L 12 AS 234/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 130/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 234/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 159/11 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. der Bekl. zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.12.2009 geändert. Die Bescheide vom 21.05.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.06.2008, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008 werden aufgehoben. Die Beklagte hat bereits mit der sich auf das Jahr 2007 beziehenden Betriebskostenabrechnung im Zusammenhang stehende einbehaltene Überzahlungen zu erstatten. Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, im Zusammenhang mit den für das Jahr 2007 bewilligten Kosten der Unterkunft (KdU) Überzahlungen nach § 22 Abs. 1 Satz 4 des Sozialgesetzbuches (SGB) II für die Zeit ab Juni 2008 zu verrechnen.

Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit der Nebenkostenabrechnung vom 01.04.2007 forderte ihr Vermieter aufgrund der Abrechnung für das Jahr 2006 eine Erhöhung der monatlichen Nebenkostenpauschale um 25,00 EUR, da es für den Abrechnungszeitraum zu einer Nachzahlung von 279,92 EUR gekommen war. Dies teilte die Klägerin der Beklagten mit, die daraufhin die monatlichen Abschläge entsprechend erhöhte. Für das Jahr 2007 erhielt die Klägerin monatlich KdU i.H.v. 213,54 EUR (Grundmiete), 50,00 EUR (Heizung) und 124,43 EUR (Betriebskosten), insgesamt also 387,97 EUR.

Ausweislich der Nebenkostenabrechnung vom 28.04.2008, die sich auf das Jahr 2007 bezieht, waren umlagefähige Nebenkosten i.H.v. 1.777,08 EUR entstanden. Die Klägerin hatte Vorauszahlungen i.H.v. 1.733,16 EUR erbracht, so dass sich gegenüber dem Vermieter eine Nachzahlung von 43,92 EUR ergab. Die Beklagte errechnete daraufhin, dass der Klägerin im Jahr 2007 insgesamt 2.003,16 EUR (50,00 EUR + 124,43 EUR x 12 Monate) gezahlt worden sind, so dass sich zu den an den Vermieter geleisteten Vorauszahlungen der Klägerin eine Überzahlung von 316,08 EUR errechnete. Diesen Betrag verringerte die Beklagte um den Anteil für Warmwasserkosten i.H.v. 28,43 EUR, so dass sie letztlich eine Überzahlung von 287,65 EUR feststellte.

Die Beklagte erließ daraufhin am 21.05.2008 für den Monat Juni 2008 einen Änderungsbescheid, mit dem sie der Klägerin 0,04 EUR KdU bewilligte. Diesen Betrag errechnete sie aus für den genannten Monat anzuerkennenden KdU i.H.v. 78,12 EUR zzgl. der Regelleistung von 347,00 EUR, insgesamt also 425,12 EUR. Dem wurde ein Einkommen der Klägerin aus Rente i.H.v. 425,08 EUR gegenübergestellt, so dass sich die Differenz von 0,04 EUR ergab. Die Änderung begründete die Beklagte damit, die Nachberechnung der Nebenkosten für das Jahr 2007 habe ergeben, dass der Vermieter entweder falsche Vorauszahlungen genommen habe oder die Klägerin nicht die gesamte Miete gezahlt habe. Das Guthaben von 287,64 EUR werde im Juni 2008 mit 284,65 EUR und im Juli 2008 i.H.v. 3,00 EUR mit den Leistungen verrechnet. Mit gleichem Datum erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid für die Monate Juli bis Dezember 2008, mit dem der Klägerin für den Monat Juli 2008 Leistungen i.H.v. 285,69 EUR und ab August 2008 i.H.v. 288,69 EUR bewilligt wurden.

Am 02.06.2008 sprach die Klägerin bei der Beklagten persönlich vor und bat um eine Verrechnung der Überzahlungen mit 30,00 EUR monatlich, da sie sonst ihren Lebensunterhalt nicht sicherstellen könne. Sie habe von den erhöhten Vorauszahlungen nichts gewusst, so dass sie nur die bisherigen Zahlungen an den Vermieter weitergeleitet habe. Sollte ihrer Bitte nicht stattgegeben werden, solle ihr Vorbringen als Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.05.2008 gewertet werden.

Daraufhin erließ die Beklagte für den Monat Juni 2008 einen weiteren Änderungsbescheid vom 03.06.2008, mit dem sie der Klägerin KdU i.H.v. 180,04 EUR bewilligte. Die Beklagte führte zur Begründung aus, die Kaltmiete werde um 30,00 EUR herabgesetzt, bis das fiktive Guthaben der Nebenkostenabrechnung von 287,65 EUR verrechnet sei. Daraus ergebe sich, dass letztmalig im März 2009 noch ein Betrag von 17,65 EUR verrechnet wurde.

Trotz dieser dem Wunsch der Klägerin entsprechenden Ratenzahlungsmöglichkeit begründete sie ihren Widerspruch damit, gegenüber dem Vermieter habe sie überhaupt keinen Anspruch auf Rückzahlung einer Überzahlung, hier habe für das Jahr 2007 vielmehr eine Nachforderung i.H.v. 43,92 EUR bestanden. Die Ausführungen der Beklagten, die Klägerin habe in der Vergangenheit zuviel an Nebenkostenvorauszahlungen erhalten, seien nicht nachvollziehbar. Selbst wenn das zutreffe, würde dies eine Kürzung der Unterkunftskosten zum jetzigen Zeitpunkt nicht rechtfertigen. Für Überzahlungen sehe das Gesetz ein gesondertes Verfahren vor, das die Beklagte einhalten möge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II würden Leistungen für KdU erbracht. Satz 4 der genannten Vorschrift bestimme, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den KdU zuzuordnen seien, nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehende Aufwendungen mindern würden, Rückzahlungen für Haushaltsenergie blieben dabei außer Betracht. Ausweislich der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2007 müsse die Klägerin ein Guthaben von 287,65 EUR erwirtschaftet haben. Sie habe jedoch einen Teil der erhaltenen Vorauszahlungen nicht abgeführt, so dass eine Nachzahlung entstanden sei. Diese stehe jedoch der Anwendung der Regelung des Satzes 4 der genannten Vorschrift nicht entgegen. Das Gesetz unterscheide ausdrücklich zwischen Rückzahlungen und Guthaben. Dies mache deutlich, dass es ausreiche, dass die Beklagte höhere Vorauszahlungen erbracht habe, als der Leistungsbezieher an Heiz- und Nebenkosten schulde. Nicht erforderlich sei dagegen, dass der Hilfebedürftige auch tatsächlich eine Rückzahlung in Form eines geldwerten Zuflusses erhalte. Das Guthaben sei weder als Einkommen noch als Vermögen anzusehen, einer besonderen Aufhebung der Leistungen für KdU nach §§ 45, 48 SGB X bedürfe es nicht. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II sei eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Verwaltung.

Hiergegen richtete sich die am 11.09.2008 vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhobene Klage, mit der die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags ihr Begehren weiterverfolgt hat.

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide vom 21.05.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.06.2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, von der Klägerin für die Zeit ab Juni 2008 keine Einbehaltungen hinsichtlich einer Überzahlung wegen Heiz- und Nebenkosten vorzunehmen und bereits erfolgte Einbehaltungen zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertrat weiterhin die Auffassung, die Verrechnung nach § 22 SGB II sei zulässig.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 08.12.2009 abgewiesen. Die Beklagte habe zutreffend § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II angewandt. Die Vorauszahlungen auf Heiz- und Nebenkosten seien naturgemäß nur annähernd nach den Vorgaben des Vermieters zu entrichten, eine genaue Abrechnung erfolge am Ende des Rechnungsjahres durch die Nebenkostenabrechnung. Der Verwaltungsakt, mit dem der Klägerin Leistungen in Höhe der geforderten Abschlagszahlung des Vermieters erbracht worden seien, entspreche dessen vorläufiger Forderung. Er sei rechtmäßig und werde nicht dadurch rechtswidrig, dass die Nebenkostenabrechnung den Vorauszahlungen nicht entspreche. Auch trete durch die naturgemäß praktisch immer von den Vorauszahlungen abweichende Nebenkostenabrechnung keine wesentliche Änderung der Verhältnisse ein. Die §§ 45, 48 SGB X seien daher auf die Verrechnung von Nebenkostenabrechnungen grundsätzlich nicht anwendbar. Das gelte auch für den vorliegenden Fall, der sich durch die Besonderheit auszeichne, dass eine Auskehrung der Überzahlung an die Klägerin gar nicht erfolgt sei, weil sie die Nebenkostenvorauszahlungen nicht vollständig an den Vermieter weitergeleitet habe. Der Gesetzgeber habe mit § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II eine Spezialvorschrift geschaffen, die der besonderen Problematik der Nebenkostenabrechnung gerecht werde. Das Sozialgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Berufung zugelassen.

Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 22.01.2010 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 17.02.2010. Die Rechtsauffassung des Sozialgerichts sei nicht haltbar. Sie verkenne die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse zwischen der Klägerin und ihrem Vermieter zivilrechtlicherseits und der Klägerin und der Beklagten sozialrechtlicherseits. Im Sozialrecht gelte das Zuflussprinzip. Der Hilfesuchende, der aus dem Leistungsbezug ausscheide, könne sich nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr darauf berufen, dass eine ihn dann erreichende Nebenkostennachforderung des Vermieters den vorherigen abgelaufenen Bezugszeitraum betreffe und ihm deshalb Leistungen zustünden. Umgekehrt sei es völlig unstreitig, dass im Falle des Leistungsbezugs fällig werdende Nebenkostenforderungen auch dann zu den KdU gehörten, wenn diese Zeiträume außerhalb des aktuellen Leistungsbezugs betreffen. Das ergebe sich auch aus § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wonach Rückzahlungen und Guthaben, die mit den KdU in Zusammenhang stünden, die Aufwendungen nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift minderten. Der Gedankenansatz des Sozialgerichts finde daher keinen Anklang im Gesetz und beruhe auf einer Vermischung der zuvor genannten Rechtsverhältnisse. Die vom Sozialgericht zitierte Spezialvorschrift greife im zugrundeliegenden Fall nicht ein. Für diesen seien die Regelungen der §§ 45, 48 SGB X maßgeblich. Inwieweit deren Voraussetzungen vorliegen würden, sei aber nicht Gegenstand des Rechtsstreits, da die Beklagte ein solches Verfahren überhaupt nicht eingeleitet habe. Ungeachtet dessen seien die Rücknahmevoraussetzungen nach diesen Vorschriften aber auch nicht gegeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.12.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 21.05.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.06.2008, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab Juni 2008 keine Einbehaltung hinsichtlich einer Überzahlung wegen Heiz- und Nebenkosten vorzunehmen und die ggf. bereits einbehaltenen Überzahlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II greife ein. Die Vorschrift gelte auch für die Einbehaltung des aufgrund der nicht vollständigen Weiterleitung der berücksichtigten Heiz- und Betriebskostenvorauszahlungen errechneten Guthabens. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/1696 zu Nr. 6 a, S. 26) ergebe sich, dass Erstattungen überzahlter Betriebskosten unmittelbar von den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abzusetzen seien. Es erfolge eine direkte Verknüpfung von Betriebskostenvorauszahlungen und den Überzahlungen, die durch Anrechnung auf die KdU kompensiert werden sollten. Bei den Überzahlungen handele es sich nicht um Einkommen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Rückabwicklung überzahlter Betriebskosten allein auf tatsächlich zufließende Rückzahlungen beschränkt sei. Dagegen spreche der Begriff "Guthaben". Es handele sich hier um ein rechnerisches Guthaben, weil die Klägerin die vom Vermieter geforderten Betriebskostenzahlungen nicht in voller Höhe an diesen weitergeleitet habe. Solche rechnerischen Guthaben entstünden dadurch, dass dem Leistungsbezieher Abschlagszahlungen gewährt würden, die höher sein könnten als der tatsächliche Verbrauch. Die Berücksichtigung eines rechnerischen Guthabens sei weder im Gesetz geregelt noch ergebe sich in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit eine einheitliche Einordnung. Da der Gesetzgeber aber in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausdrücklich geregelt habe, dass KdU nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit diese angemessen seien, ergebe sich daraus der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, dass überzahlte Betriebskosten nicht beim Leistungsbezieher verbleiben sollten. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, das rechnerische Guthaben nicht vom Guthabenbegriff in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II erfasst würden, denn auch ein rechnerisches Guthaben sei ein Guthaben. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.02.2010 vorgetragen habe, der Vermieter habe auf die ursprüngliche Erhöhung der Abschlagszahlung um 25,00 EUR später wieder verzichtet. Dies habe die Klägerin nicht mitgeteilt, die Beklagte habe davon erstmalig durch den Schriftsatz erfahren. Dieser Sachverhalt stelle eine wesentliche Änderung dar, so dass unter diesem Gesichtspunkt auch die Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X gegeben seien.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die der Senat beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündliche Verhandlung gewesen ist sowie auf den Vortrag der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 21.05.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.06.2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008 beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beklagte hat sich bei der Geltendmachung ihres Rückforderungsbegehrens zu Unrecht auf § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II gestützt, denn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht gegeben.

§ 22 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 SGB II sieht vor, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern. Vom Wortlaut kann die Vorschrift nur so verstanden werden, dass es sich um Rückzahlungen und Guthaben handelt, die im Verhältnis Leistungsempfänger und Vermieter bestehen, denn bei anderer Auslegung ergibt die Regelung keinen Sinn, da der Leistungsempfänger gegenüber dem Leistungsträger keinen Anspruch auf Rückzahlung von Kosten der Unterkunft (KdU) haben kann. Ein solcher Rückzahlungsanspruch entsteht in diesem Verhältnis vielmehr nur auf Seiten der Beklagten. Gleiches gilt dann auch für ein Guthaben, das gleichbedeutend neben der Rückzahlung besteht, sich von dieser lediglich dadurch unterscheidet, dass es nicht zu einer Rückzahlung gekommen ist und das dadurch entstandene Guthaben mit künftigen laufenden Zahlungen verrechnet wird. Dieser durch den Wortlaut der Norm gestützten Auffassung stimmt nach Auffassung des Senats auch die Beklagte zu, indem sie mit dem Begriff des "errechneten" Guthabens argumentiert, einem Guthaben also, das tatsächlich im Verhältnis Leistungsempfänger und Vermieter gar nicht entstanden ist. Dieser von der Beklagten verwandte Begriff des "errechneten Guthabens" lässt sich aber nach Auffassung des Senats mit § 22 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 SGB II nicht in Einklang bringen, da hier vielmehr wegen des tatsächlich nicht entstandenen Guthabens im Verhältnis Leistungsempfänger und Vermieter richtigerweise von einem Rückzahlungsanspruch im Verhältnis Beklagter und Klägerin auszugehen ist, dessen Einbeziehung in den Anwendungsbereich der genannten Vorschrift schon von deren Wortlaut nicht gedeckt ist.

Gleiches ergibt sich unter Einbeziehung der Gesetzesbegründung des § 22 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 SGB II. Dort finden sich folgende Ausführungen:

"Mit der Regelung wird klargestellt, wie Betriebskostenrückzahlungen zu berücksichtigen sind. Betriebskostenrückzahlungen werden derzeit von den Trägern der Grundsicherung als Einkommen im Rahmen der Prüfung der Hilfebedürftigkeit berücksichtigt. Diese Einkommensanrechnung führt oft zu nicht sachgerechten Ergebnissen: Zum einen müssen - wie bei jeder Einkommensart - ein Pauschbetrag für zweckmäßige Versicherungen sowie ggf. die Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung von der Rückzahlung abgesetzt werden. Gravierender wirkt sich die Regelung aus, dass das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen zuerst die Geldleistungen der Agentur für Arbeit und erst danach die Geldleistungen der kommunalen Träger mindert (§ 19 Satz 2). Im Ergebnis profitiert damit bei einer Einkommensanrechnung aufgrund von Betriebskostenrückzahlungen im Regelfall nur oder zum großen Teil der Bund, obwohl die überzahlten Betriebskostenbeträge zu über 70 Prozent von den Kommunen aufgebracht worden sind. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, Erstattungen überzahlter Betriebskosten unmittelbar von den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abzusetzen. Im Ergebnis kommt es zu einer Entlastung des kommunalen Trägers. Nicht abgesetzt werden können Rückzahlungsanteile, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen. Diese Kosten werden nicht vom kommunalen Träger, sondern aus der vom Bund zu finanzierenden Regelleistung bestritten." (BT-Drucks. 16/1696, S. 26/27).

Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich mit dem Zweck dieser Regelung nicht vereinbaren. Zwar ist die Überzahlung ausschließlich den KdU zuzuordnen und stellt damit eine Zahlung dar, die durch die Regelung hinsichtlich einer "Rückführung" privilegiert werden soll. Nicht zu vertreten ist es hingegen, vorliegend von Einkommen zu sprechen, da überzahlte Leistungen im Verhältnis Leistungsträger und Leistungsempfänger nicht als Einkommen angesehen werden können und sich demzufolge auch nicht das Problem des Abzugs der Pauschale für Versicherungen stellt. Auch wenn die Leistungen, die für die KdU vorgesehen sind, überzahlt wurden, ist der Klägerin aus der Abrechnung der Betriebskosten weder ein Überschuss zurückgezahlt worden noch ein Guthaben entstanden. Sie hat die empfangenen Leistungen nicht weitergeleitet, sondern - fahrlässig oder vorsätzlich - zweckwidrig verbraucht. Dieses Verhalten stellt einen anderen Sachverhalt dar, der vom Sinn und Zweck der Regelung nicht erfasst wird.

Auch eine erweiternde oder analoge Auslegung der Vorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt lässt sich nicht vertreten. Für eine Analogie fehlt es an einer planwidrigen Lücke im Gesetz, da der Gesetzgeber für Überzahlungen die §§ 45, 48 SGB X geschaffen hat und die Verwaltung in diesen Fällen in einem dafür vorgesehenen Verfahren einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erlassen muss (in diesem Sinne auch Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 01.12.2009 - S 23 AS 2179/09 ER -).

Ein solches Verfahren ist von Seiten der Beklagten jedoch nicht eingeleitet worden, denn es fehlt an einem entsprechenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Die Einleitung eines solchen Verfahrens, auf das die Klägerin bereits im Widerspruchsverfahren hingewiesen hat, wäre auch hier nicht mehr möglich, da die Handlungsfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, der auch über § 48 Abs. 4 Satz 2 SGB X Anwendung findet, verstrichen ist. Das gilt selbst dann, wenn man den Vortrag der Beklagten aufgreift, mit Schriftsatz vom 17.02.2010 sei erstmals vorgetragen worden, der Vermieter habe von der Erhöhung der Nebenkostenpauschale abgesehen. Unabhängig von der Frage, ob dieser Sachverhalt eine wesentliche Änderung i.S.d. §§ 45, 48 SGB X darstellt, wäre die Handlungsfrist für die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens am 17.03.2011 abgelaufen.

Der Senat fühlt sich von der hier vertretenen Auffassung, § 22 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 SGB II sei nicht einschlägig, durch die hierzu ergangene obergerichtliche Rechtsprechung bestärkt. Wenn sich die Entscheidungen auch, anders als der hier zugrundeliegende Sachverhalt, auf Überzahlungen im Verhältnis Leistungsempfänger und Vermieter beziehen, ist diese Rechtsprechung im Kernbereich dahingehend zu verstehen, dass der Anwendungsbereich der streitigen Vorschrift auf diese Fälle beschränkt ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.01.2010 - L 3 AS 3759/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.11.2010 - L 26 AS 1060/09 -). Besonders deutlich kommt dies in einer Entscheidung des 19. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) zum Ausdruck, in der gefordert wird, dass im Verhältnis Energieversorger und Leistungsempfänger ein Überschuss aufgetreten sein muss, um eine Verrechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 SGB II vorzunehmen (LSG NRW, Beschluss vom 14.01.2011 - L 19 AS 1608/10 B -). Auch diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, was der Anwendbarkeit der Verrechnungsvorschrift entgegensteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat vor dem Hintergrund der Frage, dass die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Sachverhalte, in denen es zu nicht weitergeleiteten Betriebskostenvorauszahlungen gekommen ist, bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, dieser Frage aber erhebliche praktische Relevanz zukommen dürfte, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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