L 19 AS 12/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 40 AS 19/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 12/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2010 geändert. Der Klägerin wird ab dem 29.08.2011 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin L, O, beigeordnet.

Gründe:

I. Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung bis zum 31.12.2010 (a. F.) bzw. § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II.

Ab dem 01.01.2005 bezog die am 00.00.1970 geborene Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Im Jahr 2006 zog sie in das angemietete Haus B 00, 00000 O, um. Durch Bescheid vom 27.04.2007 stellte die Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend: Beklagter) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung zum 05.01.2007 wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin ein.

Die Klägerin ist an paranoider Schizophrenie erkrankt. Im Februar 2007 nahm das Jugendamt ihre vier Kinder in Obhut. Durch Beschluss vom 05.03.2008 bestellte das Amtsgericht O für die Klägerin einen Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Wohnungsangelegenheiten, Behördenangelegenheiten, Postangelegenheiten und alle Vermögensangelegenheiten. Durch Unterbringungsverfügung wurde die Klägerin am 10.07.2008 zur stationären Behandlung in das St. B-Krankenhaus in O eingewiesen. Sie wurde bis zum 20.11.2008 stationär behandelt. Der Betreuer der Klägerin kündigte das Mietverhältnis hinsichtlich des Hauses B 00, 00000 O, zum 31.10.2008 und veranlasste eine Räumung des Hauses zum 31.10.2008. Zum 01.11.2008 mietete er für die Klägerin die Wohnung J-straße 0, 00000 O an.

Auf Antrag des Betreuers gewährte der Beklagte der Klägerin ab dem 04.04.2008 durchgehend Leistungen nach dem SGB II. Am 05.11.2008 stellte der Beklagte einen Antrag auf ärztliche Begutachtung zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit der Erwerbsfähigkeit beim Gesundheitsamt des S-kreises O. Nachdem das Gesundheitsamt des S-kreises O am 28.11.2008 zum Ergebnis gelangte, dass bei der Klägerin eine volle Erwerbsminderung für mehr als 6 Monate bestehe, hob der Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2009 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wegen des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit mit Wirkung vom 30.11.2008 auf und meldete bei der Stadt O einen Erstattungsanspruch für die erbrachten Leistungen in der Zeit vom 01.12.2008 bis 28.02.2009 an. Die Klägerin bezog in der Zeit vom 01.12.2008 bis 31.11.2009 Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Seit dem 01.12.2009 bezieht sie wieder Leistungen nach dem SGB II.

Am 06.11.2008 beantragte der Betreuer der Klägerin die Gewährung einer Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F ... Durch Bescheid vom 10.11.2008 bewilligte der Beklagte darlehensweise eine einmalige Beihilfe zur Anschaffung von Wohnungsgegenständen in Form einer Sachleistung durch das Möbellager der D als unabweisbaren Bedarf i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F ... Mit weiterem Bescheid vom 10.11.2008 bewilligte der Beklagte eine Beihilfe zur Anschaffung von Haushaltsgeräten in Höhe von 75,00 EUR nach § 23 Abs. 1 SGB II a.F. als Darlehen.

Gegen beide Bescheide legte der Betreuer der Klägerin Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, dass aufgrund der außergewöhnlichen Lebenslage der Klägerin ein umfassender Leistungsanspruch bestehe. Dieser müsste über die Leistung zur Erstausstattung der Wohnung und der Gewährung von Hausrat hinausgehen und zuschussweise erfolgen. Durch Widerspruchsbescheid vom 29.12.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin holte im Dezember 2008 beim Möbellager der D Wohnungsgegenstände einschließlich Bettwäsche in einem Wert von 441,35 EUR ab.

Am 30.01.2009 hat die Klägerin Klage mit dem Begehren erhoben, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2008 zu verpflichten, ihr einen Zuschuss für die Erstausstattung der Wohnung und für Haushaltsgeräte gemäß dem Antrag vom 20.10.2008 zu bewilligen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass bei ihr nicht der Fall der Ersatzbeschaffung, sondern der Erstausstattung gegeben sei. Denn aufgrund gesundheitlicher und psychischer Probleme habe bei ihr eine außergewöhnliche Situation bestanden, die zum unverschuldeten Untergang ihrer Wohnungs- und Haushaltsgegenstände geführt habe. Dies rechtfertige die Gewährung einer Ersatzausstattung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F ...

Durch Beschluss vom 18.11.2010 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Hiergegen hat die Klägerin Beschwerde eingelegt.

II. Die Beschwerde ist begründet.

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint

Die Klage bietet zur Überzeugung des Senats hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Antragstellerin ausgehen wird. Prozesskostenhilfe kann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BSG Beschluss vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R = SozR 3-1750 § 114 Nr.5; BVerfG Beschluss vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 = NJW 2003, 2976).

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich und die Erfolgschance der Klägerin keine entfernte.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F. bzw. nach dem gleichlautenden § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II sind Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte nicht von der Regeleistung umfasst. Dabei handelt es sich nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei dem Anspruch auf Erstausstattung um eine bedarfsbezogene Leistung (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 36/09 = juris Rn 16). Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F. sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen. Für die Auslegung des Begriffs der Erstausstattung ist entscheidend, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Wohnung, die Klägerin im November 2008 bezogen hat, unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin nicht ausgestattet gewesen und hat ein Bedarf i.S.v. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. bestanden. Allein die Tatsache, dass es sich unter Zugrundelegung des substantiierten Vortrags der Klägerin bei dem Klagebegehren nicht um eine erstmalige Ausstattung einer Wohnung überhaupt, sondern um eine Ersatzbeschaffung schon früher vorhandener Gegenstände handelt, schließt den Anspruch nicht schon aus (vgl. BSG Urteile vom 19.08.2010 - B 14 AS 36/09 = juris Rn 16 und vom 01.07.2009 - B 4 AS 77/08 R = juris Rn 15f). Denn ein Bedarf i.S.v. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. kann auch durch einen Gesamtverlust einer vorhandenen Wohnungsausstattung, z.B. durch einen Wohnungsbrand, oder durch die Entstehung eines neuen Bedarfs aufgrund außergewöhnlicher Umstände, wie z.B. bei einer Entlassung aus der Haft, Trennung vom Ehepartner (BSG Urteil vom 19.09.2008 - B 14 AS 64/07 R = juris Rn 16), längerfristige Wohnungsaufgabe wegen Alkoholerkrankung (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 36/09 = juris Rn 16), entstehen (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 60). In diesen Fällen wird auch eine Ersatzbeschaffung von Ausstattungsgegenständen vom Begriff der sog. "Erstausstattung" mit umfasst. Davon wird auch die längerfristige, zukunftsoffene Aufgabe einer Wohnung verbunden mit dem Gesamtverlust der Ausstattungsgegenstände erfasst (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 36/09 = juris Rn 16). Eine Ersatzbeschaffung stellt nur dann keine Erstausstattung i.S.v. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F. dar, wenn einzelne, bereits unmittelbar vor dem Einzug in eine Wohnung vorhanden gewesene Gegenstände zwar weiterhin funktionsfähig sind, ihrem Besitzer jedoch nicht mehr gefallen oder sie nicht mehr optimal zur neuen Wohnung passen oder wenn die Gegenstände ohnehin - auch ohne den Umzug - wegen Unbrauchbarkeit hätten durch andere Gegenstände ersetzt werden müssen (vgl. BSG Urteile vom 19.08.2010 - B 14 AS 36/09 = juris Rn 16 und vom 01.07.2009 - B 4 AS 77/08 R = juris Rn 16).

Insoweit ist vorliegend aufzuklären, ob in der früheren Wohnung der Klägerin B 00, 00000 O, zum Zeitpunkt der Räumung überhaupt noch funktionsfähige Ausstattungsgegenstände vorhanden gewesen sind. Nach dem Vortrag der Klägerin musste der im Haus B 00, 00000 O, vorhandene Hausrat wegen Gesundheitsgefährdung vollständig entsorgt werden. Falls dies der Fall ist, wäre aufzuklären, ob dieser Gesamtverlust auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist. Vorliegend spricht vieles dafür, dass die Klägerin den Gesamtverlust ihrer Wohnungsausstattung aufgrund der Folgen ihrer psychischen Erkrankung unverschuldet verursacht hat. Dr. L führt in seinem für das Amtsgericht O im Betreuungsverfahren der Klägerin erstattete Gutachten vom 27.08.2008 u.a. aus, dass die Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie, verbunden mit einem teils bizarr anmutenden Wahnsystem, Beeinträchtigungserleben, Wahrnehmungsstörungen, teilweisen inadäquatem Affekt und fehlender Krankheitseinsicht, leidet und diese Erkrankung schon seit längerem bestanden hat. Insoweit ist aufzuklären, ob das Verhalten der Klägerin, wenn es für den Gesamtverlust der Wohnungsausstattung ursächlich gewesen ist, ihr zuzurechnen ist. Falls die Klägerin krankheitsbedingt den Gesamtverlust des Hausrates verursacht hat, könnte dies ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Gesetzes darstellen. Auch hat Dr. L in seinem Gutachten ausgeführt, die Klägerin habe sich seit mehreren Monaten vor der Einweisung nicht mehr in dem angemieteten Haus B 00, 00000 O, aufgehalten, sondern versucht an wechselnden Orten kurzfristig unterzukommen. Dies spricht für eine längerfristige, kankheitsbedingte Wohnungsaufgabe.

Des weiteren wird im Verfahren zu klären sein, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II bei der Klägerin im November 2008 gegeben gewesen sind bzw. die Vorschrift des § 44a Satz 3 SGB II i.d.F. bis zum 31.12.2010 zu ihren Gunsten eingegriffen hat (vgl. hierzu BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R = juris Rn 19).

Die Erforderlichkeit dieser weiteren Ermittlungen genügt bereits, um eine hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen.

Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a SGG i.V.m. § 115 ZPO), so dass ihr ratenfrei Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.

Die Prozesskostenhilfe ist erst ab dem 29.08.2011 zu bewilligen, da erst zu diesem Zeitpunkt mit der Vorlage einer Erklärung über die wirtschaftlich und persönlichen Verhältnisse der Klägerin nach § 117 ZPO das Prozesskostenhilfegesuch bewilligungsreif gewesen ist (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 08.01.2008 - L 19 B 11/08 AL).

Die Kosten des Beschwerdeverfahrensverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved