeitsrente würde sozialhilferechtlich ebenso behandelt. Mit dem Ablauf der Kapitallebensversicherung endet die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente vertragsgemäß ohnehin. Der im Falle einer Kündigung der Lebensversicherung ferner drohende Verlust der (für den Fall der Berufsunfähigkeit mitversicherten) Beitragsbefreiung zur Lebensversicherung schließlich, wie er aktuell zu 70% besteht und zu 30% weiterhin versichert ist, kann eine Härte ebenfalls nicht begründen. Der Nachteil hierdurch bestünde nämlich darin, dass die Kapitallebensversicherung nicht weiter aufrechterhalten werden kann. Da diese selbst nicht nach Maßgabe von § 90 Abs. 2 SGB XII geschützt ist, kann ihr Weiterbestand bei der Härteprüfung nicht berücksichtigt werden ( so bereits LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.11.2009, Az. L 13 AS 5234/08, (juris), zu § 12 SGB II).

Eine einen Härtefall im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII begründende Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherung, etwa weil der Rückkaufswert in einem unvertretbaren Missverhältnis zu den zur Lebensversicherung entrichteten Beiträgen stünde, erkennt die Kammer ebenfalls nicht. Aus dem zuletzt noch zu zahlenden (30%igen) Monatsbeitrag in Höhe von 58,18 EUR (vgl. Bl. 65 VA) errechnet sich, dass der (versicherungsmathematisch getrennt zu betrachtende) Vollbeitrag zur Lebensversicherung monatlich 193,93 EUR betragen hat. Die Differenz zum monatlichen Gesamtbeitrag (452,84 DM oder 231,53 EUR) beruht auf dem hier nicht zu berücksichtigenden, da nicht zur Kapitalanlage verwendeten Beitrag zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Wenn man eine vollständige Zahlung der vertragsgemäß geschuldeten Beiträge zur Kapitallebensversicherung (ohne Berufsunfähigkeitsversicherung) unterstellt, errechnet sich bis zum 31.12.2005 eine Summe der geleisteten Beiträge von 20.207,53 EUR (Dezember 1995 bis Dezember 2003: 97 Monate x 193,93 EUR = 18.811,21 EUR zuzüglich Januar 2004 bis Dezember 2005: 24 Monate x 58,18 EUR = 1396,32 EUR). Der in diesem Zeitpunkt bei Kündigung erzielbare Betrag (19.561,19 EUR) entspricht 96,8% dieser Summe; bis zur Antragstellung im März 2006 hatte sich dieses Verhältnis noch zugunsten des Rückkaufswertes verbessert. Unabhängig davon, von welcher Grenze an man eine einen Härtefall begründende Unwirtschaftlichkeit der Verwertung von Kapitallebensversicherungen im Sozialhilferecht annimmt (Überblick zum Meinungsstand in der Entscheidung des Hessischen LSG a. a. O.) kommt eine solche bei einer derart geringfügigen Unterschreitung der Beitragszahlungen nicht in Betracht. Selbst nach der für Antragsteller günstigsten Auffassung (Sächsisches LSG, Urt. v. 16.4.2009, Az. L 3 SO 9/08, (juris): entsprechende Anwendung der zum SGB II entwickelten Grundsätze) wird ein Verlust von bis einschließlich 10% der eingezahlten Beiträge jedenfalls als zumutbar betrachtet.

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid über die Rücknahme der zuschussweisen Bewilligung hinaus die Leistungen bis auf weiteres als Darlehen bewilligt. Hierzu wird sie von § 91 Satz 1 SGB XII ermächtigt, wonach Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden soll, soweit nach § 90 für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die, die es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hat die Beklagte nachvollziehbarerweise bejaht, da sich die Klägerin an der sofortigen Verwertung der Kapitallebensversicherung insbesondere aufgrund des von ihr mit dem Versicherungsunternehmen geschlossenen Vergleichs gehindert sieht. Nachdem die Voraussetzungen einer zuschussweisen Leistungsbewilligung, wie dargelegt, nicht erfüllt sind, ist die Entscheidung der Beklagten, stattdessen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt darlehensweise zu erbringen, in Anbetracht des in § 91 Satz 1 SGB XII normierten sogenannten intendierten Ermessens ("soll") rechtlich nicht zu beanstanden.

Neben dem intendierten Ermessen hinsichtlich der Leistungsart Darlehen eröffnet § 91 SGB XII ein pflichtgemäßes Ermessen hinsichtlich der Darlehensmodalitäten, insbesondere der Höhe des Darlehensbetrages und der Rückzahlungsbedingungen (a. A. ohne Begründung Mecke, a. a. O.: gebundene Entscheidung). Dies ergibt sich daraus, dass sich das Verfahren insoweit nach dem Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X) richtet (allg. M., vgl. Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, 13. EL VI/2008, § 91 Rnr. 10; Pfohl/Steymanns, in: Linhart/Adolph, SGB II SGB XII AsylbLG, 56. AL Januar 2008, § 91 SGB XII Rnr. 12). Wird das Darlehen wie hier durch Verwaltungsakt geregelt sind die §§ 31 ff. SGB X zu beachten, insbesondere - da es sich bei den genannten Modalitäten um Nebenbestimmungen handelt - § 32 SGB X. Abs. 2 dieser Vorschrift gestattet, einen seinerseits selbst im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt (wie hier die Darlehensgewährung) wiederum nach pflichtgemäßem Ermessen mit Nebenbestimmungen zu versehen (vgl. Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7.A. 2010, § 32 Rnr. 30; Krasney, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 69. EL 2009, § 32, Rnr. 9).

Die Ermächtigung der Beklagten zur Ermessensausübung hinsichtlich der Darlehensmodalitäten hat zur Folge, dass die Behörde insoweit ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 39 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Umgekehrt hat die Klägerin Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Als Ermessensfehler kommen bei Vorliegen der Eingangsvoraussetzungen zum einen eine sogenannte Ermessensunterschreitung bzw. ein Ermessensnichtgebrauch in Betracht (die Behörde unterlässt es, das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben), zum anderen eine sogenannte Ermessensüberschreitung (die Behörde setzt eine im Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge). Für Ermessensfehler dieser Art gibt es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt. Weiter stellt es einen Ermessensfehler dar, wenn die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Behörde ihrer Entscheidung entweder einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, für die Entscheidung objektiv wesentliche Gesichtspunkte nicht ermittelt oder berücksichtigt oder objektiv gemessen am Ermächtigungszweck sachfremde bzw. unsachliche Erwägungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 54 Rz. 28 ff.; Seewald in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 39 SGB I, 69. EL 2011, Rz. 6 ff., jew. m. w. N.). Welche Umstände in diesem Sinne wesentlich und deshalb vollständig und zutreffend zu ermitteln sowie im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen sind, ergibt sich insbesondere aus der einschlägigen Ermächtigungsnorm sowie den sich darauf beziehenden weiteren gesetzlichen Regelungen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheinen vorliegend die Regelungen zur Darlehenshöhe sowie zur Verzinsung ermessensfehlerhaft und waren daher aufzuheben. Der Beklagten obliegt es, diesbezüglich einen gesonderten, ermessensfehlerfreien Bescheid zu erlassen. Die Fehlerhaftigkeit der diesbezüglichen Regelungen beruht auf folgenden Überlegungen:

Der angefochtene Bescheid sieht vor, dass das Darlehen der Höhe nach einmal durch die Summe der tatsächlich erbrachten Sozialhilfeleistungen begrenzt wird, zum anderen durch die Höhe des Rückkaufswertes und der Gewinnanteile der Lebensversicherung im Zeitpunkt des Vertragsendes, spätestens bei Hilfeeinstellung. Vom Auszahlungsbetrag wird danach lediglich der gesetzliche Vermögensfreibetrag (1600 EUR) freigelassen. Diese Regelungen lassen erstens außer Acht, dass die Klägerin selbst durch weitere Beitragszahlungen seit Antragstellung zum Auszahlungsbetrag beiträgt. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Beklagte von dieser Ansparleistung profitieren sollte, da die Klägerin hierfür Mittel aus ihrer Berufsunfähigkeitsrente und den Grundsicherungsleistungen der Beklagten, mithin aus existensicherndem Einkommen lediglich in Höhe des Regelsatzes, aufbringt. Dies gilt zweitens auch für diejenigen Wertsteigerungen der Lebensversicherung, die seit Antragstellung auf der Beitragsfreistellung aufgrund der 70%igen Berufsunfähigkeit laut zivilgerichtlichem Vergleich beruhen. Denn insoweit ist die Erhöhung der Ablaufleistung der Lebensversicherung auf die gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin zurückzuführen sowie darauf, dass sie für dieses Risiko Vorsorge durch eigene Beitragszahlungen zur kombinierten Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung getroffen hat.

Drittens schließlich begegnet es Bedenken, dass die Beklagte nach den von ihr verfügten Darlehensmodalitäten nicht nur von der vertragsgemäßen Wertsteigerung des bei Antragstellung bereits erreichten Guthabens im weiteren Versicherungsverlauf profitieren würde, sondern darüber hinaus eine Verzinsung des Darlehens mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz festschreiben will. Ob ein Darlehen gemäß § 91 SGB XII überhaupt verzinslich gewährt werden darf, ist umstritten (verneinend z. B. Mecke, a. a. O., Rnr. 23; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. A: 2010, § 91 Rnr. 15; bejahend insbesondere Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. A., § 91 Rnr. 17). Eine nach pflichtgemäßem Ermessen zulässige Verzinsung wird maßgeblich damit gerechtfertigt, dass im Einzelfall durch den Verzicht auf die sofortige Verwertung des Vermögens ein höherer Ertrag bei späterer Verwertung ermöglicht werden kann (Hohm a. a. O.). Dieser Gesichtspunkt trifft zwar gerade im vorliegenden Fall einer Kapitallebensversicherung zu. Würde die Beklagte jedoch - wie im angefochtenen Bescheid vorgesehen - sowohl die Verzinsung der der Klägerin gewährten Sozialhilfeleistungen verlangen als auch von der vertragsgemäßen Wertsteigerung des bei Antragstellung bereits erreichten Guthabens profitieren, würde dies zu einer doppelten Beteiligung der Beklagten an dem Ertrag führen, der auf der späteren Verwertung des Vermögens und Erfüllung des Lebensversicherungsvertrags bis zum vertragsgemäßen Ablauf beruht. Dies erscheint zum Nachteil der Klägerin unangemessen und daher ermessensfehlerhaft.

Nach Überzeugung des Gerichts könnte die Höhe des Darlehens sowie die Beteiligung der Beklagten an dem durch die spätere Verwertung des Vermögens erzielten Wertvorteil ermessensfehlerfrei auf zweierlei Weise erreicht werden:

Entweder wird das Darlehen der Höhe nach außer auf die Summe der erbrachten Sozialhilfeleistungen auf denjenigen Betrag begrenzt, den die Klägerin bei sofortiger Verwertung des Vermögens einzusetzen gehabt hätte. Dies ist der Rückkaufswert zuzüglich laufender und Schlussüberschussanteile im Zeitpunkt der Sozialhilfeantragstellung abzüglich des damals maßgeblichen Freibetrags von 1600 EUR. Dann wäre es nach Überzeugung der Kammer nicht ermessensfehlerhaft, den sich hieraus ergebenden Betrag angemessen zu verzinsen. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass die Klägerin Personen gleichgestellt wird, bei denen nicht sofort verwertbares Vermögen in Form einer Immobilie vorhanden ist und bei denen die Höhe des Darlehens üblicherweise durch den Verkehrswert im Zeitpunkt der Antragstellung begrenzt wird; dies mit der sachgerechten Einschränkung, dass die Beklagte an der mit einer Kapitallebensversicherung im Gegensatz zu Grundvermögen immer verbundenen Wertsteigerung durch die Verzinsung teilhat.

Oder aber die Beklagte beschränkt das Darlehen auf denjenigen Teil des späteren Auszahlungsbetrages der Lebensversicherung, der versicherungsmathematisch auf das bei Antragstellung vorhandene Guthaben (Rückkaufswert zuzüglich laufender Überschussanteile und Schlussüberschussanteile) abzüglich des Freibetrags zurückzuführen ist, nicht aber auf den Freibetrag selbst, spätere Beitragszahlungen der Klägerin sowie Wertsteigerungen aufgrund der durch die 70%ige Berufsunfähigkeit bedingten Beitragsbefreiung. Dann aber wäre eine zusätzliche Verzinsung des Darlehensbetrages nicht statthaft, denn die Beklagte hätte bereits mit dem bei Antragstellung einzusetzenden Vermögensbetrag an der vertragsgemäßen Verzinsung im Rahmen der Lebensversicherung teil.

Zwischen den Alternativen dürfte die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen wählen können, wobei für die erste Variante der geringere Aufwand sprechen dürfte (eine versicherungsmathematische Aufschlüsselung des Auszahlungsbetrages bei Fälligkeit würde sich erübrigen), während die zweite den Vorteil hätte, dass Differenzen zwischen der vertraglichen Verzinsung und der für das Sozialhilfedarlehen festgesetzten nicht zu Lasten eines der Beteiligten gehen können. In beiden Fällen wird aber - und das ist das Wesentliche - die Klägerin wirtschaftlich so gestellt, als habe sie nach Antragstellung zunächst das zu diesem Zeitpunkt einzusetzende Vermögen verbraucht und anschließend zuschussweise Sozialhilfe erhalten (für eine Gewährung von darlehensweisen Leistungen lediglich bis zum "fiktiven Verbrauch" des Vermögensgegenstands spricht sich auch Mecke, a. a. O., Rnr. 22 aus; ebenso zumindest für Immobilienvermögen Wahrendorf, a. a. O., Rnr. 13, beide unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die von der Klägerin zuvörderst angegriffene Form der Leistungsgewährung als Darlehen Bestand hat und daher von einem überwiegenden Obsiegen der Beklagten auszugehen ist.
Rechtskraft
Aus
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