L 13 AS 2220/11 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 5397/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2220/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur materiellen Bestandskraft (Bindung) einer durch -bestandskräftigen- Verwaltungsakt erklärten Aufrechnung.
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. Mai 2011 aufgehoben und den Klägern zur Durchführung des Klageverfahrens S 5 AS 5397/10 unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. Prozesskostenhilfe unter Anordnung einer Ratenzahlung in Höhe von 115 EUR monatlich ab September 2011 bewilligt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 3. Mai 2011 ist rechtswidrig. Die gemäß § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht kann für die Leistungsklage auf Zahlung von 2040 EUR trotz erfolgter Aufrechnung in einem bestandskräftigem Verwaltungsakt nicht verneint werden.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, da zur Entscheidung des Rechtsstreits teilweise schwierige und in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsfragen zu klären sind. Die Rechtsfrage, ob im Sozialrecht eine Aufrechnung durch Verwaltungsakt oder durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu erfolgen hat, ist umstritten (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Dezember 2009, B 7 AL 43/07 R; zur Verrechnung s. den auch vom SG zitierten Vorlagebeschluss des BSG vom 25. 2. 2010, B 13 R 76/09 R, veröffentlicht in juris). Für das SGB II hat der Gesetzgeber mit § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II mit Wirkung ab 1. April 2011 allerdings nunmehr normiert, dass die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären ist. Sollte die Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 17. Juli 2006 durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) eine "Regelung über die Aufrechnung" vorgenommen haben, wird zu prüfen sein, welche Rechtsfolgen (materielle Bestandskraft; Bindung in der Sache) aus dem bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt resultieren; sollte sie zu Unrecht in Form eines Verwaltungsaktes eine "Regelung über die Aufrechnung" vorgenommen haben, ist die Bindungswirkung zweifelhaft. Der 13. Senat des BSG (a.a.O., Rdnr. 49) geht davon aus, dass wenn die Verrechnung -Entsprechendes gilt auch für die Aufrechnung- durch Verwaltungsakt ergehen darf, eine materielle Bestandskraft Raum greift, die nur über § 44 SGB X korrigiert werden könne. Zweifel bestehen dann aber, wie weit die Bindungswirkung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 77 SGG Rdnr. 5 ff.) greift. Fraglich ist, ob mit Bindungswirkung eine tatsächlich nicht bestehende Gegenforderung begründet oder festgestellt und eine tatsächlich bestehende Hauptforderung zum Erlöschen gebracht wird (s. hierzu Antwortbeschluss des BSG vom 22. September 2009, B 4 SF 1/09 S, veröffentlicht in juris, Rdnr. 11 und Vorlagebeschluss, a.a.O., Rdnr. 49). Dann müsste auch -spiegelbildlich- bestandskräftig eine tatsächlich bestehende Gegenforderung der Behörde erlöschen, wenn die Verwaltung mit einer tatsächlich nicht bestehenden Hauptforderung des Sozialleistungsempfängers aufgerechnet hat. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Rechtsfolgen einer durch Verwaltungsakt erfolgten Aufrechnung nicht über die in § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelten Gestaltungswirkungen der bürgerlich-rechtlichen Willenserklärung (§ 388 BGB) hinausgehen, da nicht verbindlich feststehe, dass die Aufrechnungswirkung eingetreten ist, weil diese von den materiellen Voraussetzungen des § 387 BGB (Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Fälligkeit) abhängig sei (BFHE 149, 482). Schließlich ist fraglich, ob eine -umfassende- materielle Bestandskraft auch eintritt, wenn materiell gar kein Verwaltungsakt vorliegt (zum Begriff vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG], 11. Auflage, § 35 VwVfG Rdnr. 3). Von spezialgesetzlich abweichenden Regelungen abgesehen (s. jetzt z.B. § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II) liegt ein Verwaltungsakt nur vor, wenn er die gesetzlichen Merkmale erfüllt und es liegt kein Verwaltungsakt vor, der zwar als solcher bezeichnet wird, aber die Merkmale nicht erfüllt (Kopp/Ramsauer, a.a.O.). Die Form des Verwaltungsaktes darf nur gewählt werden, wenn es sich um eine Einzelfallregelung mit Außenwirkung handelt (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage, § 10 Anm. 2c m.w.N.). Das könnte bedeuten, dass einer als "Regelung" ergangenen Willenserklärung nicht die Wirksamkeit (§ 39 SGB X) einer Regelung zukommt. Falls die Aufrechnung von der Natur der Maßnahme gar keine Regelung im Sinne eines rechtlichen Ergebnisses (gesetzliche Rechtsfolge; s. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 2, 6. Auflage, § 45 VII 1a) beinhaltet, sondern nur eine Willenserklärung ist -worauf das Gesetz die Rechtsfolge automatisch herbeiführt- könnte dies dazu führen, dass ihr nicht die materielle Bestandskraft einer Regelung zukommt. Der BFH, der wie der 4. Senat des BSG (s. Antwortbeschluss vom 22. September, B 4 SF 1/09 S, veröffentlicht in juris) der Auffassung ist, die Aufrechnungserklärung sei die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich kein Verwaltungsakt, hat auch im Falle einer durch Verwaltungsakt bestandskräftig gewordenen Aufrechnung umfassend geprüft, ob die Aufrechnungserklärung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung wirksam ist (BFH, Urteil vom 18. Juli 1989, VII R 46/86, veröffentlicht in juris). Ist -entgegen der Auffassung des Sozialgerichts- die Wirksamkeit der Aufrechnung zu prüfen, ist zwar festzustellen, dass die Gegenforderung der Beklagten durch bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 17. Juli 2006 wirksam entstanden ist. Doch wären auch die übrigen Voraussetzungen einer Aufrechnung zu prüfen. Soweit sich die Beklagte auf § 43 SGB II beruft, sind dessen Voraussetzungen, wie grob fahrlässig gemachte falsche Angaben, keineswegs geklärt, da der Beklagten Unterhaltsvorschusszahlungen bekannt waren und Änderungen verneint wurden; zudem hat die Beklagte den 3-Jahreszeitraum des § 43 SGB II überschritten. Nach alledem ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben. Angesichts der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse war den Klägern Prozesskostenhilfe unter Anordnung einer Ratenzahlung zu gewähren; Einkommen in Höhe von 2476 EUR netto (Anwärterbezüge: 1818 EUR; Kindergeld: 558 EUR; Wohngeld: 100 EUR) stehen Abzüge in Höhe von 2165 EUR (Freibertrag Partei:400 EUR [§ 114 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a ZPO]; Freibetrag Erwerbstätigkeit: 182 [§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b ZPO]; Freibeträge Kinder: 276 EUR + 276 EUR + 316 EUR [§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b ZPO]; Kosten der Unterkunft 715 EUR) gegenüber, so dass ein Einkommen von 311 EUR verbleibt, was nach der Tabelle zu § 115 ZPO zu einer Rate von 115 EUR führt.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG)
Rechtskraft
Aus
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