L 5 AS 1973/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 168 AS 15499/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1973/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Verwaltungsakt ist nur dann unbestimmt, wenn sein Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten daran auszurichten (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R; Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 20/09 R; Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 30/09 R).

Die Außerachtlassung eines Merkblattes begründet grundsätzlich den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. September 1977, 8/12 RKg 8/76).
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2010 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung der ihr bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Die 1961 geborene Klägerin bezog bis zum 30. September 2006 in Kiel laufende Leistungen nach dem SGB II von dem dort zuständigen Jobcenter. Mit Wirkung ab dem 15. August 2006 mietete sie eine Wohnung in Berlin an. Die behördliche Anmeldung erfolgte zum 15. September 2006. In der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 29. Juli 2008 nahm die Klägerin an der Freien Universität Berlin als immatrikulierte Studentin am Studiengang der Rechtswissenschaften teil. In dieser Zeit bezog sie keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Sie hatte bereits zuvor ein Hochschulstudium absolviert, für das BAföG-Leistungen bewilligt worden waren.

Am 22. September 2006 beantragte sie beim Beklagten zunächst formlos Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In dem nachgereichten Antragsvordruck verneinte sie die Frage, ob sie Auszubildende – auch in Schulausbildung – sei. Sie bestätigte mit ihrer Unterschrift vom 9. Oktober 2006, das "Merkblatt SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. In dem Merkblatt heißt es zu Ziffer 4.1 ("Wer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II?") unter anderem: "Auch Auszubildende, Teilnehmer an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme und Studenten erhalten in der Regel keine Leistungen".

Der Beklagte bewilligte daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nämlich - mit Bescheid vom 27. Oktober 2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 9. November 2006 und vom 6. März 2007 und des Teilaufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 20. März 2007 für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. März 2007, - mit Bescheid vom 20. März 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. Juni 2007 für die Zeit vom 1. April 2007 bis zum 30. September 2007, - mit Bescheid vom 11. September 2007 für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008, - mit "Änderungsbescheid" vom 5. März 2008 für die Zeit vom 1. April 2008 bis zum 30. September 2008.

In der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2008 ergaben sich dadurch insgesamt Leistungen in Höhe von 12.354,67 EUR.

Am 4. April 2008 teilte die Klägerin einem zuständigen Mitarbeiter des Beklagten im Rahmen eines persönlichen Gespräches mit, dass sie sich in einem Studium befinde. Auf Aufforderung der Behörde legte sie am 13. Mai 2008 eine aktuelle Immatrikulationsbescheinigung und am 1. August 2008 eine Exmatrikulationsbescheinigung vor. Mit Bescheid vom 6. August 2008 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 1. Oktober 2007 auf. Nach einer mit Schreiben vom 6. August 2008 durchgeführten Anhörung hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. September 2008 die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2008 auf und forderte einen Betrag in Höhe von 12.354,67 EUR zurück. Die gegen beide Bescheide eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung gab sie an, die Leistungsbewilligungen seien von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Klägerin unterliege als Studentin einem gesetzlichen Leistungsausschluss und könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Mai 2009 Klage beim Sozialgericht Berlin mit folgender Begründung erhoben: Jedenfalls hinsichtlich der vorlesungsfreien Studienzeit bis zum 15. Oktober 2006 bestehe kein Leistungsausschluss, weil diese Zeit lediglich der Studienvorbereitung diene, wofür bei ihr wegen der Kenntnisse aus dem vorangegangenen Hochschulstudium kein Bedarf bestanden habe. Insgesamt genieße sie Vertrauensschutz. Sie habe bereits das Jobcenter Kiel über die "Absicht ein Studium aufzunehmen" informiert, ohne über einen möglichen Leistungsausschluss belehrt worden zu sein. Das Merkblatt des Beklagten habe sie niemals erhalten. Anlässlich ihrer persönlichen Vorsprache beim Beklagten am 4. April 2008 habe sie von ihrem Studium berichtet. Sie sei aber wiederum nicht über einen Leistungsausschluss belehrt worden. Aus der von Anfang an fehlenden Beratung ergebe sich ein Herstellungsanspruch, weil sie sich bei rechtzeitiger Beratung exmatrikuliert hätte.

In der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 20. September 2010 ist die Klägerin persönlich angehört worden. Hierbei hat sie angegeben, sie habe gedacht, es sei für den Beklagten unerheblich, was sie in ihrer Freizeit unternehme. Sie wisse jetzt nicht mehr, was sie sich dabei gedacht habe, als sie angegeben habe, dass sie keine Auszubildende sei. Erst am 25. Januar 2008 habe sie in einer Maßnahme des Jobcenters erfahren, dass Studenten nicht leistungsberechtigt seien. Sie wisse nicht mehr so genau, warum sie dem Jobcenter trotzdem keine Mitteilung von ihrem Studium gemacht habe. Sie habe nicht gewollt, dass das Jobcenter von Dritten über ihr Studium informiert werde. Den Leistungsantrag habe sie einfach so unterschrieben. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, ob sie das Merkblatt erhalten habe.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 20. September 2010 insoweit stattgegeben, als es den Aufhebungsbescheid vom 6. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 insgesamt und den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 hinsichtlich der Zeiten vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Januar 2008 und vom 1. April 2008 bis zum 31. Mai 2008 aufgehoben hat. Der Aufhebungsbescheid vom 6. August 2008 sei wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig, weil der Endzeitpunkt der Aufhebung aus dem Verfügungssatz nicht hervorgehe. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. September 2008 sei hinsichtlich der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Januar 2008 rechtswidrig, weil sich die Klägerin insoweit auf Vertrauensschutz berufen könne. Die Angabe in dem Antragsvordruck, dass sie sich nicht in Ausbildung befinde, sei jedenfalls nicht grob fahrlässig erfolgt. Landläufig werde zwischen Ausbildung und Studium unterschieden. In dem Vordruck werde zudem ausschließlich danach gefragt, ob der Antragsteller ein Auszubildender sei. Eine Beratung der Klägerin habe zudem nie stattgefunden. Schließlich habe die Klägerin glaubhaft angegeben, sie habe sich gedacht, es sei für den Beklagten unerheblich, was sie in ihrer Freizeit mache. Erst ab dem 25. Januar 2008 habe die Klägerin nach eigenen Angaben von dem fehlenden Leistungsanspruch gewusst. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. September 2008 sei aber auch hinsichtlich der Zeit vom 1. April 2008 bis zum 31. Mai 2008 rechtswidrig, weil er nicht ausdrücklich den diesen Zeitraum betreffenden Bescheid vom 5. März 2008 aufhebe.

Der Beklagte hat gegen die ihm am 28. September 2010 zugestellte Entscheidung am 25. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Er meint, die angefochtenen Bescheide seien hinreichend bestimmt und die Klägerin genieße wegen des ausgehändigten Merkblattes keinen Vertrauensschutz.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2010 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Leistungsakten des Beklagten, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Bescheide vom 6. August 2008 und vom 1. September 2008 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Der Beklagte hat die durch § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) vorgeschriebene Anhörung durchgeführt. Die Bescheide genügen auch dem Bestimmtheitsgebot aus § 33 Abs. 1 SGB X. Ein Verwaltungsakt ist nur dann unbestimmt, wenn sein Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten daran auszurichten (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R; Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 20/09 R; Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 30/09 R). Diesen Anforderungen werden die angefochtenen Bescheide gerecht. Soweit der Aufhebungsbescheid vom 6. August 2008 das Ende des Aufhebungszeitraumes noch offen lässt, wird durch den Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 klargestellt, dass es um die Zeit bis zum 29. Juli 2008 geht. Dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. September 2008 die aufgehobenen Bewilligungsbescheide nicht vollständig erwähnt, ist für die Bestimmtheit unschädlich. Aus dem Verfügungssatz wird aus der Sicht eines verständigen Empfängers unmissverständlich klar, dass die Bewilligungen hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2008 betroffen sein sollen. Zudem werden die aufgehobenen Bescheide im Widerspruchsbescheid benannt.

Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Die Aufhebung der Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2008 beruht auf § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 2954, 2966) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) sowie § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X. Soweit danach ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2008 waren rechtwidrig. Die Klägerin hatte in diesem Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie unterlag der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dieser Vorschrift liegt die Erwägung zu Grunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder dem SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll die gemäß § 3 Abs. 3 SGB II nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine versteckte Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 24/09 R; Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 67/08 R).

Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 29. Juli 2008 in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung. Ob eine solche Ausbildung vorliegt, richtet sich nach § 2 BAföG. Diese Vorschrift regelt – von den Besonderheiten des Fernunterrichts (§ 3 BAföG) und der Ausbildungen im Ausland (§§ 5, 6 BAföG) abgesehen – den Bereich der abstrakt förderungsfähigen Ausbildungen abschließend. Demgegenüber umschreibt § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG den Grundanspruch auf Ausbildungsförderung und individualisiert (insbesondere durch die grundsätzliche Beschränkung der Förderung auf die erste – erfolgreich oder erfolglos beendete – Ausbildung) in dem durch § 2 BAföG abstrakt gezogenen Rahmen den Begriff der förderungsfähigen Ausbildung. Solche individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben jedoch außer Betracht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 24/09 R). Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte das von der Klägerin begonnene Studium der Rechtswissenschaften dem Grunde nach als Besuch einer Hochschule im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG gefördert werden. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass jedenfalls ihre Studienzeit bis zum 15. Oktober 2006 nicht unter den Leistungsausschluss falle, weil diese vorlesungsfreie Zeit nicht zur Vorbereitung des Studiums habe genutzt werden müssen, steht dem bereits entgegen, dass eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung gemäß § 15 Abs. 2 BAföG auch die unterrichts- und vorlesungsfreie Zeit umfasst.

Die Klägerin erfüllt auch nicht die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II, wonach die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II keine Anwendung auf solche Auszubildende findet, (1.) die auf Grund von § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben oder (2.) deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB III bemisst.

Die Klägerin hatte auch keinen Anspruch aus § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Danach können Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in besonderen Härtefällen als Darlehen geleistet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein besonderer Härtefall dann anzunehmen, wenn wegen einer Ausbildungssituation ein Hilfebedarf entstanden ist, der nicht durch BAföG-Leistungen oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werde und damit das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender Hilfebedürftigkeit drohe. Diese Voraussetzung trägt zweierlei Gesichtspunkten Rechnung: Zum einen entspricht sie dem gesetzgeberischen Willen, neben den gesetzlich vorgesehenen Ausbildungshilfen über das SGB II kein weiteres Hilfesystem zu installieren. Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts aus dem SGB II muss die Ausnahme bleiben. Zum anderen gewährleistet sie den Grundsatz des Forderns. Es muss daher eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen – nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind – die Ausbildung werde mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem besonderen Härtefall ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG-Leistungen oder Leistungen der Berufsausbildungsförderung nach dem SGB III oder anderen finanziellen Mittel – sei es Elternunterhalt, Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder möglicherweise bisher zu Unrecht gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (Vertrauensschutz) – gesichert war, die nun kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Erkrankung. Denkbar ist auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des BAföG oder des SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt (Urteile vom 6. September 2007, B 14/11b AS 28/06 R und B 14/11b AS 36/06 R). Nach dieser Maßgabe war hier eine besondere Härte nicht gegeben. Das Studium der Rechtswissenschaften befand sich erst im Anfangsstadium. Der Klägerin drohte auch nicht das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit. Es spricht nichts dagegen, dass sie auch ohne weitere Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Deutschland eine Arbeit finden kann.

Schließlich hatte die Klägerin auch keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 SGB II in der ab dem 1. Januar 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706, 1709). Die Vorschrift setzt den Bezug von BAföG-Leistungen voraus, was bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht gegeben war.

Die Leistungsbewilligungen beruhten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf Angaben, welche die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat. Der Klägerin ist auch gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X entgegenzuhalten, dass sie die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligungen infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Ob sie bereits dadurch grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht, dass sie die Frage, ob sie Auszubildende sei, verneint hat, kann angesichts der umgangssprachliche Unterscheidung zwischen Auszubildenden und Studenten – die auch von dem "Merkblatt SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" vorgenommen wird – dahinstehen. Jedenfalls hat sie grob fahrlässig die Mitteilung unterlassen, dass sie Studentin war, obwohl sich dies ihr hätte aufdrängen müssen. Soweit die Klägerin behauptet, sie habe bereits dem Jobcenter Kiel ihre Studienabsicht mitgeteilt, fehlen dafür jegliche Hinweise. Zudem war sie ohnehin gemäß § 60 Abs. 1 SGB I gegenüber dem Beklagten zu vollständigen Angaben verpflichtet. Die Klägerin hat das "Merkblatt SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" bei Antragstellung erhalten. Soweit sie das bestreitet, ist diese Behauptung durch ihre in dem Antragsvordruck enthaltene Erklärung und ihre Unterschrift widerlegt. Im Übrigen hat die Klägerin von ihrer Behauptung ohnehin Abstand genommen, indem sie in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht angegeben hat, sie könne sich nicht mehr erinnern, ob sie das Merkblatt erhalten habe. Durch das Merkblatt ist sie auch darüber informiert worden, dass Studenten grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Damit ist der Klägerin die Kenntnis zuzurechnen, dass ein Studium zum Leistungsausschluss führt und zu den mitteilungspflichtigen Tatsachen gehört, die für die Leistungen erheblich sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I). Die Außerachtlassung eines Merkblattes begründet grundsätzlich den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. September 1977, 8/12 RKg 8/76). Für eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehen keine Anhaltspunkte. Die Klägerin war in Anbetracht ihres Bildungsstandes und insbesondere des in Aussicht genommenen Studiums der Rechtswissenschaften in der Lage, die Informationen des Merkblattes zu verstehen. Das Vorbringen der Klägerin, ihr stehe wegen fehlender Belehrungen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, geht in Anbetracht der zutreffenden Belehrung durch das Merkblatt ins Leere. Die Aufhebung scheitert nicht an der Zweijahresfrist aus § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden darf. Im vorliegenden Fall ist ohnehin die Ausnahme des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X einschlägig, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Der teilweisen Aufhebung steht auch nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen. Danach muss die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, dieses innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Frist hat der Beklagte eingehalten.

Die Rückforderung der Leistungen beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB X. Danach sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, wobei die Behörde die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen hat. Die Ausnahmevorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X sechsundfünfzig Prozent der berücksichtigten Kosten für die Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für die Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten sind, ist gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht anwendbar, da es sich hier um einen Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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