L 8 SO 182/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SO 196/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 182/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird.
2.Die Angabe eines Postfachs ist keine der Benennung einer Wohnanschrift gleichwertige zweifelsfreie Identifizierungsmöglichkeit.
3. Ein Computerfax wahrt lediglich die vom Gesetz geforderte Schriftform, verlangt aber dennoch die Angabe einer Adresse.
4. §§ 90, 92 SGG sind nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie den Rechtsuchenden zumindest dazu verpflichten, eine Anschrift zu nennen (BSG Beschluss vom 18.11.2003, Aktenzeichen: B 1 KR 1/02 S, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2010, Aktenzeichen: L 13 R 3865/09; Bayer. LSG, Beschlüsse vom 13.02.2009, L 7 AS 150/08 und L 7 AS 150/08 und vom 16.02.2009, L 7 AS 160/08).
5. Hinweis auf L 8 SO 3/12 B
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2011 wird verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt höhere Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt ab 01.12.2010, die Kostenübernahme für einen Französischkurs, Bewerbungskosten für eine Wohnung, Zuschüsse für den Erwerb eines Laptop, eines Druckers, von Software, einer Autoreparatur, einer Schreibkraft und für Bekleidung sowie die Übernahme der Zuzahlungen und Praxisgebühr in der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Belastungsgrenze.
Der 1967 geborene Kläger wohnte bis 24.04.2011 in der A-Straße 101 in A-Stadt. Die monatliche Miete betrug 663,14 EUR. Am 25.05.2011 wurde seine Wohnung durch den Gerichtsvollzieher geräumt. Zu dieser Zeit befand sich der Kläger vom 11.05.2011 bis 26.05.2011 in Hauptverhandlungshaft. Seine Möbel wurden bei einer Spedition eingelagert.
Bis zum 31.10.2010 erhielt der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Seit 01.12.2008 erhält er von der gesetzlichen Rentenversicherung zunächst bis zum 30.11.2011 befristet, jetzt auf Dauer eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese beträgt ab 01.07.2010 monatlich 791,63 EUR, ab 01.11.2010 monatlich 942,20 EUR und ab 01.01.2011 monatlich 944,84 EUR.
Am 12.10.2010 beantragte der Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt. Dabei gab er an, allein in der Wohnung zu wohnen. Im Gegensatz dazu hatte die Beklagte Kenntnis von einem Schreiben des Klägers an den Vermieter, in dem er mitteilte, dass er seine pflegebedürftige Mutter in der Wohnung aufnehmen musste und diese auch gegenüber dem Amtsgericht erklärte, dass sie immer wieder längere Zeit in der Wohnung wohne, sowie dass seine Verlobte bei ihm eingezogen sei. Außerdem teilte der Obergerichtsvollzieher mit Schreiben vom 25.11.2010 mit, dass er beim Räumungstermin am 17.11.2010 außer dem Kläger noch eine weitere Person angetroffen habe, die Mitbewohnerin sein solle. Mit Bescheid vom 25.11.2010 bewilligte die Beklagte Hilfe zum Lebensunterhalt für November 2010 in Höhe von 708,65 EUR und für die Zeit ab 01.12.2010 in Höhe von 0,00 EUR. Bei der Berechnung wurden die Unterkunftskosten nur hälftig berücksichtigt. Ab Dezember 2010 sei der Kläger wegen des Rentenbezuges nicht hilfebedürftig. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 05.12.2010. Mit Änderungsbescheid vom 07.03.2011 wurden für November 2010 Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von 859,22 EUR unter Berücksichtigung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung von 131,20 EUR und zur Pflegeversicherung von 19,37 EUR bewilligt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 09.03.2011.
Am 09.11.2010 beantragte der Kläger die Kostenübernahme von 371,25 EUR für Übernachtungs- und Bewerbungskosten im O., A. vom August 2010 für eine neue Wohnung sowie 260 EUR für einen Französischkurs, der am 21.06.2010 bezahlt wurde. Mit Schreiben vom 15.10.2010 beantragte er die Kostenübernahme für einen Laptop i.H.v. 300 EUR, einen Drucker bis 200 EUR und Software i.H.v. 120 EUR, die anlässlich eines tätlichen Überfalls in seiner Wohnung entwendet worden seien, hilfsweise ein zinsloses Darlehen. Mit Schreiben vom 13.10.2010 beantragte er die Kostenübernahme für eine Autoreparatur in Höhe von 870 EUR, hilfsweise ein Darlehen. Am 21.10.2010 beantragte er die Übernahme der Kosten für eine Schreibkraft. Mit Schreiben vom 29.11.2010 stellte er einen Antrag auf einen Bekleidungszuschuss für eine neue Winterjacke, neue Unterwäsche, mindestens 2 Hosen sowie 3 Longshirts in Höhe von bis zu 350 EUR. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom 06.12.2010 abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 07.12.2010.
Am 13.01.2011 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für die Vorauszahlung für die Befreiung von den GKV-Zuzahlungen 2011 in Höhe von 105,67 EUR. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18.01.2011 abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 28.01.2011.
Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2011 zurückgewiesen. Trotz Aufforderung habe der Kläger die Adresse seiner Mutter und seiner Verlobten der Beklagten nicht bekanntgegeben. Damit habe er zur Klärung des Sachverhalts nicht beigetragen. Die behauptete Mieterhöhung habe er nicht durch Vorlage entsprechender Schreiben des Vermieters nachgewiesen. Die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge seien durch Änderungsbescheid vom 07.03.2011 berücksichtigt worden. Die Kosten für die beantragten einmaligen Zuschüsse seien im Regelsatz enthalten und könnten nicht übernommen werden. Die Kosten für die Gesundheitspflege seien ebenfalls im Regelsatz enthalten.
Am 11.04.2011 hat der Kläger schriftlich Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Er sei seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen. Dies belege der Aktenvermerk vom 16.11.2010. Er müsse nicht Behauptungen Dritter widerlegen oder einen Gegenbeweis erbringen.
Durch Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2011 das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 25.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.03.2011, vom 06.12.2010 sowie 18.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2011 seien rechtmäßig. Zur Begründung ist angeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf (höhere) Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 19 Abs. 1, §§ 27, 27a, § 35 Abs.1 Satz 1 SGB XII) ab 01.11.2010 habe. Lebten mehrere Personen in einer Wohnung, seien die Unterkunftskosten grundsätzlich nach Kopfteilen aufzuteilen (vgl. BSG vom 14.04.2011, B 8 SO 18/09 R). Das SG habe aufgrund des Verhaltens des Klägers und seiner Mutter sowie einer weiteren, dem Gericht unbekannten Person begründete Zweifel daran, dass der Kläger vom 01.11.2010 bis 24.05.2011 durchgehend allein gewohnt habe. Nicht weiter aufklärbar sei für das Gericht auch die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung seit der Räumung. Der Kläger habe das Angebot einer Einweisung in eine Pension abgelehnt. Den Mietvertrag und die entsprechenden Kontoauszüge zum Nachweis seiner Aufwendungen lege er nicht vor. Es liege die Vermutung nahe, dass der Kläger kostenlos bei Freunden oder Verwandten wohne. Die objektive Beweislast für den Umfang seiner Hilfebedürftigkeit seit der Räumung trage der Kläger. Sonstige Berechnungsfehler im Bescheid vom 25.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.03.2011 seien nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Demgemäß errechne sich für November 2010 kein höherer Bedarf als 859,22 EUR. Ab 01.12.2010 sei von einem Bedarf von 384 EUR zuzüglich der Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung von insgesamt 155,86 EUR, das seien 539,86 EUR auszugehen. Dem stehe ein nach § 82 SGB XII anzurechnendes Einkommen von 924,73 EUR (944,84 EUR abzüglich 20,11 EUR für Hausrat-, priv. Haftpflicht- und Kfz-Haftpflichtversicherung) gegenüber. Eine Hilfebedürftigkeit bestehe nicht.

Der Bescheid vom 06.12.2010 sei rechtmäßig. Die Kosten für den Französischkurs seien am 21.06.2010 und die Kosten für die Wohnungssuche im August 2010 beglichen. Die Beklagte habe erst mit Antragstellung vom 09.11.2010 Kenntnis i.S.v. § 18 Abs. 1 SGB XII von einem möglichen sozialhilferechtlichen Bedarf erhalten. Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen vor Kenntnis des Sozialhilfeträgers. Im Zeitpunkt der Kenntnisnahme sei der Bedarf bereits anderweitig gedeckt gewesen.

Die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz des gestohlenen PCs einschl. der Software und des Druckers sowie auf Kostenerstattung für die Autoreparatur begründeten weder die Festsetzung eines abweichenden Bedarfs nach § 27a Abs. 4 SGB XII, noch einen Mehrbedarf nach §§ 30, 31 SGB XII. Auch § 36 Abs. 1 SGB XII sei nicht erfüllt, da keine mit einem drohenden Wohnungsverlust vergleichbare Notlage vorliege. Auch für eine Darlehensgewährung nach § 37 Abs. 1 SGB XII seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn ein PC mit Software und Drucker sowie ein Auto gehörten nicht zu den Regelbedarfen nach § 27a SGB XII.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Bekleidungserstausstattung nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII, da es sich um eine bloße Ersatzbeschaffung handele. Für eine erhebliche Gewichtszunahme fänden sich keinerlei Anhaltspunkte. Eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII bedürfe es nicht. Der geltend gemachte Bekleidungsbedarf könne aus der monatlichen Rentenzahlung bestritten oder ggf. sukzessive angespart werden.
Der Kläger sei in seiner Fähigkeit, Briefe zu verfassen, in keiner Hinsicht eingeschränkt. Eine Anspruchsgrundlage für die Bezahlung einer Schreibkraft sei im SGB XII nicht ersichtlich.

Der Bescheid vom 18.01.2011 sei rechtmäßig. Es sei bereits höchstrichterlich geklärt (BSG vom 16.12.2010, B 8 SO 7/09 R), dass Sozialhilfeempfänger seit 01.01.2004 keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der von ihnen in der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur individuellen Belastungsgrenze selbst zu tragenden Praxisgebühren und Zuzahlungen haben.

Hiergegen hat der Kläger am 31.10.2011 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) ein in N. abgesandtes Fax gesandt, in dem er sein Missfallen mit der Entscheidung in der Rechtssache S 8 SO 196/11 bekundet. Dies geschah nur mit Angabe eines Postfaches in A-Stadt (Nummer ...).

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts K. ist mit Beschluss vom 5. März 2011 abgelehnt worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 4. Oktober 2011 sowie der Bescheide vom 25.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.03.2011, vom 06.12.2010 sowie 18.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.3.2011 zu verurteilen, ihm Leistungen zum Lebensunterhalt ab 01.11.2010 zu gewähren, die Kosten eines Französischkurses, für Bewerbungen um eine Wohnung, für einen Laptop, einen Drucker und Software, eine Autoreparatur, eine Schreibkraft und für Bekleidung sowie auch die Übernahme der Zuzahlungen und der Praxisgebühr in der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Belastungsgrenze zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Regierung von Oberbayern und beider Instanzen verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist fristgerecht eingelegt. Sie ist statthaft. Sie ist aber nicht formgerecht erhoben.

Die Berufung ist schon angesichts des Streitwertes in der Sache zulässig.

Der Senat durfte trotz Ausbleibens des Klägers entscheiden, da dieser Kenntnis vom Termin erlangt hat. Die schriftliche Ladung ist aufgrund des Senatsbeschlusses vom 08.03.2012 in der Zeit vom 13.03.2012 bis zum 17.04.2012 im Aushang des LSG gewesen. Sie gilt damit nach Ablauf der Frist von einem Monat zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als zugestellt (§ 188 Zivilprozessordnung - ZPO). Die Ladung ist zu Recht öffentlich bekannt gegeben worden (§ 63 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Danach sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen. Terminbestimmungen und Ladungen sind bekannt zu geben. Die Zustellung erfolgt von Amts wegen nach den Vorschriften der ZPO. Die öffentliche Zustellung ist zulässig, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist (§ 185 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Der Aufenthaltsort des Klägers ist nicht zu ermitteln, wie mehrere Wohnsitzabfragen des Senats ergeben haben.

Die Berufung ist aber unzulässig, weil es an der Prozessvoraussetzung der ordnungs- gemäßen Bezeichnung des Klägers mit seiner Wohnungsanschrift fehlt. Durch die Angabe eines Postfachs ist keine der Benennung einer Wohnanschrift gleichwertige zweifelsfreie Identifizierungsmöglichkeit des rechtsuchenden Absenders bzw. Empfängers verbunden (vgl. dazu und auch zum Folgenden Beschluss des erkennenden Senats vom 01.03.2012, Az.: L 8 SO 3/12 B ER). Die Berufung ist damit schon nicht wirksam eingelegt.

Der Kläger hat am 26.10.2011 per Fax einen von ihm unterschriebenen Schriftsatz zum SG angebracht, in dem er sein Missfallen mit der getroffenen Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 8 SO 196/11 bekundet. Angegeben war aber statt einer Adresse nur ein Postfach mit der Nummer ... sowie der Ortsangabe A-Stadt unter der Postleitzahl D-.

Bei einem solchen Sachverhalt fehlt es trotz vorhandener einseitiger Kommunikation an der Sachurteilsvoraussetzung der Wohnanschriftsangabe als unverzichtbarer Verfahrensvorschrift. Die Behauptung des Klägers, weiterhin in der A-Straße 101 zu wohnen, begegnet ernstlichen Zweifeln, Davon ist der Senat nicht überzeugt. Dagegen spricht die Zwangsräumung des Klägers im Mai 2011 sowie die anschließende Verwendung von Fax-Nr. und Postfächern. Als allgemeine Prozessvoraussetzung erfordert ein zulässiges Rechtsschutzbegehren im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird. Die Angabe einer aktuellen Adresse zur Anschrift des Rechtsschutzsuchenden ist in jeder Lage des Verfahrens erforderlich (BSG, Urteil vom 18.11.2003, Az.: B 1 KR 1/02 S). Die Vorschriften des SGG sind insoweit unvollständig (vgl. § 153 Abs. 1 SGG bzw. entsprechende Anwendung der Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105). Das Erfordernis der Angabe einer Adresse, die den Wohnsitz bzw. den Aufenthaltsort widerspiegelt, beruht aber auf demselben Grundgedanken wie die kodifizierte prozessuale Schriftform (§ 90 SGG bzw. § 151 SGG). Eine natürliche Person wird im Rechtsverkehr durch die Angabe ihres Namens und ihrer Anschrift individualisiert. Die Adresse ist für die Identifikation des Rechtsuchenden und die Authentizität des Rechtschutzbegehrens nötig; es muss zuverlässig feststehen, wer die Klage willentlich in den Rechtsverkehr eingebracht hat. Deren Angabe ist weiterhin Voraussetzung für die im gerichtlichen Verfahren unerlässliche wechselseitige Kommunikation, insbesondere die Zustellung von Entscheidungen mit Folgewirkungen für die Rechtskraft und Rechtssicherheit sowie für gerichtliche Anordnungen, denen der Kläger im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nachzukommen hat (Binder, Kommentar Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, Rn. 1 zu § 90). Unter der Anschrift ist die Angabe der Wohnung nach Ort, Straße, Hausnummer und gegebenenfalls weiteren Unterscheidungsmerkmalen (z.B. Gebäudeteil wie etwa Stockwerk oder Gartenhaus) zu verstehen. Dieses Verständnis liegt zahlreichen prozessualen Vorschriften zugrunde, zum Beispiel über die Zustellung von Entschei- dungen (vgl. § 63 Abs. 2 SGG iVm §§ 166 ff ZPO). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtsuchenden bedarf es, damit ein Tätig werden des zuständigen Gerichts überhaupt möglich ist. Weiter verlangen kosten- rechtliche Gründe (§§ 192, 193 SGG) sowie die Notwendigkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Rechtsschutzsuchenden wegen der Sachermittlung die genaue Kenntnis der Wohnanschrift. Schließlich begibt sich der Rechtsschutzsuchenden mit der Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens in eine Rolle, die trotz des Amtsermittlungsprinzips regelmäßig ein Mindestmaß an aktiver Mitwirkung erfordert (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2, § 106 Abs. 1, § 111 Abs. 1 SGG); dies ist ohne sichere, auch für den Prozessgegner transparente Kommunikationsmöglichkeiten (vgl. § 128 Abs. 2 SGG) nicht gewährleistet. Demgemäß besteht in Literatur (Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 90 Rn. 4 und § 92 Rn. 4; Breitkreuz/Fichte, zu § 92 SGG, BeckOK Autor: Hintz, SGG § 92, Rn. 1) und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber, dass eine das Verfahren als natürliche Person betreibende Partei nach allen Prozessordnungen ohne Rücksicht auf die jeweilige Formulierung des Gesetzes ihre "ladungsfähige Anschrift", die Angabe des tatsächlichen Wohnorts, also die Anschrift, unter der die Partei persönlich zu erreichen ist, anzugeben hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.04.1999, Az.: 1 C 24/97, BSG, Urteil vom 18.11.2003,
Az.: B 1 KR 1/02 S, Beschlüsse des Bayer. LSG vom 19.03.2012, L 8 SO 42/12 B PKH, 19.03.2012, L 8 SO 32/12 B ER PKH, vom 01.03.2012, Az.: L 8 SO 3/12 B ER, 13.02.2009 und vom 16.02.2009, L 7 AS 150/08, L 7 AS 153/08 und L 7 AS 160/08, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2010, Az.: L 13 R 3865/09). So genügt beispiels- weise schon nicht die bloße Angabe einer E-Mail-Adresse und/oder einer Mobilfunk-Telefonnummer. Selbst die Angabe der Anschrift eines Postzustellungsbevollmächtigten wäre für eine ordnungsgemäße Rechtsmittelwahrung nicht ausreichend (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.03.2006, Az: L 8 KR 46/05).

Heilungsmöglichkeiten haben nicht bestanden. Eine Betreibensaufforderung (§ 156 Abs. 2 SGG) erfordert eine Zustellung an den Kläger, ebenso wie die Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 72 Abs. 2 SGG) die Zustimmung des Beteiligten erfordert. Das war ohne Kenntnis der Adresse des Klägers nicht möglich.

Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist (z.B. bei einem besonderen schützenswerten Geheimhaltungsinteresse in einem Adoptionsverfahren, vgl. BGHZ 102, 332, 336). Solche Umstände hat der Antragsteller hier weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. Das nach seinem Vortrag erkennbare Bestreben, ein gerichtliches Verfahren aus Dritten im Einzelnen nicht zugänglich gemachten persönlichen Gründen möglichst anonym zu betreiben oder gar vor Gläubigern geschützt zu sein, steht dem nach der zutreffenden Ansicht des BSG (a.a.O.) nicht gleich.

Im vorliegenden Fall ist eine wechselseitige Kommunikation mit dem Kläger praktisch nicht möglich. Die Bevollmächtigung seines Anwalts hat sich nur auf die erste Instanz bezogen. Die Mitteilungen an den Kläger per Postfach blieben unbeantwortet.

Die Berufung ist damit zu verwerfen (§ 158 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved